Urteil des OLG Schleswig-Holstein vom 14.03.2017

OLG Schleswig-Holstein: anhörung, sicherungshaft, liberia, bad, ausnahme, vollmacht, benachrichtigung, rückführung, abschiebung, versuch

1
Gericht:
Schleswig-
Holsteinisches
Oberlandesgericht
2. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 W 54/07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 5 Abs 1 FrhEntzG, Art 103
Abs 1 GG, Art 104 GG, § 62
AufenthG
Abschiebehaft: Anforderungen an die Anhörung des
Betroffenen im Abschiebehaftverfahren
Leitsatz
1. Nach § 5 Abs. 1 FEVG; Art. 103 Abs. 1, 104 GG hat das Amtsgericht den Betroffenen
zu einem Antrag der Ausländerbehörde auf Verlängerung der Sicherungshaft
grundsätzlich persönlich anzuhören.
2. Wird der Betroffene durch einen Verfahrensbevollmächtigten vertreten, so ist diesem
Gelegenheit zu geben, an der Anhörung teilzunehmen. Unterbleibt dies, so ist die
Anhörung fehlerhaft.
3. Für das Beschwerdegericht besteht grundsätzlich die Pflicht, den Betroffenen erneut
anzuhören. Hiervon kann ausnahmsweise abgesehen werden, wenn gegenüber der
Anhörung durch das Amtsgericht keine neuen Erkenntnisse für die
Sachverhaltsaufklärung zu erwarten sind und ein persönlicher Eindruck vom Betroffenen
nicht erforderlich ist. Eine solche Ausnahme scheidet von vornherein aus, wenn eine
Anhörung vor dem Amtsgericht nicht stattgefunden hat oder fehlerhaft war.
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die Sache wird zu erneuten Behandlung und Entscheidung an das Landgericht
zurückverwiesen.
Dem Betroffenen wird Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines
Verfahrensbevollmächtigten bewilligt.
Gründe
I.
Der Betroffene, der bisher als liberianischer Staatsangehöriger geführt wurde,
reiste am 10.12.1992 unerlaubt in die Bundesrepublik Deutschland ein. Sein
Asylantrag vom 10.12.1992 und sein Asylfolgeantrag vom 26.08.2002 wurden
rechtskräftig abgelehnt. Mit Schreiben vom 3.02.2005 teilte die
Härtefallkommission mit, dass kein Härtefallersuchen nach § 23a AufenthG
gestellt werde. Am 6.10.2005 forderte der Beteiligte den Betroffenen gemäß § 60a
Abs. 5 AufenthG auf, bis zum 6.11.2005 freiwillig aus dem Bundesgebiet
auszureisen. Dieser Aufforderung kam der Betroffene nicht nach. Am 18.04.2006
wurde ihm mitgeteilt, dass sein Flug zur Ausreise nach Liberia am 11.05.2006
vorgesehen sei. Am 8.05.2006 legte er eine ärztliche Bescheinigung vor, die nach
Auffassung des Beteiligten nicht eindeutig seine Flugreiseunfähigkeit feststellte.
Der Betroffene wurde deshalb aufgefordert, sich am 9.05.2006 für eine
Untersuchung beim Gesundheitsamt vorzustellen. Er erschien dort nicht und
tauchte in der Folgezeit unter. Auf Grund eines anonymen Hinweises wurde er am
7.11.2006 von der Kriminalpolizei in Bad Oldesloe aufgegriffen und in vorläufigen
Gewahrsam genommen. Am selben Tag beantragte der Beteiligte beim
Amtsgericht Bad Oldesloe, die Haft zur Sicherung der Abschiebung gegen den
Betroffenen für die Dauer von drei Monaten anzuordnen. Das Amtsgericht hat den
2
3
Betroffenen für die Dauer von drei Monaten anzuordnen. Das Amtsgericht hat den
Betroffenen angehört. Dieser erklärte u.a., er sei Staatsangehöriger von Togo, er
möchte jedoch so schnell wie möglich nach Liberia abgeschoben werden. Das
Amtsgericht hat durch Beschluss vom 7.11.2006 die Sicherungshaft bis zum
6.02.2007 angeordnet. Am 25.01.2007 gab das Amtsgericht Bad Oldesloe das
Verfahren an das Amtsgericht Rendsburg ab, weil sich der Betroffene in der
dortigen Abschiebehafteinrichtung aufhielt. Die Akten gingen dort am 1.02.2007
ein. Ungeachtet des von der Liberianischen Botschaft ausgestellten
Passersatzpapiers (Laissez Passer) vom 30.01.2007 (Bl. 31 d. A.) und der
Bescheinigung des Arztes der Justizvollzugsanstalt Kiel vom 31.01.2007 (Bl. 30 d.
