Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 12.07.2005

OVG Berlin-Brandenburg: straftat, anspruch auf einbürgerung, unterbringung, vollstreckung, eltern, ermessen, ausländer, strafgesetzbuch, integration, strafzumessung

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Gericht:
Oberverwaltungsgericht
Berlin-Brandenburg 5.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
OVG 5 B 13.05
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 8 Abs 1 RuStAG, § 10 Abs 1
Nr 5 RuStAG, § 12a Abs 1 S 2
RuStAG, § 63 StGB
Leitsatz
Die strafgerichtliche Anordnung einer Maßregel der Besserung und Sicherung nach § 63 StGB
ist eine Verurteilung wegen einer Straftat im Sinne von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG; sie
schließt den Anspruch auf Einbürgerung aus.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 12. Juli
2005 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu
vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung
Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der im März 1965 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er begehrt seine
Einbürgerung.
Der Kläger lebte bis zu seinem vierten Lebensjahr bei seiner Großmutter in der Türkei,
übersiedelte dann zu seinen in Berlin lebenden Eltern, konnte sich hier jedoch schon
nicht in den Kindergarten einfügen und wurde deshalb zur Großmutter zurückgeschickt.
Im Mai 1980 - nach sieben Jahren Schulbesuch in der Türkei - reiste er erneut in das
Bundesgebiet zu seinen Eltern ein und besuchte noch für zwei Jahre die Schule, die er
nach Abschluss der 9. Klasse verließ. Danach lebte er noch fünf weitere Jahre im
Haushalt seiner Eltern, bis er wegen psychischer Auffälligkeiten wiederholt in
Nervenkliniken eingewiesen werden musste. Im Zeitraum von 1987 bis 1989 wurden
zahlreiche Ermittlungsverfahren gegen ihn eingeleitet, die sämtlich wegen
Schuldunfähigkeit eingestellt wurden. Von Mai 1986 an stand der Kläger unter
Pflegschaft, seit Dezember 1998 ist seine Mutter zur Betreuerin bestellt.
Nachdem der Kläger seine Eltern wegen deren Weigerung, ihm Geld zu geben, mit dem
Tode bedroht und eine Krankenhausärztin durch einen Faustschlag in das Gesicht
verletzt hatte, ordnete das Landgericht Berlin mit Urteil vom 12. Januar 1989 die
Unterbringung des Klägers in einem psychiatrischen Krankenhaus an, setzte die
Vollstreckung der Maßregel jedoch zur Bewährung aus. Seit Januar 1990 befindet sich
der Kläger nach dem Widerruf der Bewährung ununterbrochen im Krankenhaus des
Maßregelvollzugs.
Im April 1999 beantragte die Mutter des Klägers in ihrer Eigenschaft als Betreuerin
dessen Einbürgerung. Mit Schreiben vom 9. Dezember 2002 wies die Senatsverwaltung
für Inneres darauf hin, dass die Anordnung von Maßregeln der Sicherung und Besserung
das Begehen rechtswidriger strafbarer Handlungen voraussetze. Dies rechtfertige es, im
Falle des Klägers von einer nach Maßgabe des § 88 AuslG zu berücksichtigenden
Verurteilung „wegen“ einer Straftat auszugehen. Mit Blick auf die zu treffende
Ermessensentscheidung werde anheim gegeben, ein Gutachten über den derzeitigen
Gesundheitszustand des Klägers einzureichen, das insbesondere zu der Frage Stellung
nehmen solle, ob künftige Gewalttaten ausgeschlossen werden könnten.
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Nachdem ein solches Gutachten nicht vorgelegt worden war, lehnte die
Senatsverwaltung für Inneres den Einbürgerungsantrag mit Bescheid vom 30. Januar
2003 unter Wiederholung ihrer bereits mitgeteilten Rechtsauffassung zur strafrechtlichen
Verurteilung ab. Ergänzend führte sie aus, dass mangels anderweitiger Anhaltspunkte
eine Gefährdung der Allgemeinheit durch den Kläger auch weiterhin nicht mit der
erforderlichen Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden könne. Die analog § 88 Abs. 1
Satz 2 AuslG zu treffende Ermessensentscheidung falle daher zu seinen Ungunsten aus.
Eine Einbürgerung nach § 8 StAG sei wegen Fehlens der gesetzlichen
Mindestvoraussetzungen und des erforderlichen öffentlichen Interesses an der
Einbürgerung ausgeschlossen.
