Urteil des VGH Baden-Württemberg vom 15.05.2015

ausbildung, universität, geldleistung, verwaltungsakt

VGH Baden-Württemberg Beschluß vom 15.5.2015, 9 S 866/15
Festsetzung des Streitwertes bei einer Klage auf wiederkehrende Leistungen für
einen unbestimmten Zeitraum; hier: Kinderzuschlag
Leitsätze
Die Festsetzung des Streitwertes bei einer Klage auf wiederkehrende Leistungen für
einen unbestimmten Zeitraum (hier: Kinderzuschlag) richtet sich nach § 52 Abs. 1
GKG und nicht nach § 52 Abs. 3 GKG, wobei entsprechend dem Rechtsgedanken
des § 42 Abs. 1 Satz 1 GKG der dreifache Jahresbetrag festzusetzen sein kann.
Tenor
Auf die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Klägerin wird die
Streitwertfestsetzung im Beschluss des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 23.
Februar 2015 - 2 K 1139/12 - geändert.
Der Streitwert für das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht wird auf 7.200,-- EUR
festgesetzt.
Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.
Gründe
1 Über die Beschwerde entscheidet gemäß § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 6 Satz 1
GKG der Senat in der Besetzung mit drei Berufsrichtern.
2 Die statthafte Beschwerde, mit der die Prozessbevollmächtigten der Klägerin aus
eigenem Recht gemäß § 32 Abs. 2 RVG, § 68 Abs. 1 GKG die Heraufsetzung des
vom Verwaltungsgericht auf 3.400,-- EUR festgesetzten Streitwerts auf 11.800.--
EUR begehren, ist zulässig; insbesondere wird die Beschwerdesumme von 200,--
EUR (§ 68 Abs. 1 Satz 1 GKG) überschritten.
3 Die Beschwerde ist teilweise begründet. Der Streitwert für das Verfahren vor dem
Verwaltungsgericht ist auf 7.200,-- EUR festzusetzen.
4 Die Prozessbevollmächtigten der Klägerin meinen, das Verwaltungsgericht habe
die Höhe des Streitwerts zu Unrecht nur auf den Kinderzuschlag während der
Ausbildung des Sohnes der Klägerin an der Universität ... (North-Carolina)
bezogen. Der Streitwert bestimme sich nach dem Antrag zu Beginn des
Verfahrens (§ 40 GKG). Die Klägerin habe zu diesem Zeitpunkt die Gewährung
des Kinderzuschlags für die Dauer des gesamten Studiums ihres Sohnes
unabhängig vom Studienort begehrt. Der Klageantrag vom 23.04.2012 sei
zukunftsoffen gefasst gewesen. Erst das Verwaltungsgericht habe den
Klageantrag umformuliert und auf die Ausbildung in ... beschränkt. Diese
Beschränkung entspreche jedoch nicht dem tatsächlichen Klageziel. Der
Kinderzuschlag werde - wie es die Klägerin von Anfang an begehrt habe - solange
gewährt, wie sich ihr Sohn in Ausbildung befinde, längstens bis zur Vollendung
seines 26. Lebensjahres. Der Bescheid der Beklagten vom Januar 2015, der als
Reaktion auf das im zugrunde liegenden Klageverfahren ergangene Urteil erlassen
worden sei, bewillige rückwirkend eine Nachzahlung in Höhe von 7.189,-- EUR
sowie künftigen Kinderzuschlag ungeachtet dessen, dass die Ausbildung seit
Januar 2013 am ...-College (New York) stattfinde. Der Sohn der Klägerin, der seine
Ausbildung Ende 2017 mit dem Master zu beenden beabsichtige, werde im Juli
2016 26 Jahre alt, so dass bis dahin der Kinderzuschlag zu gewähren sei. Der
Streitwert betrage somit 11.800,-- EUR (59 Monate je 200,-- EUR, gemäß der
Berechnung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin). Auch sei § 52 Abs. 3 Satz
2 GKG anzuwenden, wonach bei offensichtlich absehbaren Auswirkungen des
Antrags auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige
Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte die Höhe des Streitwerts um den
Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger
anzuheben sei.
