Urteil des VGH Baden-Württemberg vom 15.04.2015

unmenschliche behandlung, gerichtshof für menschenrechte, illegale ausreise, befragung

VGH Baden-Württemberg Urteil vom 15.4.2015, A 3 S 1459/13
Keine Verfolgungsgefahr im Iran wegen Auslandsaufenthalt und
Asylantragstellung
Leitsätze
Weder die Stellung eines Asylantrags noch der mehrjährige Aufenthalt in der
Bundesrepublik Deutschland rechtfertigen die Annahme, iranische Staatsbürger
würden mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in den Iran staatlichen
Repressionen ausgesetzt sein.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom
7. September 2012 - A 11 K 4543/11 - geändert. Die Klage wird insgesamt
abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens in beiden
Rechtszügen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1 Der Kläger begehrt die Gewährung von Abschiebungsschutz.
2 Der Kläger, ein nach seinen Angaben am … 1994 in Teheran geborener iranischer
Staatsangehöriger, reiste am 24.2.2011 auf dem Landweg in die Bundesrepublik
Deutschland ein und beantragte am 9.3.2011 seine Anerkennung als
Asylberechtigter. Zur Begründung machte er geltend, er habe bis zum Beginn
seiner Flucht das ...-Gymnasium in Teheran besucht. Seine Familie und er seien in
der „Grünen Welle“ aktiv gewesen und hätten Werbung für Moussawi gemacht. Ab
dem 10.3.1388 (31.5.2009) hätten sie immer wieder an Demonstrationen
teilgenommen. Bei der Teilnahme an einer Demonstration seien seine Eltern vor
seinen Augen von Sicherheitskräften, die mit Motorrädern erschienen seien, brutal
zusammengeschlagen worden. Auch am 25.11.1388 (14.2.2010), dem Ashura-
Tag, hätten sie an einer Demonstration teilgenommen.
3 Bassidji und die Sicherheitskräfte hätten mit Tränengas auf die Demonstranten
geschossen und seien mit Autos und Motorrädern zwischen die Demonstranten
gefahren. Die Demonstranten seien daraufhin geflohen. Er selbst und ein oder
zwei seiner Freunde seien von Motorradfahrern aufgegriffen und geschlagen
worden. Danach seien sie von anderen Sicherheitskräften festgenommen und
ebenfalls geschlagen worden, worauf man sie aber wieder freigelassen habe. Der
Rektor seiner Schule habe herausgefunden, dass er an den Demonstrationen
teilgenommen habe. Er habe ihm gedroht, ihn von der Schule zu werfen, und ihm
gesagt, er werde ihm nicht erlauben, an der Prüfung teilzunehmen. Er sei deshalb
zwei oder drei Wochen nicht zur Schule gegangen. Er habe dann aber doch an
der Prüfung teilgenommen, er sei jedoch bei allen Prüfungen durchgefallen. Neun
oder zehn Tage nach dem Ashura-Tag sei er von der Polizei angehalten worden,
als er eines Morgens mit dem Motorrad auf der Straße unterwegs gewesen sei. Da
er keinen Führerschein habe vorweisen können, sei er auf das Polizeirevier
mitgenommen worden. Nachdem er seinen Namen genannt habe, sei er mit
Schlagstöcken geschlagen und mit Füßen getreten worden. Nach seiner
Freilassung habe er den Vorfall zu Hause seinen Eltern erzählt. Seine Eltern seien
zusammen mit ihm zu dem Hauptkommissar gegangen und hätten ihn gefragt,
warum ihr Sohn derart geschlagen worden sei. Er sei daraufhin wiederum
festgenommen und drei Tage auf dem Polizeirevier festgehalten worden.
Nachdem er irgendetwas unterschrieben habe, sei er freigelassen worden. Am 27.