Die auf Verpflichtung zur Erteilung einer Einbürgerungszusicherung gerichtete Klage hat
das Verwaltungsgericht durch Urteil vom 12. Juli 2005 mit im wesentlichen folgender
Begründung abgewiesen: Der Kläger erfülle die Voraussetzungen für eine Einbürgerung
nicht, weil er - wenn auch ohne Schuldausspruch - wegen einer Straftat verurteilt worden
sei. Eine Maßregel könne nur wegen der Begehung einer rechtswidrigen Tat und nur
dann verhängt werden, wenn - wie hier - die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat
ergebe, dass von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu
erwarten seien und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich sei. In diesem Falle aber
fehle es an der für eine Einbürgerung notwendigen Integration. Ob von der Verurteilung
zu einer Maßregel in entsprechender Anwendung des § 12 a Abs. 1 Satz 2 StAG generell
oder jedenfalls dann abgesehen werden könne, wenn ihre Vollstreckung zur Bewährung
ausgesetzt sei, bedürfe keiner abschließenden Klärung. Denn im Falle des Klägers sei die
Bewährung widerrufen worden. Auch habe der Beklagte von seinem Ermessen fehlerfrei
Gebrauch gemacht, indem er darauf abgestellt habe, ob von dem Kläger weitere
rechtswidrige Taten zu erwarten seien oder ob dies hinreichend sicher auszuschließen
sei. Nach § 8 Abs. 1 StAG könne er ebenfalls nicht eingebürgert werden, da er aufgrund
der von ihm begangenen rechtswidrigen Taten einen Ausweisungsgrund erfülle.
Mit der - wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache vom Verwaltungsgericht
zugelassenen - Berufung hält der Kläger an seinem Standpunkt fest, dass der Begriff der
Straftat eine Schuldfeststellung impliziere, an der es in seinem Fall fehle. Auch die
Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass er nicht nach § 8 Abs. 1 StAG eingebürgert
werden könne, sei rechtsfehlerhaft, da ihn die Ausländerbehörde nicht nur nicht
ausgewiesen, sondern ihm sogar eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt habe.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 12. Juli 2005 zu ändern und den
Beklagten unter Aufhebung des Bescheides der Senatsverwaltung für Inneres vom 30.
Januar 2003 zu verpflichten, ihm eine Einbürgerungszusicherung zu erteilen,
hilfsweise,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 12. Juli 2005 zu ändern und den
Beklagten unter Aufhebung des Bescheides der Senatsverwaltung für Inneres vom 30.
Januar 2003 zu verpflichten, ihn unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts
erneut zu bescheiden.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil und merkt ergänzend an, dass die
Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf zur Umsetzung aufenthalts- und
asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom Februar 2007 vorgesehen habe,
dass eine Einbürgerung auch dann ausgeschlossen sei, wenn gegen den
Einbürgerungsbewerber eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden
sei, wobei im Falle von Maßregeln nach §§ 61 Nr. 1 und 63 StGB kein Ermessen eröffnet
sei.
Der Kläger ist im Juni 2006 auf Veranlassung der Strafvollstreckungskammer erneut
begutachtet worden. Nach Auffassung des Gutachters Prof. Dr. hat sich zwar die
Diagnose einer paranoiden Schizophrenie bestätigt; von dem Kläger seien jedoch bei
kontinuierlicher und konsequenter Fortsetzung der pharmakologischen Behandlung und
Integration in eine „gut strukturierte Komplementäreinrichtung“ aus forensisch-
psychiatrischer Sicht künftig keine fremdaggressiven Gewalthandlungen mehr zu
erwarten. Mit Beschluss vom 3. August 2006 hat die Strafvollstreckungskammer des
Landgerichts Berlin die Fortdauer der Unterbringung angeordnet, da zunächst eine
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Landgerichts Berlin die Fortdauer der Unterbringung angeordnet, da zunächst eine
geeignete betreute Wohngemeinschaft gefunden werden müsse.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten
wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgänge des Beklagten (ein
Schnellhefter, ein Halbhefter) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu
Recht abgewiesen, denn der Kläger hat weder einen Anspruch auf Erteilung einer
Einbürgerungszusicherung noch auf erneute Entscheidung über seinen
Einbürgerungsantrag (§ 113 Abs. 5 Sätze 1 und 2 VwGO).
1.
Dem geltend gemachten Anspruch auf Erteilung einer Einbürgerungszusicherung steht,
wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, § 10 Abs. 1 Nr. 5 des
Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 22. Juli 1913 (RGBl. S. 583), zuletzt geändert durch
Gesetz vom 14. März 2005 (BGBl. I S. 721) - StAG -, entgegen. Danach setzt die
Einbürgerung unter anderem Straffreiheit voraus. Der Kläger ist jedoch wegen einer -
wenngleich im Zustand der Schuldunfähigkeit begangenen - Straftat verurteilt worden.
