Urteil des VGH Baden-Württemberg vom 17.03.2015

aufschiebende wirkung, härte, einfamilienhaus, befreiung

VGH Baden-Württemberg Beschluß vom 17.3.2015, 8 S 2470/14
Unbeabsichtigte Härte bei Einschränkungen der baulichen Nutzung durch
Abstandsflächenvorschriften; Härte aufgrund Grundstückszuschnitts
Leitsätze
1. Einschränkungen der baulichen Nutzung, die mit der Einhaltung der bauordnungsrechtlichen
Abstandsflächenvorschriften einhergehen, sind zur Erreichung der mit diesen Vorschriften verfolgten
Zielsetzungen und Schutzzwecke im Regelfall beabsichtigt und begründen daher keine offenbar
unbeabsichtigte Härte i. S. des § 56 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 LBO.
2. Kann ein Grundstück bei Einhaltung der Abstandsflächenvorschriften zwar sinnvoll bebaut, wegen
seines Zuschnitts oder geringer Größe aber nicht vergleichbar intensiv wie andere Grundstücke in
der Umgebung baulich genutzt werden, liegt darin eine vom Gesetzgeber in Kauf genommene Härte.
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 1.
Dezember 2014 - 2 K 3794/14 - geändert. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der
Antragstellerin gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung der Antragsgegnerin vom 7.
August 2014 wird angeordnet, soweit diese die Errichtung eines Einfamilienhauses auf dem Flurstück
1266/1 der Gemarkung O.-R. genehmigt.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen, ausgenommen die
außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Streitwert für das Verfahren in beiden Rechtszügen wird unter Änderung der Streitwertfestsetzung
des Verwaltungsgerichts von Amts wegen auf jeweils 10.000,-- Euro festgesetzt.
Gründe
I.
1 Die Antragstellerin ist Eigentümerin des Grundstücks Flst. Nr. 1268 (Nachbargrundstück) an der
H-Straße, das mit einem zweigeschossigen Wohnhaus mit Satteldach bebaut ist. Zur Seite und
nach hinten grenzt das winkelförmige, entlang der H-Straße ca. 10 breite und bis zu ca. 43 m tiefe
unbebaute Grundstück Flst.Nr. 1266/1 (Baugrundstück) an. Auf dieses folgt weiter rückwärtig das
an der K-Straße gelegene Grundstück Flst. Nr. 1265/1. Ein Bebauungsplan existiert nicht.
2 Die Antragsgegnerin erteilte der Beigeladenen am 07.08.2014 eine Baugenehmigung zur
Errichtung eines unterkellerten zweigeschossigen Einfamilienhauses mit einem dritten Flachdach-
Staffelgeschoss sowie von zwei Carports auf dem Baugrundstück sowie zur Errichtung eines
Mehrfamilienhauses mit Tiefgarage auf dem Flst. Nr. 1265/1 und auf einer Teilfläche des
Baugrundstücks. Gegenstand des Rechtsstreits ist nur die Baugenehmigung für das
Einfamilienhaus. Dieses soll auf 66 m2 Grundfläche mit insgesamt 167,62 m2 Wohnflächen
errichtet werden, davon 36,21 m2 im Staffelgeschoss. Die Außenwände des Staffelgeschosses
sollen zur Straße und nach hinten jeweils von den Außenkanten des zweiten Geschosses
zurückversetzt sein. Die zum Nachbargrundstück gelegene seitliche Außenwand des
Einfamilienhauses ist nach den genehmigten Bauzeichnungen bis zur Oberkante des zweiten
Geschosses 6,23 m und bis zur Oberkante des Staffelgeschosses 8,35 m hoch. Die davor auf
dem Baugrundstück gelegene Fläche ist 2,50 m tief.
