Urteil des VGH Baden-Württemberg vom 22.01.2013

beiladung, gesetzlicher vertreter, disziplinarverfahren, ruhegehalt

VGH Baden-Württemberg Beschluß vom 22.1.2013, DL 13 S 2098/12
Zur Frage der Beiladung Dritter im Disziplinarverfahren
Leitsätze
1. In einem dem Landesdisziplinargesetz unterfallenden Disziplinarverfahren ist im
gerichtlichen Verfahren eine Beiladung Dritter nicht schon kraft Gesetzes
ausgeschlossen.
2. Die (einfache) Beiladung des Kommunalen Versorgungsverbandes im gerichtlichen
Disziplinarverfahren um die Aberkennung des Ruhegehalts eines Kommunalbeamten
scheidet trotz der Verpflichtung des Kommunalen Versorgungsverbandes, ggf. die
Nachversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung durchzuführen, jedenfalls
dann aus, wenn die beklagte Kommune sich gegen die Beiladung ausspricht und der
Kommunale Versorgungsverband sich in Kenntnis der ihn ggf. treffenden
Nachversicherungspflicht nicht um eine Beteiligung am gerichtlichen Verfahren
bemüht.
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts
Karlsruhe vom 5. Oktober 2012 - DL 11 K 572/10 - wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
1 Die nach § 146 Abs. 1 VwGO statthafte und auch sonst zulässige Beschwerde ist
unbegründet. Eine Beiladung des Kommunalen Versorgungsverbandes Baden-
Württemberg kommt nicht in Betracht.
2 1. Allerdings ist in Verfahren nach dem Landesdisziplinargesetz eine Beiladung im
gerichtlichen Verfahren nicht schon kraft Gesetzes ausgeschlossen. Das Gesetz
zur Neuordnung des Landesdisziplinarrechts (LDNOG) vom 14.10.2008 (GBl. S.
343), das unter anderem das Landesdisziplinargesetz umfasst, enthält keine
ausdrückliche Regelung der Anwendung der Verwaltungsgerichtsordnung für das
gerichtliche Verfahren. Soweit § 2 LDG die Verwaltungsgerichtsordnung für
anwendbar erklärt, betrifft dies nur die Mitwirkung der Verwaltungsgerichte im
behördlichen Disziplinarverfahren (vgl. Nonnenmacher, in: von Alberti u.a.,
Landesdisziplinarrecht Baden-Württemberg, § 2 LDG Rdnr. 4). Die Anwendbarkeit
der Verwaltungsgerichtsordnung im gerichtlichen Verfahren folgt nach der
Amtlichen Begründung (LT-Drs. 14/2996, S. 144) vielmehr aus dem Wegfall der
bisherigen Verweisung auf die Strafprozessordnung in § 26 LDO und der
Ermächtigungsvorschrift des § 187 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 14 AGVwGO Baden-
Württemberg. Der Ausschluss einzelner Vorschriften der
Verwaltungsgerichtsordnung wurde ausweislich der Amtlichen Begründung
(a.a.O.) als nicht erforderlich angesehen. Demgegenüber bestimmt etwa § 3 BDG
die lediglich entsprechende Anwendbarkeit der Verwaltungsgerichtsordnung,
soweit nicht im Bundesdisziplinargesetz etwas anderes geregelt ist oder soweit sie
nicht zu den Regelungen des Bundesdisziplinargesetzes in Widerspruch steht. Die
Anwendbarkeit des § 65 VwGO im gerichtlichen Disziplinarverfahren nach dem
Bundesdisziplinargesetz wird dabei verneint, weil das Disziplinarverfahren allein
auf die disziplinarische Ahndung von Dienstvergehen ausgerichtet ist
(Urban/Wittkowski, BDG, § 3 Rdnr. 5, 10 m.w.N.). Im Verfahren nach dem
Landesdisziplinargesetz ist aber weder § 65 VwGO ausdrücklich von einer
Anwendbarkeit ausgenommen, noch ist auch nur eine entsprechende Anwendung
der Verwaltungsgerichtsordnung vorgesehen. Damit geht das Gesetz zur
Neuordnung des Landesdisziplinarrechts aber grundsätzlich von der
Anwendbarkeit des § 65 VwGO im gerichtlichen Verfahren aus.
