Urteil des VGH Baden-Württemberg vom 28.07.2009
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VGH Baden-Württemberg Urteil vom 28.7.2009, 1 S 2340/08
Wegen fehlender Bestimmtheit unwirksame Regelung einer Polizeiverordnung zur Sicherung der öffentlichen Ordnung
Tenor
§ 12 Abs. 1 Nr. 5 der Polizeiverordnung der Stadt Freiburg i. Br. zur Sicherung der öffentlichen Ordnung und gegen umweltschädliches Verhalten in
der Fassung vom 20. November 2007 ist unwirksam.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1
Der Antragsteller wendet sich im Wege der Normenkontrolle gegen § 12 Abs. 1 Nr. 5 der Polizeiverordnung zur Sicherung der öffentlichen
Ordnung und gegen umweltschädliches Verhalten der Antragsgegnerin i.d.F. vom 20.11.2007 (im Folgenden: POV).
2
Die Antragsgegnerin änderte ihre Polizeiverordnung vom 20.06.1989 durch eine Verordnung mit Zustimmung des Gemeinderats vom
20.11.2007. Sie fügte u.a die hier angegriffene, der Mustersatzung des Gemeindetags Baden-Württemberg entlehnte Regelung des § 12 Abs. 1
Nr. 5 POV an. Diese hat folgenden Wortlaut:
§ 12
3
Aufenthalt auf öffentlichen Straßen,
4
in öffentlichen Anlagen und öffentlichen Einrichtungen
5
(1) Auf öffentlichen Straßen, in öffentlichen Anlagen und öffentlichen Einrichtungen ist untersagt:
6
1. ...
2. ...
3. ...
4. ...
5. das Lagern oder dauerhafte Verweilen außerhalb von Freischankflächen oder Einrichtungen wie Grillstellen u.ä., ausschließlich
oder überwiegend zum Zwecke des Alkoholgenusses, wenn dessen Auswirkungen geeignet sind, Dritte erheblich zu belästigen.
7
Gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 26 POV kann ein Verstoß gegen dieses Verbot als Ordnungswidrigkeit geahndet werden.
8
Die Änderungsverordnung wurde am 22.12.2007 im Amtsblatt der Antragsgegnerin bekannt gemacht und trat am 23.12.2007 in Kraft.
9
Nach der Beschlussvorlage vom 07.11.2007 (DRS G-07/186) soll die Regelung jenen Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung
entgegenwirken, die von alkoholisierten Gruppen ausgehen, welche sich regelmäßig im öffentlichen Straßenraum, in öffentlichen Anlagen und
Einrichtungen der Stadt niederlassen und dort längerfristig und unter Beeinträchtigung des Gemeingebrauchs Dritter verweilen.
10 Der 1982 geborene Antragsteller, Mitglied des Arbeitskreises kritischer Juristen und Juristinnen (akj) sowie Promotionsstudent an der
Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg, wohnt und arbeitet in Freiburg.
11 Er hat am 11.08.2008 das Normkontrollverfahren eingeleitet, zu dessen Begründung er vorträgt:
12 Seine Antragsbefugnis ergebe sich daraus, dass er - wie schon bisher - auch in Zukunft auf öffentlichen Plätzen wie dem beliebten
Augustinerplatz, in Parkanlagen wie dem Stühlinger Kirchplatz, der Sternwaldwiese oder entlang der Dreisam dauerhaft verweilen möchte, um
dabei allein oder in der Gruppe Alkohol zu konsumieren. Es liege zwar nicht in seiner Intention, dadurch Dritte erheblich zu belästigen. Es könne
aber nicht ausgeschlossen werden, dass sein Verhalten während des Alkoholkonsums in den Augen eines Polizeibeamten dazu „geeignet“
erscheinen könne, eine solche Belästigung darzustellen. Wegen der weit gefassten und unbestimmten Formulierung des Verbotstatbestandes
könne er sich nicht sicher sein, ob nicht sein Verhalten als unter die Norm fallend beurteilt werde. Er sei im Oktober 2008 schon einmal Adressat
einer auf die angegriffene Norm gestützten Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin gewesen. Die angegriffene Regelung sei materiell
rechtswidrig. Dem Bestimmtheitsgebot sei in mehrfacher Hinsicht nicht Rechnung getragen. Die Vorschrift sei nicht von der
Ermächtigungsgrundlage des § 10 Abs. 1 PolG gedeckt. Die Vorschrift knüpfe schon nicht an ein polizeiliches Schutzgut an; jedenfalls liege
keine Störung oder abstrakte Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung vor.
