Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 14.03.2017

OVG Berlin-Brandenburg: bebauungsplan, erlass, normenkontrolle, vollzug, bier, dringlichkeit, grundstück, privatperson, verwaltungsgerichtsbarkeit, link

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Gericht:
Oberverwaltungsgericht
Berlin-Brandenburg 2.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
OVG 2 S 50.09
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 47 Abs 6 VwGO, § 80a Abs 3
VwGO, § 80 Abs 5 VwGO, § 32
BVerfGG
Keine einstweilige Anordnung in einem
Normenkontrollverfahren, bei fehlender Dringlichkeit der
Anordnung wegen Möglichkeit des vorläufigen
Rechtsschutzverfahrens zu einem
Baugenehmigungserteilungsverfahren
Tenor
Das Verfahren der Antragsteller zu 1. bis 28. wird eingestellt.
Der Antrag des Antragstellers zu 29. wird abgelehnt.
Die Antragsteller zu 1. bis 28. tragen 19/20 der bis zum Zeitpunkt der
Antragsteilrücknahme entstandenen Kosten des Verfahrens, wobei die Antragsteller zu
1. und 2., 3. und 4., 5. und 6., 7. und 8., 13. und 14., 17. und 18., 20. und 21., 23. und
24. sowie 26. und 27. jeweils als Gesamtschuldner für einen Kopfteil haften. Im Übrigen
trägt der Antragsteller zu 29. die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird bis zum Zeitpunkt der Antragsteilrücknahme auf 100.000 EUR und für
die Zeit danach auf 5.000 EUR festgesetzt.
Gründe
1. Nachdem die Antragsteller zu 1. bis 28. den Normenkontrollantrag mit am 1.
Dezember 2009 eingegangenem Schriftsatz zurückgenommen haben, war ihr Verfahren
insoweit gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -
einzustellen.
2. Der weiterhin anhängige Antrag des Antragstellers zu 29.,
den Bebauungsplan IX-46-2 im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf, Ortsteil
Wilmersdorf, vom 16. Dezember 2008 (GVBl. S. 485), bis zur Entscheidung des Gerichts
im anhängigen Normenkontrollverfahren außer Vollzug zu setzen,
hat keinen Erfolg.
Der Antragsteller zu 29. hat die materiellen Voraussetzungen für den Erlass einer
einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO nicht glaubhaft gemacht. Nach dieser
Vorschrift kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies
zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten
ist. Die im Rahmen des § 47 Abs. 6 VwGO anzustellenden Erwägungen decken sich
weitgehend mit den zu § 32 Bundesverfassungsgerichtsgesetz entwickelten
Grundsätzen; beide Vorschriften entsprechen sich in ihrer Zielrichtung. Weil eine
Rechtsnorm außer Vollzug gesetzt werden soll, ist es nach ständiger Rechtsprechung
notwendig, bei der Prüfung der Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen
Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO einen strengen Maßstab anzulegen. Die für eine
vorläufige Regelung sprechenden Gründe müssen so schwer wiegen, dass sie ihren
Erlass als unabweisbar erscheinen lassen (vgl. zuletzt Beschluss des Senats vom 9.
September 2009 - OVG 2 S 6.09 -, m.w.N.). Unter Beachtung dieses Maßstabs ist die
Dringlichkeit einer einstweiligen Anordnung zu verneinen, wenn sich der Antragsteller in
der Sache nur gegen solche Nachteile wendet, die sich aus dem Vollzug einer aufgrund
des angegriffenen Bebauungsplans erteilten Baugenehmigung ergeben können und er
hiergegen auf andere Weise ausreichenden Rechtsschutz erlangen kann. Das ist der Fall,
wenn die Möglichkeit besteht, das Begehren im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes
nach §§ 80a Abs. 3, 80 Abs. 5 VwGO zu verfolgen (vgl. VGH Mannheim, Beschluss vom
18. Februar 1997 – 3 S 3419/96 –, NVwZ-RR 1998, 613; VGH München, Beschlüsse vom
3. August 2009 – 2 NE 09.1720 -, juris, und vom 15. September 2004 - 2 NE 04.2484 -,
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3. August 2009 – 2 NE 09.1720 -, juris, und vom 15. September 2004 - 2 NE 04.2484 -,
juris; Gerhardt/Bier, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, 17.
