Urteil des OLG Zweibrücken vom 09.12.2003

OLG Zweibrücken: internationale zuständigkeit, russische föderation, russland, verwirkung, vaterschaft, apostille, unterhalt, urkunde, echtheit, abschlag

Sonstiges
OLG
Zweibrücken
09.12.2003
5 UF 110/03
Aktenzeichen:
5 UF 110/03
1 F 116/03
Amtsgericht Pirmasens
Verkündet am: 9. Dezember 2003
Schöneberger, Justizhauptsekretär
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Pfälzisches Oberlandesgericht
Zweibrücken
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
In der Familiensache
B...
B . . .
Beklagter und Berufungskläger,
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte ..., ...,
gegen
A... B...
P . . .
Föderation,
Klägerin und Berufungsbeklagte,
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte ..., ...,
wegen Kindesunterhalts,
hat der 5. Zivilsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken als Familiensenat
durch den Vorsitzende Richter am Oberlandesgericht Hoffmann und die Richter am Oberlandesgericht
Geisert und Kratz
auf die mündliche Verhandlung vom 18. November 2003
für Recht erkannt:
I.Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts – Familiengericht – Pirmasens vom 26.
Juni 2003 wird zurückgewiesen.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
IV.Die Revision wird nicht zugelassen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
I.
Die am ... 1999 in ... nichtehelich geborene Klägerin, die – ausschließlich – die russische
Staatsangehörigkeit besitzt und bei ihrer Mutter in ... lebt, macht gegen den Beklagten einen
Unterhaltsrückstand für die Zeit ab Januar 2002 sowie einen laufenden Unterhaltsanspruch ab April 2003
in Höhe von 128 % des Regelbetrages (= Einkommensgruppe 5 der DüTab) geltend.
Der Beklagte ist verheiratet und Vater eines ehelichen Kindes. Er ist erwerbstätig und verfügt über ein um
berufsbedingte Aufwendungen von 5 % bereinigtes Nettoeinkommen von durchschnittlich 2 085 €.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes verweist der Senat auf den Tatbestand des
angegriffenen Urteils.
Das Familiengericht hat den Beklagten verurteilt, ab 1. April 2003 monatlich 100 % des Regelbetrages zu
zahlen. Auf dieser Grundlage hat es auch den Unterhaltsrückstand ab Januar 2002 ausgeurteilt. Zur
Begründung hat es ausgeführt, es finde russisches Unterhaltsrecht Anwendung. Aufgrund der vorgelegten
Urkunden stehe fest, dass der Beklagte die Vaterschaft anerkannt habe. Angesichts der
Lebensverhältnisse in Russland sei es angemessen, den Unterhaltsanspruch auf 100 % des
Regelbetrages anstelle der sich nach den Einkommensverhältnissen des Beklagten ergebenden 128 %
des Regelbetrages zu reduzieren. Für eine Verwirkung des Unterhaltsrückstandes sei schon das
Zeitmoment nicht erfüllt.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Beklagten, mit der er weiterhin vollständige Klageabweisung
begehrt. Zur Begründung trägt er vor, die von der Klägerin vorgelegten Urkunden seien nicht geeignet,
seine Vaterschaft zu beweisen. Hinsichtlich der Lebensverhältnisse in Russland sei im Übrigen ein
Abschlag von 2/3 des nach der DüTab geschuldeten Betrages angemessen. Schließlich greift er die
Rechtsansicht des Amtsgerichts zur Frage der Verwirkung an.
Dagegen verteidigt die Klägerin das angegriffene Urteil. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem
Senat hat sie die Originale der in russischer Sprache abgefassten und mit einer Apostille versehenen
Urkunden (Geburtsurkunde und Anerkennungsurkunde) zur Akte gereicht. Beide Parteien haben
unstreitig gestellt, dass die von der Klägerin zur Akte gereichten Übersetzungen dieser Urkunden deren
Inhalt zutreffend wiedergeben.
II.