13 Der Antragsteller beantragt,
14
§ 12 Abs. 1 Nr. 5 der Polizeiverordnung der Stadt Freiburg i. Br. zur Sicherung der öffentlichen Ordnung und gegen umweltschädliches
Verhalten i.d.F. vom 20. November 2007 für unwirksam zu erklären.
15 Die Antragsgegnerin beantragt,
16
den Antrag abzulehnen.
17 Sie trägt vor: Dem Antragsteller fehle es bereits an der Antragsbefugnis. Abgesehen von seiner erklärten Absicht, an bestimmten Plätzen des
Stadtgebiets Alkohol konsumieren zu wollen, zeige der Antragsteller keinerlei realistische Sachverhalte auf, die ihn mit der angegriffenen Norm
in Konflikt bringen könnten. Von der Verbotsnorm würden „Gruppentrinker“ erfasst, zu denen der Antragsteller offensichtlich nicht zu rechnen sei.
Er nehme lediglich die Rolle als institutioneller Prozessführer ein. Jedenfalls sei der Normenkontrollantrag aber unbegründet. Das
Bestimmtheitsgebot sei gewahrt. Die angegriffene Regelung sei durch die Ermächtigungsgrundlage des Polizeigesetzes (§ 10 Abs. 1, § 1 Abs. 1)
gedeckt. Es bestehe eine Gefahr für die öffentliche Ordnung. Die exzessiven Trinkgelage bestimmter Randgruppen führten regelmäßig zu
lautstarken Auseinandersetzungen unter den Beteiligten und im weiteren zu Verunsicherung, Verängstigung oder zur (körperlichen) Bedrängung
unbeteiligter Passanten, die deshalb die Nähe solcher Gruppen mieden. Die angegriffene Norm verstoße auch nicht gegen höherrangiges
Recht.
18 Dem Senat liegen die einschlägigen Akten der Antragsgegnerin vor. Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf diese Akten und die
zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze verwiesen.
Entscheidungsgründe
19 Der Antrag ist zulässig (1.) und begründet (2.).
20 1. Der Antrag ist gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i.V.m. § 4 AGVwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Die Antragsfrist des § 47 Abs. 2 Satz
1 VwGO von einem Jahr ist gewahrt.
21 Der Antragsteller ist gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO antragsbefugt. Die Antragsbefugnis wird nach dieser Regelung jeder natürlichen oder
juristischen Person eingeräumt, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit
verletzt zu werden. Es genügt dabei, wenn die geltend gemachte Rechtsverletzung möglich erscheint. Davon ist immer dann auszugehen, wenn
die Polizeiverordnung oder der auf sie gestützte Vollzugsakt an den Antragsteller adressiert ist, d.h. für diesen ein polizeiliches Verbot oder
Gebot statuiert (vgl. Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 5. Auflage, RdNr. 633). Dies ist hier der Fall.Der Antragsteller kann, ungeachtet des
übergreifenden Anliegens, das er als Mitglied des Arbeitskreises kritischer Juristen und Juristinnen offensichtlich verfolgt, geltend machen, durch
die Rechtsvorschrift bzw. deren Anwendung in seinen Rechten verletzt zu sein bzw. in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Der 1982 geborene
Antragsteller wohnt und arbeitet in Freiburg. Er möchte - wie schon bisher - auch in Zukunft auf beliebten öffentlichen Plätzen im Stadtgebiet, wie
dem Augustinerplatz, oder entlang der Dreisam in der Gruppe dauerhaft verweilen, um dabei Bier zu trinken. Dies ist nach seinen Angaben nicht
immer, aber gerade im Sommer mitunter auch der überwiegende Zweck seines Verweilens. Er gehört damit zum Kreis der potentiell Betroffenen.
Auch wenn der Antragsteller es dabei nicht darauf anlegt, Dritte erheblich zu belästigen, läuft er gleichwohl bei zunächst unauffälligem Konsum
von Alkohol Gefahr, dass die Auswirkungen seines Alkoholgenusses als geeignet eingestuft werden, derartige Belästigungen hervorzurufen.
Hinzu kommt, dass ihm nach seinem unwidersprochenen Vortrag am 11.10.2008 im Zusammenhang mit einer sog. Botellón-Veranstaltung eine
Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin vom 08.10.2008 ausgehändigt wurde, in der als Rechtsgrundlage u.a. die hier angegriffene Regelung
des § 12 Abs. 1 Nr. 5 der Polizeiverordnung der Antragsgegnerin zur Sicherung der öffentlichen Ordnung und gegen umweltschädliches
Verhalten in der Fassung vom 20.11.2007 - POV - aufgeführt ist. Er ist damit bereits einmal Adressat eines auf § 12 Abs. 1 Nr. 5 POV gestützten
Verwaltungsakts geworden, dessen Nichtbefolgung gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 26 POV als Ordnungswidrigkeit hätte geahndet werden können.
