Urteil des OLG Schleswig-Holstein vom 02.04.2017

OLG Schleswig-Holstein: gerichtsstand des erfüllungsortes, gerichtliche zuständigkeit, besonderer gerichtsstand, verfügung, verordnung, erlass, akte, rumänien, sicherheit, zustellung

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Gericht:
Schleswig-
Holsteinisches
Oberlandesgericht
2. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 W 111/07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 36 Abs 1 Nr 6 ZPO, Art 2 Abs
1 S 1 HaagGerStAbk, Art 5
HaagGerStAbk
Zuständigkeit zumindest eines Gerichts als Voraussetzung
für Zuständigkeitsbestimmung; Zulässigkeit der
Zuständigkeitsbestimmung vor Erlaß des Mahnbescheides
Leitsatz
Steht nicht fest, dass eines der Gerichte, die sich für unzuständig erklärt haben, für den
Rechtsstreit zuständig ist, so kann eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1
Nr. 6 ZPO nicht erfolgen und ist die Vorlage unzulässig.
Tenor
Die Vorlage ist unzulässig.
Gründe
Mit Antrag vom 30.10.2006, eingegangen bei dem Amtsgericht Eckernförde am
31.10.2006, beantragte der Bevollmächtigte des Antragstellers den Erlass eines
Mahnbescheides gegen den in Rumänien wohnenden Antragsgegner. Zur
Anspruchsbegründung heißt es in dem Antragsformular:
Das genannte Anwaltsschreiben war dem Antrag nicht beigefügt.
Mit Verfügung vom 03.11.2006 wies das Amtsgericht den Bevollmächtigten des
Antragsstellers auf die Rechtslage hin und teilt mit, dass eine Zuständigkeit des
Amtsgerichts Eckerförde für das Mahnverfahren nicht mit hinreichender Sicherheit
erkennbar sei. Dabei fragte es nach, was das „schädigende Ereignis“ gewesen sei
und wo dieses stattgefunden habe. Eine Reaktion des Bevollmächtigten des
Antragstellers auf diese Verfügung findet sich bei der Akte nicht.
Mit Schriftsatz vom 04.01.2007 wies der Bevollmächtigte des Antragstellers darauf
hin, dass Rumänien seit dem 01.01.2007 Mitglied der Europäischen Union sei.
Nach Prüfung der Rechtslage vermerkte das Amtsgericht Eckernförde am
15.01.2007 Folgendes:
44/2001
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Das Amtsgericht ließ dem Bevollmächtigten des Antragstellers den Vermerk
zukommen. Der Bevollmächtigte nahm mit Schriftsatz vom 30.01.2007 Stellung,
indem er seine Überlegungen zur Rechtslage mitteilte, über die
Tatsachengrundlage für den geltend gemachten Anspruch enthält das Schreiben
keine Angaben.
Mit Verfügung vom 08.03.2007 hat das Amtsgericht Eckernförde auf Antrag des
Bevollmächtigten des Antragstellers das Verfahren an das Amtsgericht Schleswig
abgegeben.
Mit Verfügung vom 20.03.2007 hat sich das Amtsgericht Schleswig für örtlich
unzuständig erklärt und das Verfahren an das Amtsgericht Eckernförde
abgegeben.
Mit Verfügung vom 20.04.2007 hat das Amtsgericht Eckernförde die Sache dem
Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht zur Bestimmung der Zuständigkeit
nach § 36 ZPO vorgelegt.
Die Vorlage ist unzulässig.
Nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO wird das zuständige Gericht durch das im Rechtszug
höhere Gericht bestimmt, wenn verschiedene Gerichte, von denen eines für den
Rechtsstreit zuständig ist, sich rechtskräftig für unzuständig erklärt haben.
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
Zwar wäre für die Zulässigkeit der Vorlage unschädlich, dass es sich im
vorliegenden Fall nicht um einen Rechtsstreit handelt, sondern um ein
Mahnverfahren und dass mangels Zustellung des Antrags an den Antragsgegner
auch eine rechtskräftige Unzuständigkeitserklärung nicht erfolgen konnte. Es ist in
der obergerichtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO bei
Mahnverfahren auch vor Erlass eines Mahnbescheides entsprechend anwendbar
ist, wenn das zuständige Gericht bestimmt werden soll (vgl. BayObLG DB 2002,
1545 mit ausführlicher Darlegung der Rechtslage; BayObLG NJW-RR 2006, 206;
BGH NJW 1993, 2752; BGH NJW 1998, 1322).
Es steht jedoch nicht fest, dass eines der „verschiedenen Gerichte“ - hier das
Amtsgericht Eckernförde oder das Amtsgericht Schleswig - die sich für
unzuständig erklärt haben, für den Rechtsstreit - hier: das Mahnverfahren - auch
zuständig sind.
