Urteil des OLG Zweibrücken vom 14.07.2004

OLG Zweibrücken: gesetzliche vermutung, hörensagen, tod, beweisantrag, anzeige, beweismittel, ermittlungsverfahren, verbrechen, einfluss, abschlagszahlung

OLG
Zweibrücken
14.07.2004
1 U 11/04
Aktenzeichen:
1 U 11/04
6 O 185/01
Landgericht Frankenthal (Pfalz)
Verkündet am: 14. Juli 2004
Schollmayer, Justizobersekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Pfälzisches Oberlandesgericht
Zweibrücken
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
In dem Rechtsstreit
M...
H...
Klägerin und Berufungsklägerin,
Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt ..., ....,
gegen
.... Versicherungs AG
Beklagte und Berufungsbeklagte,
Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt ...., ...,
wegen Anspruch aus Versicherungsvertrag und Schadensersatzes
hat der 1. Zivilsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken
durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Morgenroth, den Richter am Oberlandesgericht
Klüber und den Richter am Amtsgericht Biehl
auf die mündliche Verhandlung vom 26. Juni 2004
für Recht erkannt:
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts
Frankenthal (Pfalz) vom 2. Dezember 2003 nach teilweiser Klagerücknahme geändert:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin Zinsen in Höhe von 4 Prozent aus
118.374,50 DM (60.523,92 €) für die Zeit vom 05.03.2000 bis 03.04.2000 zu zahlen.
2. Wegen des weiteren Zinsanspruches aus einem Betrag in Höhe von 118.374,50
DM (60.523,92 €) wird die Berufung zurückgewiesen.
3. Im Übrigen wird das Urteil des Landgerichtes mit dem ihm zugrunde liegenden
Verfahren aufgehoben. Die Sache wird in diesem Umfang zur erneuten Verhandlung und Entscheidung –
auch über die Kosten des Berufungsverfahrens – an das Gericht des ersten Rechtszuges
zurückverwiesen.
II. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Die Klägerin verlangt weitere Leistungen aus einem Lebensversicherungsvertrag.
Die Klägerin ist Versicherungsnehmerin einer Lebensversicherung; versicherte Person ist ihr seit dem
Januar 1989 verschollener Ehemann. Das Amtsgericht Grünstadt hat den Ehemann der Klägerin mit
Beschluss vom 20. Januar 2000 für tot erklärt. Als wahrscheinlichster Todeszeitpunkt wurde der
31. Januar 1989 festgestellt.
Die Staatsanwaltschaft ... führte ein Ermittlungsverfahren wegen eines Tötungsdeliktes zum Nachteil des
Ehemannes der Klägerin; dieses Verfahren wurde wegen fehlender Möglichkeit eines Tatnachweises
eingestellt. Die Beschwerde der Klägerin gegen den Einstellungsbescheid blieb ohne Erfolg.
Die Klägerin macht im Hinblick auf ein von ihr vermutetes Verbrechen zum Nachteil ihres Ehemannes
weitere bedingungsgemäße Ansprüche aus dem Vertragsverhältnis geltend. Wegen des gewaltsamen
Todes ihres Ehemannes stehe ihr die doppelte Versicherungssumme zu. Die vereinbarte
Versicherungssumme sei seit dem gerichtlich festgestellten Todeszeitpunkt zu verzinsen. Weil die
Beklagte die Versicherungssumme zum festgestellten Todeszeitpunkt nicht gezahlt habe, habe die
Beklagte wegen entgangener Zinseinkünfte Schadensersatz über 118.693,32 € zu leisten.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 60.523,92 € zuzüglich
7 % Zinsen aus 120.664,88 € seit dem 01.02.1989 sowie
weitere 118.693,32 € zuzüglich 5 % Zinsen über dem Basis-
zinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 21.03.2002
zu bezahlen.
Das Landgericht Frankenthal (Pfalz) hat die Strafakten der Staatsanwaltschaft ... beigezogen und die
Klage abgewiesen, weil ein Unfalltod im Sinne der Versicherungsbedingungen durch die von der Klägerin
benannten Zeugen vom Hörensagen nicht nachweisbar sei.
