Urteil des VGH Baden-Württemberg vom 10.03.2017

einstellung der ermittlungen, ermittlungsverfahren, probe, zusicherung

VGH Baden-Württemberg Beschluß vom 10.3.2017, 4 S 124/17
Leitsätze
Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, wenn die charakterliche Eignung eines Bewerbers für den
Polizeivollzugsdienst auf Probe während eines anhängigen strafrechtlichen (Ermittlungs )Verfahrens verneint
wird.
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 23. Dezember
2016 - 3 K 4497/16 - wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird auf 15.033,12 EUR festgesetzt.
Gründe
1 Die fristgerecht eingelegte (§ 147 Abs. 1 VwGO) und begründete (§ 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO) Beschwerde
hat keinen Erfolg. Die von dem Antragsteller dargelegten Gründe, aus denen die Entscheidung des
Verwaltungsgerichts abzuändern sein soll und auf deren Prüfung sich das Beschwerdegericht grundsätzlich
zu beschränken hat (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), ergeben nicht, dass das Verwaltungsgericht den auf
Übernahme als Polizeikommissar in das Beamtenverhältnis auf Probe gerichteten Eilantrag zu Unrecht
abgelehnt hat.
I.
2 Das Verwaltungsgericht hat entschieden, ungeachtet des bereits zweifelhaften Anordnungsgrundes lasse
sich nicht mit der wegen Vorwegnahme der Hauptsache erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit feststellen,
dass die Entscheidung des Antragsgegners, den Antragsteller nicht zum 01.04.2016 einzustellen, zu
beanstanden ist. Wegen eines vermeintlichen Verstoßes gegen das Anti-Doping-Gesetz sei ein
Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Der hiernach bestehende Verdacht der Begehung einer Straftat
begründe Zweifel an der persönlichen Eignung des Antragstellers und rechtfertige die Ablehnung der
Einstellung durch den Antragsgegner. Art. 33 Abs. 2 GG gewähre keinen Anspruch auf Übernahme in ein
öffentliches Amt. Einen solchen Anspruch könne der Antragsteller auch nicht aus einer (derzeit noch)
verbindlichen Zusage oder Zusicherung auf Einstellung ableiten, weil die Ausführungen des Antragsgegners
im Schreiben vom 28.01.2016 jedenfalls wegen der nachträglich geänderten Sachlage (strafrechtlicher
Verdacht) keine Bindungswirkung mehr entfalte.
3 Mit seinem Beschwerdevorbringen macht der Antragsgegner im Wesentlichen - neben dem Vorliegen eines
Anordnungsgrundes - das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs mit der Begründung geltend, dass sich ein
Anspruch auf Einstellung bereits aus der verbindlichen und weder aufgehobenen noch nach § 38 Abs. 3
LVwVfG weggefallenen Zusicherung im Schreiben des Antragsgegners vom 28.01.2016 ergebe. Zudem
ergebe sich aus Art. 33 Abs. 2 GG ein Bewerbungsverfahrensanspruch. Hinsichtlich der Prüfung der Kriterien
für die Ernennung werde dem Dienstherrn ein Beurteilungsspielraum eingeräumt, wonach die Beurteilung
der vorliegend streitigen Frage der (charakterlichen) Eignung im pflichtgemäßen Ermessen stehe. Der
Antragsgegner habe insofern ermessensfehlerhaft die Einstellung versagt, als zwar grundsätzlich
tatsächliche Anhaltspunkte aus dem außerdienstlichen Bereich - wie z.B. aus laufenden wie eingestellten
Strafermittlungsverfahren - herangezogen werden könnten und verwertet werden dürften. Dies bedürfe
jedoch einer eigenständigen Feststellung und Bewertung durch den Dienstherrn, woran es vorliegend fehle.
Er bestehe weder in tatsächlicher noch rechtlicher Hinsicht ein ausreichender Verdacht einer Straftat. Er
habe nachgewiesen, dass er am 16.02.2016 keine Infusion von mehr als 50 ml erhalten habe, so dass der
Verstoß gegen Antidopingvorschriften nicht gegeben sei. Der Antragsgegner berufe sich damit letztlich zur
Begründung der charakterlichen Ungeeignetheit (nur noch) auf die Mitteilung, dass gegen ihn ein
Ermittlungsverfahren wegen Verdachts des Dopings anhängig sei. Dies sei zwar richtig, entbehre aber
jeglicher Tatsachengrundlage, was sich - wie bereits vorgetragen - u.a. aus den Beschlüssen des
Landgerichts F. vom 30.05.2016 und 26.07.2016 zur Rechtmäßigkeit einer Durchsuchungsanordnung, dem
Verwaltungsentscheid der Anti-Doping-Kommission vom 01.04.2016 sowie der Entscheidung des
Verbandsgerichts vom 07.08.2016 ergebe. Neben der fehlenden Tatsachengrundlage bestünden erhebliche
rechtliche Bedenken in Bezug auf die Verfassungsmäßigkeit des Anti-Doping-Gesetzes.
