Urteil des OLG Stuttgart vom 08.11.2012

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OLG Stuttgart Beschluß vom 8.11.2012, 8 W 419/12
Leitsätze
Kostenfestsetzung:
Bei der im Wege der isolierten Drittwiderklage gegen den Zedenten erhobenen negativen
Feststellungsklage entstehen die Anwaltsgebühren auf Seiten des Klägers und des
Drittwiderbeklagten jeweils in voller Höhe und sind auch erstattungsfähig.
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der
Rechtspflegerin des Landgerichts Stuttgart vom 25. September 2012, Az. 18 O 129/11, wird
zurückgewiesen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Beschwerdewert: 4.700,26 EUR
Gründe
I.
1 Im Hauptsacheverfahren hat die Klägerin gegenüber der Beklagten Ansprüche aus einem
Lebensversicherungsvertrag nach Abtretung i.H.v. 126.380,75 EUR geltend gemacht. Die
Beklagte hat gegen den Drittwiderbeklagten eine negative Feststellungsklage dahin
erhoben, dass diesem aus dem Versicherungsvertrag keine Ansprüche in Höhe der
Klageforderung zustehen. Durch Teilurteil vom 27. Juni 2012 wurde die Drittwiderklage
abgewiesen, weil die Beklagte kein Feststellungsinteresse habe, nachdem sich der
Drittwiderbeklagte nach der Abtretung keiner eigenen Ansprüche aus der
Lebensversicherung mehr berühmt habe. Der Beklagten wurden die außergerichtlichen
Kosten des Drittwiderbeklagten auferlegt und der Streitwert wurde auf 126.380,75 EUR
festgesetzt. Die Klägerin und der Drittwiderbeklagte wurden durch denselben
Prozessbevollmächtigten vertreten. Bezüglich der Klage ist Verkündungstermin auf den 5.
Dezember 2012 anberaumt.
2 Dem Kostenfestsetzungsantrag des Drittwiderbeklagten vom 13. Juli 2012, mit dem er die
Anwaltsgebühren aus dem Gegenstandswert von 126.380,75 EUR in voller Höhe von der
Beklagten erstattet verlangt, hat die Rechtspflegerin mit dem Kostenfestsetzungsbeschluss
vom 25. September 2012 bezüglich des geltend gemachten Betrags von 4.700,26 EUR
entsprochen.
3 Gegen die am 1. Oktober 2012 zugestellte Entscheidung hat die Beklagte am 8./9. Oktober
2012 sofortige Beschwerde eingelegt, deren Zurückweisung der Drittwiderbeklagte
beantragt hat. Die Parteien streiten darüber, ob zwischen der Klägerin und dem
Drittwiderbeklagten eine Streitgenossenschaft besteht mit der kostenrechtlichen Folge,
dass der einzelne Streitgenosse nur in Höhe eines Bruchteils, der seiner wertmäßigen
Beteiligung entspricht, mit den gemeinsamen Anwaltskosten belastet und demgemäß die
Beklagte auch nur in diesem Umfang erstattungspflichtig ist.
4 Die Rechtspflegerin hat mit Beschluss vom 2. November 2012, auf dessen Begründung
verwiesen wird, nicht abgeholfen und die Akten dem Oberlandesgericht zur Entscheidung
vorgelegt.
II.
5 Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§§ 104 Abs. 3 S. 1, 567 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 ZPO, §
11 Abs. 1 RPflG), in der Sache jedoch unbegründet.
6 Die Kostenfestsetzung der Rechtspflegerin ist nicht zu beanstanden. Denn entgegen der
Auffassung der Beklagten bestand zwischen der Klägerin und dem Drittwiderbeklagten
keine Streitgenossenschaft.
7 Bei der von der Beklagten erhobenen negativen Feststellungsklage handelte es sich nicht
um eine streitgenössische Drittwiderklage, die gegen die Klägerin und den als Partei
bislang nicht beteiligten Drittwiderbeklagten hätte gerichtet werden müssen, sondern um
eine isolierte Drittwiderklage, die ausschließlich gegen eine außenstehende Person
erhoben wurde und diese in den Rechtsstreit einbezog.