A.), dass aus ärztlicher Sicht keine Bedenken gegen die geplante Rückführung des
Betroffenen auf dem Luftweg bestünden, scheiterte die unbegleitete Rückführung
per Flugzeug von Hamburg über Brüssel nach Monrovia am 2.02.2007, weil der
Betroffene dem Piloten in Hamburg erklärte, er sei krank, und der Pilot die
Beförderung ohne Sicherheitsbegleitung ablehnte (Bl. 32 d. A.). Der Betroffene
wurde wieder der Abschiebehafteinrichtung in Rendsburg zugeführt.
Am 5.02.2007 hat der Beteiligte unter Darlegung des vorstehenden Sachverhalts
beim Amtsgericht Rendsburg beantragt, die Sicherungshaft um drei Monate zu
verlängern. Am selben Tag hat das Amtsgericht versucht, den Betroffenen
anzuhören. Dieser hat die Einlassung und die Unterschrift unter das Protokoll unter
Hinweis darauf verweigert, dass sein Verfahrensbevollmächtigter nicht vom
Anhörungstermin benachrichtigt und nicht anwesend war. Dieser hatte sich am
28.12.2006 zu den Akten gemeldet, am 9.01.2007 die vom Betroffenen
unterzeichnete Vollmacht eingereicht, (vergeblich) um die Übersendung eines
Arztberichts des Zentralkrankenhauses gebeten und Akteneinsicht genommen.
Das Amtsgericht hat dem Betroffenen mitgeteilt, dass die Benachrichtigung des
Anwalts "wegen der Kürze der Zeit" unterblieben sei. Es hat durch Beschluss vom
5.02.2007 die Sicherungshaft bis zum 30.04.2007 verlängert. Das Landgericht hat
- ohne den Betroffenen anzuhören - die hiergegen gerichtete sofortige
Beschwerde des Betroffenen durch Beschluss vom 13.02.2007 zurückgewiesen.
Gegen den Beschluss des Landgerichts, auf den zur weiteren Sachdarstellung
Bezug genommen wird (Bl. 55 - 59 d. A.), wendet sich der Betroffene mit seine
sofortigen weiteren Beschwerde. Ein zwischenzeitlich unternommener weiterer
Versuch, den Betroffenen per Flug am 21.02.2007 nach Liberia abzuschieben,
scheiterte daran, dass dieser den dortigen Einreisebehörden erklärte, er sei nicht
Liberianer, sondern Togolese. Er wurde wieder nach Deutschland - diesmal in die
Abschiebehafteinrichtung in Eisenhüttenstadt - zurückgeführt.
II.
Die nach §§ 106 Abs. 2 AufenthG; 3 Satz 2, 7 FEVG; 27, 29, 20, 21, 22 FGG
zulässige sofortige weitere Beschwerde ist begründet. Die angefochtene
Entscheidung beruht auf einer Verletzung des Rechts (§§ 27 FGG; 564 ZPO). Amts-
und Landgericht haben gegen ihre Pflicht verstoßen, den Betroffenen
ordnungsgemäß anzuhören.
1. Nach § 5 Abs. 1 FEVG; Art. 103 Abs. 1, 104 GG hat das Amtsgericht den
Betroffenen zu einem Antrag der Ausländerbehörde auf Verlängerung der
Sicherungshaft grundsätzlich persönlich anzuhören. Die Anhörung bildet das
Kernstück der Amtsermittlungspflicht (§ 3 Satz 2 FEVG; 12 FGG). Wird der
Betroffene durch einen Verfahrensbevollmächtigten vertreten, so ist diesem
Gelegenheit zu geben, an der Anhörung teilzunehmen. Unterbleibt dies, so ist die
Anhörung nach allgemeiner Auffassung in der Rechtsprechung fehlerhaft, weil nicht
auszuschließen ist, dass der Betroffene im Beisein seines Anwalts Angaben macht,
die für die Entscheidung des Gerichts bedeutsam sein können (vgl. OLG Rostock,
Beschluss vom 27.03.2006, 3 W 16/06, bei Melchior; OLG Celle, Beschluss vom
3.03.1999, 17 W 16/99, bei Juris; OLG Frankfurt, Beschluss vom 7.04.2003, 20 W
117/03, bei Juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 8.11.2005, 11 Wx 32/05, LS bei
Juris). Vorliegend war aus den Akten, die dem Amtsgericht seit dem 1.02.2007
vorlagen, ersichtlich, dass der Betroffene durch einen Verfahrensbevollmächtigten
vertreten wurde. Der Betroffene hat im Anhörungstermin am 5.02.2007 nochmals
darauf hingewiesen. Angesichts der dem Gericht vorliegenden Vollmacht und
anwaltlichen Schriftsätze, aus denen sich Anschrift, Telefonnummer und
Faxnummer des Rechtsanwalts vollständig ergaben, war der Betroffene nicht
gehalten, der Aufforderung des Amtsgerichts nachzukommen, den
Verfahrensbevollmächtigten erneut namentlich zu bezeichnen. Der Mitteilung des
Amtsgerichts an den Betroffenen gemäß Protokoll, "die Benachrichtigung sei