22 2. Der Normenkontrollantrag ist auch begründet.
23 2.1 Formelle Bedenken gegen § 12 Abs. 1 Nr. 5 POV bestehen allerdings nicht. Die Änderungsverordnung, durch die die angegriffene Regelung
in die Polizeiverordnung vom 20.06.1989 eingefügt worden ist, ist mit der erforderlichen Zustimmung des Gemeinderats der Antragsgegnerin
erlassen (§ 15 Abs. 2 PolG) und der Rechtsaufsichtsbehörde vorgelegt worden (§ 16 Abs. 1 PolG). Die Formerfordernisse des § 12 Abs. 1 und 2
PolG sind gewahrt. Eine ordnungsgemäße Verkündung durch öffentliche Bekanntmachung im Amtsblatt der Antragsgegnerin liegt ebenfalls vor.
24 2.2 Die angegriffene Bestimmung ist jedoch aus materiell-rechtlichen Gründen rechtswidrig. Sie verstößt gegen das verfassungsrechtliche Gebot
hinreichender Bestimmtheit.
25 Das aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende Gebot der hinreichenden Bestimmtheit und Klarheit der Norm fordert vom Normgeber, seine
Regelungen so genau zu fassen, dass der Betroffene die Rechtslage, d.h. Inhalt und Grenzen von Gebots- oder Verbotsnormen, in zumutbarer
Weise erkennen und sein Verhalten danach einrichten kann. Der Normgeber darf dabei grundsätzlich auch auf unbestimmte Rechtsbegriffe
zurückgreifen, wenn die Kennzeichnung der Normtatbestände mit beschreibenden Merkmalen nicht möglich ist. Die Auslegungsbedürftigkeit
einer Norm steht ihrer Bestimmtheit nicht entgegen; allerdings müssen sich dann aus Wortlaut, Zweck und Zusammenhang der Regelung
objektive Kriterien gewinnen lassen, die einen verlässlichen, an begrenzende Handlungsmaßstäbe gebundenen Vollzug der Norm
gewährleisten. Die Erkennbarkeit der Rechtslage durch den Betroffenen darf hierdurch nicht wesentlich eingeschränkt sein und die Gerichte
müssen in der Lage bleiben, den Regelungsinhalt mit den anerkannten Auslegungsregeln zu konkretisieren. Je intensiver dabei eine Regelung
auf die Rechtsposition des Normadressaten wirkt, desto höher sind die Anforderungen, die an die Bestimmtheit im Einzelnen zu stellen sind (vgl.
dazu BVerfG, Urteil vom 27.07.2005 - 1 BvR 668/04 -, BVerfGE 113, 348 <375 f.> sowie Senatsurteil vom 15.11.2007 - 1 S 2720/06 -, VBlBW
2008, 134 f. m.w.N. und Normenkontrollbeschluss des Senats vom 29.04.1983 - 1 S 1/83 -, VBlBW 1983, 302 f.).
26 Diesem Maßstab wird § 12 Abs. 1 Nr. 5 POV nicht gerecht. Die darin normierten Tatbestandsmerkmale (das Lagern oder dauerhafte Verweilen
außerhalb von Freischankflächen oder Einrichtungen wie Grillstellen u.ä., ausschließlich oder überwiegend zum Zwecke des Alkoholgenusses,
wenn dessen Auswirkungen geeignet sind, Dritte erheblich zu belästigen) ermöglichen keine hinreichend eindeutige Abgrenzung zwischen
verbotenem und noch zulässigem Verhalten.
27 Was mit „Lagern oder dauerhaftem Verweilen“ gemeint ist, ist allerdings der Auslegung zugänglich. Dieses Tatbestandsmerkmal stellt nicht
darauf ab, ob der Betroffene liegt, sitzt oder steht, während er Alkohol konsumiert. Auch das unbestimmte Merkmal „dauerhaft“ lässt sich
dahingehend konkretisieren, dass ein kurzzeitiges Verweilen, um etwa den Durst mit einer Flasche Bier zu stillen, hiervon nicht erfasst sein soll.