8 Die isolierte Drittwiderklage ist dadurch gekennzeichnet, dass der Kläger und der
Drittwiderbeklagte keine Streitgenossen sind. Denn es fehlt gerade an einer gegen
mehrere Streitgenossen gerichteten Widerklage, da diese nur den bislang am Verfahren
nicht beteiligten Außenstehenden betrifft (BGH, Beschluss vom 30. September 2010, Az.
Xa ARZ 129/10, in juris; BGH, Beschluss vom 30. September 2010, Az. Xa ARZ 208/10, in
juris; BGH NJW 2011, 460; OLG Hamm, Beschluss vom 31. Mai 2010, Az. 32 Sbd 128/09,
in juris; OLGR Braunschweig 2009, 790; OLG München NJW 2009, 2609; OLGR München
2009, 448; je m.w.N.).
9 Grundsätzlich setzt eine Widerklage nach § 33 ZPO aber begrifflich eine anhängige Klage
voraus. Der Widerkläger muss ein Beklagter und der Widerbeklagte ein Kläger sein. Daher
ist eine Widerklage gegen einen bisher am Prozess nicht beteiligten Dritten nur zulässig,
wenn sie zugleich gegenüber dem Kläger erhoben wird (BGH NJW 1975, 1228, m.w.N.).
Eine negative Feststellungswiderklage gegenüber der Klägerin wäre aber nicht zulässig
gewesen, weil das Rechtsverhältnis zwischen ihr und der Beklagten bereits durch den mit
der Klage verfolgten Zahlungsantrag vollständig geklärt wird.
10 Der BGH hat deshalb unter Berücksichtigung des prozessökonomischen Zweckes der
Widerklage, eine Vervielfältigung und Zersplitterung von Prozessen über einen
einheitlichen Lebenssachverhalt zu vermeiden und eine gemeinsame Verhandlung und
Entscheidung über zusammengehörende Ansprüche zu ermöglichen, Ausnahmen von
dem vorstehenden Grundsatz zugelassen, dass eine Widerklage auch gegen den Kläger
erhoben sein muss.
11 Drittwiderklagen als negative Feststellungsklagen gegen den Zedenten sind danach als
zulässig angesehen worden. Ausschlaggebend dafür war, dass unabhängig von der
Parteistellung des Zessionars eine nur gegen den Zedenten erhobene (sog. isolierte)
Widerklage möglich sein sollte, wenn die zu erwartenden Gegenstände der Klage und der
Widerklage tatsächlich und rechtlich eng miteinander verknüpft sind und keine
schutzwürdigen Interessen des Widerbeklagten durch dessen Einbeziehung in den
Rechtsstreit der Parteien verletzt werden (BGH NJW 2008, 2852; BGH NJW 2007, 1753;
je m.w.N.).
12 Vorliegend handelte es sich damit grundsätzlich um eine zulässige isolierte
Drittwiderklage, deren Besonderheit aber darin besteht, dass ihre Abwehr durch den
Drittwiderbeklagten eine zur Anspruchsverfolgung der Klägerin entgegengesetzte
Zielrichtung hat. Letztere kann ihren Zahlungsantrag gegenüber der Beklagten nur
durchsetzen, wenn die Ansprüche aus der Lebensversicherung wirksam an sie abgetreten
sind. Der Drittwiderbeklagte, gegen den die negative Feststellungsklage dahin erhoben
wurde, dass ihm die mit der Klage geltend gemachten Ansprüche infolge der Abtretung
nicht mehr zustehen, kann sich gegen diese nur wehren mit dem Argument, dass er wegen
der Unwirksamkeit der Abtretung nach wie vor Anspruchsinhaber ist. Die Zielrichtung von
Klägerin und Drittwiderbeklagten ist damit konträr, so dass sie an sich nicht durch
denselben Prozessbevollmächtigten vertreten werden können, sondern jeder von ihnen
einen eigenen Rechtsanwalt beauftragen müsste mit der kostenrechtlichen Folge, dass
die Beklagte und Drittwiderklägerin im Falle ihrer Erstattungspflicht gegenüber der
Klägerin und dem Drittwiderbeklagten die bei zwei Rechtsanwälten angefallenen vollen
Gebühren zu tragen hätte.
