Urteil des VGH Baden-Württemberg vom 21.02.2017

kostenbeitrag, wirtschaftliche leistungsfähigkeit, jugendhilfe, unterhaltspflicht

VGH Baden-Württemberg Urteil vom 21.2.2017, 12 S 594/16
Kinder-und Jugendhilfe; Berechnung des maßgeblichen durchschnittlichen Monatseinkommen
nach der Neufassung der Kostenerstattungsregelung
Leitsätze
Eine Rückwirkung des zum 03.12.2013 neu eingefügten Absatzes 4 des § 93 SGB VIII für die Berechnung von
Kostenbeiträgen, hinsichtlich derer die Beitragspflicht bereits vor dem 03.12.2013 entstanden ist, kommt
mangels einer die rückwirkende Anwendung des § 93 Abs. 4 SGB VIII n.F. anordnenden Vorschrift nicht in
Betracht.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 31. August 2015 - 8 K
2245/14 - wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Berufungsverfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1 Das Berufungsverfahren betrifft die Frage, ob § 93 Abs. 4 SGB VIII in der seit 03.12.2013 geltenden Fassung
für die Berechnung von vor diesem Zeitpunkt angefallenen Kostenbeiträgen anwendbar ist.
2 Der Kläger ist der Vater des am … 1994 geborenen S... Y... (im Folgenden: S). Das Sorgerecht für S. stand
der Kindesmutter zu, mit der der Kläger nicht verheiratet war. Der Beklagte gewährte S. vom 02.11.2010
bis 19.12.2011 Hilfe zur Erziehung in Form der Heimerziehung. Der Kläger ist gegenüber zwei weiteren
Kindern unterhaltspflichtig.
3 Von der Hilfegewährung für S. unterrichtete der Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 19.11.2010 und
teilte ihm mit, er habe ab 02.11.2010 mit der Zahlung eines Kostenbeitrags zu rechnen. Um Angaben zu
den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen werde bis 09.12.2010 gebeten. Mit
Erinnerungsschreiben vom 08.02.2011, 01.06.2011 und 22.06.2011 forderte der Beklagte den Kläger
erneut auf, seinen Mitwirkungspflichten nachzukommen.
4 Am 27.06.2011 übermittelte der Kläger den Prüfbogen zur Beurteilung der Höhe des Kostenbeitrages sowie
eine Renditebescheinigung für sein Unternehmen „D... D... Haus- und Elektroservice“ vom 14.04.2011,
wonach der Gewinn im Zeitraum vom 15.02.2011 bis 31.12.2011 (gemeint: 2010) vorläufig auf 27.703,79
Euro geschätzt wurde.
5 Mit Schreiben vom 29.06.2011 bat der Beklagte um Vorlage des endgültigen Ergebnisses und weiterer
Nachweise und mahnte dessen Erledigung am 19.03.2012, 09.05.2012 und 24.06.2013 an. Ausweislich der
von dem Beklagten angeforderten Auskunft des Finanzamtes Dessau-Roßlau vom 18.07.2013 hatte der
Kläger aus seinem Gewerbebetrieb in den Jahren 2010 und 2011 Einkünfte i.H.v. 27.965,-- Euro und
182.416,-- Euro.
6 Mit Schreiben vom 18.07.2013 teilte der Kläger mit, sein Unternehmen befinde sich im Insolvenzverfahren.
Für seine beiden weiteren Kinder leiste er regelmäßig Unterhalt.
7 Mit Anhörungsschreiben vom 14.08.2013 teilte der Beklagte mit, in welcher Höhe beabsichtigt sei, für den
Zeitraum vom 02.11.2010 bis 19.12.2011 Kostenbeiträge festzusetzen. Mit Schreiben vom 13.09.2013
nahm der Kläger Stellung und legte auf Anforderung des Beklagten (Schreiben vom 24.09.2013 und
Erinnerungsschreiben vom 09.10.2013) die Steuererklärungen für die Jahre 2010 und 2011 sowie die
jeweiligen Steuerbescheide vor.
8 Mit Heranziehungsbescheid vom 25.02.2014 setzte der Beklagte für den Zeitraum vom 22.11.2010 bis
19.12.2011 folgende Kostenbeiträge fest:
9
01.12.2011 - 19.12.2011: 639,67 Euro,
01.12.2010 - 30.11.2011: 1.010,-- Euro monatlich,
22.11.2010 - 30.11.2010: 269,33 Euro.
10 Die Kosten der dem S. gewährten Jugendhilfeleistung hätten monatlich ca. 5.500,-- Euro betragen. Bei der
Berechnung des Kostenbeitrages sei von einem Durchschnittseinkommen aus den Jahren 2010 und 2011
i.H.v. 76.110,45 Euro jährlich ausgegangen und hieraus ein Monatseinkommen i.H.v. 6.342,53 Euro
errechnet worden. Abzüglich der Pauschale von 25 Prozent für Belastungen ergebe sich ein beitragsrechtlich
relevantes monatliches Durchschnittseinkommen von 4.756,90 Euro. Die danach maßgebliche
Einkommensgruppe 20 gemäß der Anlage zu § 1 Kostenbeitragsverordnung sei aufgrund der
Unterhaltsverpflichtungen gegenüber zwei weiteren Kindern auf Einkommensgruppe 18 reduziert worden.
Der Kostenbeitrag für das erste vollstationär untergebrachte Kind betrage daher monatlich 1.010,-- Euro. Es
werde davon ausgegangen, dass der Kläger die Mitteilung über die Kostenbeitragspflicht am 22.11.2010
erhalten habe, so dass er ab diesem Tag zu den Maßnahmekosten heranzuziehen sei.
11 Der Kläger erhob gegen den am 26.02.2014 zugestellten Bescheid am 26.03.2014 Widerspruch, den er
trotz Erinnerung vom 03.06.2014 nicht begründete. Mit Widerspruchsbescheid vom 03.07.2014 wies der
Beklagte den Widerspruch ohne weitere inhaltliche Begründung zurück.
