Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 29.03.2017

OVG Berlin-Brandenburg: deutsche bundespost, öffentlich, erlass, anbieter, telekommunikation, gewährleistung, universaldienst, sondernutzungsgebühr, vollstreckung, liberalisierung

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Gericht:
Oberverwaltungsgericht
Berlin-Brandenburg 1.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
OVG 1 B 26.08
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
Art 3 Abs 1 GG, Art 87f GG, Art
143b Abs 1 GG, Art 143b Abs 2
GG, § 68 Abs 1 S 1 TKG
Straßen- und Wegerecht; Sondernutzung;
Sondernutzungsgebühr; Telefonzellen; öffentlich-rechtlicher
Vertrag; Äquivalenzprinzip; Gleichheitssatz;
Telekommunikationsgesetz; Deutsche Telekom AG; Monopol;
Wettbewerb; Postreform II; Universaldienst
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der
außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden
Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher
Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin betreibt öffentliche Telefonstellen auf öffentlichem Straßenland im Bezirk
Tempelhof-Schöneberg von Berlin; sie wendet sich gegen die Heranziehung zu
Sondernutzungsgebühren.
Mit Sondernutzungsgebührenbescheid vom 3. Juli 2007 setzte das Bezirksamt
Tempelhof-Schöneberg für 22 (ab Oktober 2006: 21) von der Klägerin betriebene
Telefonhauben Sondernutzungsgebühren auf der Grundlage der
Sondernutzungsgebührenverordnung vom 12. Juni 2006 in Höhe von 790 Euro/Monat für
die Zeit Juli bis September 2006 und in Höhe von 760 Euro/Monat für die Zeit ab Oktober
2006 fest. Ihren hiergegen erhobenen Widerspruch begründete die Klägerin im
Wesentlichen damit, dass sie sich gegenüber der Beigeladenen, der Deutschen Telekom
AG, ungerechtfertigt benachteiligt sehe.
Die Beigeladene hatte durch öffentlich-rechtlichen Vertrag mit dem Land Berlin vom 7.
Juli 1999 ihre am 31. Dezember 1998 an 2620 Standorten vorhandenen mindestens
3639 öffentlichen Telekommunikationsstellen gegen ein pauschales jährliches Entgelt
von 125.000 DM (entspricht 63.911,48 Euro) genehmigt erhalten. Die Beigeladene
verpflichtete sich in dem Vertrag, bei einer Reduzierung der Standorte aus
wirtschaftlichen Gründen die Standortwahl so festzulegen, dass der Abstand zwischen
den verbleibenden Standorten nicht mehr als 2,5 km beträgt (§ 1 Abs. 2), die
Telekommunikationsstellen auf eigene Kosten stets in ordnungsgemäßem und
sauberem Zustand zu erhalten und beschädigte oder zerstörte
Telekommunikationsstellen unverzüglich wiederherzustellen (§ 2 Abs. 3) sowie alle
Telekommunikationsstellen kostenfrei mit einer Notruffunktion und -kennung
auszustatten (§ 1 Abs. 4). Die Beigeladene ist ferner berechtigt, geeignete Flächen der
Telekommunikationsstellen für Benutzerhinweise und Eigenwerbung zu nutzen (§ 2 Abs.
4 Satz 1). Außerdem verpflichtete sich das Land Berlin, im Umkreis der Standorte der
Beigeladenen von 30 m anderen Firmen keine gleichartigen Sondernutzungen zu
erlauben (§ 1 Abs. 6). Der Vertrag wurde für die Dauer von zehn Jahren geschlossen. Er
verlängert sich um jeweils ein Jahr, falls er nicht spätestens ein halbes Jahr vor Ablauf
schriftlich gekündigt wird (§ 5 Abs. 1).
Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhob die Klägerin am 15. November 2007
Klage, zu deren Begründung sie geltend machte: Die für die Gebührenfestsetzung
einschlägige Tarifstelle 4.7 sei wegen gebührenrechtlicher Ungleichbehandlung mit der
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einschlägige Tarifstelle 4.7 sei wegen gebührenrechtlicher Ungleichbehandlung mit der
Beigeladenen nichtig. Die durch den Sondernutzungsvertrag des Beklagten mit der
Beigeladenen gegebene gebührenrechtliche Ungleichbehandlung verfolge kein
verfassungsrechtlich zulässiges Differenzierungsziel und verstoße deshalb gegen den
allgemeinen Gleichheitssatz. Die mit dem Vertrag beabsichtigte Gewährleistung einer
flächendeckenden Grundversorgung mit Telekommunikationseinrichtungen sei nach Art.
87 f GG allein Sache des Bundes; die Kommunen seien nicht berechtigt, hier regelnd
einzugreifen. Mit der Bevorzugung der Beigeladenen verstoße der Beklagte auch gegen
das telekommunikationsrechtliche Universaldienstregime, das bundesrechtlich geregelt
sei. Die dortigen Bestimmungen schlössen regulierende Eingriffe der Kommunen - sei es
auch nur auf dem Wege der Entgeltgestaltung für die Aufstellung von
Telekommunikationsstellen - aus.
Der Beklagte trat der Klage entgegen und trug im Wesentlichen vor: Ein Verstoß gegen
Art. 3 Abs. 1 GG liege nicht vor. Der Vertrag mit der Beigeladenen diene der
Sicherstellung einer flächendeckenden Versorgung mit Telekommunikationsstellen über
die attraktiven, wirtschaftlich einträglicheren Stadtgebiete und Straßenzüge hinaus. Zum
Ausgleich für ihr stadtweites Angebot habe die Beigeladene eine von der damaligen
Entgeltordnung abweichende Entgeltregelung in Form eines (günstigeren)
Pauschalbetrags erhalten. Die Klägerin betreibe hingegen Telekommunikationsstellen
lediglich in Teilen des Stadtgebiets, erbringe also kein flächendeckendes Angebot
einschließlich der Randlagen und besonders vandalismusgefährdeter Gebiete. Art. 87 f
GG sei nicht einschlägig, weil es bei Sondernutzungserlaubnissen für
Telefoneinrichtungen nicht um eine Hoheitsaufgabe im Zusammenhang mit der
Erbringung von Telekommunikations-Dienstleistungen gehe.
Die Beigeladene führte im Klageverfahren aus: Art. 87 f GG betreffe nicht die Frage,
welche Gebühren dafür erhoben werden dürften, dass für Telekommunikationsstellen
öffentliches Straßenland in Anspruch genommen werde. Ein Verstoß gegen die
Vorschriften zum telekommunikationsrechtlichen Universaldienst liege nicht vor, da die
hier einschlägige Tarifstelle 4.7 anbieterneutral sei. Auch eine Verletzung des
Gleichheitsgrundsatzes könne nicht festgestellt werden.
Mit Urteil vom 28. August 2008 hat das Verwaltungsgericht der Klage stattgegeben und -
dem Hauptantrag der Klägerin entsprechend - den Gebührenbescheid vom 3. Juli 2007 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Oktober 2007 aufgehoben, soweit die
Gebühren den Betrag von monatlich 32,12 Euro (Juli bis September 2006) bzw. 30,66
Euro (ab Oktober 2006) - dies entspreche den von der Beigeladenen durchschnittlich zu
entrichtenden Gebühren - übersteigen. Zur Begründung hat es ausgeführt:
Der Bescheid sei trotz zutreffender Berechnung rechtswidrig. Die einschlägige Tarifstelle
sei wegen Verstoßes gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz nichtig, da die Klägerin
durch sie gegenüber der Beigeladenen ohne sachlichen Grund in nicht hinzunehmendem
Maße benachteiligt werde. Eine Ungleichbehandlung liege vor, weil die von der Klägerin
für die Aufstellung von öffentlichen Telekommunikationsstellen geschuldeten
Sondernutzungsgebühren höher seien als die Gebühren, die die Beigeladene für die
unter den Vertrag von 1999 fallenden öffentlichen Telekommunikationsstellen entrichten
müsse. Die Sachlage sei in Bezug auf Klägerin und Beigeladene vergleichbar. Beide
seien für die ihnen für Telekommunikationsstellen erteilten Sondernutzungserlaubnisse
i.S.v. § 11 Abs. 9 BerlStrG gebührenpflichtig. Die von der Beigeladenen zu entrichtenden
Gebühren seien, soweit es die bis zum 31. Dezember 1998 vorhandenen 2.620 (Alt-
)Standorte und mindestens 3.639 Sprechstellen betreffe, geringer als die nach dem
Gebührenverzeichnis zur Sondernutzungsgebührenverordnung bemessenen Gebühren.