Ergänzungslieferung 2008, § 47 Rn. 185; Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl. 2007, § 47 Rn.
149, 151 f.; auf das insoweit fehlende Rechtsschutzinteresse an der begehrten
vorläufigen Außervollzugsetzung abstellend: OVG Lüneburg, Beschluss vom 23. Juni
2005 – 1 MN 46/05 – BRS 69 Nr. 59; J. Schmidt, in: Eyermann, 12. Aufl. 2006, § 47 Rn.
107).
Nach den unbestrittenen Angaben des Antragsgegners im Schriftsatz vom 16.
September 2009 ist auf der Grundlage des angegriffenen Bebauungsplans unter dem
10. Juni 2008 für das Gesamtvorhaben eine Baugenehmigung erteilt worden. Da der
Antragsteller zu 29. in der Antragsbegründung geltend macht, als Miteigentümer eines
Nachbargrundstücks sowie Wohnungseigentümer in dem darauf errichteten Gebäude in
seinem „durch § 6 Abs. 1 BauO Bln vermittelten Recht auf Einhaltung von
Abstandsflächen, deren Unterschreitung durch den angegriffenen Bebauungsplan
gesetzeswidrig gestattet“ werde, berührt zu sein, kann er sich gegen die
Baugenehmigung durch Erhebung des Widerspruchs in Verbindung mit einem Antrag auf
Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gemäß § 80 Abs. 5, § 80a
Abs. 3 VwGO zur Wehr setzen. Der Einwand des Antragstellers zu 29., dass ihm die
Baugenehmigung nicht bekannt gegeben worden sei, übersieht, dass er spätestens
aufgrund seiner nunmehr erlangten Kenntnis gegen die Baugenehmigung vom 10. Juni
2008, die mangels Bekanntgabe ihm gegenüber keine Widerspruchsfrist in Gang gesetzt
hat, vorgehen kann. Zudem würde die begehrte vorläufige Außervollzugsetzung des
Bebauungsplans die bereits erteilte Baugenehmigung ohnehin unberührt lassen (vgl. nur
Gerhardt/Bier, a.a.O.) und den nicht verfahrensbeteiligten Bauherrn des vom
Antragsteller zu 29. bekämpften Vorhabens nicht daran hindern, mit dem Bau zu
beginnen. Deshalb können dem Antragsteller zu 29. keine schwerwiegenden Nachteile
entstehen, wenn die begehrte Außervollzugsetzung des Bebauungsplanes unterbleibt
und er auf den direkteren und effektiveren Weg des verwaltungsgerichtlichen
Individualrechtsschutzes verwiesen wird (vgl. VGH München, Beschluss vom 3. August
2009 - 2 NE 09.1720 -, juris). Hieran vermag auch das weitere Vorbringen des
Antragstellers zu 29., „die Rechte, die die Stellung eines Antrags nach § 47 Abs. 2 und 6
VwGO gestatteten“, unterschieden sich von denen, die zur Stellung eines Antrags nach
§§ 80, 80 a oder § 123 VwGO berechtigten, nichts zu ändern. Dass der Antragsteller im
Rahmen der Normenkontrolle - anders als bei der Nachbaranfechtung - auch aufgrund
rechtlicher Gesichtspunkte Erfolg haben kann, welche nicht seinem Schutz zu dienen
bestimmt sind, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Aussetzungsentscheidung
nach § 47 Abs. 6 VwGO nicht mit Rückwirkung ausgestattet ist, was übrigens auch unter
dem Gesichtspunkt des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG)
unbedenklich ist (vgl. OVG Lüneburg, a.a.O.).