12 Auf den am 04.07.2014 zugestellten Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 04.08.2014 Klage zum
Verwaltungsgericht Karlsruhe erhoben und beantragt, den Heranziehungsbescheid des Beklagten vom
25.02.2014 und dessen Widerspruchsbescheid vom 03.07.2014 aufzuheben, soweit dieser einen
Gesamtbetrag von 580,65 Euro übersteige. Zur Begründung hat er ausgeführt, maßgeblich sei nach § 93
Abs. 4 SGB VIII das Einkommen des Kalenderjahres, das der Maßnahme vorangegangen sei. Von 2009 bis zu
Beginn des Jahres 2010 habe er Arbeitslosengeld bezogen und im Jahr 2010 einen Gewinn von 27.965,--
Euro erzielt. Nach den vorgesehenen Abzügen verbleibe ein Einkommen von 1.357,07 Euro monatlich.
Daraus ergebe sich eine Einordnung in Gruppe 4 bzw. aufgrund der weiteren Unterhaltsverpflichtungen in
Gruppe 2, so dass ein monatlicher Beitrag i.H.v. 50,-- Euro zu leisten sei.
13 Zur Klageerwiderung hat der Beklagte vorgetragen, § 93 SGB VIII in der seit 02.12.2013 gültigen Fassung
sei nicht anwendbar, da die Rechtsänderung nicht rückwirkend gelte. Nach der einschlägigen Fassung des §
93 SGB VIII sei der Kostenbeitragsberechnung jeweils das Einkommen des Leistungsjahres zugrunde zu
legen.
14 Mit Urteil vom 31.08.2015 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung
ausgeführt, für die Entscheidung sei § 93 SGB VIII in der bis 02.12.2013 geltenden Fassung maßgeblich. Eine
Rückwirkung der Neufassung sei nicht vorgesehen. Der den angegriffenen Bescheiden zugrunde liegende
Lebenssachverhalt sei am 19.12.2011 abgeschlossen gewesen. Darüber hinaus habe der Kläger den seiner
Ansicht nach geschuldeten Kostenbeitrag aus der 1. Verordnung zur Änderung der
Kostenbeitragsverordnung vom 5. Dezember 2013 (BGBl. I S. 4040) abgeleitet, obwohl diese erst zum
04.12.2013 in Kraft getreten sei. Unter Berücksichtigung der maßgeblichen Vorschriften habe der Beklagte
zutreffend das im relevanten Zeitraum erzielte Einkommen seinen Berechnungen zugrunde gelegt. Wohl in
Anwendung von Nr. 1.5 der unterhaltsrechtlichen Leitlinien der Familiensenate in Süddeutschland habe der
Beklagte aus der Summe des in den Jahren 2010 und 2011 erzielten Einkommens ein monatliches
Durchschnittseinkommen gebildet. Hierdurch sei der Kläger besser gestellt worden als wenn das Einkommen
der Jahre 2010 und 2011 getrennt berücksichtigt worden wäre. Die Kostenbeitragspflicht i.H.v. 13.029,--
Euro sei nicht zu beanstanden.
15 Der Kläger hat zur Begründung der mit Beschluss vom 15.03.2016, zugestellt am 07.04.2016, zugelassenen
Berufung am 08.05.2016 (einem Sonntag) ausgeführt, mit dem Ende der Jugendhilfemaßnahme sei der
Lebenssachverhalt nicht abgeschlossen gewesen, denn der Beklagte habe erst später die für seine
Entscheidung notwendigen Unterlagen von dem Kläger erhalten. Der Widerspruchsbescheid vom
03.07.2014 sei mehr als sechs Monate nach Inkrafttreten der Gesetzesänderung erlassen worden. Im
Übrigen sei zu berücksichtigen, dass der Kläger keinen Einfluss auf die Hilfemaßnahme für seinen Sohn habe
nehmen können. Mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 21.07.2010 sei die rechtliche
Stellung eines Vaters, der mit der Mutter des Kindes nicht verheiratet ist, wesentlich gestärkt worden. Der
Beklagte hätte den Kläger vor der Unterbringung des S. zumindest informieren müssen. Es hätte der
Versuch einer Ausbildung im väterlichen oder im Betrieb eines Geschäftspartners angestrebt werden
können. Die Möglichkeit eines kostenschonenden Versuchs für den Kläger sei nicht in Erwägung gezogen
worden.
16 Der Kläger beantragt (sachdienlich gefasst),
17 das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 31. August 2015 - 8 K 2245/14 - zu ändern und den
Bescheid des Beklagten vom 25. Februar 2014 und dessen Widerspruchsbescheid vom 3. Juli 2014
aufzuheben, soweit der Beklagte Kostenbeiträge für den Zeitraum vom 22. November 2010 bis 30.
November 2010 von mehr als 15,-- Euro, für den Zeitraum vom 1. Dezember 2010 bis 30. November 2011
von mehr als 50,-- Euro monatlich und für den Zeitraum vom 1. Dezember 2011 bis 19. Dezember 2011
von mehr als 30,65 Euro festgesetzt hat.
18 Der Beklagte beantragt,
19 die Berufung zurückzuweisen.
20 Zur Berufungserwiderung führt er aus, die Neuregelung des § 93 SGB VIII sei am 02.12.2013 (gemeint:
03.12.2013) und damit nach Ende der Jugendhilfemaßnahme am 19.12.2011 in Kraft getreten. Bereits mit
Schreiben vom 22.11.2010 sei der Kläger informiert worden, dass er aus dem Einkommen der Jahre 2010
und 2011 herangezogen werde. Für diesen in der Vergangenheit abgeschlossenen Zeitraum seien Beiträge
nach § 93 SGB VIII in der vor dem 03.12.2013 geltenden Fassung zu erheben. Konsequenz der
Rechtsauffassung des Klägers wäre, dass sich das anwendbare Recht danach bestimmte, wann der
Kostenschuldner die zur Beitragsberechnung erforderlichen Unterlagen vorlege. Die Beteiligung des nicht
sorgeberechtigten Klägers an der Hilfeplanung sei keine Voraussetzung für die Erhebung eines
Kostenbeitrages. Soweit der Kläger sich auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bezüglich der
Regelungen des BGB beziehe, sei dies unerheblich, da gemäß § 36 SGB VIII nur die Beteiligung
sorgeberechtigter Elternteile am Hilfeplanverfahren vorgesehen sei. Es hätte dem Kläger auch freigestanden,
beim Familiengericht einen Antrag auf Übertragung des Sorgerechts zu stellen.
