Urteil des OLG Stuttgart vom 04.01.2002

OLG Stuttgart: vergleich, arglistige täuschung, gütliche einigung, bewegliches vermögen, rechtsschutzinteresse, auflage, zivilprozess, sparkasse, ehescheidung, strafanzeige

OLG Stuttgart Beschluß vom 4.1.2002, 1 Ws 270/01
Klageerzwingungsantrag: Rechtsschutzbedürfnis bei zivilprozessualem Vergleich über den vermögensrechtlichen Verfahrensgegenstand
Tenor
Der Antrag des Anzeigeerstatters auf gerichtliche Entscheidung gegen den Beschwerdebescheid der Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart vom 13.
November 2001 wird als unzulässig
verworfen.
Gründe
1
I. Der Antragsteller wirft der Beschuldigten, mit der er verheiratet war, vor, sie habe ihn in einem nach der Ehescheidung beim Amtsgericht --
Familiengericht -- B. in den Jahren 1999 bis 2001 anhängigen Zugewinnrechtsstreit zu betrügen versucht (§§ 263 Abs. 1, Abs. 4, 22 StGB). Sie
habe bis kurz vor der Trennung der Parteien am 23. August 1997 ein Sparkonto bei der Sparkasse Z. mit einem Guthaben von ca. 67.000,00 DM
unterhalten, jedoch im Rahmen der Zugewinnauseinandersetzung dahingehend Auskunft erteilt, dass zum Zeitpunkt der Zustellung des
Scheidungsantrags des Antragstellers am 16. Oktober 1997 nur ein Guthaben von 17.745,60 DM vorhanden gewesen sei. Im Termin zur
mündlichen Verhandlung vom 29. Juli 1999 habe sie erklärt, sie habe von dem Konto den vom Kläger (jetzigen Antragsteller) behaupteten
Differenzbetrag von ca. 50.000,00 DM nicht abgehoben.
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Im Termin vom 25. Januar 2001 wurde der -- angebliche -- Differenzbetrag erneut zwischen den Parteien streitig erörtert. Hierauf schlossen diese
-- Antragsteller und Beschuldigte -- einen unwiderruflichen Prozessvergleich, in dem sie ihr unbewegliches und bewegliches Vermögen,
insbesondere auch vorhandene Bankguthaben endgültig aufteilten. In Ziffer 6 dieses Vergleichs heißt es: "Damit sind sämtliche Ansprüche
zwischen den Parteien abgegolten."
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Mit Schriftsatz vom 02. Juli 2001 erstattete der Antragsteller Strafanzeige und stellte Strafantrag gegen die Beschuldigte wegen versuchten
Betruges. Nach Verfahrenseinstellung durch die Staatsanwaltschaft Hechingen und Zurückweisung seiner Beschwerde durch die
Generalstaatsanwaltschaft stellte er am 17. Dezember 2001 Antrag auf gerichtliche Entscheidung.
II.
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Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung (§ 172 Abs. 2 Satz 1 StPO) ist nicht zulässig, da dem Antragsteller das erforderliche
Rechtsschutzinteresse fehlt.
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1. Im Zivilprozess liegt ein Rechtsschutzbedürfnis des Klägers dann vor, wenn er ein berechtigtes Interesse daran hat, zur Erreichung des
begehrten Rechtsschutzes ein Zivilgericht in Anspruch zu nehmen (vgl. Thomas/Putzo, ZPO, 23. Auflage, Vorbem. 26 vor § 253 m.w.N.). Kann er
sein Ziel auf einem einfacheren und billigeren Weg erreichen, weil er bereits einen Titel über die Forderung hat, so ist das Rechtsschutzbedürfnis
zu verneinen. Das selbe gilt, wenn das angestrebte Ziel objektiv unerreichbar ist oder wenn der Kläger sich durch die Klage mit seinem früheren
Verhalten in unlösbaren Widerspruch setzt. Die Prüfung des Rechtsschutzbedürfnisses dient dem Zweck, die personellen und sachlichen Mittel
der Justiz nicht für mutwillig oder treuwidrig verfolgte Klageziele zu vergeuden.