Die Beigeladene zahle je Sprechstelle durchschnittlich 17,56 Euro/Jahr (63.911 Euro
Jahresgebühr bei mindestens 3.639 Sprechstellen, d.h. durchschnittlich 1,46
Euro/Monat), die Klägerin durchschnittlich 434,29 Euro/Jahr (760 Euro Monatsgebühr für
21 Einrichtungen, d.h. durchschnittlich 36,20 Euro je Einrichtung/Monat); das sei das
24,73-fache. Diese Ungleichbehandlung verletze den Gleichbehandlungsgrundsatz und
schlage auf den Gebührentatbestand (Tarifstelle 4.7 GebVerz) durch.
Zur Begründung der vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung trägt der Beklagte
vor: Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts sei die Tarifstelle 4.7 GebVerz
nicht wegen eines Gleichheitsverstoßes nichtig. Zwar weise das Gericht zutreffend auf
den weiten Gestaltungsspielraum des Normgebers im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG hin,
lasse diesen jedoch gänzlich außer Acht und ziehe einen unzutreffenden
Prüfungsmaßstab heran. Lege man den Maßstab des Willkürverbots zugrunde, lasse sich
ein Gleichheitsverstoß nicht feststellen. Der in Tarifstelle 4.7 festgelegte Gebührensatz
sei nicht willkürlich festgesetzt. Die erhebliche Divergenz zwischen dem in der Tarifstelle
4.7 enthaltenen Gebührensatz und dem pauschalierten Gebührensatz in Anwendung
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4.7 enthaltenen Gebührensatz und dem pauschalierten Gebührensatz in Anwendung
des öffentlich-rechtlichen Vertrages zwischen dem Beklagten und der Beigeladenen
finde ihre Rechtfertigung in der vertraglich übernommenen langfristigen, mit
wirtschaftlichen Risiken verbundenen Verpflichtung der Beigeladenen zur Gewährleistung
einer flächendeckenden Versorgung mit öffentlichen Telekommunikationsstellen und
dem stadtweit garantierten Angebot einer kostenlosen Notruffunktion. Diese Zielsetzung
sei anerkanntermaßen ein dem Grunde nach zulässiges Differenzierungskriterium im
Rahmen der Gebührengestaltung für Sondernutzungen. Die Auswirkungen der
Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes seien im Zeitpunkt des
Vertragsschlusses für beide Vertragsparteien noch in keiner Weise absehbar gewesen.