Die negative Einbürgerungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Nr. 5 StAG umfasst nicht nur
Verurteilungen zu Geld- und Freiheitsstrafen, sondern auch strafgerichtliche Urteile, die
gemäß §§ 20, 63 StGB die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus
anordnen. Denn auch diese Urteile ergehen „wegen einer Straftat“ (im Ergebnis ebenso
VGH Mannheim, Urteil vom 10. November 2005 - 13 S 2223/04 -, InfAuslR 2006, 93 [94];
VGH München, Urteil vom 6. Dezember 2005 - 5 BV 04.1561 - juris, Rn. 16; VG
Braunschweig, Urteil vom 1. September 2005 - 5 A 24/04 - BeckRS 2005 29727, S.6;
Berlit in: Fritz/Vormeier/Berlit u.a., GK-StAR, Stand Juli 2006, § 10 StAG, Rn. 287/288;
Makarov/von Mangoldt, Deutsches Staatsangehörigkeitsrecht, Stand Juni 1998, § 85
AuslG, Rn. 47; a.A. VG Würzburg, Urteil vom 21. April 2004 - W 6 K 03.1130 -, InfAuslR
2004, 311 [312 f]). Für die Richtigkeit dieses Verständnisses spricht entgegen der
Auffassung des Klägers schon die Terminologie, wie sie das Strafgesetzbuch, die
Strafprozessordnung und - nicht zuletzt - das Bundeszentralregistergesetz verwenden.
Gegenstand der strafgerichtlichen Urteilsfindung ist die in der Anklage bezeichnete Tat,
wie sie sich nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung darstellt (vgl. § 264 Abs. 1 StPO);
die Schuld des Täters bildet (lediglich) die Grundlage für die Strafzumessung (vgl. § 46
Abs. 1 Satz 1 StGB in Verbindung mit § 267 Abs. 3 StPO). Das Strafgesetzbuch regelt
aber nicht nur schuldbezogene Sanktionen, sondern auch weitere Rechtsfolgen, die
unabhängig von einem Schuldvorwurf oder bei Schuldunfähigkeit angeordnet werden
können. Zu ihnen gehören die Maßregeln der Besserung und Sicherung als präventive
Reaktionen auf eine Straftat. Beide Arten staatlicher Sanktion haben mithin einen
gemeinsamen unmittelbaren Bezugspunkt, nämlich die so genannte als
Legitimationsgrund strafgerichtlicher Verurteilung: Die Strafe, weil die Umstände der Tat
das Maß der Schuld und damit die Strafzumessung bestimmen, die Maßregel, weil die
Tat nicht nur notwendige Voraussetzung für ihre Anordnung, sondern die tatsächlichen
Feststellungen zum Tathergang, zur Genese und zum Nachverhalten wesentliche
Grundlage für die Gefahrenprognose sind. Dem entspricht der notwendige Inhalt des
Strafurteils, wie ihn § 267 StPO festlegt. Wird der Angeklagte verurteilt, müssen die
Urteilsgründe erkennen lassen, welche Tatsachen das Gericht als erwiesen angesehen
hat und in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden worden sind (§ 267
Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 StPO). Erkennt das Gericht auf Geld- und Freiheitsstrafe, so
müssen die Umstände aufgeführt werden, die für die Zumessung der Strafe
bestimmend gewesen sind (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO); lautet es dagegen - wie hier - auf
Anordnung einer Maßregel der Besserung und Sicherung, so müssen die Urteilsgründe
auch ergeben, weshalb die Maßregel angeordnet worden ist (§ 267 Abs. 6 Satz 1 StPO).
In dem einen wie dem anderen Falle ist die Verurteilung, weil sie eine rechtswidrige
Straftat zum Gegenstand hat, in das Bundeszentralregister einzutragen (vgl. § 4 Nr. 1
und 2 BZRG).
