Urteil des OLG Zweibrücken vom 15.02.2010

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Bürgerliches Recht
OLG
Zweibrücken
15.02.2010
4 W 11/10
Bereicherungsrecht - Freigabeklage in einem Prätendentenstreit
Aktenzeichen
4 W 11/10
3 O 494/09
Landgericht Frankenthal (Pfalz)
Pfälzisches Oberlandesgericht
Zweibrücken
Beschluss
In dem Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren
G...
L...,
Antragsteller und Beschwerdeführer,
Verfahrensbevollmächtigte:Rechtsanwälte ..., ..., ...,
gegen
J...
F...,
Antrags- und Beschwerdegegner,
Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt ..., ..., ...,
wegen Zustimmung zur Auszahlung eines hinterlegten Geldbetrages,
hat der 4. Zivilsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken
durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Petry als Einzelrichter
auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers vom 20. Januar 2010
gegen den Beschluss des Einzelrichters der 3. Zivilkammer des Landgerichts
Frankenthal (Pfalz) vom 8. Januar 2010
ohne mündliche Verhandlung am 15. Februar 2010
beschlossen:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
G r ü n d e :
I.
Der Antragsteller begehrt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Freigabeklage in
einem Prätendentenstreit mit dem Antragsgegner um einen von der Staatsanwaltschaft für beide
Verfahrensbeteiligte gemäß § 372 Satz 2 BGB hinterlegten Barbetrag von 7 000,00 €.
Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Antragsteller, der kurz zuvor seine Ehefrau getötet hatte, befuhr am 23. August 2009 auf der Flucht vor
der Polizei mit seinem Pkw die B.... Bei einem Überholvorgang streifte er das von dem Antragsgegner
gelenkte Kraftfahrzeug, das dabei beschädigt wurde. Die Parteien steuerten danach eine nahegelegene
Raststätte an. Dort erklärte der Antragsteller dem Antragsgegner, dass er wegen "familiärer Probleme"
keine polizeiliche Unfallaufnahme wünsche und bot zur sofortigen Regulierung des verursachten
Sachschadens die Zahlung von 3 000,00 € in bar an. Der Antragsgegner forderte hierfür zuerst 5 000,00 €
und - nach telefonischer Rücksprache mit seiner Ehefrau - schließlich 7 000,00 €. Hiermit erklärte sich der
Antragsteller einverstanden, händigte dem Antragsgegner 7 000,00 € in Geldscheinen aus und setzte
danach seine Flucht vor der Polizei fort. Der Antragsgegner sprach kurz darauf noch auf dem
Raststättengelände Polizeibeamte an und berichtete von dem soeben Geschehenen. Diese stellten
daraufhin die 7 000,00 € sicher. Der Antragsteller wurde später verhaftet.
In der Folgezeit meldete der Antragsgegner seinen Unfallschaden zur Regulierung bei dem
Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer des Antragstellers an. Der Versicherer leistete für die geltend
gemachten Schadenspositionen vollen Ersatz in Höhe von knapp 4 000,00 €.
Weil die im Gewahrsam des Antragsgegners sichergestellten 7 000,00 € für die Zwecke des
Strafverfahrens gegen den Antragsteller nicht benötigt wurden und beide Parteien darauf Anspruch
erhoben, hat die Staatsanwaltschaft das Geld zugunsten beider beim Amtsgericht unter Verzicht auf
Rücknahme hinterlegt.
Zur Begründung seines Freigabeverlangens nimmt der Antragsteller den Standpunkt ein, dass er dem
Antragsgegner den Geldbetrag aus unterschiedlichen Gründen nicht rechtswirksam übertragen habe.
Zumindest könne er, zumal nach späterer Regulierung des Schadens als Versicherungsfall, von dem
Antragsgegner die Rückerstattung der von ihm geleisteten Zahlung beanspruchen. Demgegenüber beruft
sich der Antragsgegner auf erworbenes Sacheigentum und meint im Übrigen, das Geld auch deshalb
behalten zu dürfen, weil ihm weitere Ansprüche gegen den Antragsteller (u. a. auf Ersatz von
immateriellem Schaden wegen seiner Aufregung über den Vorfall) zustünden. Er hat nunmehr seinerseits
eine Klage gegen den Antragsteller auf Freigabe des hinterlegten Geldbetrages anhängig gemacht.
