Urteil des VGH Baden-Württemberg vom 09.02.2015

ratio legis, internet, psychiatrie, zitat

VGH Baden-Württemberg Beschluß vom 9.2.2015, 9 S 327/14
Grundanforderungen des selbständigen wissenschaftlichen Arbeitens
Leitsätze
Es gehört zu den Grundanforderungen des selbständigen wissenschaftlichen
Arbeitens, dass alle verwendeten Quellen und Hilfsmittel der Arbeit offen gelegt
werden müssen (vgl. Senatsurteil vom 19.04.2000 - 9 S 2435/99 -, juris;
Senatsbeschluss vom 13.10.2008 - 9 S 494/08 -, NVwZ-RR 2009, 285, m.w.N.). Diese
Grundanforderungen gelten auch für Diplomarbeiten.
Tenor
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des
Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 7. November 2013 - 8 K 2286/11 - wird
abgelehnt.
Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert des Zulassungsverfahrens wird auf 15.000,-- EUR festgesetzt.
Gründe
1 Der zulässige Antrag auf Zulassung der Berufung ist nicht begründet. Aus den von
der Klägerin in der fristgemäßen Antragsbegründung genannten - und somit nach
§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO allein maßgeblichen - Gründen ist die Berufung nicht
wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO)
oder wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3
VwGO) zuzulassen.
2 1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit einer verwaltungsgerichtlichen
Entscheidung sind gegeben, wenn ein tragender Rechtssatz oder eine erhebliche
Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt worden
ist (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 -,
BVerfGE 110, 77, 83; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom
20.12.2010 - 1 BvR 2011/10 -, NVwZ 2011, 546; Senatsbeschluss vom
20.05.2010 - 9 S 2530/09 -, VBlBW 2010, 480). An diesem Maßstab gemessen
zeigt die Antragsschrift ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen
Urteils nicht auf.
3 Das Verwaltungsgericht hat entschieden, die Klägerin habe keinen Anspruch auf
eine Neubewertung oder auf eine nochmalige Wiederholung ihrer Diplomarbeit.
Das daraus folgende Nichtbestehen der Diplomprüfung sowie die Exmatrikulation
seien aus Rechtsgründen ebenfalls nicht zu beanstanden. Eine (bessere)
Benotung, die zu einem Bestehen der Prüfungsleistung Diplomarbeit und damit der
Diplomprüfung insgesamt führen könnte, sei schon aus Rechtsgründen nicht
möglich. Denn nach § 12 Abs. 4 Satz 1 der einschlägigen Studien- und
Prüfungsordnung der beklagten Hochschule (vom 30.07.1999, zuletzt geändert am
03.04.2002, StuPO) sei eine Prüfungsleistung mit der Note „nicht ausreichend“
(5,0) zu bewerten, wenn jemand versuche, das Ergebnis seiner
Prüfungsleistungen durch Täuschung oder Benutzung nicht zugelassener
Hilfsmittel zu beeinflussen. Bei der Bewertung, ob eine Täuschung durch ein
Plagiat vorliege, bestehe kein prüfungsspezifischer Beurteilungsspielraum. Es
handele sich vielmehr um eine gebundene Entscheidung, die vom Gericht bei
Vorliegen entsprechender Verdachtsmomente in vollem Umfang zu überprüfen ist.