Die Richtigkeit dieses Verständnisses von dem Begriff „Verurteilung wegen einer
Straftat“ folgt auch aus dem Zweck der Vorschrift, wie er sich aus der
Gesetzgebungsgeschichte in Verbindung mit den verfassungsrechtlichen Erfordernissen
ergibt. Das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz vom 22. Juli 1913 (RGBl. S. 583) -
RuStAG - verlangte für eine Einbürgerung, dass der Ausländer einen „unbescholtenen
Lebenswandel“ geführt hat (§ 8 Abs. 1 Nr. 2 RuStAG). Zweck der Vorschrift war es,
„solche Personen vom Erwerb oder Wiedererwerb der Reichs- und Staatsangehörigkeit
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„solche Personen vom Erwerb oder Wiedererwerb der Reichs- und Staatsangehörigkeit
fernzuhalten, welche nach ihrem Lebenswandel für die Zukunft keine Gewähr für eine
einwandfreie Führung bieten“ (Preußisches Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 14. Juni
1917, PrOVGE 73, 311 [312]). In der nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland
fortbestehenden Vorschrift sah noch im Jahre 1958 das Bundesverwaltungsgericht den
Sinn, der Einbürgerungsbewerber müsse in seinem „Lebenswandel und in den sich
daraus ergebenden charakterlichen Eigenschaften gewisse Mindestvoraussetzungen
erfüllt haben und erfüllen“ (Urteil vom 13. Februar 1958 - I C 140.56 -, BVerwGE 6, 186
[188]). Die rechtsstaatlich bedenkliche Unbestimmtheit dieser Voraussetzungen in einer
bei der Beurteilung eines Lebenswandels nicht durch eine Meinungshegemonie zu
kennzeichnenden pluralistischen Gesellschaft liegt auf der Hand. Der Gesetzgeber hat
deshalb 1993 die Unbescholtenheit ersetzt durch Ausweisungstatbestände, die der
Ausländer nicht erfüllt haben darf (s. hierzu Hailbronner/Renner,
Staatsangehörigkeitsrecht, 2. Auflage 1998, Anhang A, Seite 863, 868 Fußnote 3).
Damit ist die ehemalige Unbescholtenheit auf den heute gültigen Kern reduziert,
nämlich auf die Beachtung der strafrechtlich geschützten Rechtsgüter. Diese Wandelung
ins Wesentliche und ins nachprüfbar Bestimmte hat zu der Wendung „nicht wegen einer
Straftat verurteilt“ geführt.
Zu den Konsequenzen dieser Wandelung gehört, dass bereits der objektive Verstoß, also
strafrechtlich tatbestandsmäßiges und rechtswidriges Handeln, schwerwiegend genug
ist, um die Einbürgerung grundsätzlich auszuschließen. Der Verstoß muss nicht
zusätzlich verschuldet sein. Dieses Verständnis folgt dem Grundprinzip des
Ordnungsrechts, Gefahren abzuwehren unabhängig davon, ob sie verschuldet oder
unverschuldet entstanden sind (ebenso VGH München, Urteil vom 6. Dezember 2005 - 5
BV 04.1561 - juris, Rn. 16, 18 zu § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG). Auch das
Staatsangehörigkeitsrecht gehört zum Ordnungsrecht. Im ordnungsrechtlichen
Zusammenhang meint „Straftat“ die Verwirklichung eines Straftatbestandes, was - wie
ausgeführt - dem strafrechtlichen Begriffsverständnis entspricht.
Eine andere Auslegung folgt nicht daraus, dass die Vorschrift des § 12 a StAG, die das
Außerbetrachtbleiben von minderschweren Verurteilungen vorsieht, Maßregeln der
Besserung und Sicherung nicht erwähnt. Aus dem Schweigen des Gesetzgebers
herzuleiten, dass nur schuldhaft begangene Straftaten einer Einbürgerung grundsätzlich
entgegenstehen, während die Anordnung einer Maßregel mangels Schuld des Täters
keine Verurteilung wegen einer Straftat sei und daher jeder Maßregel-Betroffene, der die
weiteren Einbürgerungsvoraussetzungen erfüllt, seine Einbürgerung beanspruchen
könnte, verbietet sich indes. Denn ein solches Verständnis würde zu einem den
Normzweck verfehlenden Wertungswiderspruch - nämlich zur Einbürgerung auch von
Personen, von denen unter Umständen schwerste Gefahren für die Allgemeinheit
ausgehen - führen. Im Übrigen bietet eine entsprechende Anwendung von § 12 a Abs. 1
Satz 2 StAG hinreichende Differenzierungsmöglichkeiten, um dem Einzelfall gerecht zu
werden (ebenso VGH München, Urteil vom 6. Dezember 2005, a.a.O., Rn. 22; Berlit
a.a.O., § 12 a StAG, Rn. 45).