Der Einzelrichter der Zivilkammer hat dem Antragsteller mit dem angefochtenen Beschluss die
nachgesuchte Prozesskostenhilfe verweigert, weil die Voraussetzungen einer als Anspruchsgrundlage
alleine in Betracht kommenden ungerechtfertigten Bereicherung nicht vorlägen. Es sei nicht davon
auszugehen, dass der Antragsgegner die 7 000,00 € von dem Antragsteller ohne Rechtsgrund erlangt
habe. Sollte der Antragsgegner im Ergebnis "… nachträglich zum Profiteur des ... Tötungsdelikts" werden,
sei er aufgerufen, "... einen eventuell über den tatsächlich entstandenen Schaden hinausgehenden Betrag
einer gemeinnützigen Einrichtung zur Verfügung zu stellen ...".
Gegen diese Entscheidung wendet sich der Antragsteller mit der sofortigen Beschwerde.
II.
Das Rechtsmittel ist nach § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO statthaft, wahrt die gesetzliche Frist und Form (§ 569
Abs. 1 und Abs. 2, § 127 Abs. 2 Satz 3 ZPO) und ist auch im Übrigen verfahrensrechtlich bedenkenfrei. In
der Sache bleibt die sofortige Beschwerde ohne Erfolg.
Der Erstrichter geht im Ergebnis zu Recht davon aus, dass die beabsichtigte Klage auf Abgabe einer
Freigabeerklärung (im Sinne von § 13 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 HinterlO) keine hinreichende Aussicht auf Erfolg
bietet und es damit für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe an den sachlichen Voraussetzungen des
§ 114 ZPO fehlt.
Allerdings ist für diese Beurteilung aus Rechtsgründen unerheblich, ob dem Antragsteller gegen den
Antragsgegner im Innenverhältnis zwischen den Parteien ein schuldrechtlicher Anspruch auf
Rückzahlung des am 23. August 2009 ausgehändigten Geldes zusteht oder nicht. Entscheidend ist
Rückzahlung des am 23. August 2009 ausgehändigten Geldes zusteht oder nicht. Entscheidend ist
vielmehr allein, wem von beiden Parteien im Außenverhältnis zu der hinterlegenden Staatsanwaltschaft
der Grundanspruch auf Herausgabe des sichergestellten Geldes zustand. Das ist auf der Grundlage des
bisherigen Verfahrensstoffes nicht der Antragsteller, sondern der Antragsgegner.
Hierfür sind folgende Erwägungen maßgeblich:
1.
Alternative 2 BGB. Bei einem Streit von Forderungsprätendenten über die Auszahlung eines hinterlegten
Geldbetrages steht dem wirklichen Rechtsinhaber gegen den anderen Prätendenten ein
bereicherungsrechtlicher Anspruch auf Einwilligung in die Auszahlung zu; denn dieser hat durch das vom
Schuldner gewählte Vorgehen auf Kosten des wahren Gläubigers rechtsgrundlos die Stellung eines
Hinterlegungsbeteiligten und damit die sich aus § 13 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 HinterlO ergebende Sperrposition
("Blockierstellung") erlangt.
Hinterlegt der Schuldner - im Streitfall die Staatsanwaltschaft - den zur Herausgabe geschuldeten Betrag
zugunsten der streitenden Forderungsprätendenten (§ 372 Satz 2 BGB), ist nach gefestigter
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für die Frage der Freigabepflicht allein maßgeblich, wer im
Verhältnis zum Schuldner Inhaber der Forderung ist, zu deren Erfüllung der hinterlegte Betrag bestimmt
ist. Entscheidend ist die Gläubigerstellung gegenüber dem hinterlegenden Schuldner. Auf
Rechtsbeziehungen im Innenverhältnis zwischen den Forderungsprätendenten kommt es dagegen
grundsätzlich nicht an (vgl. BGH NJW-RR 1997, 495 = MDR 1997, 331 mit zustimmenden Besprechungen
von Mankowski, EWiR 1997, 393 und Bader, WuB IV A. § 812 BGB 2.97; BGH NJW 2000, 291, 294 =
MDR 2000, 46; BGH NJW-RR 2007, 845, 846, jew.m.w.N.).
2.
Erfolg, wenn der Antragsteller Inhaber des Anspruchs gegen die Staatsanwaltschaft auf Herausgabe des
im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren sichergestellten Geldes war, von dem die Schuldnerin gemäß
§ 378 BGB frei geworden ist. Davon ist jedoch nicht auszugehen.
a)
entbehrlich sind, wird von der Stafprozeßordnung nur bruchstückhaft geregelt. Die Vorschrift des § 111 k
StPO erfasst nur einen Ausschnitt der in Betracht kommenden Fallgestaltungen, nämlich die Rückgabe an
den Verletzten. Darum geht es vorliegend nicht, weil das sichergestellte Geld nicht durch eine Straftat
entzogen worden ist.