Nach Maßgabe ihrer Berufungsbegründung vom 11. März 2004 verfolgt die Klägerin
nachdem sie die Klageforderung wegen entgangener Zinseinkünfte über 118.693,32 €
zurückgenommen hat - nur noch die geltend gemachten vertraglichen Ansprüche nebst Zinsen weiter;
hilfsweise beantragt sie,
das Urteil des Landgerichts Frankenthal vom 2. Dezember 2003, Az.: 6 O 185/01 aufzuheben und das
Verfahren zur erneuten Entscheidung an das Landgericht Frankenthal zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderung vom 3. Mai 2004,
die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Frankenthal
(Pfalz) zurückzuweisen.
II.
Die verfahrensrechtlich bedenkenfreie Berufung hat – soweit sie nach Teilrücknahme noch zur
Entscheidung des Senats steht – bezüglich der geltend gemachten Hauptforderung und hierauf
entfallender Nebenforderung einen vorläufigen Erfolg; die Zinsforderung aus der bereits erbrachten
Versicherungssumme ist in geringem Umfang begründet; im Übrigen war die Berufung zurückzuweisen.
1. Das Urteil des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) ist verfahrensfehlerhaft zustande gekommen; es ist
deshalb in aus dem Tenor ersichtlichen Umfang mit dem ihm zugrunde liegenden Verfahren aufzuheben
und der Rechtsstreit auf Antrag der Klägerin an das Gericht des ersten Rechtszuges zur Nachholung einer
Beweisaufnahme zurückzuverweisen (§ 538 Abs. 2 Ziff. 1 ZPO).
a) Das Landgericht hat Beweisanträge der Klägerin rechtsfehlerhaft übergangen. Insoweit ist eine
erneute Feststellung geboten, da die entscheidungserheblichen Feststellungen nicht vollständig getroffen
wurden (§ 529 Abs. 1 Ziff. 1 ZPO). Der Senat muss die notwendigen Beweise nicht selbst erheben, da eine
aufwändige Beweisaufnahme zu erfolgen hat (§ 538 Abs. 1 Ziff. 1 ZPO).
Das Übergehen eines Beweisantrages ist ein Verfahrensfehler, wenn das Gericht die Beweiserheblichkeit
nicht verneint hat (Zöller/Gummer, ZPO, 23. Aufl., § 538 Rdnr. 25). Diesen Mangel hat die Klägerin in ihrer
Berufungsbegründung in gehöriger Weise geltend gemacht (§§ 529 Abs. 2 i.V.m. 520 Abs. 3 ZPO).
aa) Der von der Klägerin in das Wissen der Eheleute ... und ... gestellte Umstand, wonach die versicherte
Person einen gewaltsamen Tod erlitten hat, ist beweisbedürftig. Bei einer Unfall-(Zusatz)-Versicherung
muss der Anspruchsberechtigte nachweisen, dass ein Unfall vorgelegen hat, d.h., dass der Versicherte
"durch ein plötzlich von außen auf seinen Körper wirkendes Ereignis unfreiwillig eine
Gesundheitsschädigung" (bzw. den Tod) erlitten hat; das ist auch bei Vorliegen eines Tötungsdeliktes der
Fall (BGH 4. ZS, Urt. v. 22.06.1977, Az: IV ZR 128/75 zit.n.juris).
bb) Ein ordnungsgemäßer Beweisantrag lag vor. Die Klägerin hat den Zeugenbeweis durch die
Benennung o.g. Zeugen und die Bezeichnung der Tatsachen, über welche die Vernehmung der Zeugen
stattfinden soll, mit der Klageschrift und mit Schriftsatz vom 22.10.2002 (Bl. 165 f. d.A.) angetreten (§ 373
ZPO).
cc) Gründe für eine Nichterhebung des Beweises liegen nicht vor.
Das Landgericht hat die unterlassene Beweiserhebung mit der Eigenschaft der Zeugen als Zeugen vom
Hörensagen begründet. Hinsichtlich des Zeugen ... ist dies bereits inhaltlich unrichtig. Das Beweisangebot
auf Vernehmung des Zeugen ... – bereits enthalten in der Klageschrift – ist überhaupt nicht erwähnt.