oder 28.5.1389 (18. oder 19.8.2010) sei er abends gegen 23.00 Uhr mit ein paar
Freunden im Park gewesen, als Sicherheitskräfte und Bassidjis gekommen seien,
die Tränengas und Messer mit sich geführt hätten. Sie hätten sich auf den Boden
legen und ihre Kleidung ausziehen müssen. Danach sei von ihnen verlangt
worden, ins kalte Wasser zu springen. Als er auf dem Boden gelegen habe, sei er
geschlagen worden. Einen Monat lang habe er erfolglos versucht, an irgendeiner
anderen Schule seine Schulausbildung zu beenden. Auch seine Eltern hätten
Probleme mit Sicherheitskräften gehabt. Sein Vater sei einen Monat lang verhaftet
gewesen. Da ein Cousin ähnliche Probleme gehabt habe, hätten sie sich
entschieden, den Iran zu verlassen und nach Europa zu fliehen. Die Ausreise sei
von seinem Vater finanziert worden. Am 2.7.1388 sei er von Teheran nach
Urumiya gefahren und von dort weiter mit einem Transporter nach Van. Nach dem
Passieren der Grenze, die sie zu Fuß überschritten hätten, hätten sie gefälschte
Pässe erhalten und seien nach Istanbul und von dort aus weiter zur griechischen
Grenze gefahren. Nach einem fünfmonatigen Aufenthalt in Athen seien sie mit dem
LKW auf einer Fähre nach Italien gekommen und mit dem Zug über Rom und Paris
nach Straßburg gereist. Im Zug in der Nähe von Mannheim seien sie von der
deutschen Polizei aufgegriffen worden.
4 Mit Bescheid vom 5.12.2011 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
(im Folgenden: Bundesamt) den Asylantrag des Klägers ab (Ziff. 1), stellte fest,
dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft des §
60 Abs. 1 AufenthG (Ziff. 2) sowie Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7
AufenthG (Ziff. 3) nicht vorliegen und drohte dem Kläger unter Setzung einer
Ausreisefrist von 30 Tagen die Abschiebung in den Iran an (Ziff. 4). Zur
Begründung führte es aus, das Vorbringen des Klägers sei unglaubhaft. Er habe
geltend gemacht, für Moussawi tätig gewesen zu sein, habe aber den richtigen
Namen von dessen Bewegung nicht gekannt, sondern sie fälschlich „Grüne Welle“
genannt. Auch die schulischen Probleme seien nicht glaubhaft gemacht. Denn
wenn der Rektor der Schule den Kläger zu den Prüfungen nicht hätte zulassen
wollen, so hätte er das getan und dem Kläger wäre es nicht möglich gewesen,
überhaupt an der Prüfung teilzunehmen. Die behauptete Festnahme wegen des
Fahrens mit einem Motorrad ohne den dafür nötigen Führerschein sei keine
politische Verfolgung. Gegen eine politische Betätigung der Eltern spreche, dass
sie nach dem Vorbringen des Klägers auf das Polizeirevier gegangen seien, um
sich über die Behandlung ihres Sohnes zu beschweren. Denn wenn die Eltern des
Klägers bei den Sicherheitskräften kein unbeschriebenes Blatt gewesen wären,
wäre es für sie sicherer gewesen, sich ruhig zu verhalten. Warum der Kläger
danach wieder verhaftet worden sein solle, sei nicht nachvollziehbar. Eine
Kontrolle von Jugendlichen nachts in einem Park durch Sicherheitskräfte sei nichts
Ungewöhnliches. Auffällig sei auch, dass der Kläger keine Einzelheiten zu der
angeblichen Verhaftung seines Vaters habe schildern können.
5 Der Kläger hat am 22.12.2011 beim Verwaltungsgericht Stuttgart Klage erhoben
und beantragt, den Bescheid des Bundesamts vom 5.12.2011 aufzuheben und die
Beklagte zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen sowie ihm die
Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten
festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG
vorliegen.
6 Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
7 Mit Urteil vom 7.9.2012 hat das Verwaltungsgericht die Ziff. 3 und 4 des Bescheids
des Bundesamts vom 5.12.2011 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet,
festzustellen, dass beim Kläger ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2
AufenthG vorliegt. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
8 Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht ausgeführt: Der vom Kläger geltend
gemachte Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter sei gemäß Art. 16a
Abs. 2 GG in Verbindung mit § 26a AsylVfG ausgeschlossen, da der Kläger auf
dem Landweg und damit über einen sicheren Drittstaat in das Bundesgebiet
eingereist sei. Die Klage sei auch insoweit unbegründet, als der Kläger die
Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begehre. Soweit er sich auf die glaubhaft
geschilderte Misshandlung am Ashura-Tag am 25.11.1388 berufe, fehle es an
dem erforderlichen Kausalzusammenhang zwischen diesem Geschehen und der
Ausreise im September/Oktober 2010. Zwar habe der Kläger auch glaubhaft
geschildert, dass er im Sommer 2010 auf dem Polizeirevier schwer misshandelt
worden sei. Diese Misshandlung stelle eine schwerwiegende Verletzung der
grundlegenden Menschenrechte im Sinne von Art. 9 Abs. 1 lit. a RL 2004/83/EG
dar. Im Hinblick auf diese Misshandlung sei jedoch ein Verfolgungsgrund im Sinne
von Art. 10 RL 2004/83/EG weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich.