Bei einer Vertragsbindung von zehn Jahren sei es daher sachgerecht gewesen, diesem
wirtschaftlichen Unsicherheitsfaktor durch eine entsprechende Entgeltregelung
zugunsten der Beigeladenen Rechnung zu tragen. Bei dem Erlass der Tarifstelle 4.7, die
für alle Telekommunikationsstellen außerhalb des Vertrages mit der Beigeladenen gelte,
hätten diese Erwägungen nicht beachtet werden müssen, weil die Betreiber dieser
Telekommunikationsstellen gerade nicht den weitreichenden Verpflichtungen des
Vertrages mit der Beigeladenen unterlägen.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 28. August 2008 zu ändern und
die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil, wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches
Vorbringen und macht geltend: Dem Beklagten sei es verwehrt, Betreiber von
Telefonstellen, die gemeinsam und im Wettbewerb den Universaldienst erbrächten,
unterschiedlich zu behandeln. Im Übrigen räume der Vertrag der Beigeladenen
Privilegien, wie die Gestattung von Werbemaßnahmen und die
Mindestabstandsregelung, ein, welche die Auferlegung einer Standortverpflichtung
kompensierten. Selbst wenn man ausschließlich auf gebührenrechtliche Gesichtspunkte
abstelle, sei die Tarifstelle 4.7 verfassungswidrig. Denn zwischen der Klägerin und der
Beigeladenen bestünden keine Unterschiede, welche die unterschiedliche Behandlung
rechtfertigen könnten. Die von der Beigeladenen betriebenen Telefonstellen seien zum
überwiegenden Teil noch zu Zeiten des hoheitlichen Fernmeldemonopols aufgebaut
worden; gerade deshalb verfüge die Beigeladene über eine marktbeherrschende
Stellung. Eine Differenzierung, die primär an die Marktstellung anknüpfe und kleine
Wettbewerber gegenüber dem Marktbeherrscher ungleich behandele, sei schon für sich
genommen rechts- und verfassungswidrig und widerspreche dem Anliegen des
Wettbewerbsrechts. Selbst wenn man davon ausginge, dass die Beigeladene ein
wirtschaftliches Risiko eingegangen sei - was angesichts der gewährten Privilegien
fraglich sei -, sei die 25-fache Differenz bei den Sondernutzungsgebühren derart massiv,
dass auch eine weite Gestaltungsfreiheit sie nicht rechtfertigen könne. Im Übrigen seien
auch ihre Telefonstellen mit einer kostenlosen Notruffunktion und -kennung
ausgestattet; auch sie habe mit Vandalismus zu kämpfen und sei auch in sozial
schwächer strukturierten Gegenden tätig.
Die Beigeladene, die keinen Antrag stellt, trägt vor: Einen Anspruch auf
Gleichbehandlung könne es nur geben, wenn Rechte und Pflichten gleichartig seien. Dies
sei hier gerade nicht der Fall. Das geänderte Telekommunikationsverhalten habe zu
einer extrem geringen Nachfrage nach öffentlichen Telefonstellen geführt. Der Erhalt der
Anlagen, insbesondere in sozial problematischen Stadtbezirken, löse beträchtliche
Aufwendungen aus. Es mache daher sehr wohl einen Unterschied, ob ein Anbieter wie
die Beigeladene durch Vertrag mit zahlreichen Pflichten belastet werde oder aber ein
Anbieter wie die Klägerin bei ihren Standortentscheidungen allein nach
gewinnorientierten Kriterien agieren könne.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte
und den vom Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgang verwiesen, die vorgelegen
haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Recht
stattgegeben, denn die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen die
Klägerin in ihren Rechten (§ 125 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die
Heranziehung der Klägerin zu Sondernutzungsgebühren beruht auf einer unwirksamen
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Heranziehung der Klägerin zu Sondernutzungsgebühren beruht auf einer unwirksamen
Rechtsgrundlage, weil die einschlägige Tarifstelle 4.7 des Gebührenverzeichnisses den
Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verletzt.
1. Rechtsgrundlage für die Heranziehung der Klägerin zu Sondernutzungsgebühren ist §
11 Abs. 9 BerlStrG, § 1 Abs. 1 der Sondernutzungsgebührenverordnung vom 12. Juni
2006 (GVBl. S. 589) -SNGebV- in Verbindung mit der Tarifstelle 4.7 des
Gebührenverzeichnisses -GebVerz-. Die Erhebung von Sondernutzungsgebühren für das
Aufstellen von Telefonstellen auf öffentlichem Straßenland ist dem Grunde nach
zulässig, weil eine Sondernutzung im Sinne von § 11 Abs. 1 BerlStrG vorliegt. Das
Aufstellen von öffentlichen Telefonstellen ist insbesondere nicht als „unentgeltliche
Nutzung der Verkehrswege für Telekommunikationslinien“ im Sinne von § 68 Abs. 1 Satz
1 TKG zu qualifizieren. Nach der Legaldefinition des § 3 Nr. 26 TKG sind
Telekommunikationslinien im Sinne des Gesetzes unter- oder oberirdisch geführte
Telekommunikationskabelanlagen einschließlich ihrer zugehörigen Schalt- und
Verzweigungseinrichtungen, Masten und Unterstützungen, Kabelschächte und
Kabelkanalrohre; öffentliche Telefonstellen gehören dazu nicht (vgl. Lünenbürger, in:
Scheurle/Mayen, TKG, 2. Aufl. 2008, § 3 Rn. 70; s. auch Reichert, a.a.O., § 68 Rn. 11,
wonach vor Erlass des TKG 1996 Sprechzellen überwiegend den
Telekommunikationslinien zugerechnet wurden).