Die zulässige Berufung führt aus den im Wesentlichen zutreffenden Gründen der angefochtenen
Entscheidung nicht zum Erfolg. Ergänzend gilt Folgendes:
1. Das Amtsgericht hat seine internationale Zuständigkeit (stillschweigend) zu Recht bejaht. Die
internationale Zuständigkeit besteht immer dann, wenn nach den Gerichtsstandsbestimmungen ein
deutsches Gericht örtlich zuständig ist (vgl. BGH, NJW
1991
,
2212
). So gilt § 13 ZPO nicht nur für die
örtliche, sondern auch für die internationale Zuständigkeit (BGH NJW 1998, 1321). Da der Beklagte
seinen allgemeinen Gerichtsstand (§ 13 ZPO) in Deutschland hat, war deshalb auch die internationale
Zuständigkeit des Amtsgerichts begründet.
2. Zutreffend hat das Familiengericht ausgeführt, dass die Frage der Abstammung der Klägerin gem. Art.
19 Abs. 1 EGBGB nach russischem Recht zu beurteilen ist, weil die Klägerin ihren gewöhnlichen
Aufenthalt in Russland hat.
Nach Vorlage der mit Apostille versehenen Originalurkunde über die Anerkennung der Vaterschaft steht
die Abstammung der Klägerin vom Beklagten fest:
Nach Art. 48 Abs. 3 des Familiengesetzbuches (FamGB) der Russischen Föderation wird die Vaterschaft
der Person, die nicht in einer Ehe mit der Kindesmutter verbunden ist, im Wege der Einreichung eines
gemeinsamen Antrages des Vaters und der Mutter des Kindes beim Personenstandesamt festgestellt.
Dass eine solche Feststellung vorliegend erfolgt ist, hat die Klägerin durch die Vorlage der
Anerkennungsurkunde bewiesen.
Die Beweiskraft öffentlicher Urkunden nach §§ 415, 417, 418 ZPO gilt auch für ausländische Urkunden,
sofern deren Echtheit feststeht. Ob eine ausländische Urkunde echt ist, hat das Gericht nach § 438 Abs. 1
ZPO nach den Umständen des Falles zu ermessen; in jedem Falle genügt nach Abs. 2 der Vorschrift die
Legalisation bzw. nach Art. 3 und Art. 4 des Haager Übereinkommens vom 5.10.1961, welchem sowohl
Deutschland als auch Russland beigetreten sind, die Apostille. Eine mit der Apostille versehene,
ausländische Urkunde hat zumindest die Vermutung der Echtheit nach § 437 Abs. 1 ZPO für sich.
Vorliegend bestehen demnach keine Zweifel an der Echtheit der mit der Apostille versehenen
Anerkennungsurkunde. Diese erbringt nach § 417 ZPO vollen Beweis für die Richtigkeit ihres Inhaltes.
Inhalt der Urkunde ist wiederum die Bescheinigung der Anerkennung der Vaterschaft durch den
Beklagten durch den hierfür zuständigen Standesbeamten des Standesamtes in .... Es steht deshalb fest,
dass der Beklagte der Vater der Klägerin ist.
3. Der Unterhaltsanspruch der Klägerin ist materiell-rechtlich nach russischem Recht zu beurteilen, weil
die Klägerin ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Russland hat (Art.
18
I
1 EGBGB; vgl OLG Hamm, OLGR
2003
,
171
). Grund und Höhe dieses Unterhaltsanspruchs hat das Amtsgericht in zutreffender Weise
ermittelt:
Nach § 81 Abs. 1 FamGB steht der Klägerin grundsätzlich 1/6 des Einkommens des Klägers, der
insgesamt zwei Kinder hat und für diese insgesamt 1/3 seines Einkommens aufzuwenden hat, als
Unterhalt zu.
Da der Beklagte unstreitig über ein bereinigtes Einkommen in Höhe von 2.085 € verfügt, bestünde
deshalb nach § 81 Abs. 1 FamGB ein Anspruch der Klägerin in Höhe von 347,50 €. Mit diesem Betrag hat
es vorliegend indes nicht sein Bewenden.