Soweit Nr. 75 der Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren (RiStBV) ergänzende Bestimmungen für
die Herausgabe sichergestellter Sachen (und zwar grundsätzlich an den letzten Gewahrsamsinhaber)
enthält, handelt es sich dabei um bloße Verwaltungsanordnungen ohne Gesetzeskraft.
Anspruchsberechtigt gegenüber der Strafverfolgungsbehörde ist deshalb derjenige, dem die
sichergestellte Sache materiell-rechtlich gehört, also der Eigentümer. Er kann nach § 985 BGB die
Herausgabe verlangen. Das gilt auch für Geldscheine und -münzen als bewegliche Sachen.
b)
der Antragsteller sein Eigentum an den Geldscheinen verloren.
Ob übergebenes Geld bei der Übergabe in das Eigentum des neuen Besitzers übergeht, beurteilt sich
nach § 929 Satz 1 BGB. Hiernach ist zur Übertragung des Eigentums an einer beweglichen Sache
erforderlich, dass der Eigentümer die Sache dem Erwerber übergibt und beide darüber einig sind, dass
das Eigentum übergehen soll. Es reicht aus, wenn der Wille zur Eigentumsübertragung sich aus den
Umständen ergibt. Maßgeblich ist, auch bei der Auslegung schlüssigen Verhaltens, stets der objektive
Erklärungswert (zur Eigentumsübertragung von Bargeld vgl. BGH NJW 1990, 1913).
Unter Berücksichtigung der gesamten Begleitumstände ist danach im Streitfall nicht zweifelhaft, dass der
Antragsgegner das ihm von dem Antragsteller zwecks sofortiger Schadensregulierung übergebene Geld
zu Eigentum erhalten sollte.
c)
keine ernstlichen Zweifel an der Wirksamkeit des Verfügungsgeschäfts.
aa)
fortwirkenden "Schocks" nach der vorangegangenen Tötung seiner Ehefrau in einem Zustand
vorübergehender Störung der Geistestätigkeit befunden hätte (§ 105 Abs. 2 BGB). Dagegen spricht
eindeutig sein zielgerichtetes und situationsgerechtes Verhalten, mit dem er sich die Möglichkeit zur
Fortsetzung seiner Flucht "erkauft" hat.
bb)
Antragsgegner hatte keine Kenntnis von dem vorangegangenen Tötungsdelikt als dem wahren
Beweggrund für das ihm unterbreitete finanzielle Angebot des Antragstellers. Ihn trifft deshalb nicht der
Vorwurf, dass er in besonders verwerflicher Weise eine seelische Zwangslage des Antragstellers, nämlich
dessen Furcht vor einer Festnahme durch die Polizei wegen dieser Tat, ausgenutzt hätte (vgl. in diesem
Zusammenhang BGH NJW 1988, 2599). Für eine Bewucherung des Antragstellers (§ 138 Abs. 2 BGB)
müsste der Antragsgegner bei der Entgegennahme des Geldes in dem Bewusstsein des Bestehens eines
auffälligen Missverhältnisses zwischen dem tatsächlich entstandenen Schaden an seinem Pkw und dem
gewährten Abgeltungsbetrag gehandelt haben; das kann nicht angenommen werden, weil das äußere
Schadensbild an einem verunfallten Kraftfahrzeug für den Laien zumeist keinen zuverlässigen
Rückschluss auf die Höhe des tatsächlich entstandenen Schadens erlaubt. Weil auch objektiv noch kein
anstößiges Missverhältnis zur Höhe des tatsächlich entstandenen Schadens vorliegt, kann auch nicht von
einem wucherähnlichen Geschäft i. S. v. § 138 Abs. 1 BGB ausgegangen werden.
cc)
nichtig anzusehen. Bei der von dem Antragsteller durch Aushändigung der Geldscheine stillschweigend
abgegebenen dinglichen Willenserklärung, dass er das Eigentum überträgt, unterlag er keinem
Erklärungs- oder Inhaltsirrtum (§ 119 Abs. 1 BGB). Er wollte am 23. August 2009 die 7 000,00 € an den
Antragsgegner übereignen und er hat dies getan. Selbst wenn das Verfügungsgeschäft unter Ausnutzung
der von dem Vertragsgegner allgemein erkannten Furcht des Antragstellers vor einer Hinzuziehung der
Polizei zu dem Unfall zustande gekommen sein sollte, kann dieser seine Willenserklärung nicht in
entsprechender Anwendung des § 123 BGB anfechten; denn das Ausnützen einer seelischen
Zwangslage steht der widerrechtlichen Drohung nicht gleich (BGH NJW 1988 a.a.O.).