Das Verweilen muss schon so lange andauern, dass sich die Auswirkungen des Alkoholgenusses überhaupt zeigen können. Soweit
„Einrichtungen wie Grillstellen u.ä.“ ebenso wie Freischankflächen von dem Verbot nicht erfasst sind, ist auch diese unbestimmte Formulierung
auslegungsfähig. Denn der Begriff der Einrichtungen weist darauf hin, dass es sich um eine öffentliche Einrichtung handeln muss, die - wie eine
Grillstelle - dem Essen und Trinken gewidmet ist. Dies gilt etwa für Picknickareale. Andere Einrichtungen, die nach ihrer Zweckbestimmung nicht
dem Essen und Trinken dienen, werden von dem Verbot folglich nicht ausgenommen. Auch soweit die Verbotsnorm auf den Zweck des
Verbleibens am Ort (ausschließlich oder überwiegend zum Zwecke des Alkoholgenusses) Bezug nimmt, bestehen keine grundsätzlichen
Bedenken gegen die Bestimmtheit der Norm. Denn dem Betroffenen ist in aller Regel bewusst, welches der (Haupt) Zweck seines dauerhaften
Verweilens ist, und auch für die Vollzugsbeamten ist insoweit aufgrund äußerer Umstände, insbesondere aufgrund Art und Menge des
mitgeführten Alkohols, erkennbar, ob das Verweilen ausschließlich oder überwiegend zum Alkoholgenuss erfolgt. Jedenfalls kann man sich der
Zweckrichtung auch hier mit den anerkannten Auslegungsmethoden nähern.
28 Unbestimmt ist die Norm hingegen, wenn sie den Alkoholkonsum zu beschreiben versucht, der die Verbotsfolge (schon das Lagern zum Zwecke
des Alkoholgenusses) auslösen soll. „Dessen Auswirkungen“ müssen danach „geeignet“ sein, „Dritte erheblich zu belästigen“. Der
Verordnungsgeber gibt damit zu Recht im Anschluss an die Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. Normenkontrollbeschluss vom
06.10.1998 - 1 S 2272/97 -, VBlBW 1999, 146 ff.) zu erkennen, dass allein durch das Lagern zum Zwecke des Alkoholgenusses noch kein
polizeiwidriger Zustand herbei geführt wird, sondern erst durch die alkoholbedingten, mit Belästigungen Dritter verbundenen Ausfall- und
Folgeerscheinungen, wie aggressives Verhalten, Verunreinigungen, ruhestörender Lärm u.ä.. Um schon im frühen Stadium - also bevor es zu
Belästigungen kommt - einschreiten zu können, versucht er nun, die Fälle mit einer weit gefassten Formulierung zu erfassen, in denen es seinen
Erwartungen nach zu solchen Ausschreitungen kommen wird. Die für eine inhaltlich bestimmte Normanwendung notwendigen näheren
Umstände, unter denen diese Befürchtungen gerechtfertigt sind, beschreibt der Normgeber hingegen nicht; möglicherweise entziehen diese sich
einer Festlegung in einem abstrakten Obersatz. Das Verbot des Verweilens zum Zwecke des Alkoholgenusses wird der Sache nach unter den
Vorbehalt einer weiteren Sachverhaltsfeststellung gestellt, d.h. dass in jedem Einzelfall noch eine Überprüfung stattfinden muss, ob tatsächlich
eine Gefahr gegeben ist (vgl. auch Hecker, Die Regelung des Aufenthalts von Personen im innerstädtischen Raum, 1998, S. 35). Vom
Normadressaten sind daher die Grenzen nicht auszumachen, ab wann bzw. unter welchen Voraussetzungen das Verweilen zum Alkoholgenuss
geeignet ist, sich belästigend auf Dritte auszuwirken und Sanktionen nach sich zu ziehen. In welchen Grenzen dürfen junge Leute sich etwa auf
dem beliebten Augustinerplatz niederlassen, um gemeinsam Alkohol zu trinken? Inwieweit werden feucht-fröhliche Abiturfeiern oder
Junggesellenabschiedsfeiern auf öffentlichen Plätzen toleriert, wenn das Feiern im wesentlichen aus Alkoholtrinken besteht? Der Wortlaut der
angegriffenen Norm gibt keine eindeutige Antwort auf diese Fragen, insbesondere auch nicht darauf, welche - bevorstehenden - Auswirkungen
des Alkoholkonsums nicht mehr hingenommen werden.