Nach § 83 Abs. 1 FamGB ist das Gericht dann berechtigt, den Unterhaltsbetrag in einem festen
Geldbetrag, also nicht in Anwendung der Quote des § 81 FamGB, festzusetzen, wenn der
Unterhaltsschuldner – wie hier - sein Einkommen in ausländischer Währung bezieht oder wenn die
Quotenbildung im Verhältnis zu dem Verdienst „unmöglich oder schwierig“ ist. Nach Abs. 2 der Vorschrift
wird der Geldbetrag in diesem Fall, ausgehend von der höchstmög-lichen Wahrung des früheren
Versorgungsniveaus des Kindes unter Berücksichtigung der materiellen und familiären Lage der Parteien
und anderer, berücksichtigenswerter Umstände festgesetzt. Die russischen Gerichte machen von dieser
Bestimmung regelmäßig dann Gebrauch, wenn das Einkommen des Unterhaltsschuldners den
Durchschnittsverdienst eines Arbeiters deutlich übersteigt, weil der Quotenunterhalt nach § 81 FamGB an
die wirtschaftlichen Verhältnisse aufgrund des geringen Durchschnittsverdienstes in Russland anknüpft
(OLG Hamm, OLGR
2003
,
171
). Zu dem gleichen Ergebnis führte im Übrigen auch Art. 18 Abs. 7 EGBGB,
wonach bei der Bemessung des Unterhaltsbetrages die Bedürfnisse des Berechtigten und die
wirtschaftlichen Verhältnisse des Unterhaltsverpflichteten zu berücksichtigen sind, und zwar auch dann,
wenn das ausländische Recht - wie hier nicht - etwas anderes bestimmt.
In der Rechtsprechung wird in vergleichbaren Fällen der angemessene Bedarf eines im Ausland
lebenden Kindes überwiegend in der Weise ermittelt, dass das Einkommen des in Deutschland lebenden
Unterhaltsschuldners zugrunde gelegt wird, hiernach der Unterhalt für ein in Deutschland lebendes
gleichaltriges Kind aus der Unterhaltstabelle festgestellt und hiervon ein prozentualer Abschlag
vorgenommen wird, dessen Höhe sich z.B. nach der Verbrauchergeldparität, der
Ländergruppeneinteilung des Bundesfinanzministeriums oder nach dem Devisenkurs richtet (Senat,
FamRZ 1999, 33 (zur Türkei); OLG Nürnberg; NJWE-FER 1997, 102 (zu Polen); OLG Koblenz; FamRZ
2002, 56 (zu Russland). Der Senat schließt sich dieser Methode im Ausgangspunkt, soweit nämlich
zunächst einmal die in Deutschland gebräuchlichen Unterhaltstabellen herangezogen werden, an. Durch
diese Orientierung an der Unterhaltstabelle mit einer anschließenden Anpassung zur Angleichung der
Verhältnisse sowohl wegen der geringeren Lebenshaltungskosten als auch wegen der Kaufkraftvorteile
im Ausland nimmt das Kind einerseits an den Lebensverhältnissen des in Deutschland lebenden
Unterhaltsschuldners teil, andererseits werden die besonderen, bedarfsprägenden Umstände seines
Aufenthaltsortes in die Unterhaltsbestimmung einbezogen.
Bei der Frage, in welcher Weise der Abschlag von dem sich aus der Unterhaltstabelle ergebenden Betrag
zu ermitteln ist, hält es der Senat indes nicht für angebracht, alleine oder entscheidend auf die
Ländergruppeneinteilung des Bundesministeriums der Finanzen abzustellen, die eine Bewertung der
Russischen Föderation mit einer Quote von 1/3 annimmt (a.A. OLG Koblenz, FamRZ 2002, 56). Die
Ländergruppeneinteilung des Bundesfinanzministeriums – zuletzt vom 26. Oktober 2000 mit Wirkung vom
1. Januar 2001 an - erfolgt mit Blick auf die – hier ohnehin sachfremde - steuerrechtliche Behandlung von
Auslandsaufwendungen. So können nach § 33 a Abs. 1 EStG die Aufwendungen für Unterhaltsleistungen
nur abgezogen werden, soweit sie nach den Verhältnissen des Wohnsitzstaates der unterhaltenen Person
notwendig und angemessen sind. Stellt aber das Steuerrecht alleine auf die Verhältnisse des
Wohnsitzstaates ab und finden die im Unterhaltsrecht zu berücksichtigenden, wirtschaftlichen Verhältnisse
des in Deutschland lebenden Unterhaltsschuldners keine Berücksichtigung, so ist die
Ländergruppeneinteilung als alleiniger Faktor kein geeigneter Maßstab zur Bemessung des
Unterhaltsanspruches.