2. Der angegriffene Sondernutzungsgebührenbescheid erweist sich indes als
rechtswidrig, weil die zugrunde liegende Tarifstelle 4.7 des Gebührenverzeichnisses
wegen Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG nichtig
ist. Die Ausgestaltung der Sondernutzungsgebühr durch den Verordnungsgeber hat die
gesetzlichen Vorgaben für die Bemessung von Sondernutzungsgebühren gemäß § 11
Abs. 9 Satz 2 BerlStrG zu beachten. Danach sind bei der Bemessung von
Sondernutzungsgebühren Art, Umfang, Dauer und der wirtschaftliche Vorteil der
Sondernutzung zu berücksichtigen. Dem Verordnungsgeber verbleibt in diesem
gesetzlich vorgegebenen Rahmen zwar ein weiter Spielraum; Grenzen für seine
Gestaltungsfreiheit ergeben sich aber aus dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3
Abs. 1 GG und dem Äquivalenzprinzip (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Dezember 2009 - 3 C
29.08 - juris Rn. 13 m. Nachw.). Diese Grenzen sind vorliegend überschritten.
a) Die Nichtigkeit der Tarifstelle 4.7 GebVerz folgt allerdings nicht schon aus einem
Verstoß gegen das Äquivalenzprinzip als gebührenrechtliche Ausprägung des
Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (vgl. insoweit zum Äquivalenzprinzip BVerwG, Urteil
vom 4. August 2010 - 9 C 6.09 - juris Rn. 38). Die nach Wertstufen gestaffelten
Gebührensätze von bis zu 45 Euro je Monat lassen ein grobes Missverhältnis zwischen
Gebühr und Wert der öffentlichen Leistung nicht erkennen; das wird auch von der
Klägerin selbst nicht geltend gemacht. Gleiches gilt bei einer Gesamtbetrachtung des
Gebührenverzeichnisses und dem Verhältnis der darin enthaltenen Tarifstellen
untereinander. Auch insoweit bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die
Gebührensätze für Telefonstellen außer Verhältnis zu anderen im Gebührenverzeichnis
aufgeführten Arten der Sondernutzung stünden.
b) Die einschlägige Tarifstelle 4.7 des Gebührenverzeichnisses ist jedoch wegen
Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG nichtig.
aa) Auch Gebührensätze müssen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1
beachten. Art. 3 Abs. 1 GG verlangt, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich
Ungleiches ungleich zu behandeln. Er ist verletzt, wenn die gleiche oder ungleiche
Behandlung der geregelten Sachverhalte nicht mehr durch einen vernünftigen,
einleuchtenden Grund gerechtfertigt ist und deshalb als willkürlich erscheint. Der
allgemeine Gleichheitssatz verbietet also nicht jede Differenzierung. Vielmehr ist es
grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte auszuwählen, die er als
vergleichbar ansehen und an die er dieselbe Rechtsfolge knüpfen will. Er muss seine
Auswahl lediglich bezogen auf die Eigenart des konkreten Sachgebiets sachgerecht
treffen. Diese Grenzen sind im Hinblick auf die Intensität der Ungleichbehandlung zu
konkretisieren. Die Prüfungsintensität reicht dabei vom bloßen Willkürverbot bis zu einer
strengen Bindung an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Er ist einschlägig
insbesondere, wenn die Differenzierung nicht bloß an Sachverhalte, sondern an
Personen anknüpft oder den Gebrauch von Freiheitsrechten beeinträchtigt (zum Ganzen
vgl. BVerwG, Urteil vom 15. September 2010 - 8 C 32.09 - juris Rn. 15 f. mit zahlreichen
Nachweisen).
