Urteil des VGH Baden-Württemberg vom 19.07.2007

VGH Baden-Württemberg: dach, firma, grundstück, behörde, öffentlich, materialien, nachbar, augenschein, terrasse, bauvorschrift

VGH Baden-Württemberg Urteil vom 19.7.2007, 3 S 1654/06
Nachbarrechtsschutz; Blendwirkung durch glasierte Dachziegel; Lichtimmission; sozialadäquate Abwendungsmöglichkeit
Leitsätze
Die Blendwirkung eines das Sonnenlicht reflektierenden Ziegeldachs auf den Außenwohnbereich eines Nachbarn kann im Einzelfall rücksichtslos
sein und einen auf Umdeckung des Dachs gerichteten Anspruch auf baubehördliches Einschreiten begründen.
Bei Abwägung der tatsächlichen und rechtlichen Schutzwürdigkeit von Bauherr und Nachbarn ist außer der Intensität der Blendwirkung zu
berücksichtigen, ob der Nachbar die Möglichkeit sozialadäquaten und ortsüblichen Eigenschutzes hat, welche Nutzungseinschränkungen seines
Wohngrundstücks ihm dafür abverlangt werden und ob die die Blendwirkung auslösenden Maßnahmen vom materiellen Baurecht, insbesondere
den örtlichen Bauvorschriften gedeckt sind.
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 16. November 2005 - 2 K 3548/03 - geändert.
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids des Landratsamts Ludwigsburg vom 20.1.2003 und des Widerspruchsbescheids des
Regierungspräsidiums Stuttgart vom 29.7.2003 verpflichtet, gegenüber den Beigeladenen die Neueindeckung der nördlichen Dachseite des auf
dem Flurstück-Nr. 4518/19 der Gemeinde ... gelegenen Gebäudes mit nicht blendenden Dachziegeln anzuordnen.
Von den Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen tragen die Beklagte und die Beigeladenen (gesamtschuldnerisch) jeweils die Hälfte der
Gerichtskosten und der außergerichtlichen Kosten der Klägerin; ihre außergerichtlichen Kosten tragen die Beklagte und die Beigeladenen jeweils
selbst.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1
Die Klägerin begehrt ein bauaufsichtliches Einschreiten der Beklagten gegen die Beigeladenen.
2
Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks Flst.-Nr. 7004 der Gemarkung der Beklagten (... ...). Südöstlich dieses Grundstücks befindet sich
auf Flst.-Nr. 4581/19 (... ...) das Grundstück der Beigeladenen. Das von den Beigeladenen abgegrabene Gelände steigt zum Grundstück der
Klägerin deutlich an. Die Beigeladenen haben auf ihrem Grundstück ein Wohnhaus aufgrund einer Baugenehmigung vom
04.04.2002/27.06.2002 des Landratsamts Ludwigsburg errichtet. Das Grundstück befindet sich im Geltungsbereich des qualifizierten
Bebauungsplans „Halden V“ vom 19.02.1998. Unter Teilziffer 1.6 der örtlichen Bauvorschriften („Dacheindeckung - Hauptgebäude“) wird
vorgeschrieben: „Zulässig sind Eindeckungen mit Ziegeln oder Betondachsteinen in naturroten und rotbraunen Farbtönen … Reflektierende
Materialien sind nicht zulässig …“
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Schon kurz nach Fertigstellung des Daches beanstandete die Klägerin, dass von den verwendeten Dachziegeln des Typs Tegalit mit der „STAR“
Oberflächenbeschichtung der Firma ... ... bzw. der Firma ... eine erhebliche Blendwirkung ausgehe, und beantragte am 16.12.2002 beim
Landratsamt Ludwigsburg ein förmliches Einschreiten gegen die Dacheindeckung der Beigeladenen.