Für die Beurteilung, ob ein Verstoß gegen die Anforderungen wissenschaftlichen
Arbeitens vorliege, komme es auch nicht darauf an, ob die Arbeit ohne die als
Plagiat beanstandeten Stellen - hypothetisch - noch eine ausreichende Leistung
darstellen würde oder nicht. Die Voraussetzungen des § 12 Abs. 4 Satz 1 StuPO
seien im vorliegenden Fall erfüllt. Die Diplomarbeit der Klägerin müsste sogar mit
der Note 5,0 („nicht ausreichend") bewertet werden. Die Durchsicht der Arbeit und
der von der Beklagten angeführten Quellentexte habe ergeben, dass an
zahlreichen Stellen - und in noch größerem Umfang als von der beklagten
Hochschule zunächst beanstandet - Passagen aus Werken anderer Autoren im
Wortlaut bzw. mit geringfügigen Umformulierungen oder unwesentlich geänderten
Fallbeispielen übernommen worden seien, ohne dies entsprechend zu
kennzeichnen. Noch gravierender sei, dass die Klägerin diverse Textpassagen als
authentische Patientenberichte aus Therapiedokumentationen aus ihrer täglichen
Arbeit auf der Akutstation im Zentrum für Psychiatrie dargestellt habe, obwohl es
sich tatsächlich um Texte aus dem Internet handele, deren Authentizität in keiner
Weise gesichert sei.
4 Dem hält die Klägerin entgegen, begriffsnotwendig setze eine Täuschung eine
Handlung voraus, die einen Erklärungswert hinsichtlich Tatsachen besitze, die
durch Einwirken auf die Vorstellung einer anderen natürlichen Person bei dieser zu
einem Irrtum führen könne. Ob von einer (objektiven) Täuschungshandlung schon
allein deswegen gesprochen werden könne, weil sie teilweise Quellen nicht offen
gelegt habe, erscheine fraglich und auch mit Blick auf die ratio legis des § 12 Abs.
4 Satz 1 StuPO nicht gerechtfertigt. Jedenfalls aber werde ihr (in subjektiver
Hinsicht) kein Täuschungsvorsatz hinsichtlich der Selbständigkeit der erbrachten
wissenschaftlichen Leistung - wie es das Verwaltungsgericht inzidenter
angenommen habe - unterstellt werden können. Damit dringt die Klägerin nicht
durch.
5 Nach den vom Verwaltungsgericht getroffenen Feststellungen hat die Klägerin an
zahlreichen Stellen Text aus anderen Quellen im Wortlaut bzw. nur mit
geringfügigen Änderungen und Auslassungen in ihre Diplomarbeit übernommen
und dies teilweise gar nicht, teilweise nur unzureichend als Zitat gekennzeichnet.
Darüber hinaus hat sie in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass sie
verschiedene Textpassagen als authentische Patientenberichte aus
Therapiedokumentationen aus ihrer täglichen Arbeit auf der Akutstation im
Zentrum für Psychiatrie Südwürttemberg dargestellt hat, obwohl sie diese Texte
tatsächlich aus dem Internet übernommen hat. Daraus hat das Verwaltungsgericht
gefolgert, die Quellenangaben in den Fußnoten stellten sich als falsch und als
Täuschung über die Herkunft der Patientenberichte dar. Denn die Klägerin führe in
der Einleitung zu ihrer Diplomarbeit auf S. 2 oben explizit aus, dass „die des
Öfteren in dieser Arbeit aufgeführten Exkurse, welche aus der
Therapiedokumentation meiner beruflichen Tätigkeit auf der Akutstation mit dem
Schwerpunkt Persönlichkeitsstörungen und Krisen stammen, […] als eine
Veranschaulichung für den Leser dienen [sollen].“ Damit nehme die Klägerin für
sich in Anspruch, dass es sich um Schilderungen von echten Patienten aus ihrer
beruflichen Praxis im ZfP handle. Wenn sie dann aber stattdessen Fallbeispiele
aus Internet-Foren übernehme, deren Echtheit gar nicht gesichert sei, und diese
als solche aus ihrer beruflichen Praxis ausgebe, liege darin sogar eine doppelte
Täuschung: sowohl über die Herkunft der Patientenangaben aus dem ZfP als auch
darüber, dass die Angaben aus ihrer beruflichen Praxis stammten. Dies wird durch
das Antragsvorbringen nicht erschüttert, das auch nichts dafür ergibt, dass die
Täuschung ohne Täuschungsvorsatz erfolgt wäre. Die Klägerin lässt auch außer
Betracht, dass bei der Abgabe der Diplomarbeit nach § 27 Abs. 1 Satz 2 StuPO zu
versichern ist, dass die Arbeit selbständig verfasst und keine anderen als die
angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt wurden. Dass sie dagegen - objektiv
und subjektiv vorwerfbar - verstoßen hat, liegt auf der Hand. Auch die detailliert
begründeten Feststellungen des Verwaltungsgerichts, dass sie an zahlreichen
Stellen ihrer Arbeit Text aus anderen Quellen im Wortlaut bzw. nur mit
geringfügigen Änderungen und Auslassungen übernommen und dies nicht
(hinreichend) kenntlich gemacht hat, vermag die Klägerin nicht in Zweifel zu
ziehen.