Entsprechendes gelte für die im Sommer 2010 erlittenen schwerwiegenden
Misshandlungen in einem Park von Teheran. Eine Verknüpfung zwischen den in
Artikel 10 RL 2004/83/EG genannten Verfolgungsgründen und der im Sommer
2010 erlittenen schwerwiegenden Verletzung der grundlegenden Menschenrechte
des Klägers bestehe nicht.
9 Beim Kläger liege aber ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG vor.
Nach dieser Vorschrift dürfe ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben
werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder
unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu
werden. Das sei hier der Fall, da dem Kläger bei einer Rückkehr/Abschiebung in
den Iran eine unmenschliche Behandlung drohe. Iraner, die ihr Heimatland illegal
verlassen hätten, müssten bei einer Rückkehr aufgrund der strikten Kontrollen
damit rechnen, am Flughafen verhört und für einige Tage festgehalten zu werden,
auch wenn sie nicht auf einer Polizeiliste aufgeführt seien. Ankommende Iraner
ohne Reisepass oder gültige Reisepapiere oder in den Iran rückgeschaffte Iraner
ohne gültiges Ausreisevisum würden bei der Ankunft festgenommen und zu einem
speziellen Gericht in Teheran gebracht. Dort würden die Daten der betreffenden
Personen, die Gründe für ihre illegale Ausreise und ihre Verbindungen mit
bekannten Organisationen und Gruppierungen kontrolliert. Die Ermittlungen im
Verfahren wegen illegaler Ausreise führten häufig zur Feststellung weiterer
sekundärer Straftatbestände und zu weiteren Anklagepunkten. Die
Verhörmethoden im Iran umfassten seelische und körperliche Folter sowie
unmenschliche Behandlung. Dementsprechend habe der Europäische Gerichtshof
für Menschenrechte mit Urteil vom 9.3.2010 entschieden, dass für iranische
Staatsangehörige bei einer Rückkehr in den Iran ein besonderes Risiko bestehe,
wenn sie nicht nachweisen könnten, dass sie den Iran legal verlassen hätten. Der
Kläger könne eine legale Ausreise aus dem Iran im Falle einer Rückkehr nicht
nachweisen, da er seinen Heimatstaat illegal verlassen habe. Da eine Rückkehr
des Klägers in den Iran nur im Wege der Abschiebung erfolgen werde, werde sich
den iranischen Behörden aufdrängen, dass die Rückkehr des Klägers in den Iran
auf besondere Umstände zurückzuführen sei. Nach den bereits genannten
Verhörmethoden im Iran spreche alles dafür, dass der Kläger im Falle seiner
Abschiebung in den Iran die von ihm bereits in seinem Heimatland erlittenen
Misshandlungen und Festnahmen durch Sicherheitskräfte nicht verheimlichen
könne. Dabei sei auch in Rechnung zu stellen, dass der Iran kein Rechtsstaat sei,
die Behörden willkürlich handelten, Folter bei Verhören, in der Untersuchungshaft
und in regulärer Haft vorkomme, sowie willkürliche Festnahmen sowie lang
andauernde Haft ohne Anklage oder Urteile festzustellen seien.
10 Gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts richtet sich die vom Senat mit
Beschluss vom 17.7.2013 zugelassene Berufung der Beklagten. Zu deren
Begründung macht die Beklagte geltend:
11 Über die Gewährung von Asyl und die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft sei
rechtskräftig entschieden. Im Streit stehe noch, ob dem Kläger ein Anspruch auf
das unionsrechtlich subsidiäre oder hilfsweise das nationale ausländerrechtliche
Abschiebungsverbot zukomme. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des
unionsrechtlichen Abschiebungsverbotes seien unverändert nicht erkennbar. Der
Kläger sei unverfolgt und nicht unter dem Druck einer drohenden Gefährdung
ausgereist. Zu demselben Ergebnis sei auch das Verwaltungsgericht gekommen.
