Urteil des OLG Schleswig-Holstein vom 02.04.2017

OLG Schleswig-Holstein: beweisverfahren, abgrenzung, geschäftshaus, zivilprozessrecht, immaterialgüterrecht, verwaltungsrecht, bauarbeiten, zerstörung, link, quelle

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Gericht:
Schleswig-
Holsteinisches
Oberlandesgericht
16. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
16 W 20/09
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 269 Abs 3 S 2 ZPO, § 494a
Abs 2 S 2 ZPO
Selbständiges Beweisverfahren: Einseitige
Erledigungserklärung als Antragsrücknahme aufgrund
sachlicher Zwänge
Leitsatz
Einseitige Erledigungserklärung im selbständigen Beweisverfahren
Eine einseitige Erledigungserklärung in einem selbständigen Beweisverfahren ist nicht
als Antragsrücknahme zu werten, wenn sie jedenfalls teilweise aufgrund sachlicher
Zwänge (hier Baufortschritt und Renovierungszwang) und nicht ausschließlich aus freien
Stücken erfolgt ist.
(Abgrenzung zu BGH BauR 2005,133; vgl. OLG Oldenburg MDR 1998,242)
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin vom 3. Februar 2009 wird der
Beschluss der Einzelrichterin der 2. Zivilkammer des Landgerichts Flensburg vom
14. Januar 2009, durch den der Antragstellerin die Kosten des selbständigen
Beweisverfahrens auferlegt worden sind, aufgehoben.
Gründe
I. Die Antragstellerin hat die Einleitung des selbständigen Beweisverfahrens gegen
die Antragsgegnerin zur Feststellung von behaupteten Mängeln an ihrem Wohn-
und Geschäftshaus durch die Gründungs- und Bauarbeiten auf dem der
Antragsgegnerin gehörenden Nachbargrundstück beantragt. Im Laufe des
Verfahrens hat die Antragstellerin im Hinblick auf das vorangeschrittene
Bauvorhaben der Antragsgegnerin im Wesentlichen mit Schriftsatz vom 05.
August 2005 (Bl. 127 f.) ihre Beweisfragen umgestellt und ergänzt. Mit
Beschlüssen vom 10. Dezember 2005 (Bl. 174) und 05. September 2006 (Bl. 204)
hat das Landgericht die beantragte Beweisaufnahme durch Einholung eines
schriftlichen Sachverständigengutachtens angeordnet. Der insoweit beauftragte
Sachverständige S hat sein Gutachten indes, weil die Antragstellerin
Terminsvorschläge für einen weiteren Ortstermin nicht gemacht habe, nicht
erstattet.
Mit Schreiben vom 25. Oktober 2007 (Bl. 209) hat die Antragstellerin auf eine
gerichtliche Sachstandsanfrage mitgeteilt, dass sich die Fortsetzung des
Beweisverfahrens möglicherweise erübrigen werde, weil – abgesehen von der
Gründungsfrage – die meisten der von dem Bauvorhaben der Antragsgegnerin
herrührenden Schäden inzwischen behoben oder schwerlich noch feststellbar
seien. Mit Schriftsätzen vom 08. August 2008 (Bl. 216) und 05. September 2008
(Bl. 220) hat die Antragstellerin zunächst ohne die Gründungsthematik und
sodann insgesamt das Verfahren für erledigt erklärt. Die Beschädigungen des
Hauses am Mauerwerk und der Dacheindeckung hätten vor langer Zeit behoben
werden müssen. Die Bewohnbarkeit der vermieteten Wohnungen und die
Nutzbarkeit der vermieteten Gewerbeflächen hätten nach diesen
Sanierungsmaßnahmen verlangt. Von den früheren Schäden sei nichts mehr zu
sehen, jedenfalls nicht ohne Zerstörung der vorhandenen Sanierungssubstanz.
Was die Gründung anbelange, hätten anderweitige Ermittlungen der
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Was die Gründung anbelange, hätten anderweitige Ermittlungen der
Antragstellerin ergeben, dass wegen der Abhilfemaßnahmen der Antragsgegnerin
keinerlei Beeinträchtigung der Standfestigkeit des Hauses durch die
Baumaßnahmen der Antragsgegnerin mehr festzustellen sei und entsprechende
Gründungsprobleme als Konsequenz der Nachbarbebauung auch nicht mehr zu
besorgen seien.
Weiter hat die Antragstellerin mit Schriftsätzen vom 05. September 2008 (Bl. 221)
und 06. November 2008 (Bl. 232) auf jegliche Ansprüche gegen die
Antragsgegnerin aus Anlass des Neubauvorhabens verzichtet.