Das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft ... richtete sich – auch aufgrund einer Anzeige der
Klägerin – gegen den von ihr benannten Zeugen G...., ... sowie die zwischenzeitlich verstorbene E..., L...-
.... Anlässlich eines Klinikbesuches des Zeugen C... ... in Begleitung der Zeugin C...-S... ..., der heutigen
Ehefrau des C... ..., bei der E..., L...‑..., der verstorbenen Ehefrau des C... ..., habe die E..., L...‑... gegenüber
der Zeugin C...-S... ... 1992 in der Klinik E... erklärt, der G... ... habe auf den Ehemann der Klägerin
geschossen; danach habe auch sie – die E..., L...‑... – auf den Ehemann der Klägerin geschossen.
Gemeinsam habe man den Leichnam in einem Waldstück vergraben. Demnach sollen die beiden Zeugen
... über die Angaben der Zeugin E..., L...‑... berichten, der Zeuge G... ... hingegen aufgrund einer eigenen
Handlung bzw. Wahrnehmung.
Die Zivilprozessordnung enthält zwar keinen Katalog derjenigen Gründe, bei deren Vorliegen es zulässig
ist, einen Beweisantrag abzulehnen. Es ist aber allgemein anerkannt (vgl. grundlegend: BGHZ 53, 245,
259 = NJW 1970, 946), dass die Ablehnung von Beweisanträgen nur zulässig ist, wenn hierfür
verfahrensrechtliche Gründe (vgl. z.B. § 379 ZPO) vorliegen oder beweisrechtliche Gründe in Anlehnung
an die Verfahrensvorschriften der StPO gegeben sind (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 17.12.1992 –
28 U 99/92, OLGR Hamm 1993, 234 m.w.N.).
Dem Zeugen ... stünde zwar ein Aussageverweigerungsrecht zu, da er über ein von ihm begangenes
Verbrechen berichten soll (§§ 55 Abs. 1, 136 Abs. 1, 243 Abs. 4 StPO) und Verfolgungsverjährung noch
nicht eingetreten sein kann (§ 78 Abs.2, 3 Ziff. 2 STGB). Beruft sich der Zeuge auf dieses Recht, ist das
Beweismittel unerreichbar. Dies ist bislang nicht der Fall. Das Landgericht hat bereits von einer Ladung
des Zeugen abgesehen, weil es ihn als einem Zeugen vom Hörensagen ansah.
Die Anordnung der Vernehmung der Zeugen C...-S... ... und ihres Ehemannes kann ebenfalls nicht mit der
gegebenen Begründung unterbleiben. Die Vernehmung eines Zeugen, der aus eigener Kenntnis nur
Bekundungen Dritter über entscheidungserhebliche Tatsachen wiedergeben kann, ist grundsätzlich
zulässig; der Zeuge vom Hörensagen bekundet ein Indiz, dem nicht in jedem Fall von vorneherein jede
Bedeutung für die Beweiswürdigung abgesprochen werden kann (vgl. BGH, 3. Zivilsenat, Urteil vom
10.05.1984, Az.: III ZR 29/83 m.w.N., LAG München, 4. Kammer, Urteil vom 02.07.1987, Az.: 4 (5) SA
703/86; jeweils zitiert nach juris). Das Landgericht ist deshalb (was aus den Gründen nicht hinreichend
deutlich wird) entweder rechtsfehlerhaft von der Unzulässigkeit des Beweismittels ausgegangen oder hat
das Beweismittel ohne dessen Erhebung vorweggenommen gewürdigt.
Die im Sinne des § 538 Abs. 2 ZPO aufwändige Beweiserhebung durch Vernehmung der Zeugen ..., die
nach Sachlage (Bl 167 d. A.) ihren Wohnsitz nicht in der Bundesrepublik haben (vergl hierzu Zöller,
Grummer, ZPO 23. Aufl. § 538 Rdnr 31), und des Zeugen ... ist durch das Landgericht nachzuholen.