4
Mit Bescheid vom 20.01.2003 lehnte das Landratsamt Ludwigsburg den Antrag der Klägerin mit der Begründung ab, es seien keine öffentlich-
rechtlichen Vorschriften verletzt, welche eine Schutzwirkung für Dritte entfalteten. Bei der möglicherweise verletzten örtlichen Bauvorschrift
handle es sich gerade nicht um eine nachbarschützende Vorschrift, diese diene vielmehr alleine dem Zweck, die optische Einheitlichkeit des
Baugebiets zu gewährleisten. Überdies sei ein Einschreiten gegen die Dacheindeckung der Beigeladenen nach dem Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit unzulässig, so dass sich für die Klägerin auch kein Anspruch aus dem Rücksichtnahmegebot nach § 15 BauNVO ergebe.
Die Beeinträchtigung sei von der Klägerin hinzunehmen bzw. ihr könne durch geeignete Abwehrmaßnahmen entgegengewirkt werden.
Außerdem werde die Blendwirkung mit zunehmender Verwitterung der verwendeten Dachziegel abnehmen.
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Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Widerspruch ein, den das Regierungspräsidium Stuttgart mit Bescheid vom 29.07.2003 als
unbegründet zurückwies: Die Klägerin könne ihrerseits für einen geeigneten Schutz in Form von Vorhängen, Jalousien, Markisen oder
Sonnenschirmen sorgen. Zudem seien die von den Beigeladenen verwendeten Dachziegel handelsüblich, so dass sich die hieraus ergebenden
Nachteile für die Nachbarn hinzunehmen seien.
6
Am 29.08.2003 hat die Klägerin Klage erhoben. Zur Begründung hat sie vorgetragen, dass ausreichende Abwehrmaßnahmen nicht realisierbar
seien. Die Blendwirkung trete bereits während des Frühjahrs auf und halte bei höherem Sonnenstand bis in den Herbst hinein an. Sie sei je nach
Jahreszeit zwischen 11.00 Uhr und 15.00 Uhr für jeweils mehrere Stunden festzustellen. Sie könne sich innerhalb ihres Gebäudes der
Blendwirkung nur durch das vollständige Herunterlassen der Rollläden entziehen. Im Freien müsse man sich permanent mit dem Rücken zu dem
Gebäude aufhalten. Das Dach des Gebäudes der Beigeladenen liege auf Augenhöhe mit der Terrasse der Klägerin. Die Klägerin habe bereits
alles Zumutbare unternommen, um selbst eine Verringerung der Blendwirkung zu erzielen. Eine Markise für die Räume im Obergeschoss sei
nicht realisierbar. Im Erdgeschoss würde eine Markise die Blendwirkung nur dann verhindern, wenn der Betroffene stehe. Beim Sitzen reiche ein
Markisenausfall von 2,00 m nicht aus. Auch könne diese Markise bei stärkerem Wind nicht ausgefahren werden. Die vom Landratsamt ermittelten
Kosten von 25.000,-- EUR für eine Umdeckung des Daches seien zu hoch angesetzt. Für das gesamte Dach entstünden allenfalls Kosten von ca.
5.900,-- EUR. Im Übrigen gingen von der Strahlenbelastung Gesundheitsgefährdungen aus, weshalb das Ermessen der zuständigen Behörde
auf Null reduziert und sie zum Eingreifen verpflichtet sei.
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Die Beigeladenen haben hierauf erwidert, dass nach Angaben des Herstellers eine Umarbeitung der Dachsteine aus technischer Sicht nicht
möglich sei. Die verwendeten ...-...-Dachsteine seien ausschließlich in der zur Ausführung gekommenen Oberfläche lieferbar. Eine Umdeckung
sei daher nur mit anderen Dachsteinformen möglich. Diese würden in die vorhandene Dachlattung passen. Da aber sowohl die Form als auch
die Oberfläche und der Firstanschluss sich vom bisherigen Dachstein unterschieden, müsste das gesamte Dach umgedeckt werden. Die Kosten
hierfür betrügen laut Angebot der Firma ... ... vom 20.06.2005 7.830,-- EUR. Dieser Kostenaufwand sei ihnen nicht zumutbar. Sie seien allerdings
bereit, zwei kugelförmige Laubbäume mit einer Stammhöhe von 2,50 m und einem Stammumfang von 12 bis 14 cm auf dem Grundstück der
Klägerin zu pflanzen. Den dafür erforderlichen Kostenaufwand von 1.299,20 EUR würden sie übernehmen.