In Rede steht hier allein ein Irrtum des Antragstellers bei der Willensbildung (Motivirrtum), falls er nämlich
davon ausgegangen ist, er könne sich durch die Zahlung mit Erfolg und auf Dauer seiner Festnahme
entziehen. Ein derartiger Motivirrtum ist jedoch, erst recht für das dingliche Verfügungsgeschäft, rechtlich
unbeachtlich.
Die von dem Antragsteller erklärte Anfechtung der Übereignung des Geldes an den Antragsgegner
erweist sich deshalb als unbegründet.
3.
Freigabe des hinterlegten Geldbetrages somit aus. Das allein ist Gegenstand der beabsichtigten Klage.
Die Frage, wem im Innenverhältnis der Parteien der hinterlegte Betrag zusteht, muss deshalb in dem
vorliegenden Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren nicht vertieft werden. Ob er einen schuldrechtlichen
Anspruch auf Rückgewähr des Geldes hat, kann der Antragsteller in dem bereits angestrengten
Freigabeprozess umgekehrten Rubrums klären lassen, sei es durch Erhebung der dolo agit-Einrede (§
242 BGB) oder durch Zahlungswiderklage (zum möglichen prozessualen Vorgehen des Gläubigers des
Gläubigers vgl. Mankowski, EWiR 1997 a.a.O.). Im Gegensatz zu dem Erstrichter hält der Senat bei
summarischer Beurteilung einen Anspruch auf Rückzahlung der 7 000,00 € nicht für von vornherein
ausgeschlossen. Sollte das Geld an den Antragsgegner in Erfüllung einer Abrede zwischen den Parteien
mit Vertragscharakter (§ 311 Abs. 1 BGB), vergleichbar einem kausalen Schuldanerkenntnisvertrag an der
Unfallstelle ("voller Ersatz des Schadens, aber ohne Hinzuziehung von Polizei"), übereignet worden sein,
könnte für dieses Verpflichtungsgeschäft durch das spätere Verhalten des Antragsgegners die
Geschäftsgrundlage entfallen sein (§ 313 BGB). Bestand zwischen den Parteien lediglich eine - auch
stillschweigend mögliche - Einigung im Sinne einer tatsächlichen Willensübereinstimmung dahin, dass
der Unfallschaden zwischen den Beteiligten direkt und ohne Einschaltung von Polizei und Versicherung
reguliert werden solle, wäre an einen Bereicherungsanspruch des Antragstellers wegen Nichteintritt des
mit seiner Leistung bezweckten Erfolgs (§ 812 Abs. 1 Satz 2 Alternative 2 BGB; condictio causa data
causa non secuta) zu denken.
Subjektiv redliches Verhalten des Antragsgegners bei der Abwicklung des Schadensfalles unterstellt,
könnte in der späteren Inanspruchnahme des gegnerischen Haftpflichtversicherers durchaus ein
Anhaltspunkt dafür zu sehen sein, dass der Antragsgegner selbst nicht (mehr) davon ausging, den von
dem Antragsteller zur Schadensregulierung bezahlten Barbetrag behalten zu dürfen. Ansonsten hätte der
Antragsgegner nämlich dem Versicherer die bereits von dem Schädiger erhaltene Ersatzleistung
offenbaren müssen, um sich nicht wegen Betruges (§ 263 StGB) zum Nachteil der Haftpflichtversicherung
strafbar zu machen.
Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht, weil eine Kostenerstattung nicht erfolgt (§ 127 Abs. 4 ZPO) und
sich die Pflicht zur Tragung der Gerichtskosten aus dem Gesetz ergibt (§ 22 GKG).
Auch eine Wertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren ist nicht veranlasst, weil für den Fall der
Zurückweisung der Beschwerde gegen eine Entscheidung im Verfahren über die Prozesskostenhilfe eine
Festgebühr bestimmt ist (Kostenverzeichnis Nr. 1812, Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG).
Petry