21 Dem Senat liegen die Verwaltungsakten des Beklagten sowie die Gerichtsakte des Verwaltungsgerichts
Karlsruhe vor. Auf diese Akten sowie die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze wird ergänzend
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
22 Mit Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Senat gemäß §§ 125 Abs. 1 Satz 1, 101 Abs. 2 VwGO
ohne mündliche Verhandlung.
23 Die nach Zulassung durch den Senat statthafte Berufung ist zulässig. Insbesondere hat der Kläger die
erforderliche Begründung innerhalb der Frist des § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO vorgelegt. Denn der
07.05.2016 fiel auf einen Sonnabend, so dass die durch die am 07.04.2016 erfolgte Zustellung des
Senatsbeschlusses in Lauf gesetzte Berufungsbegründungsfrist erst mit Ablauf des 09.05.2016 endete (§ 57
Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 2 ZPO). Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat
die zulässige Teil-Anfechtungsklage des Klägers zu Recht abgewiesen. Die Bescheide des Beklagten sind
rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Maßgeblich für
die Ermittlung der Kostenbeitragshöhe für die dem Sohn des Klägers gewährte Hilfe zur Erziehung im
Zeitraum vom 02.11.2010 bis 19.12.2011 ist § 93 SGB VIII in der im Bewilligungszeitraum geltenden
Fassung.
24 1. Rechtsgrundlage für die Festsetzung von Kostenbeiträgen gegenüber dem Kläger für die dem S. gewährte
Heimerziehung für den Zeitraum vom 22.11.2010 bis 19.12.2011 sind §§ 91 Abs. 1 Nr. 5 b), 92 Abs. 1 Nr. 5,
Abs. 2, Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 Satz 1, 93, 94 Abs. 1 Sätze 1 bis 3, Abs. 2, Abs. 5 SGB VIII. Der
Leistungsbescheid ist formell rechtmäßig, insbesondere erfolgte mit Schreiben vom 14.08.2013 eine
ordnungsgemäße Anhörung gemäß § 24 Abs. 1 SGB X durch den sachlich (§ 85 Abs. 1 SGB VIII) und örtlich
(§ 86 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII) zuständigen Beklagten.
25 a) Zwischen den Beteiligten steht nicht im Streit, dass der Kläger als Vater des S. für die im Zeitraum vom
22.11.2010 bis 19.12.2011 gewährte Heimerziehung dem Grunde nach aus seinem Einkommen gemäß §§
91 Abs. 1 Nr. 5 b), 92 Abs. 1 Nr. 5 SGB VIII heranzuziehen ist und dies durch Erhebung eines Kostenbeitrags
mittels Leistungsbescheids erfolgt (§ 92 Abs. 2 SGB VIII).
26 b) Der Kostenbeitrag konnte gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII bei dem Kläger als Elternteil ab dem
Zeitpunkt erhoben werden, ab welchem ihm die Gewährung der Leistung mitgeteilt und er über die Folgen
für seine Unterhaltspflicht gegenüber S. aufgeklärt wurde.
27 aa) Die Mitteilung gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII erfolgte mit Schreiben vom 19.11.2010. Unter
Berücksichtigung der regelmäßigen Postlaufzeit im Inland von einem Tag und der Tatsache, dass der
19.11.2010 ein Freitag war, ist der Senat mit dem unbestrittenen Vortrag des Beklagten davon überzeugt,
dass das Schreiben dem Kläger am Montag, dem 22.11.2010, entsprechend dem Rechtsgedanken des § 130
BGB (dazu Loos, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl., 2015, § 92 Rn. 14) zugegangen war, so dass die
Kostenbeitragspflicht ab diesem Tag bestand.
28 bb) Das Schreiben vom 19.11.2010 enthielt die gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII notwendigen Angaben.
Sinn und Zweck des § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII ist, demjenigen, der zu einem Kostenbeitrag herangezogen
werden soll, die Möglichkeit zu Vermögensdispositionen im Hinblick auf die drohende Beitragspflicht zu
eröffnen (vgl. dazu Mann, in: Schellhorn/Fischer/Mann/Kern, SGB VIII, 5. Aufl. 2017, § 92 Rn. 12;
Kunkel/Kepert, in: Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 6. Aufl. 2016; § 92 Rn. 17; Schindler, in:
Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar SGB VIII, 7. Aufl. 2013, § 92 Rn. 18). Daraus folgt, dass
eine Mitteilung über die Gewährung der Leistung (§ 92 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 SGB VIII), eine Aufklärung über
die Folgen für die Unterhaltspflicht (§ 92 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 SGB VIII) und ein Hinweis auf die mögliche
Kostenbeitragspflicht erforderlich sind (BVerwG, Urteile vom 21.10.2015 - 5 C 21.14 - BVerwGE 153, 150
und vom 11.10.2012 - 5 C 22.11 - BVerwGE 144, 313).Die Art der konkreten Maßnahme war mit
„Leistungen gemäß § 27 i.V.m. § 34 Heimerziehung, s. betr. Wohnform SGB VIII“ ausreichend bezeichnet.
Als Beginn der Maßnahme war der 02.11.2010 genannt. Zur Dauer der Maßnahme lässt sich der Mitteilung
vom 19.11.2010 entnehmen, die Heimerziehung werde „laufend“ gewährt. Die Kosten waren mit 4.000,--
Euro monatlich zuzüglich einmaliger Beihilfen nach individuellem Bedarf beziffert. Darüber hinaus enthielt
das Schreiben eine Belehrung über die in § 10 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII benannten Folgen der Gewährung von
Jugendhilfe für den Unterhaltsanspruch, da ausgeführt war, anstelle des bürgerlich-rechtlichen Unterhalts
werde ein öffentlich-rechtlicher Kostenbeitrag fällig.