Zwar weist der Antragsteller zu 29. im Ansatz zutreffend darauf hin, dass die Erteilung
einer Baugenehmigung dem Erfolg eines Antrags nach § 47 Abs. 6 VwGO dann nicht
entgegensteht, wenn der Antragsteller berechtigt ist, Nachteile abzuwehren, die über die
durch die Erteilung einer Baugenehmigung entstehenden Nachteile hinausgehen (vgl.
Kopp/Schenke, a.a.O.). Derartige über die Erteilung einer Baugenehmigung
hinausgehende Nachteile macht der Antragsteller zu 29. jedoch gerade nicht geltend.
Soweit er in dem Schriftsatz vom 5. Oktober 2009 darauf hinweist, dass die Möglichkeit,
Verträge zur Nutzung eines Kleingartengeländes zu kündigen, bereits bestehe, wenn das
Grundstück zum Zwecke seiner Bebauung überplant werde, und „bereits die drohende
Planierung des Grundstücks, die Vernichtung des Baumbestandes, des Aufwuchses und
der Lauben“ die Antragsteller in ihren Rechten verletze, ist dies ersichtlich nur auf die
Antragsteller zu 1. bis 27. zu beziehen, die den Bebauungsplan als betroffene Pächter
von im Plangebiet gelegenen Kleingartenflächen angegriffen, ihre Anträge auf
Normenkontrolle und auf Erlass einer einstweiligen Anordnung inzwischen aber
zurückgenommen haben. Der Antragsteller zu 29., der in der Antragsbegründung
ausschließlich geltend gemacht hat, als Grundstücksnachbar in seinem Recht auf
Einhaltung der Abstandsflächen verletzt zu sein, kann sich auf die vermuteten
Auswirkungen einer Außervollzugsetzung des Bebauungsplans auf die rechtlichen
Verhältnisse der Kleingartenflächen im Plangebiet nicht berufen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 2 VwGO, soweit das Verfahren nach der
Antragsteilrücknahme eingestellt worden ist, und im Übrigen aus § 154 Abs. 1 VwGO
sowie § 100 Abs. 1, Abs. 4 Satz 1 ZPO. Da davon auszugehen ist, dass die Antragsteller
zu 1. und 2., 3. und 4., 5. und 6., 7. und 8., 13. und 14., 17. und 18., 20. und 21., 23. und
24. sowie 26. und 27. den Bebauungsplan jeweils in Rechtsgemeinschaft bekämpfen,
haften sie jeweils als Gesamtschuldner nur für einen Kopfteil der Kostenerstattung.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 und 7 GKG. Ausgehend von Ziffer 9.8.1
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 und 7 GKG. Ausgehend von Ziffer 9.8.1
des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung von Juli 2004
(veröffentlicht in DVBl. 2004, 1525), der für die Normenkontrolle einer Privatperson
gegen einen Bebauungsplan einen Streitwert von 7 500 € bis 60 000 € vorsieht, setzt
der Senat in der Hauptsache für jeden der Antragsteller gemäß Ziffer 1.1.3 des
Streitwertkataloges zu addierende Werte von 10 000 € an, wobei der Betrag für die
Antragsteller zu 1. und 2., 3. und 4., 5. und 6., 7. und 8., 13. und 14., 17. und 18., 20.
und 21., 23. und 24. sowie 26. und 27. aus dem genannten Grund jeweils nur einmal
anzusetzen ist. Für das Verfahren über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung ist der sich ergebende Betrag gemäß Ziffer 1.5 des Streitwertkataloges zu
halbieren. Für die Zeit ab der Antragsteilrücknahme ist lediglich noch der auf den
Antragsteller zu 29. entfallende Betrag anzusetzen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66
Abs. 3 Satz 3 GKG).
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