Der Senat hält es demgegenüber für angebracht, jedenfalls im Ausgangspunkt auf einen Vergleich der
Lebenshaltungskosten abzustellen, weil dieser Wert am ehesten geeignet ist, den Unterhaltsbedarf des im
Ausland lebenden Kindes zu bestimmen.
Ausweislich eines Preisvergleiches des Statistischen Bundesamtes vom November 2002 entspricht die
Kaufkraft von 100 € in Berlin etwa 109 € in Moskau, also 9 % mehr.
Bei ergänzender Berücksichtigung der Ländergruppeneinteilung des Bundesfinanzministeriums und auch
unter Beachtung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Beklagten hält der Senat die vom
Amtsgericht vorgenommene Herabstufung des Unterhaltsanspruchs aus der Einkommensgruppe 5 der
Düsseldorfer Tabelle (128 % des Regelbetrages) in die Einkommensgruppe 1 (100 % des
Regelbetrages), das entspricht einer Herabsetzung des Unterhaltsbetrages um rund 22 %, für
angemessen.
4. Die rückständigen Unterhaltsansprüche sind nicht verwirkt. Der Beklagte hat zuletzt mit Schreiben vom
29. April 2002 auf ein Schreiben der Gegenseite reagiert und die monatliche Zahlung von 81 €
Kindesunterhalt angeboten. Der den vorliegenden Prozess einleitende Prozesskostenhilfe - Antrag der
Klägerin ist dem Beklagten um den 10.4.2003 und damit knapp weniger als ein Jahr nach seinem
Angebot vom 29.4.2002 zugegangen. Danach ist schon das erforderliche Zeitmoment der Verwirkung
nicht erfüllt:
Eine Verwirkung kommt nach allgemeinen Grundsätzen in Betracht, wenn der Berechtigte ein Recht
längere Zeit nicht geltend macht, obwohl er dazu in der Lage wäre, und der Verpflichtete sich mit
Rücksicht auf das gesamte Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte und eingerichtet hat, dass
dieser sein Recht auch in Zukunft nicht geltend machen werde. Insofern gilt für Unterhaltsrückstände
nichts anderes als für andere in der Vergangenheit fällig gewordene Ansprüche (
BGHZ 84, 280
, 281).
Vielmehr spricht gerade bei derartigen Ansprüchen vieles dafür, an das Zeitmoment der Verwirkung keine
strengen Anforderungen zu stellen. Nach § 1613 Abs. 1 BGB kann Unterhalt für die Vergangenheit
ohnehin nur ausnahmsweise gefordert werden. Von einem Unterhaltsgläubiger, der lebensnotwendig auf
Unterhaltsleistungen angewiesen ist, muss eher als von einem Gläubiger anderer Forderungen erwartet
werden, dass er sich zeitnah um die Durchsetzung des Anspruchs bemüht. Andernfalls können
Unterhaltsrückstände zu einer erdrückenden Schuldenlast anwachsen. Abgesehen davon sind im
Unterhaltsrechtsstreit die für die Bemessung des Unterhalts maßgeblichen Einkommensverhältnisse der
Parteien nach längerer Zeit oft nur schwer aufklärbar. Diese Gründe, die eine möglichst zeitnahe
Geltendmachung von Unterhalt nahe legen, sind so gewichtig, dass das Zeitmoment der Verwirkung auch
dann erfüllt sein kann, wenn die Rückstände Zeitabschnitte betreffen, die etwas mehr als ein Jahr
zurückliegen (BGHZ 152, 217). Vorliegend ist indes nicht einmal diese aus den vorgenannten Gründen
schon knapp bemessene Jahresfrist verstrichen. Die Ansprüche auf rückständigen Kindesunterhalt sind
deshalb nicht verwirkt.
5. Insgesamt erweist sich damit die Entscheidung des Amtsgerichts in jeder Hinsicht als zutreffend,
weshalb die Berufung des Beklagten mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen war.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Gründe für die
Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) bestanden nicht.
Hoffmann Geisert Kratz
B e s c h l u s s
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß § 17Abs. 1 und 4 GKG auf
5.374 €
festgesetzt,
(Rückstand 16 * 188 = 3008 €; laufend 2 * 188 € + 10 * 199 € = 2366 €).
Hoffmann Geisert Kratz