6 Entgegen ihrer Auffassung hat das Verwaltungsgericht in Bezug auf die
wissenschaftlichen Anforderungen der Diplomarbeit auch keinen überhöhten
Maßstab angelegt.
7 Nach § 26 Abs. 1 Satz 2 StuPO soll die Diplomarbeit zeigen, dass innerhalb einer
vorgegebenen Frist ein Problem aus dem Fach selbständig nach
wissenschaftlichen Methoden bearbeitet werden kann. Wie das
Verwaltungsgericht zutreffend entschieden hat, gehört zu den damit auch für die
Diplomarbeit geltenden Grundanforderungen des selbständigen
wissenschaftlichen Arbeitens, dass alle verwendeten Quellen und Hilfsmittel der
Arbeit offen gelegt werden müssen (vgl. nur Senatsurteil vom 19.04.2000 - 9 S
2435/99 -, juris; Senatsbeschluss vom 13.10.2008 - 9 S 494/08 -, NVwZ-RR 2009,
285, m.w.N.). Die wörtliche oder sinngemäße Übernahme von
zusammenhängenden Textpassagen aus fremden Werken ohne (ausreichendes)
Zitat verstößt gegen grundlegende Maßstäbe des wissenschaftlichen Arbeitens
und beinhaltet eine Täuschung über die Selbständigkeit der erbrachten
wissenschaftlichen Leistung, insbesondere wenn die Übernahme fremden
Gedankengutes nicht nur vereinzelt, sondern systematisch und planmäßig erfolgt,
etwa wenn sich solche Plagiate an mehreren Stellen der Arbeit finden und
Passagen von verschiedenen Fremdautoren betreffen (vgl. Senatsbeschluss vom
13.10.2008, a.a.O.). Dabei lässt die wörtliche Wiederholung von Vorlagentexten
einschließlich ihrer sprachlichen Eigentümlichkeiten jedenfalls den Schluss zu,
dass diese Passagen unmittelbar abgeschrieben wurden. Das gilt auch dann,
wenn kleinere Änderungen - etwa in Form von Umgruppierungen wiederum fast
wörtlich übernommener Passagen - vorgenommen werden. Denn auch insoweit ist
die Gedankenführung nicht eigenständig entwickelt und es wird darüber getäuscht,
dass die wissenschaftliche Leistung tatsächlich von einem Anderen und nicht vom
Autor selbst stammt (Senatsbeschluss vom 13.10.2008, a.a.O.). Dass die
angeführten Senatsentscheidungen Verfahren wegen Entziehung eines
Doktorgrades betreffen, rechtfertigt keine andere Bewertung. Die dargestellten
Grundanforderungen sind auch bei der hier streitigen Diplomarbeit zu erfüllen, weil
sie die Befähigung zum selbständigen wissenschaftlichen Arbeiten betreffen, die
hier wie dort nachgewiesen werden muss. Dass die Anforderungen an eine
Dissertation noch darüber hinausgehen, ändert daran ebenso wenig etwas wie der
Umstand, dass die Prüfer im Rahmen ihrer Bewertung die Diplomarbeit mehrfach
als Bachelor-Arbeit bezeichnet haben.
