Urteil des VGH Baden-Württemberg vom 07.03.2017

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VGH Baden-Württemberg Beschluß vom 7.3.2017, 10 S 328/17
Keine Kraftfahreignung bei THC-Konzentration ab 1,0 ng/ml im Blutserum
Leitsätze
Der Senat geht jedenfalls im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes weiter davon aus, dass bei einem
Betroffenen, der gelegentlich Cannabis konsumiert, die Kraftfahreignung nach Nummer 9.2.2 der Anlage 4 der
FeV bereits dann fehlt, wenn eine Fahrt mit einer THC-Konzentration ab 1,0 ng/ml im Blutserum belegt ist (wie
Senatsbeschluss vom 22.07.2016 - 10 S 738/16 - VBlBW 2016, 518; entgegen BayVGH, Beschluss vom
29.08.2016 - 11 CS 16.1460 - VRS 130, 333).
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 19. Januar
2017 - 1 K 6154/16 - wird verworfen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,-- EUR festgesetzt.
Gründe
1 Die Beschwerde des Antragstellers ist unzulässig, weil sie nicht dem Darlegungsgebot des § 146 Abs. 4 Satz 3
VwGO genügt.
2 Nach § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO ist erforderlich, dass die Beschwerdebegründung die Gründe darlegt, aus
denen die erstinstanzliche Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen
Entscheidung auseinandersetzt. Die Beschwerdebegründung muss, um dem Darlegungsgebot des § 146 Abs.
4 Satz 3 VwGO zu genügen, erkennen lassen, aus welchen rechtlichen und tatsächlichen Gründen die
gerichtliche Ausgangsentscheidung unrichtig sein soll und geändert werden muss. Dies erfordert eine
Prüfung, Sichtung und rechtliche Durchdringung des Streitstoffes und damit eine sachliche
Auseinandersetzung mit den Gründen des angefochtenen Beschlusses. Der Beschwerdeführer muss nicht nur
die Punkte bezeichnen, in denen der Beschluss angegriffen werden soll, sondern auch angeben, aus welchen
Gründen er die angefochtene Entscheidung in diesem Punkt für unrichtig hält. Hierfür reicht eine bloße
Wiederholung des erstinstanzlichen Vorbringens ohne Eingehen auf die jeweils tragenden Erwägungen des
Verwaltungsgerichts, außer in Fällen der Nichtberücksichtigung oder des Offenlassens des früheren Vortrags,
grundsätzlich ebenso wenig aus wie bloße pauschale oder formelhafte Rügen (vgl. VGH Baden-Württemberg,
Beschlüsse vom 08.11.2004 - 9 S 1536/04 - NVwZ-RR 2006, 74, vom 01.07.2002 - 11 S 1293/02 - NVwZ
2002, 1388 und vom 11.04.2002 - 1 S 705/02 - NVwZ-RR 2002, 797).
3 Das so verstandene Darlegungsgebot des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO erfüllt die Beschwerdebegründung nicht.
Die in dem Schriftsatz vom 08.02.2017 enthaltene Beschwerdebegründung wiederholt weitgehend lediglich
das, was bereits gegenüber dem Verwaltungsgericht vorgetragen wurde, ohne dass dem erstinstanzlichen
Vorbringen etwas Wesentliches hinzugefügt würde. Vor allem aber übergeht die Beschwerdebegründung die
Argumentation des Verwaltungsgerichts im angegriffenen Beschluss und setzt sich mit dieser nicht
hinreichend auseinander. Die Rüge des Antragstellers, dass das Verwaltungsgericht seine Ausführungen auf S.
2 Ziff. 2 der Antragsbegründung vom 20.12.2016 unbeachtet gelassen habe, geht an dem angegriffenen
Beschluss vom 19.01.2017 vorbei. Entgegen der erhobenen Rüge hat das Verwaltungsgericht den Beschluss
des BayVGH vom 29.08.2016 - 11 CS 16.1460 - zur Kenntnis genommen und gewürdigt. Es hat jedoch
trotzdem daran festgehalten, dass im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Senats bereits bei einer
einmaligen Fahrt mit einer nachgewiesenen THC-Konzentration ab 1,0 ng/ml die fehlende Fahreignung des
Betroffenen feststeht, sofern von einer gelegentlichen Einnahme von Cannabis auszugehen ist (BA S. 6 f.).