Die Antragsgegnerin hat mit Schriftsatz vom 06. November 2008 (Bl. 233)
in erster Linie beantragt, der Antragstellerin gem. § 269 Abs. 3 S. 2 und Abs. 4
ZPO die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens aufzuerlegen. Hilfsweise hat
sie beantragt, der Antragstellerin gem. § 494 a Abs. 1 ZPO eine Frist zur Erhebung
der Hauptsacheklage zu setzen.
Das Landgericht hat durch den angefochtenen Beschluss der
Antragstellerin die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens auferlegt.
II. Die in entsprechender Anwendung der §§ 269 Abs. 5, 494 a Abs. 2 S. 2 ZPO
statthafte und auch im Übrigen gem. den §§ 567 f. ZPO zulässige sofortige
Beschwerde hat auch Erfolg.
1. Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO
weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar.
Die Antragstellerin hat mit ihren schriftsätzlichen Erklärungen vom 08.
August 2008 und 05. September 2008 ihre Anträge nicht etwa zurückgenommen,
sondern ausdrücklich das Beweisverfahren für erledigt erklärt. Eine Auslegung ihrer
Erledigungserklärung dahingehend, dass sie damit ihren Antrag habe
zurücknehmen wollen, ist gegen dem ausdrücklich erklärten Wortlaut der
Prozesserklärung nicht möglich, zumal die Klägerin auch noch mit Schriftsatz vom
06. November 2008 (Bl. 232) ausdrücklich klargestellt hat, dass ihre
Erledigungserklärung keinesfalls als Antragsrücknahme aufzufassen sei.
Unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Falles ist die
einseitige Erledigungserklärung der Antragstellerin auch nicht aus Rechtsgründen
wie eine Antragsrücknahme zu werten. Nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs kann zwar eine – einseitig gebliebene – Erledigungserklärung
im selbständigen Beweisverfahren als Antragsrücknahme gewertet werden, wenn
mit dieser Erklärung unmissverständlich zum Ausdruck gebracht wird, dass eine
Beweiserhebung durch das Gericht endgültig nicht mehr gewünscht wird (BGH
BauR 2005, 133 Rn 10, zitiert nach juris). Dies gilt aber nur dann, wie der
Bundesgerichtshof ausdrücklich klargestellt hat (Rn 14), wenn die als Rücknahme
gewertete Erklärung nicht auf einem Ereignis beruht, dass das Interesse des
Antragstellers an der Beweiserhebung entfallen lässt. Was für den Fall des
Interessewegfalls gilt, hat der Bundesgerichtshof ausdrücklich offen gelassen (a. a.
O.; vgl. OLG Hamburg, MDR 1998, 242). Wenn der Antragsteller die Fortsetzung
des selbständigen Beweisverfahrens nicht aus freien Stücken aufgibt, sondern
aufgeben muss, weil sich das Verfahren "erledigt" hat, kommt nach Auffassung
des Senats in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Hanseatischen
Oberlandesgerichts (a. a. O.) die Umdeutung einer Erledigungserklärung in eine
Antragsrücknahme nicht in Betracht. Wer – gezwungen durch die Ereignisse – die
Erledigung eines Verfahrens erklärt, will sich eben gerade nicht in die Position des
Unterlegenen mit der entsprechenden Kostenfolge begeben. In einem solchen Fall
bleibt es – ebenso wie bei übereinstimmenden Erledigungserklärungen (BGH BauR
2007,1446) - bei dem Grundsatz, dass es eine Anspruchsgrundlage für eine
isolierte Kostenentscheidung im selbstständigen Beweisverfahren nicht gibt.
Die Antragstellerin hat mit ihren Erklärungen vom 08. August 2008 und 05.
September 2008 hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass sie –
jedenfalls teilweise – durch sachliche Zwänge (Baufortschritt und
Renovierungszwang) und nicht ausschließlich aus freien Stücken auf die
Fortsetzung des selbständigen Beweisverfahrens verzichtet hat. Damit scheidet
eine Bewertung ihrer – einseitig gebliebenen - Erledigungserklärung als
Antragsrücknahme nach Auffassung des Senats aus.
2. Auch § 494 a Abs. 2 ZPO kann weder direkt noch entsprechend zur
Begründung der Kostenentscheidung herangezogen werden. Im Falle der jedenfalls
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Begründung der Kostenentscheidung herangezogen werden. Im Falle der jedenfalls
teilweisen Erledigung des Beweisinteresses durch äußere Umstände, wie
vorliegend, liegt eine Umgehung der Vorschriften des § 494 a Abs. 1 und 2 ZPO
nicht vor, die allein eine analoge Anwendung der Kostenvorschrift rechtfertigen
könnte.
Mangels Rechtsgrundlage war der angefochtene Beschluss daher
aufzuheben. Der Antragsgegnerin bleibt der Rückgriff auf einen möglichen
materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (OLGR Schleswig 2005, 593).