Urteil des VGH Baden-Württemberg vom 26.04.2016

bebauungsplan, grundstück, befreiung, gleichheit im unrecht

VGH Baden-Württemberg Urteil vom 26.4.2016, 8 S 205/14
Regelung der Zulässigkeit von bordellartigen Betrieben in einem Bebauungsplan; Verhältnis
von EGStGB Art 297 Abs 1 und BauNVO § 1 Abs 9
Leitsätze
In einem Bebauungsplan kann die Zulässigkeit von Bordellen und bordellartigen Einrichtungen bei Vorliegen
besonderer städtebaulicher Gründe gemäß § 1 Abs. 5 und Abs. 9 BauNVO räumlich begrenzt werden. Eine
Verordnung über das Verbot der Prostitution nach Art. 297 Abs. 1 EGStGB ergeht dagegen aus Gründen der
Gefahrenabwehr und verdrängt § 1 Abs. 9 BauNVO nicht als die speziellere Vorschrift.
Tenor
Die Berufungen der Kläger gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 5. Februar 2014 - 13 K
556/12 - werden zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens als Gesamtschuldner.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1 Die Kläger begehren die Erteilung eines bauplanungsrechtlichen Bauvorbescheids für die Nutzungsänderung
ihres Wohnhauses in ein sog. Laufhaus.
2 Die Kläger sind Eigentümer des Grundstücks Flst.Nr. ..., ......, im Stadtbezirk Mitte der Beklagten. Das
Grundstück ist mit einem im Jahre 1906/07 errichteten fünfgeschossigen Wohnhaus bebaut, das unter
Denkmalschutz steht und in dem sich zwölf Wohneinheiten befinden. Das Grundstück liegt im
Geltungsbereich des Bebauungsplans „Neckar-Hauffstraße 1971/039“ der Beklagten vom 28.01.1971, der
das Plangebiet als Kerngebiet ausweist. Das Baugrundstück wird im Wesentlichen als Straßenverkehrsfläche
ausgewiesen. Davon ausgenommen ist nur ein kleiner, ca. 1% der Grundstücksfläche entsprechender Teil,
der innerhalb der festgesetzten überbaubaren Grundstücksfläche liegt. Darüber hinaus befindet sich das
Grundstück im Geltungsbereich des Bebauungsplans „Vergnügungseinrichtungen und andere im Inneren
Stadtgebiet (Stadtbezirke Mitte, Nord, Ost, Süd, West) Stgt. 148“ vom 24.07.1985 in der Fassung der
Änderung vom 23.10.2003. Die Satzung enthält zur Zulässigkeit von Vergnügungseinrichtungen folgende
Regelungen:
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㤠1 Geltungsbereich
4
Der Geltungsbereich umfasst die Stadtbezirke Mitte, Nord, Ost mit Frauenkopf, Süd mit Kalten und West
(ohne Rot- und Schwarzwildpark), soweit hierfür planungsrechtliche Festsetzungen über die Art der
baulichen Nutzung vorliegen.
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§ 2 Begriffe
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(1) Vergnügungseinrichtungen im Sinne dieser Satzung sind
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3. Kategorie C
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Animierlokale, Nachtbars und vergleichbare Lokale mit Striptease- oder Filmvorführungen, Sexkinos,
Geschäfte mit Einrichtungen zur Vorführungen von Sex- und Pornofilmen (z.B. Video - Kabinen), Bordelle
und Einrichtungen mit Bordellcharakter.
9
§ 3 Zulässigkeit von Vergnügungseinrichtungen
10 (3) Vergnügungseinrichtungen der Kategorie C sind nur im Citybereich zulässig…“
11 Das Grundstück der Kläger befindet sich außerhalb des ausgewiesen Citybereichs des Bebauungsplans.
12 Am 14.12.2010 beantragten die Kläger bei der Beklagten die Erteilung eines Bauvorbescheids über die
Zulässigkeit der Nutzungsänderung von Wohnnutzung in elf der Wohneinheiten in gewerbliche
Zimmervermietung (Bordell) und in einer Wohneinheit im 1. OG von Wohnnutzung in Wohnprostitution
(Terminwohnung). Nach der dem Bauantrag beigefügten Betriebsbeschreibung soll das bisherige
Wohngebäude in ein sog. „Laufhaus“ umgestaltet werden. Auf den Stockwerken sollen die Zimmer mit
Ausnahme der Sanitärräume durch einen zum Treppenhaus offenen Flur zugänglich sein. Einzelne Zimmer
sollen an Personen vermietet werden, die gegen Entgelt sexuelle Leistungen anbieten und erbringen. Die
Terminwohnung im 1. OG soll von maximal vier gleichzeitig anwesenden, selbständig tätigen
Bewohnerinnen genutzt werden, die der Prostitution nachgehen. Mindestens eine Bewohnerin, die zur
Untervermietung berechtigt ist, soll mit ständigem Wohnsitz angemeldet werden. Mit Bescheid vom
01.06.2011 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Zur Begründung führte sie aus, das Vorhaben sei
planungsrechtlich wie auch bauordnungsrechtlich unzulässig. Es widerspreche sowohl den Festsetzungen
des Bebauungsplans „Neckar-Hauffsstraße.“ als auch dem Bebauungsplan „Vergnügungseinrichtungen und
andere im Inneren Stadtgebiet (Stadtbezirke Mitte, Nord, Ost, Süd, West) Stgt. 148“. Die Voraussetzungen
für eine Befreiung lägen nicht vor. Das Vorhaben entspreche zudem nicht den brandschutzrechtlichen
Anforderungen. Den gegen diesen Bescheid erhobenen Widerspruch der Kläger wies das
Regierungspräsidium Stuttgart mit Widerspruchsbescheid vom 24.01.2012 als unbegründet zurück.