5 Mit diesen Einwänden können die Prozessbevollmächtigten der Klägerin nur zum
Teil durchdringen. Die zugrunde liegende Klage betraf eine Streitigkeit um die
Bewilligung von laufenden Leistungen für einen noch nicht bestimmten Zeitraum.
Denn zu dem gemäß § 40 GKG für die Wertberechnung maßgebenden Zeitpunkt
der Antragstellung am 23.04.2012 war noch nicht klar, für welchen in die Zukunft
reichenden Zeitraum die Klägerin den mit dem Studium ihres Sohnes verbundenen
Kinderzuschlag würde beanspruchen können. In einem solchen Fall findet § 52
Abs. 3 GKG keine Anwendung, da nicht um „eine bezifferte Geldleistung oder
einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt“ gestritten wird (vgl. BVerwG, Beschluss
vom 29.12.1988 - 4 C 14.88 -, DÖV 1989, 451; VGH Baden-Württemberg,
Beschlüsse vom 13.02.2009 - 2 S 2401/08 -, NVwZ-RR 2009, 622, vom
16.02.2009 - 2 S 1855/07 -, juris, und vom 16.11.2009 - 2 S 2354/08 -, Justiz 2010,
282; Bay. VGH, Beschluss vom 24.10.2006 - 4 C 06.2697 -, juris; Kopp/Schenke,
VwGO, 20. Aufl. 2014, Anh. § 164, Rn. 10). Nach § 52 Abs. 1 GKG ist somit der
Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden
Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Bietet der bisherige Sach-
und Streitstand keine genügenden Anhaltspunkte, um die Bedeutung der Sache
nach dem Klageantrag in einem Geldbetrag auszudrücken, ist der Streitwert
gemäß § 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festzusetzen (sog. Auffangwert).
6 Ausgehend von diesem Maßstab erscheint es hier angemessen, den Streitwert
entsprechend dem Rechtsgedanken von § 42 Abs. 1 Satz 1 GKG (bzw. von § 42
Abs. 2 Satz 1 GKG in der bis zum 31.07.2013 geltenden, insoweit
übereinstimmenden Fassung) pauschalierend auf den geschätzten dreifachen
Jahresbetrag des zugesprochenen Kinderzuschlags festzusetzen (200,-- EUR x
36 Monate = 7.200,-- EUR; vgl. auch Senatsbeschluss vom 06.05.1991 - 9 S
2500/90 -, juris, zur Vorgängerregelung des § 17 Abs. 3 GKG a.F.; Niedersächs.
OVG, Beschluss vom 11.03.2014 - 4 OA 58/14 -, NVwZ-RR 2014, 703; Sächs.
OVG, Beschluss vom 27.09.2012 - 5 A 417/09 -, JurBüro 2013, 141). Eine
Begrenzung des Streitwerts auf den einfachen Jahresbetrag aus sozialen Gründen
ist nicht angezeigt (vgl. zu diesem Gedanken § 52 Abs. 3 Satz 3 Hs. 2 GKG sowie
Nr. 21.1 des Streitwertkatalogs 2013, VBlBW 2014, Sonderbeilage zu Heft 1).
Eines Rückgriffs auf den Auffangwert (vgl. insoweit OVG Hamburg, Beschluss vom
26.03.2003 - 4 So 63/01 -, juris) bedarf es nach Auffassung des Senats nicht (zur
Subsidiarität des § 52 Abs. 2 GKG: Dörndorfer, in:
Binz/Dörndorfer/Petzold/Zimmermann, GKG, 3. Aufl. 2014, § 52 Rn. 6; Hartmann,
Kostengesetze, 44. Aufl. 2014, § 52 GKG Rn. 21). Dass der Sohn der Klägerin
aufgrund des weiteren Geschehensverlaufs nach der Klageerhebung tatsächlich
letztlich weniger als drei Jahre an der Universität ... studiert hat, kann schon
aufgrund der Regelung des § 40 GKG nicht mehr zu einem geminderten Streitwert
führen (vgl. auch VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 23.06.1994 - 2 S
820/94 -, juris). Gleichfalls bedeutungslos ist insofern sein weiteres Studium an
einer anderen Hochschule, wenn dieses auch womöglich eine über drei Jahre
hinausgehende Bewilligung des Kinderzuschlags gebieten mag.