3 Die Baugenehmigung enthält "bezüglich Grenzabstand Einfamilienhaus" eine Befreiung gemäß §
56 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 LBO. Zur Begründung heißt es, würde statt des Staffelgeschosses ein bis
zu 45°-geneigtes Satteldach mit Giebel zum Nachbargrundstück errichtet, betrüge die Tiefe der
Abstandsfläche nur 2,50 m, da die Giebelfläche nach § 5 Abs. 5 Nr. 2 LBO nicht auf die
Wandhöhe anzurechnen sei. Im Vergleich dazu sei die Außenwand des Staffelgeschosses für
das Nachbargrundstück günstiger, weil sie wegen ihrer zurückgesetzten seitlichen Kanten die
hypothetische 45°-Linie eines Satteldachs nirgends überschreite; nachbarliche Belange würden
dadurch sogar weniger beeinträchtigt. Die Antragstellerin erhob am 18.08.2014 Widerspruch
gegen die Baugenehmigung für das Einfamilienhaus, über den noch nicht entschieden ist. Mit
Beschluss vom 01.12.2014 hat das Verwaltungsgericht ihren Antrag, die aufschiebende Wirkung
ihres Widerspruchs anzuordnen, abgelehnt. Der Widerspruch werde voraussichtlich erfolglos
bleiben, da die Baugenehmigung keine Rechte der Antragstellerin verletze und insbesondere
nicht gegen Vorschriften über Abstandsflächen verstoße. Das Bauvorhaben halte zwar die nach §
5 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 LBO zum Nachbargrundstück erforderliche Tiefe der Abstandsfläche von
3,46 m nicht ein. Die Antragsgegnerin habe aber gemäß § 56 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 LBO rechtmäßig
eine Befreiung erteilt. Die danach erforderliche offenbar nicht beabsichtigte Härte liege darin, dass
eine sinnvolle Bebauung des atypisch zugeschnittenen Baugrundstücks ein einigermaßen
großzügig gestaltetes Dachgeschoß ohne schräge Wände erfordere, d.h. eine maximale und
angenehme Raumausnutzung. Dagegen richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin, zu deren
Begründung sie u.a. darlegt, das Baugrundstück könne ohne Weiteres mit einem kleineren
zweigeschossigen Gebäude bebaut werden; auch wäre es möglich, das dritte Staffelgeschoss
einen Meter zurückzusetzen. Die Antragsgegnerin entgegnet u.a., die unbeabsichtigte Härte liege
darin, dass dem Eigentümer des Baugrundstücks beim Verzicht auf das dritte Staffelgeschoss ein
besonderes Opfer auferlegt würde. Denn das Baugrundstück wäre dann nicht im Rahmen der
Umgebungsbebauung, die eine dreigeschossige Bebauung zulasse, bebaubar. Die Beigeladene
hat sich zur Beschwerde nicht geäußert.
4 Wegen der Einzelheiten wird auf die dem Senat vorliegenden Bauakten der Antragsgegnerin und
auf die Gerichtsakten verwiesen.
II.
5 1. Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere frist- und formgerecht eingelegt (§§ 146, 147
VwGO). Sie ist auch begründet. Die Beschwerdebegründung, auf deren Prüfung der Senat nach §
146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, gibt Anlass zur Änderung des angefochtenen
Beschlusses. Die Antragstellerin rügt insoweit hinreichend substantiiert (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 3
VwGO) und im Ergebnis zu Recht die Richtigkeit der den angefochtenen Beschluss tragenden
Auffassung, die Baugenehmigung vom 07.08.2014, soweit diese die Errichtung des
Einfamilienhauses genehmigt, verletze trotz Unterschreitung der nach § 5 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 LBO
gebotenen Abstandsflächentiefe voraussichtlich keine (Nachbar-)Rechte der Antragstellerin, weil
die nach § 56 Abs. 5 Nr. 2 LBO erteilte Befreiung rechtmäßig sei. Denn diese - wegen
Unterschreitung der nach § 5 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 LBO gebotenen Tiefe der Abstandsfläche (a))
erteilte - Befreiung dürfte, wie die Beschwerdebegründung zutreffend darlegt, schon deshalb
rechtswidrig sein, weil es an der nach § 56 Abs. 5 Nr. 2 LBO erforderlichen unbeabsichtigten Härte
fehlt (b)). Da nach Aktenlage derzeit auch nichts dafür spricht, das eine geringere Tiefe der
Abstandsfläche nach § 6 Abs. 3 Satz 1 LBO zuzulassen ist (c)), dürfte die Baugenehmigung für
das Einfamilienhaus gegen die Vorschrift des § 5 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 und Abs. 7
Satz 1 Nr. 1 LBO verstoßen, welche auch die Antragstellerin als Eigentümerin des angrenzenden
Nachbargrundstücks schützt. Der Widerspruch der Antragstellerin hat daher wahrscheinlich schon
deshalb Erfolg, so dass das Aufschubinteresse der Antragstellerin (§ 80 Abs. 1 VwGO) das
gesetzlich angeordnete Interesse am Sofortvollzug der Baugenehmigung (§ 212 a BauGB)
überwiegt. Ob die Baugenehmigung darüber hinaus auch aus den in der Beschwerdebegründung
dargelegten Gründen zu Lasten des Nachbargrundstücks der Antragstellerin gegen das - im
Tatbestandsmerkmal des "Einfügens" aufgehende - Gebot der Rücksichtnahme nach § 34 Abs. 1
Satz 1 BauGB verstößt, kann folglich offen bleiben.