13 Die Kläger haben am 21.02.2012 Klagen beim Verwaltungsgericht Stuttgart erhoben und zuletzt beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 01.06.2011 und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums
Stuttgart vom 24.01.2012 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Bauvoranfrage vom 14.12.2010
hinsichtlich der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit positiv zu bescheiden. Zur Begründung haben die
Kläger im Wesentlichen geltend gemacht, der Bebauungsplan „Vergnügungseinrichtungen und andere im
Inneren Stadtgebiet (Stadtbezirke Mitte, Nord, Ost, Süd, West) Stgt. 148“ Vergnügungsstätten“ stehe ihrem
Vorhaben nicht entgegen. Dieser sei für ihr Grundstück bereits nicht anwendbar, da dessen prägender
Grundstücksanteil keine qualifizierten Festsetzungen enthalte. Der Bebauungsplan sei unabhängig hiervon
jedenfalls im Hinblick auf die Regelungen zu Bordellen und bordellartigen Betrieben unwirksam. Solche
Regelungen könnten nicht auf § 1 Abs. 9 BauNVO gestützt werden. Art. 297 EGStGB sei für Regelungen
über das Verbot der Prostitution die speziellere Ermächtigungsgrundlage, die § 1 Abs. 9 BauNVO verdränge.
Für den Erlass einer Verordnung nach Art. 297 EGStGB sei die Beklagte jedoch nicht zuständig. Die Planung
verstoße zudem gegen § 1 Abs. 6 BauNVO, weil eine sachgerechte Abwägung am Maßstab des Art. 297
EGStGB nicht stattgefunden habe. Sei der Bebauungsplan unwirksam, liege das Baugrundstück in einem
ausgewiesenen Kerngebiet gem. § 7 BauNVO 1968 und sei nach dessen Abs. 2 Nr. 2 BauNVO allgemein
zulässig. Dem stehe die Ausweisung einer Verkehrsfläche für den überwiegenden Grundstücksbereich nicht
entgegen. Die Ablehnung der Nutzungsänderung verstoße zudem gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz,
da im unmittelbaren Nachbarschaftsbereich bereits gleich gelagerte Nutzungen vorhanden seien.
14 Die Beklagte hat Klagabweisung beantragt und erwidert: Der Bestandsschutz diene nur dazu, Gebäude in
ihrem bisherigen Bestand zu erhalten, eine Erweiterung oder Nutzungsänderung falle jedoch nicht unter
den Bestandsschutz. Eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB könne nicht erteilt werden, da die beantragte
Nutzung sowohl den Grundzügen des Bebauungsplans „Neckar-Hauffstraße 1971/039“ als auch denen des
Bebauungsplans „„Vergnügungseinrichtungen und andere im Inneren Stadtgebiet (Stadtbezirke Mitte, Nord,
Ost, Süd, West) Stgt. 148“ widerspreche. Ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz liege nicht
vor; zudem gebe es keine Gleichheit im Unrecht.
15 Mit Urteil vom 05.02.2013 hat das Verwaltungsgericht die Klagen abgewiesen und zur Begründung
ausgeführt: Das Bauvorhaben sei unzulässig, weil die beabsichtigte Nutzungsänderung planungsrechtlich
unzulässig sei. Das Vorhaben stehe im Widerspruch zu den §§ 2 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. 3 Abs. 3
„Vergnügungseinrichtungen und andere im Inneren Stadtgebiet (Stadtbezirke Mitte, Nord, Ost, Süd, West)
Stgt. 148“ der Beklagten, deren sachlicher und räumlicher Anwendungsbereich eröffnet sei. Die
Nutzungsänderung von Wohnnutzung in ein Bordell sei danach unzulässig. Gleiches gelte für die
beabsichtigte Einrichtung einer „Terminwohnung“ im 1. OG, die als „Einrichtung mit Bordellcharakter“ im
Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 3 der Satzung des Bebauungsplans zu qualifizieren sei und nicht als sogenannte
Wohnungsprostitution. Dieser Bebauungsplan sei räumlich anwendbar, da planungsrechtliche Festsetzungen
über die Art der baulichen Nutzung vorlägen. Das Baugrundstück liege im räumlichen Geltungsbereich des
qualifizierten Bebauungsplans „Neckar-Hauffstraße 1971/039“, der das Plangebiet als Kerngebiet ausweise
und damit Festsetzungen über die Art der baulichen Nutzungen enthalte. Auf die Frage, ob das Grundstück
nach den Festsetzungen dieses Bebauungsplans selbst tatsächlich überbaubar sei oder nicht, komme es für
die Anwendbarkeit der Satzung nicht an. Die Satzung verwende in ihrem § 1 den Begriff der „Stadtbezirke“
und nicht den Begriff „überbaubare Grundstücksfläche“. Der Bebauungsplan „Neckar- Hauffstraße“ sei
wirksam. Allerdings müsse davon ausgegangen werden, dass die Festsetzung der öffentlichen Verkehrsfläche
für das Grundstück der Kläger inzwischen funktionslos geworden sei. Denn die geplante öffentliche
Verkehrsfläche könne auf unabsehbare Zeit nicht mehr realisiert werden, da sich hierauf nicht nur das
inzwischen unter Denkmalschutz stehende Gebäude der Kläger, sondern auch der nach Aufstellung des
Bebauungsplan realisierte Neubau des angrenzenden Amts- und Landessozialgerichts befinde. Die
Funktionslosigkeit der festgesetzten öffentlichen Verkehrsfläche führe jedoch nicht zu einer
Gesamtunwirksamkeit des Bebauungsplans, da dessen sonstige Festsetzungen weiterhin umgesetzt werden
könnten. Die Schaffung der genannten Verkehrsflächen sei hierzu nicht zwingend erforderlich, da die
Grundstücke im Plangebiet auch ohne die genannte öffentliche Verkehrsfläche erschlossen und damit
bebaubar seien.