29 Auch der Regelungszusammenhang und der Zweck der Bestimmung lassen eine klare Grenzziehung zwischen Verbotenem und Erlaubtem nicht
zu. Die übrigen Verbotstatbestände des § 12 POV (Nr. 1: grob ungehöriges Belästigen oder Behindern von Personen, insbesondere in
angetrunkenem Zustand; Nr. 3: das Verrichten der Notdurft; Nr. 4: das Verunreinigen) tragen zur Konkretisierung der Regelung nichts bei. Ein
Vergleich mit der Verbotsnorm unter Nr. 1 macht lediglich zweierlei deutlich: Zum einen werden im Unterschied zu Nr. 1 nicht nur grob
ungehörige Belästigungen erfasst, sondern bereits erhebliche Belästigungen unterhalb der unter Nr. 1 genannten Schwelle. Zum anderen soll
die Verbotsnorm durch das Abstellen auf die Geeignetheit des Alkoholgenusses, Belästigungen hervorzurufen, im Sinne eines vorsorgenden
Vorgehens schon dann greifen, wenn die Gefahrengrenze noch nicht überschritten ist, also lediglich die Belästigungen durch die zum
Alkoholgenuss Verweilenden möglich erscheinen. Ob es zu diesen Verhaltensweisen wirklich kommen wird, steht zum Zeitpunkt des Lagerns
und dauerhaften Verweilens zum Alkoholkonsum indes noch nicht fest. Vielmehr ist in der Feststellung der Geeignetheit ein Prognoseelement
enthalten, das einer Einzelfall bezogenen Einschätzung bedarf und weder einen verlässlichen Vollzug noch die Erkennbarkeit der Reichweite
der Norm gewährleistet.
30 Schließlich stellt der Zweck der Regelung für den Betroffenen die Erkennbarkeit der Rechtslage ebenfalls nicht sicher. Wie in der
Beschlussvorlage vom 07.11.2007 zur Gemeinderatssitzung zum Ausdruck kommt, wollte die Antragsgegnerin mit dieser an die Mustersatzung
des Gemeindetags Baden-Württemberg (§ 15 Abs. 1 Nr. 4, BWGZ 1999, 778) angelehnten Bestimmung eine rechtliche Handhabe schaffen, um
im Vorfeld den von der sog. Trinkerszene ausgehenden Belästigungen entgegen zu wirken. Wie dies rechtlich zu bewerten ist, insbesondere ob
hierdurch eine vermeintlich allgemeine, aber verdeckt konkrete und allein schon deshalb unzulässige Sonderregelung zum Einschreiten gegen
soziale Randgruppen geschaffen wurde (vgl. hierzu Hecker, a.a.O., S. 33), bedarf hier keiner Entscheidung. Denn soweit die Antragsgegnerin
allein die Belästigungen durch das „Gruppentrinken“ sozialer Randgruppen von der Verbotsnorm erfasst sehen will, kommt dies in der Regelung
nicht zum Ausdruck. Sie richtet sich von ihrem Wortlaut her sowohl an Einzel- wie an Gruppentrinker. Daher bleibt für den Normunterworfenen
offen, wie derjenige, der zum Zwecke des Alkoholgenusses auf öffentlichen Straßen, in öffentlichen Anlagen und öffentlichen Einrichtungen
verweilt, sich verhalten muss, um dem Eindruck entgegen zu wirken, sein Alkoholkonsum werde Dritte erheblich belästigen. Auch darf es nicht
dem Rechtsanwender überlassen bleiben festzustellen, ob der Alkoholkonsum regelmäßig zu einer erheblichen Belästigung Dritter führt (vgl.
auch Finger, Die offenen Szenen der Städte, 2006, S. 98). Damit ist die Regelung ungeeignet, dem Betroffenen eine Leitlinie für sein Verhalten
an die Hand zu geben.
31 Der Senat verkennt nicht die Formulierungsschwierigkeiten der Polizeibehörden, die sich auf diese Weise ergeben. Diese sind jedoch nicht auf
zu hohe Bestimmtheitsanforderungen zurückzuführen, sondern beruhen vielmehr auf dem Versuch der Kommunen, - einem praktischen
Bedürfnis entsprechend - einen konkreten Tatbestand, der eine Entscheidung im Einzelfall erfordert, in eine generell-abstrakte Form zu gießen
(vgl. auch Hecker, a.a.O., S. 31 f. <35>; Finger, Bettel- und Alkoholverbote im Spiegel der Rechtsprechung, KommJur 2006, 441 f. <445>; Deger,
Handlungsformen der Polizei gegen störende Ansammlungen, VBlBW 2004, 96 f. <99>).
32 Wird § 12 Abs. 1 Nr. 5 POV dem rechtsstaatlichen Gebot hinreichender Bestimmtheit nicht gerecht, so war die Regelung bereits aus diesem
Grunde für unwirksam zu erklären. Einer weiteren Klärung der vom Antragsteller aufgeworfenen Fragen bedurfte es daher nicht.
33 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
34 Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
35
Beschluss vom 28. Juli 2009
36 Der Streitwert für das Normenkontrollverfahren wird gemäß § 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
37 Der Beschluss ist unanfechtbar.