Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 14.03.2017

OVG Berlin-Brandenburg: ablauf der frist, vorprüfung, umweltverträglichkeitsprüfung, genehmigungsverfahren, lärm, mangel, bestimmtheit, behörde, gemeinschaftsrecht, projekt

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Gericht:
Oberverwaltungsgericht
Berlin-Brandenburg 2.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
OVG 2 N 105.10
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 124 Abs 2 Nr 1 VwGO, § 124
Abs 2 Nr 3 VwGO, § 124 Abs 2
Nr 4 VwGO, § 124a Abs 4
VwGO, § 37 Abs 1 VwVfG
Berufungszulassungsantrag; Darlegungsanforderungen;
Baugenehmigung; Windkraftanlagen; Bestimmtheit;
privilegiertes Außenbereichsvorhaben; entgegenstehende
öffentliche Belange; schädliche Umwelteinwirkungen; TA Lärm;
nächtlicher Immissionsrichtwert; Schallimmissionsprognose;
Messungenauigkeiten; Berücksichtigung weiterer Anlagen;
"Gesamtbetrachtung"; Erfordernis immissionsschutzrechtlicher
Genehmigung; Umweltverträglichkeitsprüfung;
standortbezogene Vorprüfung des Einzelfalls; Drittschutz von
Verfahrensvorschriften
Tenor
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des
Verwaltungsgerichts Potsdam vom 22. August 2007 wird abgelehnt.
Die Kosten des Zulassungsverfahrens trägt der Kläger mit Ausnahme der
außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
Der Streitwert wird für die zweite Rechtsstufe auf 15 000 EUR festgesetzt.
Gründe
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Ein Grund, die Berufung
zuzulassen (§ 124 Abs. 2 VwGO), ist auf der Grundlage der im Hinblick auf das
Darlegungserfordernis (§ 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO) allein maßgeblichen Ausführungen
des Klägers nicht gegeben.
1. Der Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des
Verwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) ist nicht hinreichend dargelegt. Mit der
Begründung des Zulassungsantrags wird weder ein einzelner tragender Rechtssatz noch
eine erhebliche Tatsachenfeststellung der angegriffenen Entscheidung mit schlüssigen
Gegenargumenten in Frage gestellt.
a) Ohne Erfolg beanstandet der Kläger, dass die der Beigeladenen erteilte
Baugenehmigung vom 17. Dezember 2001 für die Errichtung von zwei Windkraftanlagen
des Typs Enercon 40 mit einer Nabenhöhe von 65 m keine Auflagen oder sonstigen
Nebenbestimmungen enthalte, die die Einhaltung der Lärmgrenzwerte an seinem
Wohnhaus in einer den Anforderungen des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG
entsprechenden Weise sicherstellten.
Dass die Baugenehmigung die Errichtung und den Betrieb der streitgegenständlichen
Windkraftanlagen ohne Einschränkung zulässt, kann der Kläger weder als Mangel
inhaltlicher Bestimmtheit (§ 37 Abs. 1 VwVfG) rügen, noch handelt es sich um ein
hinreichendes Indiz dafür, dass dem nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB im Außenbereich
privilegierten Vorhaben der Beigeladenen öffentliche Belange entgegenstehen, weil es
schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne von § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB
hervorrufen kann. Der Kläger hat nicht substantiiert dargelegt, dass die von dem Betrieb
der Anlagen ausgehenden Geräusche im Sinne der Begriffsbestimmung des § 3 Abs. 1
BImSchG Immissionen hervorrufen können, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet
sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit
oder die Nachbarschaft herbeizuführen. Unter welchen Voraussetzungen die von einer
Windenergieanlage ausgehenden Geräuscheinwirkungen in diesem Sinne schädlich sind,
wird durch die auf der Grundlage von § 48 BImSchG erlassene TA Lärm bestimmt. Der
für das im Außenbereich gelegene Anwesen des Klägers nach der TA Lärm geltende
nächtliche Immissionsrichtwert von 45 dB (A) wird nach den Feststellungen des
Verwaltungsgerichts, das sich insoweit auf den Prüfbericht der I. vom 24. August 2000
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Verwaltungsgerichts, das sich insoweit auf den Prüfbericht der I. vom 24. August 2000
sowie die Stellungnahmen des Amts für Immissionsschutz Neuruppin vom 22. Oktober
2002 und vom 20. Dezember 2002 gestützt hat, um rund 10 dB (A) unterschritten. Der
Einwand des Klägers, die Ermittlung des Schallleistungspegels in der Berechnung vom
24. August 2000 basiere auf einer Schallemissionsmessung bei einer Anlage mit einer
Nabenhöhe von 46 m, die auf die hier streitgegenständlichen Anlagen mit einer
Nabenhöhe von 65 m lediglich hochgerechnet worden sei, ist ebenso wenig geeignet,
das Ergebnis der vom Verwaltungsgericht herangezogenen Schallimmissionsprognose
ernsthaft in Frage zu stellen, wie seine Hinweise, dass ausweislich des vorgelegten
Rechnungsblatts für den Schallleistungspegel eine Messungenauigkeit von bis zu 2 dB(A)
in den vorliegenden Messberichten bestätigt werde sowie dass die
Schallausbreitungsberechnung für die Anlage E-40 von einem Schallleistungspegel von
101,4 dB(A) ausgehe, während die vorgelegte Berechnung vom 30. Oktober 2002
lediglich einen Schallleistungspegel von 101,0 dB(A) zugrundelege. Angesichts der vom
Verwaltungsgericht auf der Grundlage der erwähnten Unterlagen festgestellten
deutlichen Unterschreitung des hier maßgeblichen Immissionsrichtwerts (nachts) von 45
dB (A) hätte der Kläger in der Begründung des Zulassungsantrages konkret darlegen
müssen, inwieweit sich die von ihm gerügten Ungenauigkeiten bei den zugrunde
gelegten Messwerten in erheblicher Weise auf das Ergebnis der Lärmprognose auswirken
können.