16 Auch der Bebauungsplan „Vergnügungseinrichtungen“ sei rechtsgültig. Ein Verstoß gegen Art. 297 EGStGB
sei nicht zu erkennen. Diese Regelung sei im Verhältnis zu § 1 Abs. 9 BauNVO nicht die speziellere
Vorschrift. Art. 297 EGStGB regele den Erlass von Rechtsvorschriften durch Behörden des Landes auf dem
Gebiet der Gefahrenabwehr. Ein Bebauungsplan sei demgegenüber eine kommunale Satzung auf dem
Gebiet des Bauplanungsrechts und unterscheide sich daher sowohl von der Handlungsform und dem
Handlungsträger als auch von den Regelungsinhalten grundlegend von einer auf Art. 297 EGStGB
gestützten Sperrgebietsverordnung.
17 Den Klägern stünde auch kein Anspruch auf Erteilung einer Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB zu, da eine
solche jedenfalls die Grundzüge der Planung berühren würde. Dem planerischen Ziel, die in § 3 der Satzung
genannten Vergnügungseinrichtungen im Citybereich zu konzentrieren, würde die Zulassung der
Nutzungsänderung widersprechen. Die Erteilung einer Befreiung würde zudem die beachtliche Gefahr von
Berufungsfällen begründen. Da bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Befreiung nicht
vorlägen, sei von der Beklagten keine Ermessensentscheidung zu treffen gewesen. Es könne daher offen
bleiben, ob die Beklagte tatsächlich vergleichbare andere Vergnügungseinrichtungen zum Zwecke der
Prostitutionsausübung in der weiteren Umgebung des Baugrundstücks dulde oder gar genehmigt habe.
18 Gegen dieses Urteil richtet sich die mit Beschluss des Senats vom 29.01.2014 - 8 S 750/13 - zugelassene
Berufung der Kläger. Zu deren Begründung machen die Kläger geltend, das Baugrundstück werde bereits
vom räumlichen Anwendungsbereich des Bebauungsplan „Vergnügungseinrichtungen und andere im Inneren
Stadtgebiet (Stadtbezirke Mitte, Nord, Ost, Süd, West) Stgt. 148“ nicht erfasst, da für fast 99 % der
Grundstücksfläche eine öffentliche Verkehrsfläche festgesetzt worden sei. Nach § 1 der textlichen
Festsetzung sei Voraussetzung für den Anwendungsbereich, dass für das jeweilige Baugrundstück
planungsrechtliche Festsetzungen zur Art der baulichen Nutzung in den betroffenen Stadtbezirken vorlägen.
Diese Auslegung ergebe sich aus der Verwendung des Begriffes „soweit“ in § 1 der Satzung. Regelungen
über den Ausschluss von Nutzungen setzten zudem zwingend voraus, dass zuvor die Art der baulichen
Nutzung festgesetzt worden sei. Hätte der Satzungsgeber die Norm so fassen wollen, dass es nicht auf die
Art der baulichen Festsetzung für das einzelne Grundstück ankomme, hätte dies im Wortlaut deutlich zum
Ausdruck gebracht werden müssen. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgericht erfasse die
Funktionslosigkeit der obsolet gewordene Festsetzung der öffentlichen Verkehrsfläche das gesamte
Baugrundstück und nicht lediglich den hierauf entfallenden Grundstücksanteil. Zudem führe die
Funktionslosigkeit der Festsetzung nicht lediglich zu einer Teilunwirksamkeit des Bebauungsplans, sondern
es sei von dessen Gesamtunwirksamkeit auszugehen. Sei aber jedenfalls die Festsetzung der Verkehrsfläche
für das Baugrundstück obsolet geworden, fehle es an planungsrechtlichen Festsetzungen über die Art der
baulichen Nutzung, so dass das Baugrundstückstück vom Geltungsbereich des Bebauungsplan
„Vergnügungseinrichtungen und andere im Inneren Stadtgebiet (Stadtbezirke Mitte, Nord, Ost, Süd, West)
Stgt. 148“ auch aus diesem Grunde nicht mehr umfasst sein könne. Dieser Bebauungsplan sei zudem
unwirksam, da Art. 297 EGStGB lex specialis zu § 1 Abs. 9 BauNVO sei. Der Bundesgesetzgeber habe es den
einzelnen Landesregierungen überlassen, durch Rechtsverordnung zum Schutze der Jugend oder zum
Schutze des öffentlichen Anstandes Regelungen zu treffen, in welchen Bereichen die Ausübung der
Prostitution zulässig sei und in welchen Bereichen nicht. Damit seien Regelungen nach § 1 Abs. 9 BauNVO
durch den kommunalen Plangeber ausgeschlossenen. Da in der Änderungssatzung vom 23.10.2003 keinerlei
Erwägungen über den in Art. 297 EGStGB festgelegten Schutzbereich angestellt worden seien, sondern
ausschließlich auf § 1 Abs. 9 BauNVO abgehoben worden sei, sei die Satzung von einem nicht legitimierten
Regelungsbedürfnis getragen und daher auch unter diesem Gesichtspunkt nichtig. Das Verwaltungsgericht
habe sich schließlich zu Unrecht auf den Standpunkt gestellt, dass eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB
nicht in Betracht komme, da diese die Grundzüge der Planung berühre. Unabhängig hiervon habe das
Gericht übersehen, dass eine Befreiung auch dann in Betracht komme, wenn von Festsetzungen
abgewichen werden solle, die zwar den Grundzügen der Planung zuzurechnen seien, die
Beeinträchtigungen aber nicht ins Gewicht fallen würden. Dies sei der Fall, wenn in der Umgebung bereits
eine vergleichbare Nutzung von der Beklagten genehmigt oder geduldet worden sei. Dann falle die von den
Klägern beantragte Nutzungsänderung nicht im Sinne einer zusätzlichen Beeinträchtigung ins Gewicht.