II.
4 Dieses Vorbringen greift nicht durch. Unabhängig vom Vorliegen eines vom Verwaltungsgericht
angezweifelten und vom Antragsteller mit dem Beschwerdevorbringen behaupteten Anordnungsgrundes ist
jedenfalls ein Anordnungsanspruch (Anspruch auf Einstellung in das Beamtenverhältnis auf Probe) nicht mit
der - angesichts der Vorwegnahme in der Hauptsache erforderlichen - hohen Wahrscheinlichkeit begründet.
Der Antragsteller hat derzeit weder aus Art. 33 Abs. 2 GG (dazu 1.) noch aus einer ihm gegenüber erteilten
Zusicherung (dazu 2.) einen Anspruch auf Einstellung als Beamter auf Probe.
5 1. Die Entscheidung über die Einstellung eines Bewerbers als Beamter auf Probe liegt im pflichtgemäßen
Ermessen des (künftigen) Dienstherrn. Die im Rahmen dieser Ermessensentscheidung vorzunehmende
Beurteilung von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung ist ein Akt wertender Erkenntnis, der vom
Gericht nur beschränkt darauf zu überprüfen ist, ob die Verwaltung den anzuwendenden Begriff verkannt,
der Beurteilung einen unrichtigen Tatbestand zugrunde gelegt, allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht
beachtet oder sachwidrige Erwägungen angestellt hat. Dem pflichtgemäßen Ermessen des Dienstherrn ist es
auch überlassen, welchen (sachlichen) Umständen er bei Einstellung und Auswahl das größere Gewicht
beimisst und in welcher Weise er den verfassungsrechtlichen Grundsatz des gleichen Zugangs zu jedem
öffentlichen Amt nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung verwirklicht, sofern nur das Prinzip
selbst nicht in Frage gestellt ist (vgl. BVerwG, Urteile vom 20.10.1983 - 2 C 11.82 -, BVerwGE 68, 109; vom
07.05.1981 - 2 C 42.79 -, Buchholz 232 § 8 BBG Nr. 19; vom 22.02.1990 - 2 C 13.87 - Juris Rn. 23 ff.;
Senatsbeschluss vom 07.05.2003 - 4 S 2224/01 -, NVwZ-RR 2004, 199). Im Übrigen ist die Nachprüfung von
ablehnenden Einstellungsbescheiden im Wesentlichen auf die Willkürkontrolle beschränkt. Denn es gibt
keinen absoluten Anspruch auf Übernahme in das Beamtenverhältnis. Art. 33 Abs. 2 GG regelt, dass jeder
Deutsche „nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen
Amt hat“. Das Gericht kann eine angegriffene Einschätzung der Einstellungsbehörde hierzu nicht durch die
eigene Einschätzung ersetzen. Aus demselben Grund kann das Gericht dem Bewerber in aller Regel auch
nicht den direkten Zugang zum öffentlichen Dienst eröffnen, d.h. nicht zur Einstellung verurteilen, sondern
allenfalls den Ablehnungsbescheid aufheben und die Verwaltung verpflichten, erneut über den Antrag auf
Übernahme in den öffentlichen Dienst zu entscheiden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22.05.1975 - 2 BvL 13/73
-, Juris Rn. 50).
