Urteil des OLG Zweibrücken vom 25.11.2010

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OLG
Zweibrücken
25.11.2010
6 UF 91/10
Zur Anwendung der Übergangsregeln des FGG-RG
Aktenzeichen:
6 UF 91/10
2 F 100/09
Amtsgericht - Familiengericht -
Kandel
Verkündet am: 25. November 2010
Linsmayer, Justizsekretär
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Pfälzisches Oberlandesgericht
Zweibrücken
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
In der Familiensache
A.
H.
Antragsgegnerin und Berufungsklägerin,
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Dr. I.l und Kollegen, ...,
gegen
Dr. H...
H...
Antragsteller und Berufungsbeklagter,
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwältin K..., ...,
wegen Ehescheidung und Folgesachen,
hat der 6. Zivilsenat – Familiensenat – des Pfälzischen Oberlandesgerichts
Zweibrücken
durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Burger, die Richterin am Oberlandesgericht
Euskirchen und den Richter am Oberlandesgericht Hengesbach
im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO mit Schriftsatzfrist bis zum 12. November 2010
für Recht erkannt:
I.
Kandel vom 28. April 2010 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung im Verbund an das Gericht
des ersten Rechtszuges zurückverwiesen, dem auch die Entscheidung über die außergerichtlichen
Kosten des Berufungsverfahrens vorbehalten bleibt.
II.
III.
Gründe:
I.
Die Parteien streiten um die verfahrensrechtliche Zulässigkeit der nach Abtrennung der Folgesache
Zugewinnausgleich ausgesprochenen Scheidung ihrer am 1. Februar 1990 geschlossenen Ehe, aus der
die Zwillinge A. und J..., geboren am ..., hervorgegangen sind.
Die Eheleute leben seit April 2008 getrennt voneinander. Sie sind vom Familiengericht in der mündlichen
Verhandlung vom 28. April 2010 (Bl. 42 ff d.A.) angehört worden. Während der Antragsteller danach die
Scheidung erstrebt, hält die Antragsgegnerin die Ehe noch nicht für endgültig gescheitert. Zugleich hat sie
im Termin der mündlichen Verhandlung einen mit Schriftsatz vom 22. April 2010 angekündigten Antrag
zur Folgesache Zugewinnausgleich gestellt.
Das Familiengericht hat die Auskünfte zum Versorgungsausgleich eingeholt, die Folgesache
Zugewinnausgleich abgetrennt, die Ehe mit angefochtenem Urteil geschieden und den
Versorgungsausgleich durchgeführt.
Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf das Urteil (Bl. 47-54 d.A.) Bezug genommen.
Hiergegen macht die Antragsgegnerin im Wege der Berufung geltend:
Das Scheidungsurteil könne keinen Bestand haben. Es sei schon verfahrensfehlerhaft ergangen, weil das
Familiengericht die Scheidung ausgesprochen habe, ohne die Folgesache Zugewinnausgleich in den
Scheidungsverbund aufzunehmen. Insoweit sei auf das vor dem 1. September 2009 geltende
Verfahrensrecht abzustellen. Im Übrigen hätten sich für das Familiengericht aufgrund der
widersprüchlichen Angaben der Parteien im Termin auch Zweifel ergeben müssen, ob die Ehe tatsächlich
endgültig gescheitert sei.
Die Antragsgegnerin beantragt,
das Urteil des Amtsgerichts Kandel vom 28. April 2010 aufzuheben und zur weiteren Verhandlung an das
Amtsgericht Kandel zurückzuverweisen.
Der Antragsteller beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Antragstellerin verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung und macht hierzu insbesondere geltend,
die Abtrennung der Folgesache Zugewinnausgleich sei mit Recht unter Hinweis auf die
Übergangsvorschrift zum FamFG und § 137 FamFG erfolgt. Die Ehe der Parteien sei gescheitert. Das
folge aus den weiteren streitig geführten gerichtlichen Verfahren sowie der Tatsache, dass der
Antragsteller schon seit Mai 2008 in einer neuen gefestigten Beziehung lebe.
Zur Ergänzung wird auf die zwischen den Parteien gewechselte Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
II.
1.
insbesondere ist anerkannt, dass eine Berufung vorrangig mit dem Ziel eingelegt werden kann, die
Vorwegentscheidung zu beseitigen und dadurch den Verbund wieder herzustellen (vgl. Zöller/Philippi,
ZPO, 27. Aufl., § 628 ZPO, Rdnr. 13 m.w.N.). Für die Anfechtbarkeit des erstinstanzlichen Urteils ist dabei
gemäß Art. 111 Abs. 1 FGG-RG noch das bis Ende August 2009 geltende Prozessrecht anwendbar, weil
der Rechtsstreit mit dem Scheidungsantrag vor diesem Zeitpunkt eingeleitet worden ist.