19 Die Kläger beantragen,
20 das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 05.02.2013 - 13 K 556/12 - zu ändern, den Bescheid der
Beklagten vom 01.06.2011 und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom
24.01.2012 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den mit Schreiben vom 14.12.2010 beantragten
Bauvorbescheid zur planungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens zu erteilen.
21 Die Beklagte beantragt,
22 die Berufungen zurückzuweisen.
23 Sie verteidigt das angegriffene Urteil und legt ergänzend dar, die im Bebauungsplan „Neckar-Hauffstraße“
auf einem Teil des Baugrundstücks festgesetzte Verkehrsfläche sei nicht funktionslos geworden, da deren
Verwirklichung nicht auf unabsehbare Zeit ausgeschlossen werden. Selbst wenn dies der Fall sein sollte,
würde dies nicht zur Unwirksamkeit der übrigen Festsetzungen des Bebauungsplans führen. Die von der
Ausweisung als Kerngebiet umfassten Grundstücke hielten die Festsetzungen des Bebauungsplans nach Art
und Maß der Nutzung ein, so dass der Bebauungsplan auch ohne den funktionslos gewordenen Teil noch
sinnvoll bestehen könne. Dieser wäre auch ohne die Festsetzung der Verkehrsfläche auf dem klägerischen
Grundstück erlassen worden, um die U-Bahn-Trassenführung in der Neckarstraße von Bebauung
freizuhalten und um die damit in Zusammenhang stehende endgültig gewünschte Gestaltung des Gebietes
zu sichern. Eine Funktionslosigkeit der Festsetzung der Verkehrsfläche unterstellt, liege das Grundstück
nach dem angegriffenen Urteil weiterhin im räumlichen Geltungsbereich des Bebauungsplans „Neckar-
Hauffstraße“ und damit innerhalb des Bebauungsplan „Vergnügungseinrichtungen“ und sei danach
unzulässig. Ein kleiner Bereich des Baugrundstücks liege zudem weiterhin zum Teil auf einer überbaubaren,
als Kerngebiet festgesetzten Fläche, auch wenn deren Größe gering sei. Im Hinblick auf diese Teilfläche
entfalte der Bebauungsplan „Vergnügungseinrichtungen und andere im Inneren Stadtgebiet (Stadtbezirke
Mitte, Nord, Ost, Süd, West) Stgt. 148“ ohnehin Geltung. Das Gebäude der Kläger könne insoweit nicht
geteilt werden. Die Unzulässigkeit des Vorhabens auf nur einer Teilfläche führe zur Unzulässigkeit des
gesamten Vorhabens. Ginge man hilfsweise davon aus, dass das klägerische Grundstück aufgrund der
Funktionslosigkeit der festgesetzten Verkehrsfläche insgesamt außerhalb des Bebauungsplanes „Neckar-
Hauffstraße“ liege, würden insoweit die vormals geltenden Bebauungspläne wieder aufleben. Dies sei hier
der Baustaffelplan nach der Ortsbausatzung der Beklagten von 1935 bzw. der Bebauungsplan „Canstatter
Straße 1904/028“ vom 04.10.1904. Diese Bebauungspläne stellten ebenfalls eine hinreichende Grundlage
für die Anwendung der Bebauungsplans „Vergnügungseinrichtungen und andere im Inneren Stadtgebiet
(Stadtbezirke Mitte, Nord, Ost, Süd, West) Stgt. 148“ dar. Auch danach sei die geplante Nutzungsänderung
unzulässig. Ein Anspruch der Kläger auf Erteilung einer Befreiung bestehe nicht, da die Grundzüge der
Planung berührt wären. Ein Anspruch auf Befreiung bestehe auch nicht aus Gründen der Gleichbehandlung.
In der Umgebung seien weder vergleichbare Einrichtungen genehmigt worden, noch würden solche
geduldet. In der weiteren Umgebung existierten nach derzeitigem Erkenntnisstand zwar unzulässige
Objekte, hier seien jedoch bereits Anhörungsverfahren eingeleitet worden bzw. werde die Nutzung auf
baurechtlich relevante Verstöße hin überprüft.
24 Dem Senat liegen die einschlägigen Akten der Beklagten einschließlich der Bebauungsplanakten sowie die
Gerichtsakten vor. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt dieser
Unterlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
25 Die nach Zulassung durch den Senat statthaften sowie form- und fristgerecht begründeten Berufungen sind
unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die zulässigen Klagen im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Die
Kläger haben keinen Anspruch auf den begehrten Bauvorbescheid. Der Bescheid der Beklagten vom
01.06.2011 und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 24.01.2012 sind daher
rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO).
26 Der von den Klägern beantragten genehmigungspflichtigen (vgl. §§ 49 Abs. 1, 50 Abs. 2 Nr. 1, 2 Abs. 13 Nr.
1 LBO) Nutzungsänderung des Wohngebäudes auf dem Grundstück Flst.Nr. ... in ein sog. Laufhaus stehen
von der Baurechtsbehörde zu prüfende öffentlich-rechtliche Vorschriften im Sinne von §§ 57 Abs. 2, 58 Abs.