3 2. Der Senat kann offen lassen, ob die Anwendbarkeit des § 65 VwGO gleichwohl
als Ergebnis einer systematischen und an Sinn und Zweck des
Disziplinarverfahrens orientierten Auslegung ausscheidet. Denn vorliegend sind
weder die Voraussetzungen für eine notwendige Beiladung nach § 65 Abs. 2
VwGO gegeben noch kommt eine einfache Beiladung nach § 65 Abs. 1 VwGO in
Betracht.
4 a) Nach § 65 Abs. 2 VwGO sind Dritte, die an dem streitigen Rechtsverhältnis
derart beteiligt sind, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich
ergehen kann, beizuladen.
5 Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist, ob die Beklagte dem Kläger zu
Recht das Ruhegehalt aberkannt hat. Ist dies der Fall, ist der Kläger gemäß § 8
Abs. 2 Satz 1 Ziff. 1 SGB VI in der gesetzlichen Rentenversicherung
nachzuversichern. Die Beiträge hierzu werden gemäß § 181 Abs. 5 Satz 1 SGB VI
von der Beklagten getragen. Nach § 14 Satz 1 Nr. 5 des Gesetzes über den
Kommunalen Versorgungsverband Baden-Württemberg (GKV) obliegt diesem die
Durchführung der Nachversicherung nach dem 6. Buch Sozialgesetzbuch. Diese
Verpflichtung des Kommunalen Versorgungsverbandes begründet, ebenso wie
andere eventuelle Verpflichtungen des Kommunalen Versorgungsverbandes
infolge des Disziplinarverfahrens, nicht die Notwendigkeit einer Beiladung im Sinne
des § 65 Abs. 2 VwGO. Es fehlt bereits an der Identität des Streitgegenstandes im
Verhältnis zwischen Kläger und Beklagter einerseits und im Verhältnis beider
Beteiligten zu dem Dritten, hier dem Kommunalen Versorgungsverband,
andererseits (siehe dazu Schmitt, in: Eyermann, VwGO, 12. Aufl., § 65 Rdnr. 17).
Zwischen Kläger und Beklagter ist streitig, ob dem Kläger das Ruhegehalt
aberkannt werden durfte. Zwischen Kläger und Beklagter und dem Kommunalen
Versorgungsverband geht es demgegenüber gegebenenfalls um die Verpflichtung
der Beklagten, den Kläger nachzuversichern.
6 b) Nach § 65 Abs. 1 VwGO kann das Gericht, solange das Verfahren noch nicht
rechtskräftig abgeschlossen ist oder in höherer Instanz anhängig ist, von Amts
wegen oder auf Antrag andere, deren rechtliche Interessen durch die
Entscheidung berührt werden, beiladen.
7 Ein rechtliches Interesse ist gegeben, wenn der Beizuladende zum Kläger oder
zum Beklagten oder zu beiden oder gegebenenfalls auch nur zu dem
Streitgegenstand in einer solchen Beziehung steht, dass das Unterliegen des
Klägers oder des Beklagten seine Rechtslage verbessern oder verschlechtern
könnte, d.h., wenn ein in der Sache ergehendes Urteil zwar für den Dritten, dessen
Beiladung in Frage steht, wenn er nicht beigeladen würde, keine Rechtswirkung im
Sinne von § 121 VwGO hätte, gleichwohl seine Rechtsstellung aber unter
Umständen bereits in tatsächlicher Hinsicht oder wegen der (faktischen)
Präjudizialität des Urteils jedenfalls bereits faktisch beeinträchtigen würde
(Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl., § 65 Rdnr. 9 m.w.N.).
8 Ist dem Kläger das Ruhegehalt abzuerkennen, hat dies seine Nachversicherung
zur Folge. Rechte des Kommunalen Versorgungsverbands im Verhältnis zum
Kläger werden durch diese Nachversicherungspflicht als Folge der Aberkennung
des Ruhegehaltes aber nicht berührt. Denn nach § 9 Satz 1 und 2 GKV gewährt
der Kommunale Versorgungsverband den Angehörigen, also auch dem Kläger
(vgl. § 6 GKV) Leistungen im Namen des Mitglieds, also der Beklagten (vgl. § 4
GKV). Insoweit trifft er auch im Namen des Mitglieds die notwendigen
Entscheidungen und vertritt dieses in Rechtsstreitigkeiten. Er ist damit insoweit
gesetzlicher Vertreter der Beklagten; eine eigene Rechtsposition im
Außenverhältnis zum Kläger, die berührt sein könnte, kommt dem Kommunalen
Versorgungsverband damit von vornherein nicht zu (vgl. VGH Baden-Württemberg,
Urteil vom 09.12.1969 - IV 281/68 -, ESVGH 21, 85).