29 2. Zu Recht hat der Beklagte der Berechnung des für den Zeitraum vom 22.11.2010 bis 19.12.2011
erhobenen Kostenbeitrages gemäß § 93 SGB VIII in der im Bewilligungszeitraum geltenden Fassung das
Einkommen des Klägers in den Jahren 2010 und 2011 zugrunde gelegt. § 93 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII in der
seit 03.12.2013 geltenden Fassung des Kinder- und Jugendhilfeverwaltungsvereinfachungsgesetzes - KJVVG
- vom 29. August 2013 (BGBl. I S. 3464), der für die Berechnung des Einkommens auf das durchschnittliche
Monatseinkommen des Kostenbeitragspflichtigen in dem Kalenderjahr, das dem Kalenderjahr der Leistung
oder Maßnahme vorangeht, abstellt, wonach mithin das Einkommen des Klägers in den Jahren 2009 und
2010 maßgeblich gewesen wäre, findet vorliegend keine Anwendung.
30 a) Nach dem im Kinder- und Jugendhilferecht bisher geltenden Grundsatz der Gleichzeitigkeit bemisst sich
die Höhe des Kostenbeitrags nach den maßgeblichen Verhältnissen im Zeitraum der Hilfegewährung
(BVerwG, Urteil vom 25.11.1982 - 5 C 13.82 - FEVS 32, 309; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom
04.06.2003 - 9 S 672/03 -; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 27.12.1995 - 16 E 1189/94 - NWVBl 1996,
225). Auf diesen Grundsatz muss mangels einer im Bedarfszeitraum geltenden Ausnahmevorschrift auch für
die Einkommensermittlung im vorliegenden Verfahren abgestellt werden.
31 b) § 93 SGB VIII regelt die Berechnung des Einkommens, nach dem sich der Umfang der Heranziehung
gemäß § 94 SGB VIII bestimmt. § 93 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII in der seit 03.12.2013 geltenden Fassung lautet:
Maßgeblich ist das durchschnittliche Monatseinkommen, das die kostenbeitragspflichtige Person in dem
Kalenderjahr erzielt hat, welches dem jeweiligen Kalenderjahr der Leistung oder Maßnahme vorangeht. Die
Anfügung dieses neuen Absatzes 4 in § 93 SGB VIII erfolgte durch Artikel 1 Nr. 9c KJVVG vom 29. August
2013 (BGBl. I, 3464, 3466). Gemäß Art. 3 Abs. 1 KJVVG ist Artikel 1 Nrn. 8 bis 10 zum 03.12.2013 in Kraft
getreten. Zu diesem Zeitpunkt waren der Heranziehungsbescheid vom 25.02.2014 und der
Widerspruchsbescheid vom 03.07.2014 zwar noch nicht erlassen. Der maßgebliche Lebenssachverhalt,
nämlich die Hilfeleistung des Beklagten in Form der Heimerziehung für S., betrifft jedoch den Zeitraum vom
02.11.2010 bis 19.12.2011 und war daher bei Inkrafttreten des § 93 Abs. 4 SGB VIII in der Fassung vom
29.08.2013 am 03.12.2013 abgeschlossen.
32 aa) Ohne dass es nach dem Vorstehenden darauf ankäme, kann es auf den Zeitpunkt des Erlasses des
Heranziehungs- und Widerspruchsbescheides am 25.02.2014 und 03.07.2014 oder gar auf die Vorlage aller
maßgeblichen Unterlagen seitens des Kostenbeitragspflichtigen für die Frage des anwendbaren Rechts
entgegen der Auffassung des Klägers nicht ankommen. Anderenfalls hätte es für die Einkommensberechnung
nach § 93 SGB VIII in der bis 02.12.2013 geltenden Fassung in der Hand des Kostenpflichtigen gelegen,
durch den Zeitpunkt der Angaben zu den Einkommensverhältnissen Einfluss darauf zu nehmen, auf welche
Kalenderjahre zur Berechnung des Kostenbeitrages i.S.v. §§ 91 ff. SGB VIII abzustellen gewesen wäre.
Vorliegend hatte der Beklagte den Kläger bereits mit Schreiben vom 19.11.2010 aufgefordert, zur
Feststellung der Beitragshöhe eine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse
abzugeben. Erstmals auf das Schreiben vom 22.06.2011 und damit sieben Monate nach der ursprünglichen
Aufforderung übermittelte der Kläger den ausgefüllten Prüfbogen zur Beurteilung des Kostenbeitrages, ohne
die gemachten Angaben ausreichend mit geeigneten Nachweisen zu belegen, obwohl das von dem
Beklagten überlassene Formular dies ausdrücklich verlangt hatte. Trotz Aufforderungen des Beklagten vom
29.06.2011, 19.03.2012, 09.05.2012 und 24.06.2013, Belege vorzulegen, reagierte der Kläger nicht, so
dass der Beklagte mit Schreiben vom 10.07.2013 das Finanzamt Dessau-Roßlau um Auskunft über die
Einkommens- und Vermögensverhältnisse in den Jahren 2010 und 2011 bat. Nach Eingang der
Stellungnahme des Klägers vom 13.09.2013 legte dieser auf die Schreiben des Beklagten vom 24.09.2013
und 09.10.2013 die Steuererklärungen für die Jahre 2010 und 2011 sowie die darauf ergangenen
Steuerbescheide vor. Der geschilderte Verfahrensablauf verdeutlicht, dass der Erlass des
Heranziehungsbescheides sich aufgrund der zögerlichen Mitwirkung des Klägers zeitlich deutlich verschob.
Dies kann - wie dargelegt - nicht dazu führen, dass für die Frage des anwendbaren Rechts auf einen
späteren Zeitpunkt als den Zeitraum der Heimerziehung und die Unterrichtung des Klägers über seine
Kostenbeitragspflicht abzustellen wäre.