1 Satz 1 LBO entgegen. Das Vorhaben der Kläger ist bauplanungsrechtlich unzulässig. Es widerspricht
hinsichtlich seiner Art der baulichen Nutzung § 3 Abs. 3 des Bebauungsplans „Vergnügungseinrichtungen
und andere im Inneren Stadtgebiet (Stadtbezirke Mitte, Nord, Ost, Süd, West) Stgt. 148“ der Beklagten vom
24.07.1985, geändert am 23.10.2003 (künftig: Bebauungsplan „Vergnügungseinrichtungen“), dessen
Anwendbarkeit das Verwaltungsgericht im Ergebnis zu Recht bejaht hat (1.). Die das Vorhaben
ausschließende Festsetzung des Bebauungsplans ist wirksam (2.). Die Voraussetzungen für die Erteilung
einer Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB liegen nicht vor (3.).
27 1. Bauplanungsrechtlich beurteilt sich das Bauvorhaben der Kläger im Hinblick auf die Art der baulichen
Nutzung nach § 30 Abs. 3 BauGB i.V.m. § 4 der Ortsbausatzung der Beklagen vom 25.06.1935 - OBS 1935 -
und den Festsetzungen des Bebauungsplans „Vergnügungseinrichtungen“. Der Bebauungsplan „Neckar-
Hauffstraße“ ist für das Baugrundstück nicht anwendbar, da die für das Grundstück getroffenen
Festsetzungen funktionslos geworden sind und der Plan daher teilunwirksam ist.
28 a) Eine bauplanerische Festsetzung tritt wegen Funktionslosigkeit nur dann außer Kraft, wenn und soweit
die Verhältnisse, auf die sie sich bezieht, in der tatsächlichen Entwicklung einen Zustand erreicht haben, der
eine Verwirklichung der Festsetzung auf unabsehbare Zeit ausschließt und wenn diese Tatsache so
offensichtlich ist, dass ein in ihre Fortgeltung gesetztes Vertrauen keinen Schutz verdient (BVerwG, Urteile
vom 03.12.1998 - 4 CN 3.9 -BVerwGE 108, 71 und vom 18.11.2004 - 4 CN 11.03 - BVerwGE 122, 207
sowie Beschluss vom 22.07.2013 - 7 BN 1.13 - NVwZ 2013, 1547). Dabei kommt es nicht auf die
Verhältnisse auf einzelnen Grundstücken an, entscheidend ist, ob die jeweilige Festsetzung noch geeignet
ist, zur städtebaulichen Ordnung i.S.d. § 1 Abs. 3 BauGB im Geltungsbereich des Bebauungsplans einen
sinnvollen Beitrag zu leisten. Dabei wird die Planungskonzeption, die einer Festsetzung zugrunde liegt,
nicht schon dann sinnlos, wenn sie nicht mehr überall im Plangebiet umgesetzt werden kann (BVerwG,
Beschluss vom 21.12.1999 - 4 BN 48.99 -, NVwZ-RR 2000, 411; Beschluss vom 03.12.1998, a.a.O.). Die
Frage, ob die Verhältnisse, auf die sich die Festsetzung bezieht, in der tatsächlichen Entwicklung einen
Zustand erreicht haben, der eine Verwirklichung der Festsetzung auf unabsehbare Zeit ausschließt, ist nicht
gleichsam isoliert für einzelne Grundstücke zu prüfen. Die Betrachtung darf namentlich nicht darauf
beschränkt werden, ob die Festsetzung hier und dort noch einen Sinn gibt. Zu würdigen ist vielmehr
grundsätzlich die Festsetzung in ihrer ganzen Reichweite (BVerwG, Urteil vom 29.04.1977 - IV C 39.75 -
BVerwGE 54, 5). Demzufolge ist ein Bebauungsplan nicht bereits deshalb ganz oder teilweise wegen
Funktionslosigkeit außer Kraft getreten, weil auf einer Teilfläche eine singuläre planwidrige Nutzung
entstanden ist (BVerwG, Beschluss vom 21.12.1999, a.a.O.).
29 Gemessen hieran ist die Festsetzung der Straßenverkehrsfläche für das Baugrundstückstück funktionslos
geworden. Die dieser Festsetzung zugrunde liegende Planungskonzeption der Beklagten kann dauerhaft
nicht mehr verwirklicht werden. Denn auf dem südlich des Baugrundstücks liegenden Grundstück Flst.Nr. ...,
..., wurde nach Inkrafttreten des Bebauungsplans das Gebäude des Amts- und Landessozialgerichts auch auf
der für dieses Grundstück festgesetzten Straßenverkehrsfläche errichtet. Die Planungskonzeption der
Beklagte sah hier u.a. den Ausbau der Straße „Am Neckartor“ (B 14) vor. Deren veränderter Straßenverlauf
sollte im Bereich der Hauffstraße über die im Bebauungsplan für die Grundstücke Flst.Nrn. ..., ... und ...
festgesetzten Verkehrsflächen führen (vgl. Verkehrsentwurf vom 02.06.1966, Blatt 2 der
Bebauungsplanakten). Dieser projektierte Straßenverlauf ist mit der auf dem Grundstücks Flst.Nr. ...
verwirklichten Bebauung nunmehr dauerhaft nicht mehr zu verwirklichen. Denn es kann nicht davon
ausgegangen werden kann, dass zum Zwecke der Umsetzung der ursprünglichen Planung der teilweise
Abbruch des Amts- und Landessozialgerichts angeordnet wird. Die Festsetzung der Straßenverkehrsfläche
ist somit dann jedenfalls für das Baugrundstück der Kläger obsolet geworden. Dahingestellt bleiben kann, ob
und ggf. in welchem Umfang die Festsetzungen von Straßenverkehrsflächen auch auf anderen Grundstücken
im Plangebiet funktionslos geworden sind, die sich im Bereich des geplanten künftigen Straßenverlaufs der B
14 befinden. Hierauf kommt es für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht an.