6 Nach alledem ist die Entscheidung des Antragsgegners hier nicht zu beanstanden. Denn zur Ablehnung der
Einstellung genügen bereits berechtigte Zweifel des Dienstherrn daran, ob der Beamte die - auch
charakterliche - Eignung besitzt, die für die Ernennung notwendig ist. Hierbei sind Zweifel im Sinne
fehlender Überzeugung zu verstehen (vgl. BVerfG, a.a.O. Rn. 49). Bei der angestrebten Einstellung als
Polizeibeamter in den gehobenen Polizeivollzugsdienst darf der Antragsgegner die Fähigkeit und innere
Bereitschaft des Bewerbers voraussetzen, die dienstlichen Aufgaben nach den Grundsätzen der Verfassung
wahrzunehmen, insbesondere die Freiheitsrechte der Bürger zu wahren und rechtsstaatliche Regeln
einzuhalten (BVerfG, Beschluss vom 21.02.1995 - 1 BvR 1397/93 -, BVerfGE 92, 140; Senatsbeschluss vom
27.11.2008 - 4 S 2332/08 -, Juris Rn. 5). Hieran hegt der Antragsgegner beim Antragsteller berechtigte
Zweifel. Dabei braucht nicht entscheiden zu werden, ob diese Zweifel bereits (allein) an die Tatsache eines
laufenden strafrechtlichen Verfahren geknüpft werden können (a.), weil jedenfalls die dem strafrechtlichen
Verfahren zugrundeliegenden Tatsachen einen tauglichen Anknüpfungspunkt darstellen (b.).
7 a. Es spricht einiges dafür, dass ein staatsanwaltliches Ermittlungsverfahren (einen ersten) Anlass für
berechtigte Zweifel an der charakterlichen Eignung eines Bewerbers hervorrufen kann. Angesichts der
hohen Anforderungen an die charakterliche Eignung eines Polizeivollzugsbeamten (s.o.) erschiene es
zumindest zweifelhaft, anhängige strafrechtliche (Ermittlungs-)Verfahren, die ggf. den Nachweis der
(zunächst auf Zweifel gegründeten) fehlenden charakterlichen Eignung erbringen, außer Acht zu lassen.
Anknüpfungspunkte für den Eignungszweifel ergeben sich aus dem - in aller Regel vom Verdächtigten
zurechenbar herbeigeführten - Anfangsverdacht, welcher dazu geführt hat, dass überhaupt ein
strafrechtliches (Ermittlungs-)Verfahren geführt wird. Abweichendes mag im Hinblick auf den durch Art. 33
Abs. 2 GG garantierten Bewerberverfahrensanspruch (nur) dann gelten, wenn der im strafrechtlichen
(Ermittlungs-)Verfahren erhobene Vorwurf offensichtlich unbegründet ist oder das strafrechtliche
(Ermittlungs-)Verfahren nicht durch den Bewerber zurechenbar veranlasst wurde, z.B. im Falle der
missbräuchlichen Einleitung eines strafrechtlichen (Ermittlungs-)Verfahrens. Anhaltspunkte dafür, dass der
gegen den Antragsteller erhobene Vorwurf eines Verstoßes gegen das Anti-Doping-Gesetz offensichtlich
unbegründet ist, sind nicht ersichtlich; vielmehr ist gegen den Antragsteller zwischenzeitlich sogar ein
Strafbefehl des Amtsgerichts T. vom 27.12.2016 ergangen.
8 b. Ob die fehlende charakterliche Eignung schon aufgrund des gegen den Antragsteller laufenden
Ermittlungsverfahrens versagt werden durfte, braucht hier nicht entschieden zu werden. Denn der
Antragsgegner hat - entgegen der Annahme des Antragsstellers - diese Zweifel nicht (allein) aus der
Tatsache eines laufenden strafrechtlichen Verfahrens abgeleitet, sondern (auch) maßgeblich daraus, dass
„aufgrund des [dem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren] zugrundeliegenden Sachverhalts erhebliche in
Tatsachen begründete“ Zweifel an der charakterlichen Eignung des Antragstellers für den Polizeiberufs
bestünden (Ablehnungsbescheid vom 24.03.2016, S. 1 a.E.).
9 Die Tatsache, dass das in Bezug genommene strafrechtliche Ermittlungsverfahren (zum Erlasszeitpunkt des
Bescheids vom 24.03.2016) noch nicht abgeschlossen war, steht den aufgekommenen Zweifeln an der
charakterlichen Eignung des Antragstellers nicht entgegen. Denn der strafrechtlichen Unschuldsvermutung
korrespondiert keine beamtenrechtliche Eignungsvermutung. Auch liegt in der damit verweigerten
Einstellung (bzw. der der Sache nach vorgenommenen vorläufigen „Einstellungssperre“, vgl. den Hinweis im
Bescheid vom 24.03.2016 auf die mögliche (Wieder-)Einstellung und Ernennung zum Polizeikommissar für
den Fall der Einstellung des strafrechtlichen Verfahrens bzw. der Bestätigung der Unschuld) keine
vorweggenommene „Bestrafung“ des Antragstellers vor. Denn dem Antragsteller ist es nach den insoweit
überzeugend begründeten Ausführungen des Verwaltungsgerichts nicht gelungen, bestehende und
begründete Zweifel an seiner Eignung auszuräumen. Der Senat schließt sich dem an.