33 bb) Darüber hinaus kann der Zeitpunkt des Erlasses des Heranziehungsbescheides oder der Vorlage aller
maßgeblichen Unterlagen auch deshalb nicht zur Anwendbarkeit des § 93 Abs. 4 SGB VIII in der seit
03.12.2013 geltenden Fassung führen, weil der Kostenbeitrag der Eltern grundsätzlich an die Stelle der
Unterhaltspflicht tritt, solange der Jugendhilfeträger im Rahmen der Hilfemaßnahme den Unterhalt abdeckt
(BVerwG, Urteil vom 19.03.2013 - 5 C 16.12 - NJW 2013, 182). Daher war nach einhelliger Auffassung in
Rechtsprechung und Literatur vor der Einfügung des § 93 Abs. 4 SGB VIII mit Wirkung vom 03.12.2013 für
die endgültige Kostenbeitragserhebung auch bei selbständig Tätigen auf das Einkommen abzustellen, das im
Zeitraum der Durchführung der beitragspflichtigen Hilfemaßnahme erzielt worden war (BVerwG, Urteil vom
19.03.2013 - 5 C 16.12 - a.a.O.; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 16.04.2013 - 12 A 1292/09 - juris;
Stähr, in: Hauck/Noftz, SGB VIII, 2013, § 93 Rn. 5a zu § 93 a.F., Stand: Nov. 2011; Kunkel, in: Kunkel, SGB
VIII, 4. Aufl., 2011, § 93 Rn. 1, 2; Schindler, in: Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar zum SGB
VIII, 6. Aufl., 2009, § 93 Rn. 7; Mann, in: Schellhorn/Fischer/Mann/Kern, SGB VIII, 4. Aufl., 2012, § 93 Rn. 4;
Mann, in: Schellhorn/Fischer/Mann/Kern, SGB VIII, 3. Aufl., 2007, § 93 Rn. 4). Anhaltspunkte dafür, dass für
die endgültige Kostenbeitragspflicht frühere oder spätere Einkommenszeiträume maßgeblich hätten sein
können, enthielt § 93 SGB VIII in den vor dem 03.12.2013 geltenden Fassungen nicht (BVerwG, Urteil vom
19.03.2013 - 5 C 16.12 - juris Rn. 25; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 16.04.2013 - 12 A 1292/09 -
juris Rn. 45; Stähr, in: Hauck/Noftz, a.a.O.; Schindler, in: Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar
zum SGB VIII, a.a.O.).
34 c) Eine Rückwirkung des zum 03.12.2013 neu eingefügten Absatzes 4 des § 93 SGB VIII auf die am
22.11.2010 entstandene Kostenbeitragspflicht, die bis 19.12.2011 andauerte, kommt mangels einer die
rückwirkende Anwendung des § 93 Abs. 4 SGB VIII n.F. anordnenden Vorschrift nicht in Betracht.
35 aa) Hätte der Gesetzgeber mit der Anfügung des § 93 Abs. 4 SGB VIII n.F. nicht nur eine Regelung für die
Zukunft treffen, sondern auch auf in der Vergangenheit liegende Tatbestände einwirken wollen, hätte er
dies durch eine gesetzliche Rückwirkungsanordnung zum Ausdruck bringen müssen. Das rechtsstaatliche
Gebot der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit gebietet, dass der Gesetzgeber mit hinreichender Klarheit
deutlich machen muss, zu welchem Zeitpunkt ein Gesetz in Kraft treten und ob es Rückwirkung entfalten
soll. Die Normadressaten, die Exekutive und die Rechtsprechung müssen auf möglichst einfache Weise
feststellen können, ab welchem Zeitpunkt die neue Vorschrift anzuwenden ist (vgl. BVerfG, Urteil vom 8. Juli
1976 - 1 BvL 19/75 - BVerfGE 42, 263; BSG, Urteil vom 30. Mai 1990 - 10 RKg 11/89 - juris). Eine derartige
gesetzliche Rückwirkungsanordnung in dem Sinne, dass § 93 Abs. 4 SGB VIII n.F. auch Geltung für die
Berechnung von Kostenbeiträgen haben soll, hinsichtlich derer die Beitragspflicht bereits vor dem
03.12.2013 entstanden ist, hat der Gesetzgeber nicht getroffen. Die Inkrafttretensregelung des Art. 3 Abs.
1 KJVVG sieht eine Rückwirkung nicht vor, sondern bestimmt ausschließlich die Geltung für die Zukunft.
Auch dem Tatbestand des § 93 Abs. 4 SGB VIII n.F. kann eine, Art. 3 Abs. 1 KJVVG modifizierende
Geltungsregelung nicht entnommen werden. Darüber hinaus enthält das KJVVG keine Übergangsvorschrift,
die die Erhebung von Kostenbeiträgen für durchgeführte Maßnahmen und eine bereits entstandene
Kostenbeitragspflicht beträfe. Die Neuregelung entfaltete daher mit Inkrafttreten am 03.12.2013 ihre
Wirkung, erfasst jedoch Fallgestaltungen nicht, bei denen der zugrunde liegende Lebenssachverhalt - hier
die Jugendhilfemaßnahme für S. in Form der Heimerziehung - am 03.12.2013 abgeschlossen und ein
Kostenbeitrag nach Mitteilung gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII - vorliegend mit am 22.11.2010
zugegangenem Schreiben - bereits erhoben werden konnte.