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Mit Urteil vom 16.11.2005 hat das Verwaltungsgericht die Klage mit der Begründung abgewiesen, die Klägerin habe keinen Anspruch auf
Einschreiten der Behörde auf der Grundlage des § 47 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 65 Satz 1 LBO. Ein Anspruch eines Angrenzers auf Einschreiten der
Baurechtsbehörde bestehe nur, wenn das Vorhaben des Bauherrn gegen eine dem Schutz des Nachbarn dienende Vorschrift verstoße und das
der Behörde eröffnete Ermessen auf Null reduziert sei. Wie bereits die Widerspruchsbehörde festgestellt habe, verstoße das Dach auf dem
Gebäude der Beigeladenen nicht gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften, die auch dem Schutz der Klägerin zu dienen bestimmt seien. Die vom
Dach ausgehende Blendwirkung sei auch nicht zu Lasten der Klägerin unzumutbar, wobei das Gericht davon ausgehe, dass die Blendwirkung
bereits während des Frühjahrs auftrete, bei höherem Sonnenstand bis in den Herbst hinein anhalte und je nach Jahreszeit zwischen 11.00 Uhr
und 15.00 Uhr bei Sonnenschein für jeweils mehrere Stunden festzustellen sei. Es könne auch als wahr unterstellt werden, dass die von der
Dacheindeckung ausgehende Blendwirkung für Personen, die sich auf dem Grundstück und in dem Haus der Klägerin der Blendwirkung
unmittelbar und schutzlos aussetzten, gesundheitsschädigend sein könne. Für die Frage, ob die Lichteinwirkung für die Klägerin unzumutbar und
deshalb wohngebietsunverträglich sei, sei von maßgeblicher Bedeutung, dass die Klägerin ohne größeren Aufwand im Rahmen des
Ortsüblichen und Sozialadäquaten auch unter Kostengesichtspunkten zumutbare Abschirmmaßnahmen ergreifen könne. Sie könne sich im
Innenwohnbereich durch Jalousien, im Außenwohnbereich durch eine Markise, durch Einsatz eines Sonnenschirms und durch Bepflanzung mit
geeigneten Bäumen schützen.
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Mit ihrer vom Senat wegen tatsächlicher und rechtlicher Schwierigkeiten zugelassenen Berufung wiederholt die Klägerin im Wesentlichen ihr
bisherigen Vorbringen.
10 Die Klägerin beantragt,
11
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 16.11.2005 - 2 K 3548/03 - zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids
des Landratsamts Ludwigsburg vom 20.01.2003 und des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 29.07.2003 zu
verpflichten, den Beigeladenen die Neueindeckung der nördlichen Dachseite des auf dem Flurstück-Nr. 4518/19 der Gemeinde ...
gelegenen Gebäudes mit nicht blendenden Dachziegeln aufzugeben,
12 hilfsweise über ein Einschreiten gegen die Beigeladenen unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
13
Die Beklagte beantragt,
14 die Berufung zurückzuweisen.
15 Sie hält das Urteil des Verwaltungsgerichts für zutreffend. Es fehle schon am Merkmal der materiellen Rechtswidrigkeit, denn die verwendeten
Betondachsteine Typ Tegalit mit „STAR“ Oberflächenbeschichtung der Firma ... ... seien keine reflektierenden Materialien. Zudem sei die
Festsetzung, die reflektierende Dachflächen verbiete, jedenfalls nicht nachbarschützend. Nachbarschutz könne daher nur in Betracht kommen,
wenn das Rücksichtnahmegebot verletzt sei oder wenn die allgemeine Gefahrenabwehrklausel des § 3 LBO greife. Mit dem Verwaltungsgericht
könnten diese Voraussetzungen indessen nicht bejaht werden.
16 Die Beigeladenen beantragen,
17
die Berufung zurückzuweisen.