2.
Scheidungsausspruch ist gemäß § 538 Abs. 2 Nr. 7 ZPO aufzuheben und die Sache zur erneuen
Verhandlung und Entscheidung im Verbund an das Gericht des ersten Rechtszuges zurückzuverweisen.
Das Urteil ist nämlich unter Nichtbeachtung des Verbunds ergangen; es kommt daher einem unzulässigen
Teilurteil gleich, weil es über das Scheidungsbegehren entschieden hat, obwohl dieses nach den §§ 623,
628 ZPO noch nicht zur Endentscheidung reif war (vgl. Senat, zuletzt etwa Urteil vom 5. Oktober 2007, 6
UF 20/07 sowie 5. Zivilsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts, OLGR 1998, 492 ff und 2001, 477 ff;
OLG Saarbrücken, OLGR 2004, 486, 487 und 660; Zöller/Philippi, aaO, § 628, Rdnr. 14).
a)
Vorschriften der §§ 623, 628 ZPO zu beurteilen. Allerdings regelt die Übergangsvorschrift des Art. 111
FGG-RG die Frage der Anwendung des neuen Rechts für das Verbundverfahren nicht umfassend. Gemäß
Art. 111 Abs. 5 FamFG-RG sind auf Verfahren über den Versorgungsausgleich, in denen am 31. August
2010 im ersten Rechtszug noch keine Endentscheidung erlassen wurde, auch auf die Scheidungs- und
Folgesachen die ab dem 1. September 2010 geänderten Vorschrift anzuwenden. Damit wird innerhalb
des Verbundverfahrens ein Nebeneinander von altem und neuem Recht verhindert (vgl.
MünchKomm/Pabst, ZPO, FamFG, Art. 111 FGG-RG Rdnr. 25 f). Hier ist die Entscheidung im ersten
Rechtszug jedoch bereits vor dem Stichtag ergangen, so dass die Anwendung neuen Rechts sich nicht
daraus herleiten lässt.
b)
Verfahren, das mit einer Endentscheidung abgeschlossen wird, ein selbständiges Verfahren i. S. d. Art.
111 Abs. 1 Satz 1 FGG-RG ist. Denn Art. 111 Abs. 2 FGG-RG enthält lediglich eine Klarstellung zu Abs. 1
Satz 1 der Vorschrift für sogenannte Bestandsverfahren wie Betreuung, Vormundschaft oder
Beistandschaft hinsichtlich der diesbezüglich im Rahmen des Verfahrens zu treffenden selbständigen
Entscheidungen (vgl. OLG Köln, FamRZ 2009, 1852, 1853 sowie MünchKomm/Pabst, aaO, Art. 111 FGG-
RG, Rdnr. 10, jew.m.w.N.). Diese Frage stellt sich hier indessen nicht. Vielmehr geht es darum, unter
welchen Voraussetzungen ein Verbund von Scheidung und Folgesachen durch Abtrennung aufgelöst
werden kann.
c)
- mangels einer anderweitigen Regelung in der Übergangsvorschrift - vom Grundsatz des Art. 111 Abs. 1
Satz 1 FGG-RG auszugehen. Bereits die Einleitung mit dem Scheidungsantrag vor dem Stichtag hat zur
Folge, dass für das Verfahren die prozessrechtlichen Vorschriften des früheren Rechts anwendbar
bleiben, zu denen insbesondere auch §§ 623 und 628 a.F. ZPO gehören. Nur so wird vermieden, dass
innerhalb des Verbunds sowohl altes wie auch neues Recht anzuwenden wäre. Eine Aufspaltung der
verfahrensrechtlichen Behandlung soll nach dem Willen des Gesetzgebers gerade verhindert werden, wie
sich der bereits zitierten Regelung des Art. 111 Abs. 5 FGG-RG entnehmen lässt. Für die
Rechtsanwendung kommt es mithin allein auf das den Verbund vermittelnde Verfahren an. Ist das
Scheidungsverfahren vor dem Stichtag eingeleitet, so sind demzufolge auch die Folgesachen nach dem
früheren Recht zu behandeln (vgl. MünchKomm/Pabst, aaO, Art. 111 FGG-RG, Rdnr. 27 ff).