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Dieselben Grundgedanken gelten für das Klageerzwingungsverfahren, das ähnlich wie das Parteienverfahren ausgestaltet ist. Diese
besondere Verfahrensart dient dem Zweck, das Legalitätsprinzip (§ 152 Abs. 2 StPO) zu sichern und durchzusetzen (vgl. Karlsruher
Kommentar, StPO, 4. Auflage, § 172 Rdnr. 1 m.w.N.). Da der Verletzte einer Straftat wegen des Anklagemonopols der Staatsanwaltschaft (§
152 Abs. 1 StPO) ein Strafverfahren gegen den der Tat hinreichend Verdächtigen nicht selbst einleiten kann, gibt ihm § 172 StPO die
Möglichkeit, die Staatsanwaltschaft in einem gerichtlichen Kontrollverfahren zur Anklageerhebung zu zwingen (§ 175 StPO). Eine
Erzwingung der öffentlichen Klage gegen den Willen der Staatsanwaltschaft und der Generalstaatsanwaltschaft ist jedoch nur dann
gerechtfertigt, wenn der Antragsteller ein berechtigtes Interesse daran hat, die -- unmittelbare -- Verletzung seiner Rechte, Rechtsgüter oder
rechtlich geschützten Interessen im Wege der Strafverfolgung geahndet zu sehen. Bei durch den Verfahrensgang überholten Antragszielen
ist dies nicht der Fall. Der Senat hat bereits entschieden, dass das Rechtsschutzinteresse des Antragstellers dann entfällt, wenn dieser in
einem zivilprozessualen Vergleich erklärt hat, er verfolge den Klageerzwingungsantrag nicht weiter (Beschluss vom 05. Dezember 2001 -- 1
Ws 241/01); dasselbe gilt, wenn der Antragsteller im Vergleich zum Ausdruck gebracht hat, er habe an der Strafverfolgung des
Beschuldigten kein Interesse mehr (vgl. Karlsruher Kommentar, StPO, 4. Auflage, § 172 Rdnr. 17).
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2. Die Frage, ob bei dem Beschuldigten angelasteten Vermögensstraftaten das Rechtsschutzinteresse auch durch einen zivilprozessualen
Vergleich mit Abgeltungsklausel entfällt, wenn in dem Vergleich das Schicksal des Klageerzwingungsverfahrens mangels Anhängigkeit noch gar
nicht geklärt werden konnte, ist bisher weder in der Rechtsprechung entschieden noch im Schrifttum erörtert worden. Der Senat bejaht diese
Frage.
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Ein Prozessvergleich, der wegen seiner Doppelnatur sowohl eine Prozesshandlung als auch ein materiell-rechtliches Rechtsgeschäft
enthält (BGHZ 28, 171), ist darauf angelegt, den Streit oder die Ungewissheit der Parteien im Wege gegenseitigen Nachgebens durch einen
Vertrag zu beseitigen (vgl. § 779 BGB). Dabei kann sich die Unsicherheit auf tatsächliche oder rechtliche Gesichtspunkte beziehen.
Entscheidend ist, dass die Parteien -- nicht das Gericht -- eine neue vertragliche Grundlage für ihre Rechtsbeziehungen schaffen. Die
gütliche Einigung kann sich sowohl auf den Streitgegenstand des Zivilprozesses beschränken als auch darüber hinausgehen (vgl.
Palandt/Sprau, BGB, 61. Auflage, § 779 Rdnrn. 1 a f., insbesondere 29).