18 Der Senat hat die Grundstücke der Klägerin, der Beigeladenen und die nähere Umgebung in Augenschein genommen. Hinsichtlich der dabei
getroffenen Feststellungen wird auf die Niederschrift Bezug genommen.
19 Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie auf die vorliegenden Akten verwiesen. Dem Gericht liegen die Akten
des Verwaltungsgerichts Stuttgart - 2 K 3548/03 -, die Akten des Parallelverfahrens - 3 S 1655/06 -, die Behördenakten des Landratsamts
Ludwigsburg und des Regierungspräsidiums Stuttgart sowie die das Baugesuch der Beigeladenen betreffenden Bauakten und die Akten des
Bebauungsplans „Halden V“ der Beklagten vor.
Entscheidungsgründe
20 Die statthafte und auch sonst zulässige Berufung hat Erfolg. Das Verwaltungsgericht hätte der mit dem Hauptantrag verfolgten
Verpflichtungsklage stattgeben müssen. Denn die Klägerin hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf baupolizeiliches Einschreiten gegenüber
den Beigeladenen.
21 Wie das Verwaltungsgericht bereits festgestellt hat, richtet sich die Klage aufgrund der Bekanntmachung des Regierungspräsidiums Stuttgart
über die Zuständigkeit der Gemeinde Remseck am Neckar, Landkreis Ludwigsburg, als untere Baurechtsbehörde (vgl. GBl. 2003, S. 267) gegen
die Beklagte im Wege gesetzlichen Parteiwechsels (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 02.11.1973 - IV C 55.70 - BVerwGE 44, 148, 150). Dieser
Parteiwechsel kraft Gesetzes auf Beklagtenseite ist von Amts wegen zu berücksichtigen und stellt keine Klageänderung dar. Folgerichtig hat sich
die Beklagte im Klage- und Berufungsverfahren auch durch Abgabe von Schriftsätzen und Antragstellung geäußert.
22 Rechtsgrundlage für das von der Klägerin begehrte Einschreiten der Beklagten gegen die Beigeladenen ist § 47 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 65 Satz 1
LBO. Danach kann die Baurechtsbehörde den teilweisen oder vollständigen Abbruch einer Anlage, die im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen
Vorschriften errichtet wurde, anordnen, wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können. Hierbei handelt es sich
um eine Ermessensentscheidung. Ein Nachbar hat grundsätzlich lediglich einen Anspruch auf eine fehlerfreie Ermessensausübung der
Behörde. Ein Anspruch auf Einschreiten besteht nur, wenn das Vorhaben des Bauherrn gegen eine dem Schutz des Nachbar dienende
Vorschrift verstößt und das der Behörde eröffnete Ermessen auf Null reduziert ist (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 01.02.1993 - 8 S 1594/92 -,
VBlBW 1993, 431, ). Zu diesen öffentlich-rechtlichen nachbarschützenden Vorschriften gehört auch das Gebot der Rücksichtnahme in
seiner drittschützenden Funktion. Ein derartiger Verstoß ist aus den nachfolgenden Erwägungen vorliegend zu bejahen.
23 Das Vorhaben der Beigeladenen ist im Hinblick auf die Dacheindeckung sowohl formell als auch materiell rechtswidrig. Die formelle
Rechtswidrigkeit ergibt sich daraus, dass mit der Baugenehmigung die von den Beigeladenen konkret gewählte Art der Dachziegel nicht
genehmigt wurde. Die Baugenehmigung enthält vielmehr die Auflage, dass das Dach „entsprechend den Festsetzungen des Bebauungsplans
mit Ziegeln oder Betondachsteinen in naturroten oder rotbraunen Farbtönen“ auszuführen ist. Daraus folgt, dass diese Eindeckung auch im
Übrigen mit den Vorgaben des Bebauungsplans übereinstimmen muss, mithin die Eindeckung nicht aus „reflektierenden Materialien“ bestehen
darf. Materiell-rechtlich verstößt die gewählte Dacheindeckung dem-entsprechend gegen die örtliche Bauvorschrift Teilziff. 1.6, wonach für die
Dacheindeckung reflektierende Materialien nicht zulässig sind. Bei den im vorliegenden Fall verwendeten Dachziegeln des Typs Tegalit „STAR“
handelt es sich aufgrund ihrer Oberflächenbeschichtung der Firma ... ... bzw. der Firma ... um ein solch reflektierendes Material, wovon sich der
Senat bei der Einnahme des Augenscheins trotz größtenteils bedeckten Himmels überzeugen konnte. Dabei ist nicht entscheidend, dass die
Ziegel an sich nicht glänzen, vielmehr nur bei Sonneneinwirkung die Strahlung zurückwerfen, denn das „Zurückstrahlen von Licht“ ist
definitionsgemäß gleichbedeutend mit „Reflexion“.