7 Unabhängig davon ist anzumerken, dass allerdings eine Anhebung des Streitwerts
um den Betrag von „offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen“ für die
Klägerin gemäß § 52 Abs. 3 Satz 2 GKG - anders als die Prozessbevollmächtigten
der Klägerin meinen - auch dann nicht in Betracht käme, wenn man entgegen der
hier vertretenen Ansicht auf den dritten Absatz von § 52 GKG abstellen würde.
Dies hat seinen Grund darin, dass § 52 Abs. 3 Satz 2 GKG gemäß Art. 50 des 2.
Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes (BGBl. I S. 2586, 2712) erst zum
01.08.2013 in Kraft getreten ist (vgl. zu dieser Vorschrift Nieders. OVG, Beschluss
vom 16.10.2014 - 9 OA 271/14 -, NVwZ-RR 2015, 238; FG Baden-Württemberg,
Beschluss vom 12.01.2015 - 1 KO 1679/14 -, juris, jeweils m.w.N.; siehe ferner
Vorbem. 2 sowie Nr. 1.6 der Empfehlungen des Streitwertkatalogs 2013), während
§ 71 Abs. 1 Satz 1 GKG als einschlägige Übergangsvorschrift anordnet, dass in
Rechtsstreitigkeiten, die vor dem Inkrafttreten einer Gesetzesänderung anhängig
geworden sind, die Kosten noch nach bisherigem Recht erhoben werden. Für die
bereits am 23.04.2012 erhobene Klage, um die es hier geht, könnte somit allenfalls
§ 52 Abs. 3 GKG in der alten Fassung zum Tragen kommen. Danach war, wenn
der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf gerichteten
Verwaltungsakt betraf, noch allein deren Höhe maßgebend, ohne dass
Auswirkungen des Antrags auf künftige Geldleistungen berücksichtigt werden
konnten.
8 Soweit die Prozessbevollmächtigten der Klägerin geltend machen, die vom
Verwaltungsgericht in das Urteil aufgenommene Antragsfassung gebe ihr wahres
Begehren nur verkürzt wieder, ist dieses Vorbringen schon deshalb ohne
Bedeutung, weil der Streitwert von 7.200,-- EUR unabhängig davon angemessen
ist, ob man die im Urteil enthaltene Antragsfassung zugrunde legt oder die
nunmehr von den Prozessbevollmächtigten der Klägerin für maßgeblich erachtete.
Hinzu kommt, dass die Klägerin das Urteil hingenommen und wegen des
vermeintlich falsch ausgelegten Klageantrags keinen Rechtsbehelf eingelegt hat
(vgl. dazu etwa BVerwG, Urteil vom 03.07.1992 - 8 C 72.90 -, NVwZ 1993, 62).
Schließlich dürfte die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Auslegung des
Klagebegehrens (§ 88 VwGO) mit ihrer zeitlichen und studienortbezogenen
Eingrenzung aber auch sachdienlich gewesen sein. Die Klägerin hat bereits in
ihrer Klageschrift vom 23.04.2012 wie auch in ihrem weiteren Vorbringen
zumindest sinngemäß auf den Zeitraum ab dem 01.01.2012 (Beginn des Bezuges
von vorgezogenem Altersruhegeld) sowie auf das Studium ihres Sohnes an der
Universität ... Bezug genommen. Allein diesen Sachverhalt hatte insbesondere der
Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 22.03.2012 zum Gegenstand, auf den
die Klageschrift zur Bestimmung des maßgeblichen Sachverhaltes ausdrücklich
verweist.
9 Schließlich wird darauf hingewiesen, dass entgegen der Annahme der
Prozessbevollmächtigten der Klägerin und des Verwaltungsgerichts selbst bei
einer nicht an den obigen Grundsätzen orientierten Streitwertfestsetzung jedenfalls
die Studienzeit des Sohnes der Klägerin vom August bis zum Dezember 2011
keinen Eingang in die Streitwertberechnung finden könnte, weil sich die Klage bei
keiner möglichen Betrachtungsweise auf diesen Zeitraum bezog.
10 Eine Kostenentscheidung ist entbehrlich, da das Verfahren über die Beschwerde
gebührenfrei ist und Kosten nicht erstattet werden (vgl. § 68 Abs. 3 GKG).
11 Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3
GKG).