6 a) Die Tiefe der Abstandsfläche beträgt allgemein 0,4 der Wandhöhe (§ 5 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 und
Abs. 4 LBO). Sie darf jedoch 2,5 m, bei Wänden bis 5 m Breite 2 m nicht unterschreiten (§ 5 Abs. 7
Satz 2 LBO). Die zum Nachbargrundstück der Antragstellerin weisende seitliche Außenwand des
Einfamilienhauses ist nach der Baugenehmigung 8,35 m hoch. Die vom Verwaltungsgericht
zugrunde gelegte Wandhöhe von 8,65 m ergibt sich zwar aus den mit dem Bauantrag
eingereichten Bauzeichnungen vom 07.04.2014. Diese wurden jedoch nachträglich geändert, u.a.
durch Verringerung der Wandhöhe des Staffelgeschosses um 0,3 m (vgl. die Blau-Einträge vom
24.07.2014 in den genehmigten Bauzeichnungen, insbesondere in der "Ansicht OST"). Danach
müsste vor der betreffenden Außenwand eine 3,34 m (0,4 x 8,35 m) tiefe Abstandsfläche auf dem
Baugrundstück (vgl. § 5 Abs. 2 Satz 1 LBO) liegen. Das ist nicht der Fall. Die genehmigte
Abstandsfläche ist nur 2,5 m tief.
7 b) Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Befreiung von der Vorschrift des § 5 Abs. 7 Satz 1
Nr. 1 LBO nach § 56 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 LBO - ein Fall des § 56 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 LBO liegt
offenkundig nicht vor - dürften nicht erfüllt sein.
8 Danach kann von den Vorschriften in den §§ 4 bis 39 LBO Befreiung erteilt werden, wenn die
Einhaltung der Vorschrift im Einzelfall zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde
und die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen
Belangen vereinbar ist. Hier dürfte es bereits daran fehlen, dass die Einhaltung des § 5 Abs. 7
Satz 1 Nr. 1 LBO zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde. Ob eine Abweichung
auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar wäre,
kann folglich offen bleiben.
9 Eine Härte i. S. des § 56 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 LBO bewirkt eine Bauvorschrift nur, wenn ihre
Anwendung nachhaltig in die Rechte des Betroffenen eingreift und ihm dadurch ein erhebliches,
über die jedermann treffenden allgemeinen Auswirkungen hinausgehendes Opfer abverlangt;
erfasst sind atypische Umstände, bei deren Vorliegen die gesetzliche Regelanordnung zu
fragwürdigen Ergebnissen führen würde. Offenbar nicht beabsichtigt ist eine solche Härte, wenn
das Grundstück bei Einhaltung der baurechtlichen Vorschrift nicht oder nur schwer bebaut werden
kann und diese Beschränkung nicht durch die Zielsetzungen oder die Schutzzwecke der
Vorschrift gefordert wird, wenn also ihre schematische Anwendung zu Ungerechtigkeiten führte,
namentlich ein ganz unbilliges Ergebnis zur Folge hätte (Senatsbeschluss vom 04.04.2013 - 8 S
304/13 - VBlBW 2013, 305; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 03.08.2011 - 3 S 1371/10 - BRS
78, 141). Einschränkungen der baulichen Nutzung, die mit der Einhaltung der
bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenvorschriften einhergehen, sind zur Erreichung der mit
dieser Vorschrift verfolgten Zielsetzungen und Schutzzwecke im Regelfall beabsichtigt und
begründen daher keine offenbar unbeabsichtigte Härte i. S. des § 56 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 LBO.