24 Schon bei der Baukontrolle durch das Landratsamt Ludwigsburg wurde festgestellt und in einem Aktenvermerk festgehalten, dass das Dach der
Beigeladenen mit lasierten Dachziegeln eingedeckt ist und die Klägerin durch die verwendeten Dachziegeln sehr geblendet wird. Auch das
Regierungspräsidium Stuttgart und gleichfalls das Verwaltungsgericht Stuttgart haben jeweils bei ihrer Inaugenscheinnahme der
Dacheindeckung die Blendwirkung bestätigt. Mittlerweile ist zwar aufgrund von Witterungseinflüssen eine gewisse Verschmutzung der
Dachziegel festzustellen, indessen wird dadurch die Blendwirkung bei Sonneneinstrahlung kaum verringert. Diese ist nach wie vor erheblich.
Der Senat hat sich beim Augenschein davon überzeugen können, dass bei starker Sonneneinstrahlung die Blendwirkung „gewissermaßen
gleißend“ auftritt.
25 Verstößt danach die Eindeckung des Daches mit reflektierenden Dachziegeln gegen die örtliche Bauvorschrift, so begründet dies zwar nur dann
einen Anspruch der Klägerin auf baupolizeiliches Einschreiten, wenn diese Vorschrift auch dem Schutze des Nachbarn zu dienen bestimmt ist,
wofür vorliegend indessen keine Anhaltspunkte bestehen. Jedoch verstößt die Eindeckung des Daches wegen der Beschichtung der Ziegel und
den besonderen Umständen des Falles darüber hinaus gegen das Rücksichtnahmegebot in seiner zugunsten der Klägerin bestehenden
nachbarschützenden Ausprägung. Ob eine bestimmte Nutzung dem - sich vorliegend aus § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO ergebenden
Rücksichtnahmegebot - widerspricht, richtet sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalles. Je empfindlicher und schutzwürdiger die
Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugute kommt, umso mehr kann er an Rücksichtnahme
verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das
Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Abzuwägen ist, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem
Rücksichtnahmepflichtigen nach Lage der Dinge zuzumuten ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 28.10.1993 - 4 C 5.93 -, DVBl 1994, 697, ).
26 Die Zumutbarkeit von Lichtimmissionen beurteilt sich nach dem Grad der tatsächlichen und rechtlichen Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit
der betroffenen Innen- und Außenwohnbereiche des Nachbarn. Das Maß der Schutzbedürftigkeit in tatsächlicher Hinsicht kann im Einzelfall
davon abhängen, ob und inwieweit der Nachbar ohne größeren Aufwand im Rahmen des Ortsüblichen und Sozialadäquaten zumutbare
Abschirmmaßnahmen ergreifen kann (zumutbarer Eigenschutz). Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Eigenschutz gegen Lichtimmissionen,
anders als der Schutz vor Lärm oder Gerüchen, ohne Einbußen für die Wohnqualität häufig durch herkömmliche Maßnahmen wie Vorhänge oder
Jalousien innerhalb der Gebäude und Hecken oder Rankgerüsten in den Außenwohnbereichen bewerkstelligt werden kann. Dies folgt auch
daraus, dass Lichtimmissionen oft gleichsam zwangsläufige Folge typischer Wohnformen sind und von daher auch akzeptiert werden (vgl. hierzu
BVerwG, Beschluss vom 17.03.1999 - 4 B 14.99 - ). Andererseits ist die Intensität der Blendwirkung und sind die dem Nachbarn durch die
Schutzmaßnahmen abverlangten Nutzungseinschränkungen seines Wohngrundstücks - im Innen- wie im Außenwohnbereich - in Rechnung zu
stellen. Schließlich ist im Rahmen der rechtlichen Schutzwürdigkeit der Beteiligten darauf abzustellen, ob die die Blendwirkung auslösenden
baulichen Maßnahmen vom materiellen Baurecht gedeckt sind oder nicht. Ob und in welchem Umfang innerhalb dieses Rahmens
Abschirmmaßnahmen möglich und im Verhältnis zwischen Grundstücksnachbarn zumutbar sind, ist eine Frage des konkreten Einzelfalls.