10 Ergänzend ist auszuführen, dass es dem Antragsteller oblegen hätte, die angesprochenen Zweifel eindeutig
zu widerlegen. Dementsprechend war der Antragsgegner nicht verpflichtet, eigenständige (u.a. aufwendige)
Ermittlungen oder gar (verfassungs-)rechtliche Prüfungen bezüglich des dem Antragsteller strafrechtlich
vorgeworfenen Sachverhalts durchführen. Im Rahmen des hinsichtlich der charakterlichen Eignung
bestehenden und gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraums kann der Dienstherr
beurteilungsfehlerfrei zu der Erkenntnis gelangen, einen Bewerber für die Dauer einer gegen ihn
durchgeführten strafrechtlichen Ermittlung und eines sich gegebenenfalls anschließenden förmlichen
Strafverfahrens als charakterlich ungeeignet anzusehen, bis der Dienstherr zu der Überzeugung gelangen
kann (z.B. nach Nichterweislichkeit des vorgeworfenen strafrechtlich relevanten Sachverhalts, Einstellung
der Ermittlungen bzw. des Strafverfahrens, Freispruch u.a.), dass der Bewerber (uneingeschränkt) geeignet
ist. Es ist auch nicht beurteilungsfehlerhaft, wenn regelmäßig dem Bewerber das daraus resultierende Risiko
auferlegt wird. Denn strafrechtliche Ermittlungsverfahren oder gar gerichtliche Strafverfahren beruhen in
der Regel auf Umständen, die in der Person oder doch in der Sphäre des betreffenden Bewerbers liegen (zu
Ausnahmefällen s.o.). Dem Dienstherrn ist nicht zumutbar, seinerseits ein Risiko einzugehen, einen
(Polizeivollzugs-)Beamten auf Probe einzustellen, wenn Zweifel an dessen uneingeschränkter
charakterlicher Eignung aufgetreten sind, die sich nicht haben ausräumen lassen und die keine ausreichende
Überzeugungsbildung des Dienstherrn hinsichtlich der charakterlichen Eignung zulassen.
11 Vor diesem Hintergrund ist nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner die Einstellung des Antragstellers
wegen fehlender charakterlicher Eignung abgelehnt hat, ohne sich (noch) eingehender mit den gegen den
Antragsteller geführten Ermittlungsverfahren auseinanderzusetzen. Jedenfalls lässt sich - bezogen auf die
Maßstäbe eines die Hauptsache vorwegnehmenden gerichtlichen Eilrechtsschutzes - nicht mit dem
erforderlich hohen Grad an Wahrscheinlichkeit ein diesbezüglicher Anordnungsanspruch des Antragstellers
auf Einstellung feststellen. Der zwischenzeitlich ergangene Strafbefehl illustriert die von dem Antragsgegner
(gestützt auf die dem bloßen strafrechtlichen Ermittlungsverfahren zugrundeliegenden Tatsachen) gehegten
Zweifel an der charakterlichen Eignung. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass der Antragsgegner diese im
Rahmen der noch ausstehenden Widerspruchsentscheidung mit berücksichtigen wird.
12 2. Unabhängig davon, ob - wofür Einiges spricht - das Schreiben des Antragsgegners vom 28.01.2016 als
Zusicherung im Sinne von § 38 LVwVfG qualifiziert werden kann, wäre nach den insoweit überzeugenden
Ausführungen des Verwaltungsgerichts, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird, die
Bindungswirkung einer solchen Zusicherung jedenfalls nach § 38 Abs. 3 LVwVfG weggefallen. Hiermit setzt
sich die Beschwerdebegründung nicht hinreichend substantiiert auseinander, sondern verweist darauf, dass
weder ein Widerruf noch eine Rücknahme der Einstellungszusage erfolgt sei bzw. darauf, dass in
Zusammenhang mit dem Widerruf der Einstellungszusage keine ausreichenden (eigenen) Feststellungen
seitens des Antragsgegners getroffen worden seien. Insoweit aber kann auf die Ausführungen unter 1.
verwiesen werden.
13 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
14 Die Streitwertfestsetzung folgt aus den §§ 40, 47 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 Nr. 2 GKG (6-
fache monatliche Bezüge der Besoldungsgruppe A 9 zum Zeitpunkt der Antragstellung).
15 Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).