Denn für Sonderfälle ermöglicht bereits § 6 LBO Abweichungen von diesen Vorschriften. Kann ein
Grundstück bei Einhaltung der Abstandsflächenvorschriften zwar sinnvoll bebaut, wegen seines
Zuschnitts oder geringer Größe aber nicht vergleichbar intensiv wie andere Grundstücke in der
Umgebung baulich genutzt werden, liegt darin eine vom Gesetzgeber in Kauf genommene Härte
(vgl. auch OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 01.08.1994 - 7 B 1626/94 - juris
Leitsatz>).
Leitsatz>).
10 Gemessen daran dürfte die Einhaltung des § 5 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 LBO beim Bauvorhaben der
Beigeladenen nicht zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen. Das Baugrundstück wäre
auch bei Einhaltung dieser Vorschrift mit einem zweigeschossigen - unterkellerten -
Einfamilienhaus mit Flachdach sinnvoll bebaubar. Wegen der atypisch geringen Breite des
Baugrundstücks schließt die Anwendung dieser Vorschrift zwar wohl ein intensiveres Maß der
baulichen Nutzung gerade durch ein drittes - zum Wohnen sinnvoll nutzbares - Staffelgeschoss
aus. Es ist aber nichts dafür erkennbar, dass damit ein nachhaltiger Eingriff in die Rechte der
Beigeladenen bzw. des Eigentümers des Baugrundstücks einhergeht, der ein erhebliches, über
die jedermann treffenden allgemeinen Auswirkungen dieser Vorschrift hinausgehendes Opfer
abverlangt. Das gilt namentlich für den Verzicht auf die im Staffelgeschoss genehmigten 36,21 m2
Wohnflächen bei verbleibenden 131,41 m2 Wohnflächen in den übrigen Geschossen. Abgesehen
davon wären zusätzliche und sinnvoll nutzbare Wohnflächen wohl auch durch eine maßvolle
Erweiterung der Grundfläche in den rückwärtigen Grundstücksteil zu erreichen, die sich in den
Rahmen der überbaubaren Flächen, wie er sich aus der Umgebungsbebauung i. S. des § 34 Abs.
1 Satz 1 BauGB ergibt - soweit dieser nach Aktenlage erkennbar ist -, einfügen dürfte. Sofern dies
allein wegen der Errichtung des Mehrfamilienhauses auf der rückwärtigen Teilfläche des
Baugrundstücks und der dort deshalb beabsichtigten Grundstücksteilung nicht mehr möglich sein
sollte, läge darin keine durch die Einhaltung des § 5 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 LBO bewirkte Härte. Denn
diese Umstände haben die Beigeladene bzw. der Eigentümer des Baugrundstücks selbst zu
verantworten. Bei dieser Ausgangslage liegt nach dem oben Gesagten eine offenbar
unbeabsichtigte Härte entgegen dem Vorbringen der Antragsgegnerin auch nicht darin, dass das
Baugrundstück beim Verzicht auf das Staffelgeschoss nicht maximal im Rahmen der
Umgebungsbebauung (§ 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB) dreigeschossig bebaubar wäre. Anhaltspunkte
dafür, dass der nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB maßgebende Rahmen der Umgebungsbebauung
zu einer - mindestens - dreigeschossigen Bebauung zwingt, sich also ein zweigeschossiges
Einfamilienhaus nicht in die Eigenart der näheren Umgebung einfügen würde, legt die
Antragsgegnerin nicht dar. Solche sind nach Aktenlage auch sonst nicht ersichtlich. Schließlich ist
auch nichts dafür erkennbar, dass das Baugrundstück bei einem Verzicht auf das Staffelgeschoss
aus sonstigen rechtlichen Gründen nicht mehr sinnvoll bebaubar sein könnte.
11 c) Ein - auch im vorläufigen Rechtsschutzverfahren des Nachbarn zu berücksichtigender (vgl.
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.01.1999 - 5 S 2971/98 - VBlBW 1999, 347, juris Rn.
5) - Sonderfall nach § 6 Abs. 3 Satz 1 LBO, in dem eine geringere Tiefe der Abstandsfläche
zuzulassen ist, dürfte ebenfalls nicht vorliegen. Für einen Sonderfall nach Nr. 1 oder Nr. 3 dieser
Vorschrift ist von vornherein nichts ersichtlich. Ein Sonderfall nach Nr. 2 erscheint nach Aktenlage
ebenfalls nicht gegeben. Denn danach ist davon auszugehen, dass die Unterschreitung der nach
§ 5 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 LBO gebotenen Abstandsflächentiefe die nachbarlichen Belange der
Antragstellerin i. S. dieser Vorschrift erheblich beeinträchtigt.