Hinweise auf zwischenzeitlich hinzugekommene Risikogründe fehlten. Das
Auswärtige Amt führe in seinem Lagebericht vom 8.10.2012 unverändert aus, dass
allein der Umstand, dass eine Person in Deutschland einen Asylantrag gestellt
habe, keine staatlichen Repressionen nach der Rückkehr nach Iran auslöse. Es
könne in Einzelfällen zwar zu einer Befragung durch die Sicherheitsbehörden über
den Auslandsaufenthalt kommen. Die Befragung gehe in Ausnahmefällen mit einer
ein- bis zweitägigen Inhaftierung einher. Keiner westlichen Botschaft sei jedoch
bisher ein Fall bekannt geworden, in dem Zurückgeführte darüber hinaus
staatlichen Repressionen ausgesetzt gewesen wären. Auch sei kein Fall bekannt
geworden, in dem Zurückgeführte im Rahmen der Befragung psychisch oder
physisch gefoltert worden seien. Eigenständig zu bewertende Umstände für das
Vorliegen eines nachrangigen nationalen ausländerrechtlichen
Abschiebungsverbotes im Sinne des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG
seien nicht ersichtlich. Gegen die erlassene Abschiebungsandrohung sprechende
Gründe seien ebenfalls nicht erkennbar.
12 Die Beklagte beantragt,
13 das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 7. September 2012 - A 11 K
4543/11 - zu ändern, soweit es der Klage stattgegeben hat, und die Klage in
vollem Umfang abzuweisen.
14 Der Kläger beantragt,
15 die Berufung zurückzuweisen.
16 Er erwidert: Das Verwaltungsgericht habe seinen Vortrag, im Iran Opfer von
Verfolgung und Misshandlung geworden zu sein, für glaubhaft gehalten. Die von
ihm bekundeten Vorverfolgungserlebnisse seien somit Tatsachengrundlage.
Gemäß § 60 Abs.2 AufenthG dürfe ein Ausländer nicht in den Staat abgeschoben
werden, in dem für ihn die „konkrete Gefahr“ besteht, Folter oder unmenschlicher
Behandlung bzw. Bestrafung unterworfen zu werden. In die Erwägungen über die
zu treffende Prognose sei einzustellen, ob bereits Verfolgung und Misshandlung
stattgefunden habe und wie schwer diese Übergriffe gewesen seien. Da er
erhebliche Misshandlungen erlitten habe, sei auch die Prognose gerechtfertigt,
dass diese Gefahren für ihn im Fall seiner Rückkehr in den Iran wiederum
bestünden. Durch den Regierungswechsel habe sich im Iran die Situation für
Rückkehrer nicht grundlegend geändert.
17 Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Akten des
Verwaltungsgerichts und des Bundesamts sowie auf die Schriftsätze der
Beteiligten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
18 Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Der Kläger hat weder
Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2
AufenthG noch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5
und 7 Satz 1 AufenthG. Das Verwaltungsgericht hätte die Klage somit insgesamt
abweisen müssen.
I.
19 Soweit das Verwaltungsgericht die Anträge des Klägers, ihn als Asylberechtigten
anzuerkennen und ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, abgelehnt hat,
ist das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig. Das Berufungsverfahren
beschränkt sich dementsprechend auf die Prüfung des Begehrens des Klägers auf
Zuerkennung von unionsrechtlichem subsidiärem Schutz nach § 60 Abs. 2 Satz 1
AufenthG in Verbindung mit § 4 Abs. 1 AsylVfG, hilfsweise die Feststellung von
nationalem Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG, sowie die
Aufhebung der gegen den Kläger in Ziff. 4 des Bescheids vom 5.12.2011
verfügten Abschiebungsandrohung.
20 Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des klägerischen Begehrens ist das
Asylverfahrensgesetz in seiner Fassung durch das Gesetz zur Umsetzung der
Richtlinie 2011/95/EU vom 28.8.2013 (BGBl I S. 3474) sowie das
Aufenthaltsgesetz in der Fassung des Gesetzes vom 23.12.2014 (BGBl. I S.
2439). Denn nach § 77 Abs. 1 AsylVfG ist in Streitigkeiten nach diesem Gesetz
regelmäßig auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen
Verhandlung oder Entscheidung abzustellen.
II.
21 Der Kläger hat weder Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbots
nach § 60 Abs. 2 AufenthG noch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbots
nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG. Die in Ziff. 4 des Bescheids vom
5.12.2011 verfügte Abschiebungsandrohung ist ebenfalls nicht zu beanstanden.