36 bb) Eine Anwendbarkeit des § 93 Abs. 4 SGB VIII n.F. für vor dem 03.12.2013 abgeschlossene
Lebenssachverhalte und nach Mitteilung gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII bestehender Möglichkeit der
Kostenerhebung ergibt sich auch unter Berücksichtigung der Gesetzesmaterialien nicht. Zwar wird die
Anfügung des Absatzes 4 in § 93 SGB VIII n.F. in dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zum KJVVG (BR-
Drucks. 93/13, S. 14; BT-Drucks. 17/13023, S. 14) als "Klarstellung" bezeichnet. Grundsätzlich werde das
durchschnittliche Monatseinkommen des Kalenderjahres berechnet, das dem jeweiligen Kalenderjahr der
Leistung oder Maßnahme der Kinder- und Jugendhilfe vorangehe. So könne zeitnah zur Leistung oder
Maßnahme der Kostenbeitrag erhoben werden. Dem Kläger ist zuzugeben, dass die Formulierung, es solle
klargestellt werden, welcher Zeitraum für die Einkommensermittlung zu betrachten sei, zunächst nahelegt,
eine entsprechende Praxis habe bislang ohne eine dies ausdrücklich regelnde Vorschrift bestanden und
werde durch die Neufassung kodifiziert. Um eine solche sog. authentische Interpretation des Gesetzgebers
des vor dem 03.12.2013 geltenden Rechts handelt es sich jedoch vorliegend nicht. Im Rahmen einer
authentischen Interpretation ordnet der Gesetzgeber durch eine Klarstellung an, wie die schon bisher
bestehenden gesetzlichen Bestimmungen zu verstehen waren (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 21.07.2010
- 1 BvL 11/06 - BVerfGE 126, 369; BSG, Urteil vom 17.12.2002 - B 7 AL 18/02 R - SozR 3-4300 § 202 Nr. 3;
OVG Brandenburg, Urteil vom 23.11.2004 - 2 A 269/04 - juris Rn. 71). Die Gesetzesbegründung der
Bundesregierung lässt jedoch nicht erkennen, dass mit der seit 03.12.2013 geltenden Anfügung des § 93
Abs. 4 SGB VIII die bisherige Auslegung des § 93 SGB VIII (a.F.) durch Rechtsprechung und Literatur (dazu
oben unter 2.a)bb)) nachträglich verändert werden sollte. Vielmehr deuten die Ausführungen im Rahmen
der Einführung der Gesetzesbegründung (Gesetzentwurf der Bundesregierung zum KJVVG, BR-Drucks.
93/13, S. 1; BT-Drucks. 17/13023, S. 1) auf eine echte Änderung der Rechtslage für die Zukunft hin, indem
ausgeführt wird, das Recht der Kostenbeteiligung in der Kinder- und Jugendhilfe müsse „weiterentwickelt
werden“, um sicherzustellen, dass die ursprünglich mit der Reform der Kostenheranziehung in der Kinder-
und Jugendhilfe verbundene Intention der Verwaltungsvereinfachung zum Tragen komme. Überdies könnte
auch bei einer sog. authentischen Interpretation des Gesetzgebers nicht ohne weiteres auf eine
Rückwirkung der Gesetzesänderung geschlossen werden. Auch dann wäre eine ausdrückliche oder im Wege
der Auslegung ermittelbare Regelung über die Rückwirkung der Rechtsänderung aus Gründen der
Rechtssicherheit erforderlich (vgl. BSG, Urteil vom 17.12.2002, a.a.O.), an der es vorliegend jedoch fehlt.
37 cc) Darüber hinaus ergibt sich auch aus dem Grundsatz des intertemporalen Verfahrensrechts keine andere
Beurteilung. Danach erfasst das neue Verfahrensrecht bei Fehlen einer Übergangsregelung vom Zeitpunkt
seines Inkrafttretens regelmäßig auch bereits anhängige Verfahren (Sennekamp, in:
Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 1. Aufl., 2014, § 96 Rn. 1 m.w.N.). § 93 SGB VIII stellt jedoch keine rein
verfahrensrechtliche Regelung dar. Vielmehr bestimmt die Vorschrift in materiell-rechtlicher Hinsicht, dass
Bemessungsgrundlage der Kostenbeiträge die Höhe des Einkommens des Kostenpflichtigen ist und enthält
des Weiteren Vorgaben zur Ermittlung des einzusetzenden Einkommens.
38 d) Maßgeblich für die Bestimmung der Kostenbeitragshöhe des Klägers war somit § 93 SGB VIII in der bis
02.12.2013 geltenden Fassung. Zu der Einkommensermittlung nach dieser Vorschrift hat das BVerwG mit
Urteil vom 11.10.2012 (- 5 C 22.11 - BVerwGE 144, 313) ausgeführt:
39 „Nach § 93 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII gehören zum Einkommen alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert (…).
Diese Definition des Einkommens ist zwar erkennbar der Einkommensdefinition des Sozialhilferechts
nachgebildet (vgl. § 76 Abs. 1 BSHG 2002, § 82 Abs. 1 SGB XII und § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II). Der
Gesetzgeber hat jedoch eine eigenständige Regelung getroffen, die insbesondere durch den pauschalen
Abzug von Aufwendungen nach § 93 Abs. 3 Satz 3 SGB VIII eine schnellere und einfachere Berechnung des
bereinigten Einkommens ermöglichen soll (BTDrucks 15/3676 S. 41 f.). (…) Soweit das Jugendhilferecht
keine speziellen Regelungen zur Einkommensberechnung enthält, ist es grundsätzlich Aufgabe der
Rechtspraxis und Rechtsprechung, die anzuwendenden Berechnungsmethoden unter Berücksichtigung der
systematischen Zusammenhänge des Gesetzes näher zu konkretisieren. (…)
40 Besteht bei einer nichtselbständigen Erwerbstätigkeit die berechtigte Erwartung, dass der Pflichtige hieraus
im Leistungszeitraum im Wesentlichen gleichbleibende monatliche Einkünfte erzielt, ist die Behörde
berechtigt, aus dem Gesamteinkommen ein monatliches Durchschnittseinkommen zu ermitteln und dieses
der Berechnung des monatlichen Kostenbeitrags zugrunde zu legen. Allerdings setzt eine entsprechende
Mittelung voraus, dass sich in der Durchschnittswertbildung die im Festsetzungszeitraum zu erwartende
wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Pflichtigen widerspiegelt. (…) Die Erreichung dieses Ziels bedingt,
dass die Durchschnittsbildung auf der Grundlage einer validen, aktuelle Einkommensnachweise
einbeziehenden Prognose vorgenommen wird. Daran gemessen ist es nicht zu beanstanden, wenn aus dem
vor dem Leistungszeitraum über eine längere Zeit erzielten Einkommen ein monatliches
Durchschnittseinkommen ermittelt und dieses zur Grundlage der Berechnung des monatlichen
Kostenbeitrags gemacht wird. (…)“
41 Diese Rechtsprechung hat das BVerwG mit Urteil vom 19.03.2013 (- 5 C 16.12 - NJW 2013, 1832) für die
Einkommensermittlung bei selbständig Tätigen fortgeführt:
42 „Nach diesen Maßstäben kann auch das Einkommen Selbständiger ermittelt werden. (…) Ebenfalls
zutreffend hat die Beklagte für die Kostenbeitragsberechnung auf das bereinigte Monatseinkommen
abgestellt. Dies ergibt sich bereits aus der zu § 94 Abs. 5 SGB VIII erlassenen Kostenbeitragsverordnung,
deren Anlage auf das bereinigte Monatseinkommen Bezug nimmt (vgl. Urteil vom 11. Oktober 2012 a.a.O.
