Urteil des OLG Zweibrücken vom 04.06.2003

OLG Zweibrücken: fahrverbot, geschwindigkeitsüberschreitung, höchstgeschwindigkeit, ausführung, kategorie, quelle, anzeige, ordnungswidrigkeit, datum, fahrlässigkeit

OLG
Zweibrücken
04.06.2003
1 Ss 95/03
§ 261 StPO § 25 StVG § 4 Abs. 1 BKatV
L e i t s a t z
Die Feststellung der Geschwindigkeitsüberschreitung kann der Tatrichter auf die geständige Einlassung
des Betroffenen stützen, wenn er überzeugt ist, dass die Angaben zutreffend sind, nicht jedoch, wenn auf
diese Weise lediglich die Beweisaufnahme abgekürzt werden soll. Wenn der Betroffene Angaben zur
eingehaltenen Geschwindigkeit auf Grund eigener Wahrnehmungen macht, ist bei einer Schätzung oder
dem Ablesen des eigenen nicht justierten Tachometers ein Sicherheitsabschlag vorzunehmen.
Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken – Bußgeldsenat – Beschluss vom 4. Juni 2003 - 1 Ss 95/03 -
1 Ss 95/03
7084 Js 9049/02
StA Landau
Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken
Beschluss
In dem Bußgeldverfahren gegen
S. P.
F.,
wegen Verkehrsordnungswidrigkeit
hier: Rechtsbeschwerde
hat der Senat für Bußgeldsachen des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken
durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Ohler und die Richter am Oberlandesgericht
Ruppert und Friemel
am 4. Juni 2003
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Kandel vom 27 März
2003 mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an dieses Amtsgericht zurückverwiesen.
G r ü n d e :
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen Überschreitens der erlaubten
Höchstgeschwindigkeit außerorts um 50 km/h (§§ ) zu einer Geldbuße von 100 € und einem Fahrverbot
von einem Monat verurteilt. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Rechtsbeschwerde des
Betroffenen, mit der die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt wird.
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und hat bereits mit der Sachrüge vorläufigen Erfolg, da das
angefochtene Urteil unter groben Darstellungs- und Abfassungsmängeln leidet und deshalb keinen
Bestand haben kann.
Weder Tenor noch Entscheidungsgründe lassen die Schuldform erkennen, unter der die
Ordnungswidrigkeit begangen worden sein soll. Da die Tatfeststellungen völlig konturlos sind, kann auch
aus den Umständen der vorgeworfenen Zuwiderhandlung nicht auf Fahrlässigkeit oder Vorsatz
geschlossen werden. Zudem nennen die Entscheidungsgründe als Ort und Zeit der
Geschwindigkeitsüberschreitung nur die A 65 und den 24. Februar 2002, so dass die Handlung auch nicht
in erforderlicher Weise konkretisiert werden kann. Allein diese Mängel rechtfertigen die Aufhebung des
Urteils.
Die Entscheidung leidet darüber hinaus unter weiteren Unzulänglichkeiten, die bei der erneuten
Verhandlung der Sache zu vermeiden sind. Die Bußgeldrichterin stützt die Feststellungen zur
Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit allein darauf, der Betroffene habe dies „in der
Hauptverhandlung zugegeben“. Zwar kann der Tatrichter solche Tatsachen, die der einfachen
Wahrnehmung zugänglich sind, auch im Strengbeweisverfahren, das grundsätzlich auch für das
Bußgeldverfahren gilt, auf Beobachtungen des Betroffenen selbst stützen und somit dessen geständige
Einlassung zur Grundlage der Feststellungen machen (§ 261 StPO). Zu solchen Tatsachen wird man auch
die von einem Verkehrsteilnehmer eingehaltene Geschwindigkeit rechnen können, da diese auf Grund
Fahrerfahrung oder Ablesens der Tachoanzeige vom Betroffenen selbst wahrgenommen werden kann. In
diesen Fällen muss der Tatrichter jedoch, wie auch ansonsten bei jeder Aussage, von der Richtigkeit einer
solchen Angabe überzeugt sein (vgl. BGHSt 39, 291, 303). Auf keinen Fall ist hinzunehmen, wenn der
Betroffene etwa eine tatbestandliche Voraussetzung des Verstoßes durch sein Geständnis „unstreitig“
machen will, um die Beweisaufnahme abzukürzen. Angaben über die zu einem bestimmten Zeitpunkt auf
einer längeren Fahrstrecke eingehaltene Geschwindigkeit sind vor allem dann in Zweifel zu ziehen, wenn
es keinerlei Anhaltspunkte dafür gibt, dass der Fahrer Veranlassung hatte, darauf besonders zu achten
und sich zudem später an eine solche Beobachtung zu erinnern. Ob sich die Bußgeldrichterin dieser
Verpflichtung, die sich aus dem Aufklärungsgrundsatz ableitet, bewusst gewesen ist, kann den
Entscheidungsgründen nicht entnommen werden. Selbst wenn der Betroffene tatsächlich Angaben zur
eingehaltenen Geschwindigkeit auf Grund eigener Wahrnehmung gemacht haben sollte, ist zudem zu
bedenken, ob dies ohne weiteres zur Grundlage der Ahndung gemacht werden kann. Selbst bei
standardisierten Messverfahren, die einen hohen Grad an Genauigkeit und Zuverlässigkeit beanspruchen
können, werden zum Schutz des Betroffenen Toleranzabzüge vorgenommen. Ein solcher
Sicherheitsabschlag ist deshalb erst recht dort angebracht, wo es sich um Angaben des Fahrers auf Grund
seiner eigenen Schätzung, die nur einen groben, ungenauen Wert vermitteln kann, oder der Anzeige des
nicht justierten Tachos seines PKW handelt. Es erscheint unter diesen Umständen völlig ausgeschlossen,
dass das Gericht die exakte Geschwindigkeit von 150 km/h allein der geständigen Einlassung des
Betroffenen entnimmt.
Unzutreffend ist auch die Ausführung, die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 50
km/h (außerorts) sei die obere Grenze für das einmonatige Fahrverbot (vgl. Anlage 1 c Nr. 11.3.9 BKatV);
tatsächlich beginnt die Kategorie für das zweimonatige Fahrverbot erst bei einer
Geschwindigkeitsüberschreitung von mehr als 60 km/h. Die Möglichkeit, von einem Fahrverbot wegen
unzumutbarer beruflicher Belastungen abzusehen, kann nicht allein mit Rücksicht auf den
Gleichheitsgrundsatz ausgeschlossen werden; es ist vielmehr eine Prüfung in der Sache erforderlich.
Schließlich hat es die Bußgeldrichterin offensichtlich versäumt, § 25 Abs. 2 a StVG zu beachten.
Dr. Ohler Ruppert Friemel