Urteil des VGH Baden-Württemberg vom 23.04.2014

schwerer eingriff, überzeugung, religionsfreiheit, christentum

VGH Baden-Württemberg Beschluß vom 23.4.2014, A 3 S 269/14
Anforderungen an die Asylrechtsgewährung für Konvertiten zum christlichen
Glauben
Leitsätze
Beruft sich ein in Deutschland zum Christentum übergetretener Asylbewerber darauf,
dass er wegen der Betätigung seines christlichen Glaubens in seinem Heimatland von
Verfolgung bedroht sei, muss er die Tatsache, dass er die unterdrückte religiöse
Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine
religiöse Identität zu wahren, zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen (im
Anschluss an BVerwG, Urt. v. 20.2.2013 - 10 C 23.12 - BVerwGE 146, 67 Rn. 30;
Beschl. v. 9.12.2010 - 10 C 13.09 - BVerwGE 138, 289). Der formale, kirchenrechtlich
wirksam vollzogene Übertritt zum Christentum in Gestalt der Taufe reicht für die
Gewinnung dieser Überzeugung jedenfalls im Regelfall nicht aus.
Tenor
Der Antrag des Klägers, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts
Freiburg vom 20. Dezember 2013 - A 5 K 122/13 - zuzulassen, wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des - gerichtskostenfreien -
Berufungszulassungsverfahrens.
Gründe
1 Der auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§
78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG) gestützte Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das
bezeichnete Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg hat keinen Erfolg.
2 Die aufgeworfene Frage,
3 ob eine Grundsatzentscheidung des zuständigen kirchlichen Würdenträgers, des
Pfarrers, der einen ernsthaften Glaubensübertritt (eines Asylbewerbers) bejaht hat,
das staatliche Gericht staatskirchenrechtlich bindet,
4 rechtfertigt nicht die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlichen Bedeutung der
Rechtssache. Die Frage ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
(Urt. v. 20.2.2013 - 10 C 23.12 - BVerwGE 146, 67; Beschl. v. 9.12.2010 - 10 C
13.09 - BVerwGE 138, 289) bereits ausreichend geklärt.
5 Ein hinreichend schwerer Eingriff in die Religionsfreiheit im Sinne des Art. 9 Abs. 1
der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.4.2004 über Mindestnormen für die
Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als
Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen,
und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes setzt nach der Rechtsprechung
des Bundesverwaltungsgerichts nicht voraus, dass der Ausländer seinen Glauben
nach Rückkehr in sein Herkunftsland tatsächlich in einer Weise ausübt, die ihn der
Gefahr der Verfolgung aussetzt. Vielmehr kann bereits der unter dem Druck der
Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubensbetätigung die Qualität
einer Verfolgung erreichen. Die Beurteilung, ob eine Verletzung der Religionsfreiheit
die erforderliche Schwere aufweist, um die Voraussetzungen einer
Verfolgungshandlung im Sinne der genannten Vorschrift zu erfüllen, hängt aber
außer von objektiven auch von subjektiven Gesichtspunkten ab. Objektive
Gesichtspunkte sind insbesondere die Schwere der dem Ausländer bei Ausübung
seiner Religion drohenden Verletzung anderer Rechtsgüter wie z.B. Leib und
Leben. Als relevanten subjektiven Gesichtspunkt für die Schwere der drohenden
Verletzung der Religionsfreiheit ist der Umstand anzusehen, ob für den Betroffenen
die Befolgung einer bestimmten gefahrträchtigen religiösen Praxis in der
Öffentlichkeit zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist. Es reicht
dafür nicht aus, dass der Asylbewerber eine enge Verbundenheit mit seinem
Glauben hat, wenn er diesen - jedenfalls im Aufnahmemitgliedstaat - nicht in einer
Weise lebt, die ihn im Herkunftsstaat der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde.
Maßgeblich für die Schwere der Verletzung der religiösen Identität ist die Intensität
des Drucks auf die Willensentscheidung des Betroffenen, seinen Glauben in einer
für ihn als verpflichtend empfundenen Weise auszuüben oder hierauf wegen der
drohenden Sanktionen zu verzichten.
6 Die Tatsache, dass er die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für
sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren, muss
der Asylbewerber zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen (BVerwG, Urt.
v. 20.2.2013, a.a.O., Rn. 30; Beschl. v. 9.12.2010, a.a.O.). Der formale,
kirchenrechtlich wirksam vollzogene Übertritt zum Christentum in Gestalt der Taufe
reicht für die Gewinnung dieser Überzeugung jedenfalls im Regelfall nicht aus (vgl.
VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 19.2.2014 - A 3 S 2023/12 -; Beschl. v. 9.1.2014 - A 2 S
1812/13 -; OVG Niedersachsen, 7.3.2014 - 13 LA 118/13 - juris; OVG Nordrhein-
Westfalen, Beschl. v. 24.5.2013 - 5 A 1062/12.A - juris; BayVGH, Beschl. v.
12.1.2012 - 14 ZB 11.30346 - juris). Ob ein von diesem Regelfall abweichender
Sonderfall vorliegt, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab und ist
deshalb einer grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich.
7 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO und § 83b AsylVfG.
8 Der Beschluss ist unanfechtbar.