22 1. Gemäß § 60 Abs. 2 Satz 1 AufenthG in Verbindung mit § 4 Abs. 1 Satz 1
AsylVfG in seiner Fassung durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie
2011/95/EU vom 28.8.2013 hat ein Ausländer Anspruch auf Zuerkennung von
unionsrechtlichem subsidiärem (Abschiebungs-)Schutz, wenn es stichhaltige
Gründe für die Annahme gibt, dass ihm im Falle seiner Abschiebung in sein
Heimatland ein „ernsthafter Schaden“ droht. Als ernsthafter Schaden gilt nach § 4
Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylVfG (u.a.) Folter oder eine unmenschlichen oder
erniedrigende Behandlung oder Bestrafung.
23 a) Nach Ansicht des Verwaltungsgerichts ist diese Frage zu bejahen, da Iraner, die
ihr Heimatland illegal verlassen hätten, bei einer Rückkehr aufgrund der strikten
Kontrollen damit rechnen müssten, am Flughafen verhört und für einige Tage
festgehalten zu werden. Da eine Rückkehr des Klägers in den Iran nur im Wege
der Abschiebung erfolgen werde, werde sich den iranischen Behörden
aufdrängen, dass die Rückkehr auf besondere Umstände zurückzuführen sei. Die
Verhörmethoden im Iran umfassten seelische und körperliche Folter sowie
unmenschliche Behandlung. Es spreche deshalb alles dafür, dass der Kläger im
Falle seiner Abschiebung in den Iran die von ihm bereits in seinem Heimatland
erlittenen Misshandlungen und Festnahmen durch Sicherheitskräfte nicht
verheimlichen könne. Ihm drohe dann erneut eine unmenschliche Behandlung.
Dabei sei auch in Rechnung zu stellen, dass der Iran kein Rechtsstaat sei, die
Behörden willkürlich handelten, Folter bei Verhören, in der Untersuchungshaft und
in regulärer Haft vorkomme, und willkürliche Festnahmen sowie lang andauernde
Haft ohne Anklage oder Urteile festzustellen seien.
24 b) Dem vermag der Senat nicht zu folgen. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts
steht im Widerspruch zu der obergerichtlichen Rechtsprechung, in der einheitlich
angenommen wird, dass weder die Stellung eines Asylantrags noch der
mehrjährige Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland die Annahme
rechtfertigen, iranische Staatsbürger würden mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit
bei einer Rückkehr in den Iran staatlichen Repressionen ausgesetzt sein
(SächsOVG, Urt. v. 14.1.2014 - A 2 A 911/11 - Juris; BayVGH, Beschl. v.
25.2.2013 - 14 ZB 13.30023 - Juris; OVG Niedersachsen, Urt. v. 13.5.2011 - 13 LA
176/10 - Juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 16.6.2011 - 13 A 1188/11.A -
Juris). Dem schließt sich der Senat an.
25 Grundlage dafür ist die seit Jahren unveränderte Einschätzung in den
Lageberichten des Auswärtigen Amts, wonach die Stellung eines Asylantrags im
Ausland für sich allein keine staatlichen Repressionen nach der Rückkehr in den
Iran auslöse. Zwar könne es bei der Rückkehr in Einzelfällen zu einer Befragung
durch die Sicherheitsbehörden über den Auslandsaufenthalt und insbesondere
den Kontakten während dieser Zeit kommen; die Befragung könne in
Ausnahmefällen mit einer ein- bis zweitägigen Inhaftierung einhergehen. Es sei
aber bisher keiner westlichen Botschaft ein Fall bekannt geworden, in dem
Zurückgeführte darüber hinaus staatlichen Repressionen ausgesetzt gewesen
seien. Auch sei kein Fall bekannt, in dem Zurückgeführte im Rahmen der
Befragung psychisch oder physisch gefoltert worden seien. Ferner gebe es derzeit
keine Hinweise auf eine Veränderung dieser Praxis. Schließlich könnten
Personen, die das Land illegal verlassen und sonst keine weiteren Straftaten
begangen haben, von der iranischen Vertretung ein Passersatzpapier bekommen
und in den Iran zurückkehren. Mit dieser „gesetzlichen Wiedereinreise“ werde die
frühere illegale Ausreise legalisiert (Lagebericht vom 24.2.2015, S. 33; ebenso die
älteren Lageberichte vom 11.2.2014, 4.11.2011, 27.2.2011, 28.7.2010, 23.2.2009
und 18.3.2008).