Soweit der Kläger geltend macht, dass bei einer gebotenen Gesamtbetrachtung der
Lärmimmissionen unter Berücksichtigung weiterer sechs Anlagen, für die zum Zeitpunkt
der Erteilung der streitgegenständlichen Baugenehmigung bereits
Genehmigungsverfahren bei dem zuständigen Landesumweltamt anhängig gewesen
seien, eine Überschreitung des Richtwerts von 45 dB(A) „wahrscheinlich“ gewesen wäre,
genügt er ebenfalls nicht seiner nach § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO bestehenden
Darlegungspflicht. Dabei kann dahinstehen, ob der Annahme des Verwaltungsgerichts
zu folgen wäre, dass die Rechte des Klägers hinsichtlich der Lärmbeeinträchtigung
ausreichend dadurch geschützt würden, dass „die bereits vorhandenen Anlagen bei den
später genehmigten Anlagen berücksichtigt“ würden. Denn jedenfalls ist das Vorbringen
des Klägers im Berufungszulassungsverfahren schon deshalb nicht geeignet, das
Ergebnis der vom Verwaltungsgericht herangezogenen Schallimmissionsprognose
ernsthaft in Frage zu stellen, weil es an jeglichen Angaben zu den Standorten und
weiteren für die Geräuschentwicklung maßgeblichen Merkmalen der anderen
Windkraftanlagen fehlt. Ob diese Anlagen - entsprechend der Bewertung des Klägers -
„im räumlichen Zusammenhang mit den streitgegenständlichen Windkraftanlagen“
stehen, kann ohne weitere Angaben ebenso wenig - zumindest überschlägig -
nachvollzogen werden wie die Vermutung des Klägers, dass die Immissionsbelastung an
seinem Anwesen bei der von ihm geforderten „Gesamtbetrachtung“ den nächtlichen
Richtwert von 45 dB(A) „wahrscheinlich“ überschreiten würde.
b) Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts legt
der Kläger auch nicht mit seinem Vorbringen dar, durch den Verzicht auf ein
immissionsschutzrechtliches Genehmigungsverfahren und eine UVP-Vorprüfung in
eigenen Rechten verletzt zu sein.
Ob im vorliegenden Fall das verfahrensrechtliche Erfordernis einer
immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb der
streitgegenständlichen Windkraftanlagen bestand, kann dahinstehen; denn die
Einhaltung des immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahrens dient nicht um
seiner selbst willen dem Schutz potentiell betroffener Nachbarn, sondern nur insofern,
als es gewährleisten soll, dass die materiellrechtlichen Schutzvorschriften eingehalten
werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Oktober 1990 – 7 C 55.89, 7 C 56.89 -, BVerwGE 85,
368, 373). In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 13.
Dezember 2007 - 4 C 9.06 -, BVerwGE 130, 83, 94 f., Rn. 38; Beschluss vom 23.