Im Bereich der Erhebung von Sondernutzungsgebühren, in dem der Gesetzgeber
lediglich an Sachverhalte, nicht aber an Personen anknüpft, ist Maßstab - wie von dem
Beklagten richtig erkannt - die Willkürkontrolle. Dabei endet die Gestaltungsfreiheit des
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Beklagten richtig erkannt - die Willkürkontrolle. Dabei endet die Gestaltungsfreiheit des
Gesetzgebers dort, wo ein einleuchtender Grund für eine vorhandene oder unterlassene
Differenzierung nicht mehr erkennbar ist. Dieser Maßstab gilt für die normsetzende
Exekutive entsprechend, wobei der dem Verordnungsgeber zukommende
Gestaltungsspielraum enger ist, weil er nur in dem von der gesetzlichen
Ermächtigungsnorm abgesteckten Rahmen besteht. In diesem Rahmen muss der
Verordnungsgeber nach dem Gleichheitssatz im wohlverstandenen Sinn der ihm
erteilten Ermächtigung handeln und hat sich von sachfremden Erwägungen freizuhalten
(vgl. BVerfGE 60, 150 <160>; 58, 68 <79>; 13, 248 <255>).
bb) Nach diesen Grundsätzen stellt die Gebührenfestsetzung in dem
Sondernutzungsgebührenbescheid vom 3. Juli 2007 nach der Tarifstelle 4.7 GebVerz im
Verhältnis zur Festlegung der Gebührenhöhe für die von der Beigeladenen betriebenen
Telefonstellen auf der Grundlage des öffentlich-rechtlichen Vertrages mit dem Beklagten
vom 7. Juli 1999 eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichhandlung dar.
Dass die Sachlage in Bezug auf die Klägerin und die Beigeladene gleichartig ist und
beide für die ihnen für Telekommunikationsstellen erteilten Sondernutzungserlaubnisse
im Sinne von § 11 Abs. 9 BerlStrG gebührenpflichtig sind, hat das Verwaltungsgericht
eingehend und zutreffend dargestellt; auf die diesbezüglichen erstinstanzlichen
Ausführungen, die sich der Senat zu eigen macht, wird verwiesen (vgl. Seite 6 der
Urteilsabschrift). Insbesondere bestehen keine Unterschiede bezüglich Art und Umfang
der Einwirkung auf die Straße und den Gemeingebrauch.
Die Bevorzugung der Beigeladenen im Hinblick auf die Höhe der
Sondernutzungsgebühren für die von ihr bis zum 31. Dezember 1998 errichteten
öffentlichen Telefonstellen rechtfertigt der Beklagte mit der vertraglich übernommenen
Verpflichtung zur Gewährleistung einer flächendeckenden Versorgung mit öffentlichen
Telekommunikationsstellen und dem stadtweit garantierten Angebot einer kostenlosen
Notruffunktion. Darauf kann die Ungleichbehandlung bei der Gebührenhöhe nicht
gestützt werden, denn die vom Beklagten angeführten Differenzierungsmerkmale haben
vor Art. 3 Abs. 1 GG keinen Bestand.
Zum einen stellt auch die Klägerin nach ihrem unwidersprochen gebliebenen Vortrag
eine kostenlose Notruffunktion an ihren Telefonstellen zur Verfügung. Zum anderen ist
bei der Bemessung von Sondernutzungsgebühren der wirtschaftliche Vorteil der
Sondernutzung zwar zu berücksichtigen (vgl. § 11 Abs. 9 Satz 2 BerlStrG); das
rechtfertigt die vorgenommene Differenzierung bei der Höhe der
Sondernutzungsgebühr, die bei der Klägerin im Vergleich zur Beigeladenen zu einer in
etwa 25 mal höheren Belastung je Telefonstelle und Monat führt, auch unter
Berücksichtigung des Interesses an einer flächendeckenden Versorgung mit öffentlichen
Telekommunikationsstellen indes nicht.