12 Nach der Rechtsprechung aller mit Baurechtssachen befassten Senate des erkennenden
Gerichtshofs zur gleichlautenden Vorschrift des § 6 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 LBO a.F. ist von der
normativen Wertung auszugehen, dass eine erhebliche Beeinträchtigung nachbarlicher Belange
regelmäßig vorliegt, wenn der nachbarschützende Teil der Abstandsflächentiefe i. S. des § 5 Abs.
7 Satz 3 LBO a.F. unterschritten wird, gleichgültig, ob die Unterschreitung gravierend oder
geringfügig ist. Nachbarliche Belange sind in einem solchen Fall nur dann nicht erheblich
beeinträchtigt, wenn die vorhandene Situation in Bezug auf das Nachbargrundstück durch
bauordnungsrechtlich relevante Besonderheiten gekennzeichnet ist, die das Interesse des
Nachbarn an der Einhaltung des nachbarschützenden Teils der Abstandstiefe deutlich mindern
oder als weniger schutzwürdig erscheinen lassen. Solche Besonderheiten können sich aus den
tatsächlichen Verhältnissen auf dem Nachbargrundstück oder aus seiner rechtlichen Beziehung
zum Baugrundstück ergeben (Senatsbeschluss vom 14.01.2010 - 8 S 1977/09 - NVwZ-RR 2010,
387, juris Rn. 9 m.w.N.), möglicherweise aber auch daraus, dass sich den
Abstandsflächenvorschriften selbst eine andere Wertung des Gesetzgebers entnehmen lässt (vgl.
Abstandsflächenvorschriften selbst eine andere Wertung des Gesetzgebers entnehmen lässt (vgl.
Urteil des 3. Senats des beschließenden Gerichtshofs vom 13.08.2008 - 3 S 1668/07 -, VBlBW
2009, 65; kritisch zum Ganzen Sauter, LBO, 3. Auflage, § 6 Rn. 44). Der Senat hat an dieser - nur
an der normativen Wertung des Gesetzes, nicht auch einer einzelfallbezogenen konkreten
Betrachtung - ausgerichteten Auslegung nach dem Wegfall der gesetzlichen Unterscheidung
zwischen nachbarschützenden und nicht nachbarschützenden Teilen der Abstandsflächentiefe
durch das Änderungsgesetz vom 17.11.2009 (GBl. S. 615) jedenfalls für den Fall einer
Unterschreitung der Mindesttiefe der Abstandsfläche (§ 5 Abs. 7 Satz 2 LBO) festgehalten
(Senatsurteil vom 06.04.2010 - 8 S 1529/08 - VBlBW 2011, 67). Im Falle der baulichen Änderung
eines bestehenden grenznahen Gebäudes hat er allerdings entschieden, dass es auch auf einen
einzelfallbezogenen konkreten Vergleich zwischen vorhandenen und künftigen
Beeinträchtigungen der nachbarlichen Belage ankommen kann (Senatsbeschluss vom
27.11.2013 - 8 S 1813/13 - BauR 2014, 533, juris Rn. 20 und 23). Ob eine ähnlich konkrete
einzelfallbezogene Betrachtung ferner in den Fällen naheliegt, in denen, wie hier, die Mindesttiefe
der Abstandsfläche gewahrt, aber ihre nach § 5 Abs. 7 Satz 1 LBO darüber hinaus gebotene Tiefe
unterschritten wird, bedarf im vorliegenden Verfahren keiner Entscheidung. Denn die
Baurechtsbehörde der Antragsgegnerin hat die konkreten Auswirkungen des genehmigten
Vorhabens auf die nachbarlichen Belange i. S. des § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 LBO des Grundstücks
der Antragstellerin, insbesondere auf die Belichtung von Aufenthaltsräumen ihres Wohnhauses,
bislang nicht geprüft und dazu keine Tatsachen festgestellt. Allein der abstrakte Vergleich mit -
möglicherweise - geringeren Auswirkungen eines anderen Vorhabens (zweigeschossiges
Einfamilienhaus mit bis zu 45° geneigtem Satteldach) genügt dafür nicht.