November 2010 - 4 B 37.10 -, ZfBR 2011, 166 f. ) ist inzwischen auch geklärt, dass die
Aufhebung selbst einer planerischen Zulassungsentscheidung wegen des Fehlens einer
rechtlich gebotenen Umweltverträglichkeitsprüfung nur in Betracht kommt, wenn die
konkrete Möglichkeit besteht, dass die Behörde nach Durchführung einer
Umweltverträglichkeitsprüfung anders entschieden hätte. Die UVP-Richtlinie (Richtlinie
85/337/EWG des Rates über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten
öffentlichen und privaten Projekten [ABl. EG Nr. L 175 S. 40] in der durch die
Änderungsrichtlinie 97/11/EG des Rates [ABl. EG Nr. L 73 S. 5] geänderten Fassung) und
die zu ihrer Umsetzung ergangenen nationalen Rechtsvorschriften beschränken sich auf
verfahrensrechtliche Anforderungen im Vorfeld der Sachentscheidung, ohne das
Umweltrecht materiell anzureichern. Unterbleibt eine rechtlich gebotene
Umweltverträglichkeitsprüfung, folgt allein aus diesem Umstand nicht, dass der Zweck
der gesetzlichen Regelung nicht erreicht wird und eine Abwägungsentscheidung
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der gesetzlichen Regelung nicht erreicht wird und eine Abwägungsentscheidung
rechtswidrig ist. Der Mangel ist nur unter der Voraussetzung erheblich, dass er auf das
Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen ist. Dies ist nur anzunehmen, wenn die
konkrete Möglichkeit besteht, dass die Planungsbehörde ohne den Fehler anders
entschieden hätte. Hieraus folgt, dass erst recht eine Baugenehmigung, bei deren
Erteilung der Genehmigungsbehörde kein planerisches Ermessen zusteht, sondern auf
die bei Vorliegen der Genehmigungsvoraussetzungen ein Rechtsanspruch besteht, auf
die Klage eines Nachbarn nicht allein deshalb aufzuheben ist, weil eine möglicherweise
nach § 3c Satz 2 UVPG i.V.m. Nr. 1.6.3 der Anlage 1 gebotene standortbezogene
Vorprüfung des Einzelfalls nicht durchgeführt worden ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21.
Januar 2008 - 4 B 35.07 -, BRS 73 Nr. 161). Aus der in der Begründung des
Zulassungsantrags erwähnten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl.
Urteil vom 7. Januar 2004 - C-201/02 -, NVwZ 2004, 593) folgt nichts anderes. Jedenfalls
für Projekte, für die - wie im vorliegenden Fall - das Genehmigungsverfahren vor Ablauf
der Frist zur Umsetzung der Richtlinie 2003/35/EG vom 26. Mai 2003 (ABl EG Nr. L 156 S.
17) am 25. Juni 2005 eingeleitet wurde, gebietet auch das Gemeinschaftsrecht nicht,
eine Baugenehmigung wegen des Unterlassens einer - unterstellt - rechtlich gebotenen
standortbezogenen Vorprüfung aufzuheben, wenn es - wie hier - keine konkreten
Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Behörde eine andere Entscheidung getroffen hätte,
wenn eine förmliche standortbezogene Vorprüfung des Einzelfalls für das Projekt
durchgeführt worden wäre (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Januar 2008, a.a.O.).
2. Eine Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen grundsätzlicher
Bedeutung der Rechtssache kommt ebenfalls nicht in Betracht. Der Kläger hat schon
keine rechtliche oder tatsächliche Frage formuliert, die entscheidungserheblich ist und
wegen ihrer über den Einzelfall hinausgehenden Bedeutung im Interesse der
Einheitlichkeit der Rechtsprechung in einem Berufungsverfahren geklärt werden muss.
Soweit er mit der Rüge, das Verwaltungsgerichts habe sich nicht mit der die
drittschützende Wirkung des immissionsschutzrechtlichen Verfahrensrechts unter
bestimmten Voraussetzungen bejahenden Rechtsprechung des OVG Koblenz (Beschluss
vom 25. Januar 2005 - 7 E 12117/04 -, NVwZ 2005, 1208) auseinandergesetzt,
sinngemäß die Frage aufwirft, ob eine Baugenehmigung für die Errichtung von
Windenergieanlagen auf die Klage eines Nachbarn allein deshalb aufzuheben ist, weil
eine nach dem UVPG gebotene standortbezogene Vorprüfung des Einzelfalls nicht
durchgeführt worden ist, fehlt es im Hinblick auf die oben erwähnten Entscheidungen des
Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 13. Dezember 2007 - 4 C 9.06 -, BVerwGE 130,
83; Beschluss vom 21. Januar 2008 - 4 B 35.07 -, BRS 73, Nr. 161), die auch bereits die
vom Kläger zitierte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 7. Januar
2004 - C-201/02 -, NVwZ 2004, 593) berücksichtigen, an einem Klärungsinteresse.
3. Aus den unter 2. genannten Gründen ist die Berufung auch nicht nach § 124 Abs. 2
Nr. 4 VwGO wegen Divergenz zuzulassen. Unabhängig davon gehört der Europäische
Gerichtshof nicht zu den in der Vorschrift genannten Gerichten. Gleiches gilt im
vorliegenden Fall für das OVG Koblenz, da es dem Verwaltungsgericht Potsdam, dessen
Entscheidung angegriffen wird, nicht im Rechtszug übergeordnet ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die
Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG; der Senat folgt
insoweit der erstinstanzlichen Entscheidung.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66
Abs. 3 Satz 3 GKG).
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