13 Dass hier ausnahmsweise eine gemeinsame Vertretung von Klägerin und
Drittwiderbeklagten möglich war, ist allein darin begründet, dass sich Letzterer nach der
Abtretung des mit der Klage geltend gemachten Zahlungsanspruchs nicht mehr berühmt
hat und damit sowohl die Klägerin als auch der Drittwiderbeklagte von der Wirksamkeit der
Abtretung ausgegangen sind, also dieselbe Zielrichtung verfolgt haben mit dem Ergebnis,
dass die isolierte Drittwiderklage wegen des fehlenden Feststellungsinteresses (§ 256
Abs. 1 ZPO) durch Teilurteil als unzulässig abgewiesen wurde. Diese Fallkonstellation
kann aber nicht bewirken, dass nunmehr von einer streitgenössischen Verbundenheit von
Klägerin und Drittwiderbeklagten auszugehen ist und eine Kostenhaftung der Beklagten
gegenüber dem Drittwiderbeklagten aufgrund der Kostenentscheidung in dem Teilurteil
nach den für die Streitgenossenschaft entwickelten Grundsätzen zu behandeln ist, d.h. für
den einzelnen Streitgenossen auf den Bruchteil der Anwaltskosten zu beschränken ist,
den seine Beteiligung an der Streitgenossenschaft ausmacht (vgl. hierzu: Schnapp in
Schneider/Wolf, Anwaltkommentar, RVG, 5. Auflage 2010, § 7 RVG Rn. 46 ff.; Müller-Rabe
in Gerold/Schmidt, RVG, 20. Auflage 2012, Nr. 1008 RVG-VV Rn. 283 ff.; BGH NJW-RR
2006, 1508 und 215; BGH NJW-RR 2003, 1507 und 1217; je m.w.N.).
14 Abgesehen davon handelt es sich bei der Verfolgung des Klaganspruches für die Klägerin
und bei der Abwehr der negativen Feststellungsklage für den Drittwiderbeklagten nicht um
dieselbe Angelegenheit im Sinne der §§ 7 Abs. 1, 15 Abs. 2 S. 1 RVG mit der Folge, dass
der Rechtsanwalt die Gebühren insgesamt nur einmal fordern kann.
15 Denn auftragsgemäß erbrachte anwaltliche Leistungen betreffen nur dann dieselbe
Angelegenheit, wenn zwischen ihnen ein innerer Zusammenhang besteht und sie sowohl
inhaltlich als auch in der Zielsetzung so weitgehend übereinstimmen, dass von einem
einheitlichen Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit gesprochen werden kann (vgl. im
Einzelnen zur Definition der Angelegenheit, die mehrere Gegenstände umfassen kann:
BGH NJW 2011, 782 und 155; und speziell bezogen auf die streitgenössische
Drittwiderklage: OLGR München 1995, 12; je m.w.N.).
16 Es fehlt, wie oben bereits dargelegt, an der übereinstimmenden Zielsetzung der
anwaltlichen Tätigkeit sowohl für die Klägerin als auch für den Drittwiderbeklagten. Die
Zielrichtung der Klage und der Abwehr der Drittwiderklage ist vielmehr konträr, so dass an
sich die Klägerin und der Drittwiderbeklagte jeweils einen eigenen Anwalt beauftragen
müssten, was hier nur deshalb nicht erforderlich war, weil die Beklagte eine – mangels
Feststellungsinteresse – unzulässige isolierte Drittwiderklage erhoben hatte.
17 Hierdurch wird aber weder eine Streitgenossenschaft zwischen Klägerin und
Drittwiderbeklagten begründet, die eine Widerklage sowohl gegen die Klägerin als auch
gegen den Drittwiderbeklagten erfordern würde, noch das Vorliegen derselben
Angelegenheit im gebührenrechtlichen Sinne (§§ 7 Abs. 1, 15 Abs. 2 S. 1 RVG).
18 Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen die durch den angefochtenen Beschluss
vom 25. September 2012 vorgenommene, nicht zu beanstandende Kostenfestsetzung der
Rechtspflegerin war demgemäß mit der Kostenfolge von § 97 Abs. 1 ZPO und Nr. 1812
GKG-KV als unbegründet zurückzuweisen.