13 Anhaltspunkte für Besonderheiten auf dem Nachbargrundstück der Antragstellerin, die ihr
Interesse als deutlich gemindert oder als weniger schutzwürdig erscheinen lassen, oder rechtliche
Besonderheiten, die in dieser Hinsicht bei ihrem Nachbargrundstück im Verhältnis zum
genehmigten Bauvorhaben vorliegen, sind nicht ersichtlich. Der Einwand der Antragsgegnerin,
auch das Wohnhaus der Antragstellerin halte nur einen "Grenzabstand von nur etwas mehr als
2,50 m" ein, dürfte nicht zutreffen. Nach dem von der Antragstellerin vorgelegten Lageplan zu der
ihr erteilten Baugenehmigung des Landratsamts Esslingen vom 15.12.1972 für das Wohnhaus
beträgt der Abstand zwischen dessen Außenwand und der Grenze zum Baugrundstück 3,00 m.
Hinreichende Anhaltpunkte dafür, dass das Wohnhaus abweichend davon tatsächlich mit
geringerem Abstand zur Grundstücksgrenze errichtet worden ist, gibt es nicht. Vielmehr ist auch in
dem zum Bauvorhaben der Beigeladenen vorgelegten Lageplan das Wohnhaus der
Antragstellerin mit 3,00 m Abstand zur Grundstücksgrenze eingezeichnet. Die die
Befreiungsentscheidung tragende Erwägung, dass die Giebelfläche eines bis zu 45°-geneigten
Satteldachs wegen der gesetzlichen Privilegierung in § 5 Abs. 5 Nr. 2 LBO nicht auf die
Wandhöhe anzurechnen wäre, kann auch nicht eine sich aus den Abstandsflächenvorschriften
ergebende andere Wertung des Gesetzgebers rechtfertigen (vgl. Urteil des 3. Senats des
beschließenden Gerichtshofs vom 13.08.2008, a.a.O.). Dagegen dürfte bereits sprechen, dass
diese Privilegierung nur für ein Gebäude mit Giebelfläche, also ein anders geartetes Vorhaben gilt.
Die Zulassung einer geringeren Tiefe der Abstandsfläche für ein Gebäude mit einem Flachdach-
Staffelgeschossallein mit der Erwägung, die Außenwand des Staffelgeschosses überschreite
wegen ihrer zurückgesetzten seitlichen Kanten nirgends die hypothetische 45°-Linie eines
Satteldachs mit einer i. S. des § 5 Abs. 5 Nr. 2 LBO privilegierten Giebelfläche, würde diese
gesetzliche Privilegierung unzulässig erweitern. Abgesehen davon ist diese Privilegierung
zwischenzeitlich entfallen. Mit Artikel 1 Nr. 5 b) des am 01.03.2015 in Kraft getretenen Gesetzes
zur Änderung der Landesbauordnung vom 11.11.2014 (GBl. S. 501) wurden die Wörter "gar nicht,
soweit kein Teil der Dachfläche eine größere Neigung als 45° aufweist, im Übrigen" in § 5 Abs. 5
Nr. 2 LBO gestrichen.
14 2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Eine Beteiligung der Beigeladenen an
diesen Kosten scheidet aus. Denn sie hat weder Anträge gestellt noch Rechtsmittel eingelegt (§
154 Abs. 3 VwGO). Daher erscheint es auch nicht i. S. des § 162 Abs. 3 VwGO billig, ihre
außergerichtlichen Kosten für erstattungsfähig zu erklären.
außergerichtlichen Kosten für erstattungsfähig zu erklären.
15 Die Festsetzung und Abänderung des Streitwerts beruht auf den §§ 63 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3
Satz 1 Nr. 2, 47 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und folgt den Empfehlungen in Nr.
1.5. und 9.7.1 des Streitwertkatalogs 2013, wonach bei der Klage eines Nachbarn gegen eine
Baugenehmigung ein Streitwert innerhalb des Rahmens von 7.500,-- EUR bis 15.000,-- EUR
festgesetzt werden soll, soweit nicht ein höherer wirtschaftlicher Schaden feststellbar ist. Der
Senat geht dabei davon aus, dass in der Hauptsache ein Streitwert von 10.000,-- EUR
angemessen ist (vgl. Senatsbeschluss vom 13.08.2014 - 8 S 979/14 - juris). Da der Antrag auf
Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu einem erheblichen Teil auf die Vorwegnahme der
Entscheidung in der Hauptsache zielt, ist dieser Wert auch für das Eilverfahren maßgebend.
16 Der Beschluss ist unanfechtbar.