Darüber hinaus hat das Verwaltungsgericht weiter festgestellt, dass der Fall, über den der BayVGH
entschieden habe, nicht vergleichbar sei mit dem des Antragstellers, da es sich bei ihm nicht um eine einzelne
Fahrt unter Cannabiseinfluss gehandelt habe, sondern um einen Wiederholungsfall, auch wenn bei der ersten
Teilnahme am Straßenverkehr unter Cannabiseinfluss der THC-Grenzwert von 1,0 ng/ml nicht erreicht
worden sei. Gleichwohl sei dieser Umstand bei der vorzunehmenden Interessenabwägung zu seinen Lasten
einzustellen gewesen (BA S. 7; zu der die Umstände des Einzelfalls berücksichtigenden Interessenabwägung
des BayVGH siehe dessen Beschluss vom 29.08.2016 - 11 CS 16.1460 - juris Rn. 4 und 18). Zu all diesen
Ausführungen im angegriffenen Beschluss verhält sich die Beschwerdebegründung nicht weiter.
4 Unabhängig hiervon ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht jedenfalls im Rahmen
des vorläufigen Rechtsschutzes in der hier vorliegenden Konstellation an der ständigen Rechtsprechung des
Senats festgehalten hat, wonach Personen, die gelegentlich Cannabis einnehmen und zwischen Konsum und
Fahren nicht trennen können, nach Nummer 9.2.2 der Anlage 4 der FeV grundsätzlich ohne weiteres als
ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen sind (zu den Einzelheiten vgl. nur Senatsurteil vom
22.11.2012 - 10 S 3174/11 - VBlBW 2013, 391, bestätigt durch BVerwG, Urteil vom 23.10.2014 - 3 C 3.13 -
NJW 2015, 2439; ferner Senatsbeschluss vom 22.07.2016 - 10 S 738/16 - VBlBW 2016, 518). Zwar verlangt
die am 30.10.2008 in Kraft getretene Regelung in § 14 Abs. 2 Nr. 3 FeV, dass die Beibringung eines
medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen ist, wenn wiederholt Zuwiderhandlungen im
Straßenverkehr nach § 24a StVG begangen wurden. Das Hauptargument, das vom BayVGH für die von ihm
geforderte Überprüfung der herrschenden verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zu der Vorschrift in
Nummer 9.2.2 der Anlage 4 der FeV angeführt wird, nämlich dass für § 14 Abs. 2 Nr. 3 FeV keinerlei
Anwendungsbereich bliebe, wenn bereits der erstmalige Verstoß gegen das Trennungsgebot bei
gelegentlichem Cannabiskonsum zur sofortigen Entziehung der Fahrerlaubnis führe, vermag den Senat jedoch
nicht zu überzeugen, da auch unter dieser Prämisse § 14 Abs. 2 Nr. 3 FeV Anwendungsfälle hat (vgl. OVG
Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 29.07.2009 - 16 B 895/09 - DAR 2009, 598; allerdings zu § 14 Abs. 1
Satz 3 FeV vgl. auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21.03.2012 - OVG 1 S 18.12 - Blutalkohol 49,
177). Gegen einen etwaigen der herrschenden verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zu der Vorschrift in
Nummer 9.2.2 der Anlage 4 der FeV entgegen gesetzten Willen des Verordnungsgebers spricht im Übrigen
zumindest tendenziell, dass der Verordnungsgeber nicht eine der in letzter Zeit erfolgten Änderungen der
FeV zum Anlass genommen hat, insoweit korrigierend oder klarstellend tätig zu werden (ausführlich zum
Ganzen auch VG Augsburg, Beschlüsse vom 23.01.2017 - Au 7 S 16.1714 - juris und vom 11.01.2017 - Au 7
S 16.1592 - juris; VG Würzburg, Beschluss vom 09.11.2016 - W 6 S 16.1093 - juris; Koehl, DAR 2017, 66).
5 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
6 Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2, § 47, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG i. V. m. den
Empfehlungen in den Nrn. 1.5 und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013
(abgedruckt z. B. in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, unter § 163).
7 Dieser Beschluss ist unanfechtbar.