Das im öffentlich-rechtlichen Vertrag vom 7. Juli 1999 mit der Beigeladenen vereinbarte
pauschale Entgelt für die am 31. Dezember 1998 vorhandenen Telefonstellen war von
der Erwägung getragen, die flächendeckende Ausstattung mit öffentlichen Telefonstellen
- insbesondere vor dem Hintergrund zunehmender Verbreitung von Mobiltelefonen -
sicherzustellen (vgl. die Präambel des Vertrages). Allerdings erfolgte der Erlass der für
die Telefonstellen der Klägerin maßgeblichen Tarifstelle 4.7 GebVerz zur
Sondernutzungsgebührenverordnung vom 12. Juni 2006 vor dem Hintergrund der
Liberalisierung und Privatisierung des Telekommunikationsmarktes und der damit
verbundenen Beendigung des staatlichen Monopols. Der verfassungsändernde
Gesetzgeber hat im Jahr 1994 im Zuge der sog. Postreform II mit der Einfügung von Art.
87 f und Art. 143 b Abs. 1 und 2 in das Grundgesetz hierfür die verfassungsrechtlichen
Grundlagen geschaffen. In diesen Bestimmungen legte er fest, dass Dienstleistungen im
Bereich des Postwesens und der Telekommunikation als privatwirtschaftliche Tätigkeiten
durch die aus dem Sondervermögen Deutsche Bundespost hervorgegangenen
Unternehmen privater Rechtsform und durch andere private Anbieter erbracht werden.
Art. 87 f Abs. 2 Satz 1 GG fordert damit die Erbringung von Dienstleistungen der
Telekommunikation unter Wettbewerbsbedingungen (vgl. BVerwGE 114, 160, 168 f.).
Zugleich wird aus dieser Vorschrift das verfassungsrechtliche Gebot eines offenen, fairen
und funktionierenden Wettbewerbs im Postwesen und in der Telekommunikation
abgeleitet, das im Kern schon in der Garantie der Privatwirtschaftlichkeit angelegt ist; sie
zielt auf Öffnung dieser früher abgeschotteten Bereiche für den Wettbewerb durch
Beseitigung gesetzlicher Monopole und fordert den chancengleichen Wettbewerb
zwischen privaten Anbietern und den Nachfolgeunternehmen der Deutschen
Bundespost (vgl. Windthorst, in: Sachs, Grundgesetz, 5. Aufl. 2009, Art. 87 f, Rn. 25). Die
in Art. 87 f GG enthaltene Infrastrukturgewährleistung im Bereich der Telekommunikation
findet ihre einfachgesetzliche Konkretisierung in den von der Klägerin herangezogenen
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findet ihre einfachgesetzliche Konkretisierung in den von der Klägerin herangezogenen
Regelungen des Universaldienstes in §§ 78 ff. TKG. Sie dienen der Sicherstellung einer
flächendeckenden Versorgung mit Telekommunikationsleistungen zu einem
erschwinglichen Preis (vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 5 TKG). Gemäß § 78 Abs. 2 Nr. 4 und 5 TKG
zählen zu den Universaldienstleistungen auch die flächendeckende Bereitstellung von
öffentlichen Münz- oder Kartentelefonen an allgemeinen und jederzeit für jedermann
zugänglichen Standorten entsprechend dem allgemeinen Bedarf, wobei die öffentlichen
Telefonstellen in betriebsbereitem Zustand zu halten sind, sowie die Möglichkeit, von
öffentlichen Münz- oder Kartentelefonen unentgeltlich Notrufe durchzuführen. Der
Bereich öffentlicher Telefonstellen ist dadurch gekennzeichnet, dass deren Zahl in den
vergangenen Jahren zwar kontinuierlich zurückgegangen ist; während es Ende 1998 noch
148.000 Telefonstellen gab, betrug der Bestand Ende 2006 noch etwa 109.000. Diese
Geräte werden aber praktisch zu 100 % von der Deutschen Telekom AG gestellt (vgl.