27 Gemessen daran ist es vorliegend der Klägerin nicht zuzumuten, sich im Außenbereich durch geeignete Abschirmmaßnahmen, insbesondere
mittels einer Bepflanzung ihres Grundstücks, gegen die vom Dach der Beigeladenen ausgehenden Lichtimmissionen zu schützen.
28 Die konkreten Umstände des Einzelfalles weisen aufgrund der kleinräumigen Verhältnisse vorliegend Besonderheiten auf, die dazu führen, dass
zumutbare Abschirmmaßnahmen nicht in Betracht kommen. Der Abstand zwischen der südlichen Hauswand der Klägerin und der Grenze zum
Nachbargrundstück der Beigeladenen beträgt lediglich etwa 7 m. In diesem engen Bereich befindet sich zudem die nach Süden ausgerichtete
Terrasse der Klägerin. Als weitere Besonderheit kommt vorliegend hinzu, dass das Wohnhaus der Beigeladenen und damit auch die
reflektierende Dachfläche aufgrund der vorgenommenen Abgrabungen ca. 2,10 m tiefer liegt, so dass die Blendwirkung des Daches auf
Augenhöhe auf den Terrassenbereich der Klägerin einwirkt. Wollte sich die Klägerin gegen das seitlich einfallende blendende Licht wirksam
abschirmen, müsste sie durchgehend eine Hecke von 4 bis 5 m Höhe pflanzen. Damit wäre aber jegliche Aussicht nach Süden in die Ebene
genommen. Überdies würde der schon an sich sehr kleine südliche Freibereich nochmals verkleinert und erheblich verschattet. Dies kann von
der Klägerin nicht als „ortsüblich“ und „sozialadäquat“ verlangt werden, auch wenn das Nachbargrundstück mit einer ähnlich hohen Hecke
versehen ist und die Klägerin selbst ihr eigenes Grundstück seitlich auf der Westseite, von wo sie keine Blendwirkung zu erwarten hat, gleichfalls
mit einem Strauch bepflanzt hat, der eine Höhe von 4 bis 5 m aufweist. Auch eine Markise ist nicht geeignet, die einwirkenden Lichtimmissionen
wirksam abzuschirmen. Wie der Senat beim Augenschein festgestellt hat, bleibt die Blendwirkung überwiegend beim Sitzen auf der Terrasse
auch dann bestehen, wenn die Markise voll ausgefahren und bis auf minimale Durchgangshöhe abgesenkt wird. Das Aufstellen eines
zusätzlichen Sonnenschirms gegen diese seitlichen Lichteinwirkungen ist indessen der Klägerin nicht zuzumuten, käme es doch einem völligen
„Einmauern“ gleich. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass die Beigeladenen demgegenüber weniger schutzwürdig sind, denn sie haben ihr
Dach baurechtswidrig mit reflektierendem Material eingedeckt. Auch wenn sie dies nicht vorsätzlich veranlasst haben, weil ihnen zum Einen das
von der Baufirma verwendete Material nicht bekannt war und sie zum Anderen den Dachziegeln die Blendwirkung nach dem ersten äußeren
Anschein nicht ansehen konnten, mindert dieser Umstand deutlich ihre Schutzwürdigkeit, denn sie haben die Ursache für die Beeinträchtigungen
der Nachbarn gesetzt und sind mit anderen Worten die baupolizeilichen Verhaltens- und Zustandsstörer. Hingegen kann von der Klägerin
billigerweise nicht verlangt werden, ihr Grundstück nach Süden hin vollständig mit einer Hecke in entsprechender Höhe abzuschirmen oder
anderweitig zu schützen, es dadurch weiter zu verkleinern und sich zudem noch die letzte Aussicht nach Süden zu verbauen sowie den
Lichteinfall erheblich einzuschränken. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass nach § 12 Abs. 1 des Nachbarrechtsgesetzes - NRG - mit einem
Abstand von 50 cm zur Grenze der Beigeladenen hin lediglich eine Hecke mit einer Höhe von 1,80 m zulässig ist und die Klägerin deshalb mit
Ansprüchen auf Rückschnitt dieser Hecke nach § 12 Abs. 2 und 3 NRG seitens der Beigeladenen bzw. evtl. Rechtsnachfolger rechnen muss.