30 b) Der Bebauungsplan „Neckar-Hauffstraße“ ist aufgrund der funktionslos gewordenen Festsetzung der
Straßenverkehrsfläche in Bezug auf das Baugrundstück der Kläger insgesamt als teilunwirksam anzusehen.
Denn die obsolet gewordene Festsetzung erfasst 99 % der Grundstücksfläche. Die verbliebene planerische
Ausweisung als Kerngebiet für lediglich 1 % der Grundstücksfläche würde einer sinnvollen
Grundstücksnutzung entgegenstehen.
31 Die Frage, ob die Unwirksamkeit einzelner Festsetzungen den Bebauungsplan insgesamt zu Fall bringt oder
ob seine nicht betroffenen Teile gültig bleiben, beurteilt sich nach den allgemeinen Grundsätzen über die
teilweise Nichtigkeit von Gesetzen und anderen Rechtsvorschriften (vgl. § 139 BGB). Bei Bebauungsplänen
ist darauf abzustellen, ob die Festsetzungen auch ohne die fehlerhaften Regelungen für sich betrachtet noch
eine sinnvolle städtebauliche Ordnung im Sinn des § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB bewirken können und ob die
Gemeinde nach ihrem im Planungsverfahren zum Ausdruck gekommenen Willen im Zweifel auch einen
Bebauungsplan dieses eingeschränkten Inhalts beschlossen hätte (vgl. BVerwG, Beschluss vom 06.12.2000 -
4 BN 59.00 -ZfBR 2001, 202; Urteil vom 11.09.2014 - 4 CN 3.14 - BauR 2015, 221 m.w.N.). Die dazu
erforderlichen Ermittlungen können sich allerdings in aller Regel schon deshalb nicht auf Willensäußerungen
stützen, die in der Planungsphase abgegeben worden sind, weil der Ortsgesetzgeber die Folgen einer (Teil-
)Nichtigkeit gerade nicht bedacht hat. Abzustellen ist deshalb darauf, welche Entscheidung mutmaßlich
getroffen worden wäre, wenn die Gemeinde den Fehler, der dem Bebauungsplan anhaftet, erkannt hätte
(BVerwG, Beschl. v. 25.2.1997 - 4 NB 30.96 - NVwZ 1997, 896).
32 Danach ist hier von einer bloßen Teilunwirksamkeit des Bebauungsplans auszugehen. Die übrigen
Festsetzungen des Bebauungsplans können weiterhin verwirklicht werden bzw. wurden bereits weitgehend
umgesetzt und können ihren städtebaulichen Zweck weiterhin erfüllen. Hierauf hat das Verwaltungsgericht
zutreffend hingewiesen. Dies gilt sowohl für die als Kerngebiet ausgewiesen Grundstücke im Plangebiet als
auch etwa für die Festsetzung der Straßenverkehrsfläche im Bereich der Neckarstraße zur Sicherung der
bereits verlegten U-Bahn-Trasse in dem Bereich. Ein Planungstorso würde nicht entstehen. Der Senat hat
auch keinen Zweifel daran, dass der Gemeinderat der Beklagten einen Bebauungsplan auch nur für die
zuletzt angeführten Planbereiche erlassen hätte. Letztlich kann die Frage der Teil- oder
Gesamtunwirksamkeit des Bebauungsplans jedoch dahingestellt bleiben. Denn auch bei der von den Klägern
geltenden gemachten Gesamtunwirksamkeit des Bebauungsplans würde das Baugrundstück nicht vom
Geltungsbereich des Bebauungsplans „Neckar-Hauffstraße“ erfasst werden.
33 c) Auf die Frage, ob der Geltungsbereich des Bebauungsplans „Vergnügungseinrichtungen“ bereits dann
eröffnet ist, wenn ein Baugrundstück zwar im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplans in einem
der betroffenen Stadtbezirke liegt, dieser jedoch für das Grundstück keine Festsetzungen zur Art der
baulichen Nutzung enthält, kommt es danach nicht an. Der Senat weist in dem Zusammenhang lediglich
darauf hin, dass der Satzungsgeber mit der Änderung des Bebauungsplan „Vergnügungseinrichtungen“ vom
23.10.2003 mit der Regelung unter § 1 der textlichen Festsetzung klargestellt haben dürfte, dass der Plan
keine Geltung in den Stadtbezirken beansprucht, soweit Grundstücke im Außenbereich oder im unbeplanten
Innenbereich liegen (vgl. hierzu bereits Normenkontrollurteil des Senats vom 13.12.1991 - 8 S 14/89 -
NVwZ-RR 1993, 122).
34 d) Die planungsrechtliche Zulässigkeit der beantragten Nutzungsänderung richtet sich somit entgegen der
Ansicht des Verwaltungsgerichts nicht nach den Festsetzungen des Bebauungsplans „Neckar-Hauffstrasse“
der Beklagten, sondern nach den Festsetzungen der Ortsbausatzung der Beklagten vom 25.06.1935 und
deren Bebauungsplan „Vergnügungseinrichtungen“. Denn die Teilunwirksamkeit des Bebauungsplans
„Neckar-Hauffstrasse“ für das Baugrundstück führt dazu, dass frühere, ihrerseits wirksame,
planungsrechtliche Festsetzungen über die Art der baulichen Nutzung für das Baugrundstück wieder
aufleben, obwohl die Beklagte mit Inkrafttreten des Bebauungsplans „Neckar-Hauffstraße“ alle für deren
Geltungsbereich bisherig geltenden Bebauungspläne außer Kraft setzen wollte (vgl. hierzu auch BVerwG,
Urteil vom 10.08.1990 - 4 C 3.90 - BVerwGE 85, 289).