8 Die Frage, ob die Bewertung der Diplomarbeit durch den Erst- und Zweitprüfer
auch im Übrigen aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden ist, die das
Verwaltungsgericht ergänzend behandelt hat, bedarf danach keiner Entscheidung;
die angeführten und von der Klägerin nicht erschütterten Gründe tragen die
angefochtene Entscheidung selbständig.
9 2. Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache zu, wenn es für ihre
Entscheidung maßgebend auf eine konkrete, über den Einzelfall hinausgehende
Rechts- oder Tatsachenfrage ankommt, deren Klärung im Interesse der Einheit
oder der Fortbildung des Rechts geboten erscheint (vgl. BVerfG, Beschluss der 2.
Kammer des Ersten Senats vom 24.01.2007 - 1 BvR 382/05 -, Juris Rn. 25). Die
nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO gebotene Darlegung dieser Voraussetzungen
verlangt, dass unter Durchdringung des Streitstoffes eine klärungsbedürftige
konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage aufgezeigt wird, die für die Entscheidung
des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war und die auch für die Entscheidung im
Berufungsverfahren erheblich sein wird, und dass ein Hinweis auf den Grund
gegeben wird, der ihre Anerkennung als grundsätzlich bedeutsam rechtfertigen soll
(vgl. BVerwG, Beschluss vom 10.11.2011 - 5 B 29.11 -, juris, zum
Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Diesen Anforderungen
entspricht der Antrag nicht.
10 Zu der von der Klägerin sinngemäß aufgeworfenen Frage, ob der Maßstab für ein
selbständiges wissenschaftliches Arbeiten im Rahmen der Fertigung einer
Diplomarbeit im Wesentlichen mit den wissenschaftlichen Anforderungen an eine
Dissertation gleichzustellen sei, trägt sie selbst vor, dass diese Rechtsfrage
möglicherweise nur im Einzelfall entschieden werden könne. Abgesehen davon ist
die Frage im oben unter 1. dargestellten Sinn zu beantworten, ohne dass weiterer
Klärungsbedarf aufgezeigt wäre.
11 Soweit die Klägerin die Zulässigkeit von EDV-gestützten Arbeitshilfen für die
Wertung von Diplomarbeiten anzweifelt und hierin eine grundsätzliche Bedeutung
der Rechtssache sieht, fehlt es schon an der Klärungsbedürftigkeit. Das
Verwaltungsgericht hat ausgeführt, das Softwareprogramm Docol©c sei von der
Beklagten nur als „Tippgeber“ eingesetzt worden, und die seinerzeit ausgeworfene
Übereinstimmungsquote sei von ihr nicht als Nachweis für Plagiate angesehen
worden, sondern habe lediglich Anlass zu einer individuellen Überprüfung der
mutmaßlichen Textübereinstimmungen gegeben, die der Erstprüfer nach seinen
Angaben selbst vorgenommen habe. Die Kammer habe ihre Überzeugung auch
nicht anhand der ausgeworfenen Trefferquote der Softwareprogramms Docol©c
gebildet, sondern habe selbst die fraglichen Textstellen der Diplomarbeit mit der
darin zitierten Literatur einerseits und den von der Beklagten schriftsätzlich
mitgeteilten mutmaßlichen Internetfundstellen andererseits abgeglichen. Das
Ergebnis des Abgleichs sei in der mündlichen Verhandlung mit den Beteiligten
erörtert worden. Vor diesem Hintergrund ist die Frage der Zulässigkeit von EDV-
gestützten Arbeitshilfen für die Wertung von Diplomarbeiten nicht
entscheidungserheblich und wäre in einem Berufungsverfahren nicht zu klären.
Ebenso wenig ist es danach auch zu beanstanden, dass die Kammer dem in der
mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag der Klägerin nicht
nachgekommen ist.
12 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die
Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1 GKG.
13 Der Beschluss ist unanfechtbar (vgl. § 152 Abs. 1 VwGO sowie § 68 Abs. 1 Satz 5
i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG hinsichtlich der Streitwertfestsetzung).