2) Die Klägerin hat einen Zinsanspruch bezüglich der einfachen, bereits gezahlten Versicherungssumme
schon ab Todeszeitpunkt: 31.01.1989 bis zum 04.03.2000 nicht schlüssig darlegen können.
Der Beschluss des Amtsgerichts Grünstadt vom 20.01.2001 erbringt die gesetzliche Vermutung, dass die
versicherte Person zu dem im Beschuss festgestellten Zeitpunkt verstorben ist (§ 9 Abs. 1 VerschG). Ob
der Anspruch auf die Versicherungssumme nach den vereinbarten Versicherungsbedingungen bereits mit
dem bescheinigten Todeszeitpunkt fällig geworden ist, kann dahinstehen. Die Fälligkeit der Forderung
begründet nicht die Verpflichtung zur Verzinsung der Forderung. Entgegen der Ansicht der Klägerin
bedurfte es deshalb der Darlegung der Voraussetzungen des Verzuges. Mit der aus Versicherungsvertrag
resultierenden Forderung entsteht – im Gegensatz zu den Witwenrentenansprüchen der Klägerin, für die
Regelungen des Sozialgesetzbuches gelten – mit dem Hauptanspruch nicht sogleich ein (gesetzlicher)
Zinsanspruch.
Die Klägerin hat allerdings einen Anspruch aus §§ 11 Abs. 2 VVG, 284 BGB a.F. i.V.m. Art. 229 § 5 S.1
EGBGB auf Zahlung gesetzlicher Zinsen für die Zeit vom 05.03.2000 bis 03.04.2000 bezogen auf die ihr
bereits ausgezahlte Summe:
Die Klägerin hat zur Abrechnung ihrer Ansprüche unter Vorlage des Beschlusses des AG Grünstadt mit
Schreiben vom 04.02.2000 aufgefordert und eine Zahlungsfrist bis 18.02.2000 gesetzt. Die Beklagte hat
weder dargelegt, welche weiteren Erhebungen außerhalb der Kenntnisnahme der Urkunde, die zum
Nachweis des Todesfalles geeignet und ausreichend ist, im Hinblick auf die Klärung ihrer
Zahlungsverpflichtung zusätzlich erforderlich hätten sein können, noch, was sonst einer alsbaldigen
Leistung hätte entgegenstehen können. Denkbar sind zusätzliche Erhebungen aus Sicht der Beklagten
nur insoweit, als die Todesart Einfluss auf die Höhe der auszuzahlenden Leistung haben konnte. In
diesem Fall besteht ein Anspruch auf eine Abschlagszahlung. Insbesondere in der Personenversicherung
besteht ein solcher Anspruch, wenn eine Lebensversicherung mit einer Unfallversicherung verbunden ist
und zweifelhaft ist, ob der Versicherer auch außerhalb der Lebensversicherung haftet (Prölss/Martin, VVG,
26 Aufl. § 11 VVG Rdnr 8). Deshalb wurde der Anspruch der Klägerin auf die einfache
Versicherungsleistung nach Ablauf eines Monat seit der Anzeige des Versicherungsfalles und Vorlage
des Beschlusses über die Verschollenheit der versicherten Person fällig (§§ 11 Abs. 2 VVG, 9 ALB). Ein
eindeutiges Zahlungsver...n lag vor (Schreiben v. 4.2. 2000). Auf die Frage, ob insoweit Verzug auch ohne
eine Mahnung eintritt (vergl. Prölss/Martin a.a.O. Rdnr. 12) kommt es nicht an. Für bereits vor dem
1.5.2000 fällige Forderungen beträgt der gem. § 288 Abs.2 BGB a.F. i. V. m. Art. 229 § 1 EGBGB
geschuldete Zinssatz 4 % ( Palandt, Heinrichs, BGB, 61. Aufl. § 288 BGB Rdnr. 1).
Die Kostenentscheidung ist dem Erstrichter vorzubehalten, weil der Ausgang des Rechtsstreits noch offen
ist. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht aus § 708 Nr. 10 ZPO.
Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst; die Voraussetzungen hierfür liegen nicht vor, § 543 Abs. 2
ZPO.
Morgenroth Klüber Biehl