35 aa) Der dem Bebauungsplan „Neckar- Hauffstraße“ zeitlich vorgehende Bebauungsplan „Gebiet zwischen
der Straße Am Neckartor, Canstatter-, Neckar- und Hauffstrasse“ Nr. 1952/030“ ist unwirksam, da der
Satzungsbeschluss in nichtöffentlicher Sitzung des Gemeinderats der Beklagten gefasst wurde.
36 bb) Für das Bauvorhaben kommt deshalb im Hinblick auf die zulässige Art der baulichen Nutzung weiterhin
die Ortsbausatzung der Beklagten vom 25.06.1935 zur Anwendung, die nach § 173 Abs. 3 Satz 1 BBauG
1990 als nicht-qualifizierter übergeleiteter Bebauungsplan fort gilt (ständige Rechtsprechung des Senats,
vgl. u.a. Urteile vom 25.02.1993 - 8 S 287/92 - VBlBW 1993, 420 und vom 02.11.2006 - 8 S 1891/05 -
BauR 2007, 1373; Beschluss vom 09.07.2014 - 8 S 39/14 - juris Rn. 9). Nach der Ortsbausatzung liegt das
Baugrundstück im Bereich der Baustaffel 3 und damit gemäß § 1 Abs. (1) a) OBS 1935 im gemischten
Gebiet. Danach wäre die geplante Nutzungsänderung nach der Art der baulichen Nutzung nach § 4 OBS
1935 zulässig, da Bordelle und bordellähnliche Betriebe nicht zu den Anlagetypen gehören, die nach der für
das „gemischte Gebiet“ geltenden Regelung des § 4 OBS 1935 nicht oder nur unter bestimmten
Voraussetzungen zugelassen werden können (vgl. zur Einordnung von Bordellen und bordellähnlichen
Betriebe als eine Unterart der „Gewerbebetriebe aller Art“ im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO: BVerwG,
Beschluss vom 02.11.2015 - 4 B 32.15 - BauR 2016, 477,m.w.N.).
37 e) Allerdings wurde die Ortsbausatzung durch den Bebauungsplan „Vergnügungseinrichtungen“ der
Beklagten geändert. Rechtsgrundlage der Festsetzungen ist § 1 Abs. 5 und Abs. 9 BauNVO. Wie der Senat
bereits in seinem Normenkontrollurteil vom 13.12.1991 - 8 S 14/89 - a.a.O., im Anschluss an die
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 15.08.1991 - 4 N 1.89 - BRS 52 Nr. 1) zur
Gültigkeit des Bebauungsplans „Vergnügungseinrichtungen“ der Beklagten vom 24.07.1985 festgestellt hat,
können derartige Festsetzungen über die Zulässigkeit von Vergnügungseinrichtungen aufgrund von § 1 Abs.
9 BauGB auch im Geltungsbereich eines nach § 173 Abs. 3 Satz 1 BBauG übergeleiteten Bebauungsplans
getroffen werden. Die hiergegen erhobenen Bedenken der Kläger teilt der Senat nicht.
38 2. Gegen die Wirksamkeit des Bebauungsplans „Vergnügungseinrichtungen“ der Beklagten bestehen auch im
Übrigen keine Bedenken. Entgegen der Ansicht der Kläger wird die Vorschrift des § 1 Abs. 9 BauNVO nicht
durch Art. 297 EGStGB als die spezielle Norm für das Verbot der Ausübung von Prostitution verdrängt. Nach
Art. 297 Abs. 1 EGStGB kann die Landesregierung zum Schutz der Jugend oder des öffentlichen Anstandes
in einer Rechtsverordnung die Ausübung der Prostitution u.a. in bestimmten Bereichen einer Stadt
verbieten. Die Festsetzung von Sperrgebieten auf der Grundlage von Art. 297 EGStGB dient der lokalen
Steuerung der Prostitutionsausübung aus ordnungsrechtlichen Gründen (BVerfG, Beschluss vom 28.04.2009
- 1 BvR 224/07 - NVwZ 2009, 905 = juris Rn. 16; BVerwG, Urteil vom 17.12.2014 - 6 C 28/13 - juris Rn.
15), also zum Zwecke der Gefahrenabwehr. Soweit es um ordnungsrechtliche Regelungen geht, ist diese
Vorschrift somit lex specialis zu anderen Regelungen, die denselben Regelungsgehalt im Bereich der
Gefahrenabwehr beinhalten. Der Bebauungsplans „Vergnügungseinrichtungen“ verfolgt mit der Regelung
über die Zulässigkeit von Vergnügungseinrichtungen jedoch keinen ordnungsrechtlichen Ansatz. Vielmehr
handelt es sich um bodenrechtliche Regelungen im Rahmen der Bauleitplanung, die ihrerseits
Kernbestandteil der kommunalen Planungshoheit des Art. 28 GG ist. Die Bauleitplanung dient dazu, die
bauliche und sonstige Nutzung der Grundstücke in der Gemeinde vorzubereiten und zu leiten (vgl. § 1 Abs.
1 BauGB). Sie ist ein Instrument zur städtebaulichen Entwicklung und Ordnung des Gemeindegebiets.
Festsetzungen im Bebauungsplan sind somit städtebaulich und nicht ordnungsrechtlich motiviert. Eine
Kollision zu Sperrgebietsverordnungen nach Art. 297 EGStGB, für deren Erlass nach Bundesrecht der
Landesgesetzgeber zuständig ist, besteht daher entgegen der Ansicht der Kläger nicht. Im Übrigen geht eine
Verordnung nach Art. 297 EGStGB in ihrem Anwendungsbereich auch über die Steuerungsmöglichkeiten des
§ 1 Abs. 9 BauNVO hinaus, da Art. 297 EGStGB etwa auch ein Verbot der Straßenprostitution ermöglicht
(vgl. BVerfG, Beschluss vom 28.04.2009 a.a.O.).