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Hier haben der Antragsteller und die Beschuldigte im Rechtsstreit über den Zugewinnausgleich vor dem Amtsgericht -- Familiengericht --
ihre vermögensrechtlichen Beziehungen nach der Ehescheidung durch Prozessvergleich neu geordnet. Einbezogen waren neben einer
Immobilie verschiedene Konten, darunter auch dasjenige der Beschuldigten (Beklagten) bei der Sparkasse Zollernalb. Dieses Konto ist im
Vergleich zwar nicht ausdrücklich erwähnt; sein Stand wurde jedoch ausweislich des Verhandlungsprotokolls, das auch den Vergleich vom
25. Januar 2001 enthält, erörtert. Der Streit der Parteien über die Differenz von ca. 50.000,00 DM ist daher mit der in Ziffer 6 des Vergleichs
enthaltenen Abgeltungsklausel hinsichtlich sämtlicher Ansprüche zwischen den Parteien endgültig beigelegt worden. Auch insoweit sollte
nach dem Willen der Parteien eine endgültige Regelung getroffen werden und die Befriedungswirkung des Vergleichs eintreten. Der Streit
ist auch insoweit endgültig bereinigt worden. Damit verträgt es sich nicht, dass der Antragsteller mit Schriftsatz seiner
Verfahrensbevollmächtigten vom 17. Dezember 2001 gegen die Beschuldigte den Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 172 Abs. 2
Satz 1 StPO gegen die Einstellung des durch seine Strafanzeige vom 02. Juli 2001 in Gang gekommenen Ermittlungsverfahrens gestellt hat.
Ein derartiges Prozessverhalten ist in sich widersprüchlich und damit treuwidrig. Der Senat hatte bereits des öfteren Fälle zu entscheiden, in
denen wegen desselben vermögensrechtlichen Verfahrensgegenstandes ein Zivilprozess geführt und ein Klageerzwingungsantrag gestellt
wurde; häufig wurde dabei das Klageerzwingungsverfahren zur Beweismittelbeschaffung missbraucht oder es sollte dazu dienen, der im
Zivilprozess unterlegenen Partei einen Grund für dessen Wiederaufnahme zu liefern. Das ist -- abgesehen von den Fällen des § 154 d StPO
-- legitim. In sich widersprüchlich und damit treuwidrig ist es hingegen, den Zivilrechtsstreit durch einen Vergleich mit Abgeltungsklausel
endgültig mit befriedender Wirkung abzuschließen, den Konflikt jedoch auf der Ebene des Strafprozessrechts fortzusetzen. Durch ein
solches Prozessverhalten wird die knappe Ressource Recht vergeudet und die ohnehin stark in Anspruch genommene Strafjustiz in
unnötiger Weise belastet. Das Rechtsschutzinteresse des Antragstellers ist daher zu verneinen, wenn nach einem zivilprozessualen
Vergleich mit Abgeltungsklausel das Klageerzwingungsverfahren wegen des selben vermögensrechtlichen Verfahrensgegenstands doch
noch betrieben wird.
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Eine Ausnahme muss allerdings für den Fall gelten, dass ein Irrtum beider Parteien über die Vergleichsgrundlage vorgelegen hat, der zur
Unwirksamkeit des Vergleichs führte (§ 779 Abs. 1 BGB), oder dass der Vergleichsabschluss durch die arglistige Täuschung (§ 123 BGB)
einer Partei durch die andere herbeigeführt worden war und der Geschädigte den Vergleich hierwegen angefochten hat. Derartige
Umstände müssten -- wie der Vergleichsschluss als solcher -- in jedem Falle vom Antragsteller vorgetragen werden (§ 172 Abs. 3 Satz 1
StPO).
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Ein solcher defekter Vergleich liegt hier nach dem Antragsvorbringen nicht vor. Vielmehr hatten sich der Erkenntnisstand und der Vortrag der
Parteien sowie die Beweislage seit Prozessbeginn im Jahre 1999 nicht verändert. Der wirksame Prozessvergleich hindert daher die
Fortsetzung des Konflikts mit den Mitteln des Strafprozessrechts. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist mangels
Rechtsschutzinteresses unzulässig.