3.
geschieden und den Versorgungsausgleich durchgeführt hat, ohne zugleich über die Folgesache
Zugewinnausgleich eine Entscheidung zu treffen. Der Scheidungsverbund tritt gemäß § 623 Abs. 1 und
Abs. 2 Satz 1 ZPO ein, wenn ein Ehegatte in Familiensachen des § 621 Abs. 1 ZPO eine Entscheidung für
den Fall der Ehescheidung rechtzeitig, d. h. bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in erster
Instanz der Ehesache begehrt. Nach § 623 Abs. 2 Satz 1 ZPO muss die entsprechende Folgesache bis zu
diesem Zeitpunkt anhängig gemacht worden sein. Das war hier der Fall.
4.
liegen nicht vor.
a)
dafür ersichtlich, dass eine Entscheidung über den Zugewinnausgleich vor der Auflösung der Ehe nicht
möglich wäre. Ebenso wenig ist etwas dafür vorgetragen oder sonst ersichtlich, dass die Entscheidung
über den Zugewinnausgleich vom Ausgang eines von einem anderen Gericht anhängigen Rechtsstreits
abhängig wäre. Folgesachen i. S. d. § 628 Satz 1 Nr. 3 ZPO sind hier nicht streitgegenständlich.
b)
Nr. 4 ZPO sind nicht gegeben. Danach kann das Gericht dem Scheidungsantrag vor der Entscheidung
über eine Folgesache stattgeben, soweit die gleichzeitige Entscheidung über die Folgesache den
Scheidungsausspruch so außergewöhnlich verzögern würde, dass der Aufschub auch unter
Berücksichtigung der Bedeutung der Folgesache eine unzumutbare Härte darstellt.
Hier ist schon nicht erkennbar, inwieweit das angestrengte Zugewinnausgleichsverfahren zu einer
außergewöhnlichen Verfahrensverzögerung führen würde. Abgesehen davon bedeutet dies - für sich
allein gesehen - noch keine unzumutbare Härte für die Beteiligten (PfälzOLG, FamRZ 1998, 1525, 1526;
Zöller/Philippi, aaO, § 628, Rdnr. 6). Jedenfalls sind Feststellungen zum Vorliegen einer unzumutbaren
Härte weder vom Familiengericht getroffen noch sind in diesem Zusammenhang irgendwelche konkreten
Umstände von dem Antragsteller dargetan. Auch sonst ist für ein vorrangiges Interesse des Antragstellers
an einer alsbaldigen Scheidung nicht ersichtlich.
5.
Zugewinnausgleich nötigt demzufolge zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an die erste
Instanz, § 538 Abs. 2 Nr. 7 ZPO. Eine eigene Sachentscheidung durch den Senat kommt schon deshalb
nicht in Betracht, weil die beim Familiengericht rechtshängig gebliebene Folgesache noch völlig ungeklärt
ist. Es wird zunächst - ggf. vorab durch eine Teilentscheidung - im Rahmen der ersten Stufe über einen
Auskunftsanspruch zu entscheiden sein. Nach Wegfall des Scheidungsausspruchs ist auch die
Entscheidung zum Versorgungsausgleich aufzuheben.
Vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass nunmehr Art 111 Abs. 5 FGG-RG zu beachten sein wird und
zur Anwendung des neuen Rechts führt. Dies steht nicht im Widerspruch zu den vorausgegangenen
Ausführungen, denn der Antragsgegnerin kann nicht verwehrt werden, sich zur Aufrechterhaltung des
Scheidungsverbunds auf (noch) geltendes Recht zu berufen. Im Übrigen bietet die Zurückverweisung dem
Familiengericht Gelegenheit, hinsichtlich des Scheidungsausspruchs auf die im Berufungsverfahren
erhobenen Einwände der Antragsgegnerin einzugehen.
III.
Die Entscheidung über die Nichterhebung von Gerichtskosten ergeht gemäß § 21 Abs. 1 GKG.
Die Entscheidung über die sonstigen Kosten des Berufungsverfahrens bleibt dem Familiengericht
vorbehalten.
Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Die vom Gesetzgeber in
Art. 111 FamFG-RG getroffene Übergangsregelung lässt eine andere Behandlung der Verbundsache
nicht zu. Die Rechtslage ist daher als eindeutig anzusehen. Soweit ersichtlich, wird eine abweichende
Auffassung weder in der obergerichtlichen Rechtsprechung noch in der Literatur vertreten.
Burger Euskirchen Hengesbach
B e s c h l u s s
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird entsprechend der Festsetzung erster Instanz auf
34.300,00 €
festgesetzt.
Burger Euskirchen Hengesbach