39 Entgegen der Ansicht der Kläger liegt damit auch kein Abwägungsfehler vor, weil sich der Gemeinderat der
Beklagten beim Satzungsbeschluss - auch nicht bei der Änderung des Bebauungsplan im Jahre 2003 - mit
der Vorschrift des Art. 297 EGStGB auseinandergesetzt hat. Die Motivation der Beklagten war
bauleitplanerischer Natur, so dass kein Anlass bestand, sich mit Art. 297 EGStGB zu befassen.
40 Die Festsetzungen des Bebauungsplan „Vergnügungseinrichtungen“ finden danach ihre Rechtsgrundlage in §
1 Abs. 9 BauNVO, sie stellen sich als nach § 1 Abs. 9 BauGB zulässige Feindifferenzierungen der
planerischen Festsetzungen in dem nach § 173 Abs. 3 Satz 1 BBauG übergeleiteten Baustaffelplan der
Beklagten i.V.m. den ergänzenden Vorschriften der OBS 1935 dar (vgl. zum Ganzen bereits das
Normenkontrollurteil des Senats vom 16.12.1991 a.a.O.).
41 3. Der geplanten Nutzungsänderung steht somit § 3 Abs. 3 der textlichen Festsetzungen des
Bebauungsplans „Vergnügungseinrichtungen“ entgegen. Nach dieser Vorschrift sind
Vergnügungseinrichtungen der Kategorie C, wozu nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 der textlichen Festsetzungen auch
Bordelle und Einrichtungen mit Bordellcharakter gehören, nur im Citybereich und ausnahmsweise im
Leonhardsviertel zulässig. Das Baugrundstück befindet sich nicht in diesen Bereichen, so dass die
Nutzungsänderung unzulässig ist.
42 Die Beklagte ging zutreffend davon aus, dass eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB von den dem Vorhaben
entgegenstehenden Festsetzungen des Bebauungsplans „Vergnügungseinrichtungen“ nicht erteilt werden
kann, da hierdurch Grundzüge der Planung berührt würden.
43 Ob die Grundzüge der Planung berührt sind, hängt von der jeweiligen Planungssituation ab. Entscheidend
ist, ob die Abweichung dem planerischen Grundkonzept zuwider läuft. Je tiefer die Befreiung in das
Interessengeflecht der Planung eingreift, desto eher liegt der Schluss auf eine Änderung in der
Planungskonzeption nahe, die nur im Wege der (Um-)Planung möglich ist (BVerwG, Urteil vom 09.06.1978 -
4 C 54.75 - BVerwGE 56, 71.; Beschlüsse vom 05.03.1999 - 4 B 5.99 - BauR 1999, 1280 und vom
19.05.2004 - 4 B 35.04 - BRS 67 Nr. 83; Urteil vom 18.11.2010 - 4 C 10.09 - NVwZ 2011, 748 ). Sie darf -
jedenfalls von Festsetzungen, die für die Planung tragend sind - nicht aus Gründen erteilt werden, die sich in
einer Vielzahl gleichgelagerter Fälle oder gar für alle von einer bestimmten Festsetzung betroffenen
Grundstücke anführen ließen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 05.03.1999 - 4 B 5/99 -a.a.O.). Die
Beantwortung der Frage, ob Grundzüge der Planung berührt werden, setzt einerseits die Feststellung
voraus, was zum planerischen Grundkonzept gehört und andererseits die Feststellung, ob dieses planerische
Grundkonzept gerade durch die in Frage stehende Befreiung berührt wird (vgl. Söfker, in
Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Band II, Stand Februar, § 31 BauGB Rn. 35).
44 Der Bebauungsplan „Vergnügungseinrichtungen“ verfolgt nach seiner Begründung das Ziel, zur Vermeidung
städtebaulicher Fehlentwicklungen die räumliche Zulassung und Ansiedlung der Vergnügungseinrichtungen
an unterschiedlichen Standorten im Stadtgebiet zu steuern. Bereiche mit hohem Wohnanteil,
schützenwerte Einrichtungen wie Schulen, Jugendhäuser, Kirchen, kulturelle Einrichtungen und ihre
Umgebung, zentrale Plätze von städtebaulicher Bedeutung und wichtige Einkaufsgebiete sollen von
negativen Auswirkungen durch Vergnügungseinrichtungen nach Möglichkeiten freigehalten und deren
weiteres Vordringen in überwiegend bewohnte Cityrandgebiete verhindert werden. Hierzu gehört nach der
Planungskonzept der Beklagten, dass gerade auch die Vergnügungseinrichtungen der Kategorie C in dem
festgesetzten Citybereich räumlich angesiedelt werden (vgl. hierzu bereits Senatsurteil vom 13.12.1991
a.a.O.). Der räumliche Ausschluss von Vergnügungseinrichtungen der Kategorie C in den übrigen Bezirken
gehört danach erkennbar zu den Grundzügen der Planung, so dass eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB
bereits aus Rechtsgründen nicht erteilt werden kann. Raum für eine Ermessensentscheidung der Beklagten
war danach nicht eröffnet. Es kann somit offen bleiben, ob überhaupt einer der Befreiungsgründe des § 31
Abs. 2 BauGB vorliegt. Der in der mündlichen Verhandlung vom Kläger-Vertreter gestellte Hilfsbeweisantrag
ist abzulehnen, da es für die Entscheidung, ob eine Befreiung die Grundzüge der Planung berührt, auf die
unter Beweis gestellte Tatsache nicht ankommt.
45 Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 2 VwGO.
46 Die Revision ist nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
47
Beschluss
48 Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nrn. 9.2
und 9.1.2.1 auf
60.000,- EUR
festgesetzt (vgl. Beschluss des Senats vom 31.01.2014 - 8 S 205/14 -).
49 Der Beschluss ist unanfechtbar.