wegen der Kürze der Zeit unterblieben", entnimmt der Senat, dass der
6
wegen der Kürze der Zeit unterblieben", entnimmt der Senat, dass der
Amtsrichter nicht einmal den Versuch unternommen hat, mit dem
Verfahrensbevollmächtigten telefonisch oder per Fax in Verbindung zu treten. Der
Hinweis auf die "Kürze der Zeit" ist unerheblich. Er würde in allen Fällen
vorliegender Art in verfassungswidriger Weise anwaltlichen Beistand praktisch
unmöglich machen, weil typischerweise die vor der Anhörung zur Verfügung
stehende Zeit wegen der Pflicht zur unverzüglichen Vorführung des Betroffenen
nach Art. 104 Abs. 2 Satz 2 und 3 GG (vgl. auch §§ 204 Abs. 5 und 6, 181 Abs. 4
LVwG S-H) stets kurz bemessen sein wird. Sollte der Verfahrensbevollmächtigte
nicht gänzlich verhindert oder unerreichbar sein (was seine Beiziehung entbehrlich
machen würde) wird in den meisten Fällen auch angesichts der Eilbedürftigkeit
eine zeitliche Absprache zwischen Gericht, Ausländerbehörde bzw. Polizei und
Anwalt zumutbar und möglich sein. Der Umstand, dass dem
Verfahrensbevollmächtigten keine Gelegenheit gegeben worden ist, an der
Anhörung teilzunehmen, reicht nach allem aus, einen Verfahrensfehler zu
begründen. Die Entscheidung des Amtsgerichts beruht ohne weiteres darauf, denn
dieses hat mit der Weigerung des Betroffenen, das Protokoll zu unterzeichnen und
den Namen des Verfahrensbevollmächtigten mitzuteilen, ausdrücklich seine
Überzeugung begründet, dieser werde künftig nicht freiwillig ausreisen.
2. Auf Grund der genannten Vorschriften besteht auch für das Beschwerdegericht
grundsätzlich die Pflicht, den Betroffenen erneut anzuhören. Hiervon kann
ausnahmsweise abgesehen werden, wenn gegenüber der Anhörung durch das
Amtsgericht offensichtlich keine neuen Erkenntnisse für die
Sachverhaltsaufklärung zu erwarten sind und auch ein persönlicher Eindruck nicht
erforderlich ist. Eine Ausnahme scheidet indessen von vornherein aus, wenn eine
Anhörung vor dem Amtsgericht nicht stattgefunden hat oder fehlerhaft war, und
der Betroffene dies in der Erstbeschwerde ausdrücklich rügt (vgl. OLG Rostock
a.a.O. m.w.Nw.; OLG Celle a.a.O.). In diesem Fall geht es nicht um die Frage einer
erneuten Anhörung, sondern einer ordnungsgemäßen Erstanhörung, die nicht mit
der vom Landgericht verwendeten Floskel, entscheidungserhebliche Erkenntnisse
seien nicht zu erwarten gewesen, entbehrlich gemacht werden kann. Würde diese
formelhafte vorweggenommene Sachverhaltswürdigung akzeptiert, würde
praktisch die verfassungsrechtlich geschützte Anhörungspflicht zur beliebigen
Disposition gestellt. Es kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass -
wie schon eingangs erwähnt - der Betroffen im Beisein seines Anwalts Angaben
gemacht hätte, die für den Ausgang des Verfahrens von Bedeutung hätten sein
können, so dass die angefochtene Entscheidung auf dem Verfahrensfehler auch
beruht. Insbesondere hätte möglicherweise die Frage der unklar gewordenen
Staatsangehörigkeit des Betroffenen, die bisher von keinem Gericht behandelt
worden ist, zur Prüfung führen können, ob der Beteiligte dem
Beschleunigungsgebot Genüge getan hat (vgl. Renner, Ausländerrecht, 6. Aufl., §
62 AufenthG Rn. 23) oder eine Abschiebung innerhalb der nächsten drei Monate
möglich sein wird (§ 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG).
3. Nach allem kann die angefochtene Entscheidung keinen Bestand haben. Da der
Verfahrensfehler in der vorliegenden Form einer nur fehlerhaften Anhörung nach
Auffassung des Senats heilbar ist, war die Sache an das Landgericht
zurückzuverweisen, um die Anhörung in ordnungsgemäßer Weise nachzuholen
(vgl. OLG Celle a.a.O.; OLG Frankfurt a.a.O.). Hiervon kann nicht deshalb
abgesehen werden, weil der Betroffene sich nunmehr - aus dem Senat nicht
nachvollziehbaren Gründen - in der Abschiebehafteinrichtung in Eisenhüttenstadt
aufhält und deshalb mit seiner Anhörung durch die Kammer ein hoher Aufwand
verbunden sein wird.