29 Liegt danach ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot in seiner drittschützenden Ausprägung vor, so ist die Beklagte auch verpflichtet, den
Beigeladenen die begehrte Teilumdeckung aufzugeben. Denn das ihr nach § 47 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 65 Satz 1 LBO eingeräumte Ermessen ist
im vorliegenden Fall auf Null reduziert, da es keine Möglichkeit anderweitiger Beseitigung der baurechtswidrigen Blendwirkung gibt. Ein Anstrich
oder eine Neubeschichtung, wie zunächst erwogen, kommt nicht in Betracht, wie dem Schreiben der Firma ... ... vom 14.10.2002 zu entnehmen
ist. Diese verweist auf eine Information des Herstellers der Dachziegel, der Firma ... ..., wonach eine nachträgliche Reduzierung der
Glanzwirkung durch eine Nachbehandlung nicht möglich ist und sich eine Neubeschichtung nicht dauerhaft mit der Oberfläche verbinden wird.
Dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht im Streit. Eine Bepflanzung auf dem Grundstück der Beigeladenen selbst scheidet aus
topografischen Gründen und dem geringen Grenzabstand ihres Hauses gleichfalls aus. Der Beigeladene hat hierzu in der mündlichen
Verhandlung selbst ausgeführt, auf der Nordseite seines Wohnhauses sei nicht genügend Erde vorhanden, sodass ausreichend hohe
Heckenpflanzen dort nicht anwachsen und gedeihen könnten. Die Verpflichtung zur Teilumdeckung des Daches scheitert auch nicht daran, dass
diese Teilumdeckung wohl nicht möglich ist, vielmehr nur eine vollkommene Neueindeckung in Betracht kommen dürfte, denn dies ist letztlich
eine Frage der Umsetzung. Kann der Verpflichtung zur Teilumdeckung nur dadurch nachgekommen werden, dass das Dach vollkommen neu
eingedeckt wird, dann haben die Beigeladenen die komplette Neueindeckung zu veranlassen. Die dafür entstehenden Kosten von 7.830,-- EUR
die nach dem Schreiben der Firma ... ... vom 20.06.2005 voraussichtlich entstehen werden, bewegen sich in einem überschaubaren Rahmen. Sie
berücksichtigen eine Umdeckung des gesamten Daches, weisen Zuschläge für First und Schneidearbeiten etc. aus und enthalten die Kosten für
das Gerüst sowie für die Entsorgung der bisherigen Dachsteine. Angesichts dessen, dass die Beigeladenen als Störer die Ursache für die
erhebliche Beeinträchtigung der Klägerin gesetzt haben, sind ihnen diese Kosten - selbst wenn Kostensteigerungen mit einkalkuliert werden -
noch zumutbar.
30 Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 und 3, 159 Satz 1 und 2 VwGO i. V. m. § 100 Abs. 1 ZPO.
31 Die Revision ist nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO gegeben ist.
32 Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß § 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
33 Dieser Beschluss ist unanfechtbar.