9 Eine Berührung von rechtlichen Interessen des Kommunalen
Versorgungsverbandes durch die Nachversicherungspflicht als Folge der
Aberkennung des Ruhegehalts, kommt aber im Verhältnis zur Beklagten in
Betracht. Nach § 16 Abs. 2 GKV sind dem Kommunalen Versorgungsverband,
wenn er an Angehörige Leistungen gewährt, die er nicht zu tragen hat, diese vom
Mitglied zu erstatten (vgl. dazu VGH Baden-Württemberg, a.a.O.). Im
Innenverhältnis zur Beklagten könnte sich der Kommunale Versorgungsverband
u.U. auf den Standpunkt stellen, die Voraussetzungen für eine Nachversicherung
lägen nicht vor, weil dem Kläger bereits das Ruhegehalt nicht hätte aberkannt
werden dürfen, und Erstattung des geleisteten Nachversicherungsbeitrages
verlangen.
10 Die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Beiladung nach § 65 Abs. 1 VwGO
wären somit gegeben (vgl. zu einer einfachen Beiladung des Kommunalen
Versorgungsverbandes in einem beamtenrechtlichen Streitverfahren zwischen
einem Kommunalbeamten und einer Kommune VGH Baden-Württemberg,
Beschluss vom 14.09.2004 - 4 S 1438/03 -, ESVGH 55, 122).
11 Das Verwaltungsgericht hat aber ermessensfehlerfrei und mit Erwägungen, die der
Senat teilt, von einer Beiladung abgesehen. Die - wenn überhaupt sehr
beschränkte - Möglichkeit, durch die Beiladung des Kommunalen
Versorgungsverbandes weitere Sachaufklärung zu erlangen, rechtfertigt allein die
Beiladung nicht (vgl. Czybulka, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl., § 65 Rdnr. 24).
Die Beiladung erfolgt vielmehr zur Wahrung der Interessen des Beizuladenden
oder zur Wahrung der Interessen der schon Beteiligten in Form der
Rechtskrafterstreckung und zur Vermeidung von Verfahrensdoppelungen (vgl.
Czybulka, a.a.O.). Ein solches Interesse besteht im Verhältnis des Klägers zum
Kommunalen Versorgungsverband wie ausgeführt nicht. Im Verhältnis der
Beklagten zum Kommunalen Versorgungsverband kommt ein solches Interesse
zwar grundsätzlich in Betracht, die Beklagte hat sich aber gegen eine Beiladung
ausgesprochen, so dass auf dieses Interesse nicht abgestellt werden kann. Zur
Wahrung der Interessen des Kommunalen Versorgungsverbandes bedarf es
ebenfalls keiner Beiladung. Dieser ist vom Kläger selbst mit Schreiben vom
14.06.2012 über die streitgegenständliche Disziplinarverfügung informiert worden.
Der Kommunale Versorgungsverband hat daraufhin die Höhe des gegebenenfalls
anfallenden Nachversicherungsbeitrages berechnet. Aus dem Umstand, dass der
Kommunale Versorgungsverband trotz Kenntnis der erheblichen Höhe dieses
möglichen Beitrags nicht von sich aus eine Beteiligung an dem vorliegenden
Verfahren angestrebt hat, lässt sich der Schluss ziehen, dass er in der Sache
keine von der Beklagten abweichende Einschätzung vorgenommen hat. Vor
diesem Hintergrund hat das Verwaltungsgericht auch zu Recht darauf abgestellt,
dass eine Beiladung des Kommunalen Versorgungsverbandes (nur) zu einer
weiteren Verzögerung des Verfahrens führen würde.
12 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
13 Einer Festsetzung des Streitwertes bedarf es nicht, da die Gerichtskosten
streitwertunabhängig sind (Nr. 500 der Anlage zu § 22 AGVwGO).