26 Aus den Auskünften der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 16.11.2010 und
18.8.2011 ergibt sich nichts anderes. In der Auskunft vom 18.8.2011 wird zwar von
zwei nach ihrer Abschiebung misshandelten Rückkehrern in den Iran berichtet.
Diese hatten aber im Ausland nicht nur einen Asylantrag gestellt, sondern sich dort
auch regimekritisch politisch betätigt. Für das vom Verwaltungsgericht angeführte
Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 9.3.2010 gilt das
Gleiche. Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in diesem
Urteil eine Rückkehrgefährdung des Beschwerdeführer nicht allein wegen der
Stellung eines Asylantrags, sondern wegen des Zusammentreffens verschiedener
Umstände, insbesondere auch einer individuellen Vorverfolgung des
Beschwerdeführers angenommen (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 23.4.2013 - A
3 S 2022/12 -; Beschl. v. 3.4.2013 - A 3 S 2021/12 -; Beschl. v. 13.3.2013 - A 3 S
103/12 -; Beschl. v. 25.2.2013 - A 3 S 3081/11 -; Beschl. v. 17.9.2013 - A 3 S
2306/12 -).
27 Umstände, die die iranische Sicherheitsbehörden dazu veranlassen könnten, den
Kläger der politischen Oppositionsbewegung zuzurechnen und ihn deshalb bei
einer Rückkehr in den Iran abweichend von dem sonst üblichen Verfahren einer
verschärften Befragung über die näheren Umstände seiner Ausreise und seines
anschließenden Aufenthalts in Deutschland zu unterziehen, sind nicht zu
erkennen. Zwar hat der Kläger bei seiner Befragung durch das Verwaltungsgericht
behauptet, er sei vor seiner Ausreise aus dem Iran zusammen mit einem Freund
nach einer Demonstration von zwei Motorradfahrern angehalten, mit Handschellen
gefesselt und anschließend geschlagen und getreten worden. Der Kläger hat
jedoch zugleich angegeben, er und sein Freund hätten sich mit den Angreifern
nicht auf persisch verständigen können. Dafür, dass der Kläger den iranischen
Sicherheitsbehörden durch diesen Vorfall als möglicher Regimegegner bekannt
geworden ist, kann deshalb nicht ausgegangen werden.
28 Für die beiden anderen vom Kläger bei seiner Befragung durch das
Verwaltungsgericht geschilderten Vorfalle gilt das Gleiche. Dafür, dass die
Festnahme des Klägers und seine anschließende Misshandlung durch die Polizei
einen politischen Hintergrund hatte, kann den Angaben des Klägers nichts
entnommen werden. Als Grund für seine Verhaftung hat der Kläger angegeben,
dass er mit seinem Motorrad unterwegs gewesen sei und bei einer Polizeikontrolle
keinen Führerschein habe vorweisen können. Vorhaltungen wegen seiner
politischen Einstellung wurden ihm nach seinen eigenen Angaben zu keiner Zeit
gemacht. Dies ist nach den Angaben des Klägers auch bei dem weiterem Vorfall
im Sommer 2010, als er in einem Park zusammen mit Freunden von Bassidji
angegriffen und misshandelt worden sei, nicht geschehen. Auch insoweit besteht
daher kein Grund zu der Annahme, dass der Kläger von den iranischen
Sicherheitsbehörden als möglicher Regimegegner registriert worden sein könnte.
29 Das Vorbringen des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat
rechtfertigt keine andere Beurteilung. Der Kläger hat dabei zwar angegeben, sein
Vater habe ihm am Telefon davon berichtet, von der iranischen Polizei nach dem
Aufenthalt seines Sohnes gefragt worden zu sein. Die Frage, welchen Grund die
iranische Polizei haben könnte, sich für den Aufenthaltsort des Klägers zu
interessieren, blieb dabei jedoch unbeantwortet.
30 2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Feststellung von nationalem
Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG. Für die Frage, ob für den
Kläger in seinem Heimatland eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder
Freiheit im Sinne des § 60 Abs. 7 AufenthG besteht, gilt das eben Ausgeführte
entsprechend. Die in Ziff. 4 des Bescheids vom 5.12.2011 verfügte
Abschiebungsandrohung ist ebenfalls nicht zu beanstanden.
31 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO und § 83b AsylVfG.
32 Die in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Voraussetzungen für eine Zulassung der
Revision liegen nicht vor.