Das Amtsgericht Eckernförde hat die Rechtslage in seinem Vermerk vom
15.01.2007 insoweit treffend wiedergegeben, als es für die Zuständigkeit auf §
703d ZPO abgestellt hat. Nach dieser Vorschrift ist, wenn der Antragsgegner
keinen allgemeinen Gerichtsstand im Inland hat, das Amtsgericht für das
Mahnverfahren zuständig, das für das streitige Verfahren zuständig sein würde,
wenn die Amtsgerichte im ersten Rechtszug sachlich unbeschränkt zuständig
wären. Hieraus folgt, dass die Frage, wo der Antragsteller seinen allgemeinen
Gerichtsstand hat, grundsätzlich ohne Belang ist. Da der Antragsgegner seinen
allgemeinen Gerichtsstand ohnehin nicht im Inland hat, bleiben zur Bestimmung
der örtlichen Zuständigkeit zunächst nur die besonderen Gerichtsstände der ZPO.
Hat der Antragsgegner seinen Wohnsitz oder Sitz im Geltungsbereich der
EuGVVO, folgt aus Art. 2 Abs. 1 EuGVVO, dass der Antragsgegner nur vor einem
nach der EuGVVO zugelassenen Gerichtsstand in Anspruch genommen werden
kann. Diese besonderen Zuständigkeiten, die in Artikel 5 EuGVVO geregelt sind,
sind enger gefasst als die besonderen Gerichtsstände der ZPO und gehen diesen
vor. Damit entfallen mehrere in der ZPO vorgesehene besondere Gerichtsstände
(vgl. Zöller, ZPO, 26. Aufl., § 703d Rn. 2). Die in Art. 5 EuGVVO bestimmten
Gerichtsstände sind beispielsweise der Gerichtsstand des Erfüllungsortes, Art. 5
Nr. 1 EuGVVO oder der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung, Art. 5 Nr. 3
EuGVVO. Zuständig für das seit dem 1.1.2007 nach § 688 Abs.3 ZPO i.V.m. § 32
Abs.1 AVAG zulässige Mahnverfahren gegen den Antragsgegner wäre das
Amtsgericht, bei dem ein solcher besonderer Gerichtsstand, der in der EuGVVO
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Amtsgericht, bei dem ein solcher besonderer Gerichtsstand, der in der EuGVVO
geregelt ist, bestehen würde.
Da die besonderen Gerichtsstände der EuGVVO - wie die besonderen
Gerichtsstände der ZPO - an die Sachverhalte anknüpfen, die den geltend
gemachten Forderungen zugrunde liegen, kann ohne eine Sachverhaltsdarstellung
das zuständige Gericht nicht bestimmt werden.
In der Akte fehlen bisher tragfähige Angaben zu dem dem geltend gemachten
Anspruch zugrunde liegenden Sachverhalt. Ob es sich bei dem in dem Antrag
genannten „Vorfall“ um einen Unfall oder um eine vertragliche Angelegenheit
handelt, ergibt sich mit letzter Sicherheit aus der Akte nicht. Soweit das
Amtsgericht davon ausgeht, es habe sich um einen Verkehrsunfall gehandelt, ist
unklar, woher das Amtsgericht diese Kenntnis nimmt. Noch viel weniger ist klar,
falls es sich um einen Unfall gehandelt haben sollte, wo dieser stattgefunden hat.
Diese Angabe ist aber zur Bestimmung des nach Artikel 5 Nr. 3 EuGVVO
möglicherweise einschlägigen Deliktortes unerlässlich. Aufgrund dieser
Unklarheiten lässt sich nicht ersehen, ob das Amtsgericht Eckernförde oder das
Amtsgericht Schleswig oder ein drittes Amtsgericht, in dessen Bezirk sich der
Unfall möglicherweise ereignet hat, zuständig wäre.
Der Senat kann unter diesen Umständen keine Zuständigkeitsbestimmung nach §
36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO vornehmen. Da im Verfahren der gerichtlichen Bestimmung
keine Amtsermittlung stattfindet - es ist die Pflicht des vorlegenden Gerichts, die
maßgeblichen Umstände, die zur Darlegung einer schlüssigen Vorlage erforderlich
sind, selbst zu ermitteln - , war die Vorlage des Amtsgerichts Eckernförde als
unzulässig zurückzuweisen.
Das Amtsgericht, das die Rechtslage insoweit bereits zutreffend erkannt hat, wird
die erforderlichen weiteren Ermittlungen nachzuholen haben, erst wenn geklärt ist,
welche Amtsgerichte überhaupt als zuständige Gerichte in Frage kommen, kann
eine Zuständigkeitsbestimmung sinnvoll getroffen werden.