Nach § 12 a Abs. 1 Satz 2 StAG wird im Einzelfall entschieden, ob die Straftat außer
Betracht bleiben kann, wenn der Ausländer „zu einer höheren Strafe verurteilt“ worden
ist. Bei der analogen Anwendung dieser Vorschrift darf allerdings nicht unberücksichtigt
bleiben, dass die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus
die Feststellung des Strafgerichts voraussetzt, dass von dem Täter „erhebliche
rechtswidrige Taten zu erwarten“ sind und er „deshalb für die Allgemeinheit gefährlich“
ist. Der Zusammenhang mit der Zielrichtung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG,
niemanden einzubürgern, der strafrechtlich geschützte Rechtsgüter gefährdet, spricht
deshalb dafür, eine Ermessensentscheidung zugunsten des Einbürgerungsbewerbers
erst dann in Betracht zu ziehen, wenn die angeordnete Unterbringung und eine etwaige
Bewährungsfrist beendet sind. Das ist bei dem Kläger jedoch nicht der Fall, denn die
Unterbringung im Krankenhaus des Maßregelvollzuges dauert nach dem zuletzt
ergangenen Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 3. August 2006 ungeachtet
des in der Tendenz positiven Gutachtens des Chefarztes Prof. Dr. Konrad vom 14. Juni
2006 fort.
Davon abgesehen ist bei der analogen Anwendung des § 12 a Abs. 1 Satz 2 StAG die
gesetzgeberische Wertung zu beachten, dass die „höhere Strafe“ sich zumindest
innerhalb des Systems des § 12 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG halten muss, was aber nur
für Strafen zutrifft, die zur Bewährung ausgesetzt und nach Ablauf der Bewährungszeit
erlassen worden sind (vgl. hierzu Beschluss des Senats vom 28. Juli 2006 - OVG 5 M
24.06). Bei der Verurteilung zu einer Maßregel der Besserung und Sicherung wird
dementsprechend vorauszusetzen sein, dass die Anordnung der Unterbringung zur
Bewährung ausgesetzt worden und nach Ablauf der Bewährungszeit erloschen sein
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Bewährung ausgesetzt worden und nach Ablauf der Bewährungszeit erloschen sein
muss. Sind diese Voraussetzungen - wie hier - nicht erfüllt, so spricht alles dafür, dass
die Behördenentscheidung eine gebundene und nur dann rechtmäßig ist, wenn die
Einbürgerung abgelehnt wird.
Wäre allerdings selbst in den Fällen Ermessen eröffnet, in denen der Maßregelvollzug
noch andauert, wäre die vom Beklagten getroffene Entscheidung, den
Einbürgerungsantrag abzulehnen, ebenfalls nicht zu beanstanden. Denn er hat eine
Ermessensentscheidung getroffen; sie wird auch den Anforderungen gerecht. Der
Beklagte hat darauf abgestellt, dass nicht hinreichend sicher ausgeschlossen werden
könne, dass der Kläger weitere Gewalttaten begehen werde. Die Erwägung, von einer
Berücksichtigung der strafgerichtlichen Verurteilung nur im Falle einer günstigen
Sozialprognose abzusehen, ist sachgerecht und nach den Maßstäben des § 114 Satz 1
VwGO nicht zu beanstanden. Aus dem nunmehr vorliegenden Gutachten von Prof. Dr.
vom 14. Juni 2006 ergibt sich - wie vorsorglich anzumerken ist - nichts Günstigeres für
den Kläger. Den umfangreichen Ausführungen des Gutachters ist zu entnehmen, dass
die aggressiv fordernde Grundhaltung des Klägers, die seine Persönlichkeit schon im
Zeitpunkt der Begehung der Straftaten prägte, zu ihrer Beherrschung einer dauerhaften
und zuverlässigen Medikation bedarf. Das aber bedeutet, dass ein beachtliches
Rückfallrisiko besteht, zumal dem Kläger trotz der Dauer seiner Unterbringung weiterhin
die notwendige Krankheitseinsicht fehlen soll.
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Zutreffend hat die Vorinstanz dargelegt, dass auch eine Einbürgerung nach § 8 Abs. 1
Satz 1 Nr. 2 StAG nicht in Betracht kommt, weil die rechtswidrigen Taten des Klägers
den Ausweisungsgrund nach § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG erfüllt haben. Sie sind, auch
wenn sie nicht schuldhaft begangen worden sind und zu keiner Ausweisung geführt
haben, nicht nur ein geringfügiger Verstoß gegen Rechtsvorschriften (vgl. BVerwG, Urteil
vom 31. Mai 1994, BVerwGE 96, 86 [90]; Hailbronner/Renner, Staatsangehörigkeitsrecht,
4. Auflage 2005, § 8 StAG Rn. 29).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, der Ausspruch über ihre
vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO, § 708 Nr. 10 und § 711 ZPO. Die Revision ist
nicht zugelassen worden, weil Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO - insbesondere
nach Ergehen der Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. März 2007 - 5 C 31.05
und 5 C 33.05 - nicht vorliegen.
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