Rn. 19). Maßgeblich kann jedoch nicht der in jedem einzelnen Monat exakt erzielte Einkommenszufluss
sein, weil bei Selbständigen berufsbedingte Einnahmen und Ausgaben monatsweise häufig stark
schwanken. Der Senat hat jedoch bereits im Fall eines angestellten Kostenbeitragspflichtigen entschieden,
dass eine Verpflichtung zu einer streng an den jeweiligen Monatsbezügen ausgerichteten Einzelberechnung
dem im Jugendhilferecht geltenden Grundsatz der einfachen und schnellen Einkommensberechnung
widerspräche (vgl. Urteil vom 11. Oktober 2012 a.a.O. Rn. 20). Für selbständige Kostenbeitragspflichtige ist
daher erst recht auf das durchschnittliche Monatseinkommen abzustellen. Dementsprechend sehen auch
die Regelungen des Sozialhilferechts bei Selbständigen die Ermittlung eines monatlichen
Durchschnittseinkommens vor. Nach § 4 Abs. 2 VO zu § 82 SGB XII sind bei Selbständigen die Einkünfte für
das Jahr zu berechnen, in dem der Bedarfszeitraum liegt. Als Monatseinkommen gilt der zwölfte Teil der
Jahreseinkünfte (vgl. § 11 Abs. 1 VO zu § 82 SGB XII). Diese Regelungen können entsprechend im
Jugendhilferecht herangezogen werden, weil eine vergleichbare Interessenlage besteht. (…)
43 Für die endgültige Kostenbeitragserhebung ist das Einkommen maßgeblich, das im Zeitraum der
Durchführung der beitragspflichtigen Hilfemaßnahme, also im Hilfe- oder Bedarfszeitraum, erzielt wird.
Denn der Kostenbeitrag der Eltern tritt an die Stelle der Unterhaltspflicht, solange der Jugendhilfeträger im
Rahmen der Hilfemaßnahme den Unterhalt abdeckt. Anhaltspunkte dafür, dass für die Kostenbeitragspflicht
frühere oder spätere Einkommenszeiträume maßgeblich sein könnten, enthält das Gesetz nicht. Die
Betrachtung anderer Einkommenszeiträume würde die Gefahr zu hoher finanzieller Belastungen in sich
bergen und die Lebensbedingungen der Familien - entgegen dem Gesetzeszweck des § 1 Abs. 3 Nr. 4 SGB
VIII - übermäßig belasten. (…)“
44 Dies zugrunde legend hat der Beklagte zu Recht zur Festsetzung des Kostenbeitrages die Bruttoeinnahmen
durch Auswertung der für die Jahre 2010 und 2011 ergangenen Einkommensteuerbescheide ermittelt und
hiervon die steuerlichen Ausgaben sowie die Versicherungs- und Versorgungsausgaben des jeweiligen
Wirtschaftsjahres in Abzug gebracht (§ 93 Abs. 2 SGB VIII). Daraus ergibt sich für das Jahr 2010 ein
verbleibendes Jahreseinkommen i.H.v. 21.950,11 Euro bzw. ein zu berücksichtigendes Monatseinkommen
i.H.v. 1.829,18 Euro, von dem der Beklagte zutreffend die in § 93 Abs. 3 SGB VIII geregelte Pauschale von
25 Prozent abgesetzt hat, so dass sich ein Monatseinkommen von 1.371,88 Euro errechnet. Ausgehend
hiervon erfolgte die weitere Ermittlung des Kostenbeitrages nach § 94 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII i.V.m. der
Kostenbeitragsverordnung (KostenbeitragsV) vom 1. Oktober 2005 in der bis 03.12.2013 gültigen Fassung.
Diese Fassung war vorliegend anwendbar, da die Neufassung der KostenbeitragsV erst zum 04.12.2013 in
Kraft getreten ist (BGBl I S. 4040). Auf die diesbezüglichen Ausführungen des Verwaltungsgerichts (UA, S. 6
f und 8 f.) wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen und insoweit gemäß § 130b Satz 2
VwGO von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen. Bei einem Monatseinkommen
von 1.371,88 Euro war der Kläger in Einkommensgruppe 7 der Anlage 1 bzw. wegen der Unterhaltspflichten
gegenüber zwei weiteren Kindern gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 1 KostenbeitragsV vom 1. Oktober 2005 in der bis
03.12.2013 gültigen Fassung in Einkommensgruppe 3 einzustufen. Hieraus ergibt sich ein monatlicher
Kostenbeitrag i.H.v. 185,-- Euro für Dezember 2010 und für den Zeitraum vom 22.11.2010 bis 30.11.2020
anteilig von 55,50 Euro.
45 Für das Jahr 2011 legte der Beklagte zutreffend ein verbleibendes Jahreseinkommen von 130.270,78 Euro
zugrunde, was zu einem zu berücksichtigenden Monatseinkommen i.H.v. 10.855,90 Euro bzw. nach Abzug
der Pauschale von 25 Prozent von 8.141,92 Euro und damit zu einer Eingruppierung in Einkommensgruppe
27 führt. Eine Berücksichtigung weiterer Unterhaltspflichten war bei Einkommen, die nicht den
Einkommensgruppen 2 bis 20 zuzuordnen waren, nicht vorgesehen (vgl. § 4 Abs. 1 KostenbeitragsV vom 1.