Mager, in: Säcker, Berliner Kommentar zum TKG, 2. Aufl. 2009, § 78 Rn. 3 unter Hinweis
auf Berichte der Bundesnetzagentur), so dass dieser eine marktbeherrschende Stellung
in diesem Sektor zukommt.
Die geänderte Verfassungsrechtslage, ihre einfachgesetzliche Konkretisierung im
Telekommunikationsgesetz sowie die daraus resultierende veränderte Sach- und
Rechtslage in Bezug auf das Betreiben öffentlicher Telefonstellen war bei Erlass der
Sondernutzungsgebührenverordnung und des Gebührenverzeichnisses im Juni 2006
bereits lange bekannt. So befasst sich schon das Rundschreiben Nr. 6/98 der
Senatsverwaltung für Bauen, Wohnen und Verkehr vom 17. September 1998 mit der
durch die Aufhebung des Monopols der Deutschen Telekom AG eingetretenen
veränderten rechtlichen und tatsächlichen Situation in Bezug auf öffentliche
Telefonstellen. Darin wird u.a. ausgeführt, dass nach Aufhebung des Monopols der
Deutschen Telekom AG auch andere Anbieter am freien Wettbewerb teilnehmen wollten
und inzwischen diverse Anträge auf Erteilung von Sondernutzungserlaubnissen für das
Aufstellen von Telefonzellen anderer Anbieter eingegangen seien. Zudem lässt sich dem
Rundschreiben entnehmen, dass der Entschluss, mit der Beigeladenen eine vertragliche
Einigung über den Betrieb öffentlicher Telefonstellen herbeizuführen, gerade darauf
beruhte, dass das bisherige Monopol nicht mehr bestand.
Vor diesem Hintergrund wäre der Verordnungsgeber bei Erlass der
Sondernutzungsgebührenverordnung und des zugehörigen Gebührenverzeichnisses
gehalten gewesen, die durch den öffentlich-rechtlichen Vertrag mit der Beigeladenen
vom 7. Juli 1999 entstandene Sondersituation bezüglich des Entgelts der dort erfassten
Telefonstellen bei Festlegung der Tarifstelle 4.7 zu berücksichtigen. Das gilt umso mehr,
als der Vertrag eine Laufzeit von 10 Jahren vorsieht und sich um jeweils ein Jahr
verlängert, falls er nicht spätestens ein halbes Jahr vor Ablauf schriftlich gekündigt wird
(vgl. § 5 Abs. 1 des Vertrages). Damit ist die gebührenrechtliche Ungleichbehandlung
nicht nur auf einen Übergangszeitraum beschränkt, sondern auf Dauer angelegt. Der
von der Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erstmals
vorgetragene Umstand, dass sie den Vertrag nunmehr gekündigt habe und ein
Ergänzungs- bzw. Änderungsvertrag geschlossen werden solle, ändert an dieser
Würdigung nichts. Denn bis zu einer eventuellen Neuregelung der in Rede stehenden
Tarifstelle bzw. des Vertrages zwischen dem Beklagten und der Beigeladenen besteht
die Ungleichbehandlung fort.
Ergibt sich die Nichtigkeit der in Rede stehenden Tarifstelle 4.7 bereits aus einem
Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG, kommt es auf die von der Klägerin geltend gemachte
Verletzung der Regelungen über den Universaldienst gemäß §§ 78 ff. TKG durch die
unterschiedliche Ausgestaltung der Sondernutzungsgebühren nicht mehr an.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO. Die
außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig, da sie keinen
Antrag gestellt und sich mithin keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat. Die Entscheidung
über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Satz 1 VwGO in Verbindung mit §
708 Nr. 10, § 711 der Zivilprozessordnung.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten
Gründe vorliegt.
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