Oktober 2005 in der bis 03.12.2013 gültigen Fassung). Daher ergibt sich eine monatliche
Kostenbeitragspflicht von 2.125,-- Euro für den Zeitraum vom 01.01.2011 bis 30.11.2011 sowie anteilig
i.H.v. 1.302,42 Euro für Dezember 2011 (01.12.2011 bis 19.12.2011). Insgesamt errechnet sich eine
Kostenbeitragsforderung i.H.v. 24.917,92 Euro. Der Beklagte hat jedoch in Anwendung von Nr. 1.5 der
Unterhaltsrechtlichen Leitlinien der Familiensenate zur Festsetzung des Ehegatten- und Kindesunterhalts in
Süddeutschland ein Durchschnittseinkommen aus dem Einkommen der Jahre 2010 und 2011 gebildet und
eine Gesamtforderung i.H.v. 13.029,-- Euro erhoben. Da diese Forderung erheblich niedriger als der
rechtmäßige Gesamtkostenbeitrag ist, verletzt diese Vorgehensweise den Kläger nicht in eigenen Rechten.
46 3. Entgegen der Auffassung des Klägers ergeben sich aus seiner fehlenden Beteiligung an dem
Hilfeplanverfahren für seinen Sohn keine Auswirkungen auf die Kostenbeitragspflicht. §§ 91 Abs. 1 Nr. 5 b),
92 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2, Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 Satz 1, 93, 94 Abs. 1 Sätze 1 bis 3, Abs. 2, Abs. 5 SGB VIII als
Rechtsgrundlage für die Heranziehung des Klägers zu Kostenbeiträgen für die seinem Sohn gewährte Hilfe
zur Erziehung in Form der Heimerziehung regeln abschließend die Voraussetzungen für den Erlass eines
Leistungsbescheids. Mit Ausnahme der Mitteilungspflicht aus § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII enthalten die
genannten Vorschriften keine Voraussetzungen hinsichtlich der Beteiligung des in Anspruch genommenen
Elternteils, die für die Erhebung eines Kostenbeitrages erfüllt sein müssten. Die Heranziehung zu einem
Kostenbeitrag ist darüber hinaus eine gebundene Entscheidung. Eine Ermessensausübung, in deren Rahmen
eine unterbliebene Beteiligung an dem Hilfeplanverfahren berücksichtigt werden könnte, ist nicht
vorgesehen. Schließlich sind nach § 36 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII der Personensorgeberechtigte und das Kind
oder der Jugendliche vor der Entscheidung über die Inanspruchnahme einer Hilfe und vor einer notwendigen
Änderung von Art und Umfang der Hilfe zu beraten und auf die möglichen Folgen für die Entwicklung des
Kindes oder des Jugendlichen hinzuweisen. Personensorgeberechtigt ist gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 5 SGB VIII,
wem allein oder gemeinsam mit einer anderen Person nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches
die Personensorge zusteht. Die Personensorge für S. lag zu keinem Zeitpunkt bei dem Kläger, so dass er
nicht zwingend gemäß § 36 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII an dem Hilfeplanverfahren zu beteiligen war. In der
Literatur wird zwar vertreten, die Beteiligung nichtsorgeberechtigter Väter nichtehelicher Kinder sei
grundsätzlich anzustreben (Schmid-Obkirchner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, § 36 Rn. 20) bzw. die
nicht sorgeberechtigten Elternteile seien insbesondere dann in die Hilfeplanung einzubeziehen, wenn eine
Prüfung sinnvoll erscheine, ob deren Ressourcen im Interesse des Kindes oder Jugendlichen genutzt werden
könnten (Meysen, in: Frankfurter Kommentar SGB VIII, 7. Aufl. 2013, § 36 Rn. 29). Darüber hinaus sieht §
37 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII auch die Zusammenarbeit mit den Eltern vor, wobei diese Vorschrift nicht an die
Personensorgeberechtigung anknüpft, da Zweck die Pflege von Beziehungen und Kontakten zur
Herkunftsfamilie ist (Meysen, in: Frankfurter Kommentar SGB VIII, 7. Aufl. 2013, § 37 Rn. 5). Dies zugrunde
legend ist im Rahmen des Hilfeplanverfahrens die Beteiligung des nichtsorgeberechtigten Elternteils
möglicherweise sinnvoll, jedoch in § 36 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII nicht zwingend vorgesehen. Etwas anderes
ergibt sich auch unter Berücksichtigung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 21.07.2010 (-
1 BvR 420/09 - BVerfGE 127, 312) nicht. Das Bundesverfassungsgericht hatte beanstandet, dass der Vater,
der bei der Geburt eines Kindes nicht mit der Mutter verheiratet war, nach der früheren Ausgestaltung des §
1626a BGB gegen den Willen der Mutter kein Sorgerecht erhalten konnte und keine Möglichkeit bestand, die
Weigerung gerichtlich überprüfen zu lassen. Der Gesetzgeber hat daher durch das Gesetz zur Reform der
elterlichen Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern vom 16.04.2013 (BGBl. I, 795) eine Möglichkeit
geschaffen, die dem Vater die Einräumung der Mitsorge auch gegen den Willen der Mutter gestattet (vgl.
dazu Kemper, in: Schulze, Bürgerliches Gesetzbuch, 9. Aufl. 2017, § 1626a Rn. 2, 4). Von dieser ihm
zivilrechtlich eingeräumten Möglichkeit hat der Kläger keinen Gebrauch gemacht, so dass er nicht
personensorgeberechtigt i.S.d. § 7 Abs. 1 Nr. 5 SGB VIII war.
47 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 188 Satz 2 VwGO
gerichtskostenfrei.
48 Gründe, die die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO rechtfertigen würden, sind nicht
ersichtlich.