Urteil des OLG Saarbrücken vom 26.01.2011

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OLG Saarbrücken Beschluß vom 26.1.2011, 9 W 236/10 - 29
Leitsätze
Zur Erstattungsfähigkeit der fiktiven Reisekosten eines am Geschäftssitz der Partei oder an
einem anderen Ort ansässigen Prozessbevollmächtigten
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des
Landgerichts Saarbrücken vom 4. August 2010 – 1 O 11/09 – dahingehend abgeändert,
dass nach dem Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 5. März 2010 die von der
Klägerin an die Beklagte zu erstattenden Kosten auf 1.505,45 EUR nebst Zinsen in Höhe
von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 5. Juli 2010
festgesetzt werden.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 476,10 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Gegenstand des Verfahrens sind die zur Ausgleichung zu bringenden
Kostenfestsetzungsanträge der Parteien. Mit rechtskräftigem Urteil vom 5. März 2010 hat
das Landgericht die auf Schadensersatz wegen fehlerhafter Anlageberatung gerichtete
Klage abgewiesen und der Klägerin die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Mit Schriftsatz
vom 30. Juni 2010 beantragte die in ansässige Beklagte, die in eine Filiale unterhält, die
Festsetzung ihrer Kosten und machte hierbei Fahrtkosten ihres in ansässigen
Prozessbevollmächtigten zwecks Teilnahme an den Terminen zur mündlichen Verhandlung
in geltend. Auf Hinweis der Rechtspflegerin teilte die Beklagte mit, dass sie über eine
eigene Rechtsabteilung in verfüge, die sich mit der Sache befasst habe, und dass die von
ihr beauftragten Rechtsanwälte, die sich in den äußerst komplizierten Sachverhalt des
Verfahrens eingearbeitet hätten, mit einer Vielzahl gleichgelagerter Fälle im gesamten
Bundesgebiet betraut seien; aus diesem Grund sei es ihr auch nicht zuzumuten, eine
Vielzahl von Anwälten im gesamten Bundesgebiet am Ort des Prozessgerichts, selbst
wenn sie dort eine Niederlassung habe, zu beauftragen. Da sich die fiktiven Reisekosten für
einen am Sitz der Partei ansässigen Rechtsanwalt auf 676,41 EUR beliefen, seien die
tatsächlichen Reisekosten von aus erstattungsfähig.
Die Klägerin ist dem entgegen getreten.
Das Landgericht – Rechtspflegerin – hat mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 4. August
2010, auf den Bezug genommen wird (Bl. 225 ff d.A.), u.a. die Reisekosten des
Prozessbevollmächtigten der Beklagten als nicht erstattungsfähig angesehen, weil die
Partei am Gerichtsort einen Nebensitz habe und der Gegner nicht gehalten sein könne
Kosten zu tragen, die in erheblichem Ausmaß von den fiktiven Kosten eines Rechtsanwalts
am Sitz der Partei abwichen.
Gegen den ihr am 14. August 2010 zugestellten Beschluss hat die Beklagte mit am 18.
August 2010 eingegangenem Faxschreiben sofortige Beschwerde eingelegt. Sie verweist
darauf, dass entscheidend sei, dass ihr Hauptsitz in sei und sich dort ihre Rechtsabteilung
befinde, die sämtliche Gerichtsverfahren betreue.
Die Rechtspflegerin hat dem Rechtsbehelf nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur
Entscheidung vorgelegt.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst
Anlagen Bezug genommen.
II.
Das gemäß §§ 11 Abs. 1 RPflG, 104 Abs. 3, 567, 569 ZPO statthafte und auch im Übrigen
zulässige Rechtsmittel der Beklagten hat in der Sache Erfolg. Entgegen der Auffassung des
Landgerichts – Rechtspflegerin - sind die von der Beklagten in Ansatz gebrachten
Reisekosten, die sich auf 476,10 EUR (inkl. Mwst.) belaufen, erstattungsfähig.
Die Beklagte war nicht gehalten, am Ort ihrer Niederlassung, zugleich Ort des
Prozessgerichts, einen Rechtsanwalt als Unterbevollmächtigten mit der Wahrnehmung
ihrer Interessen zu beauftragen.
Die Erstattungsfähigkeit der hier in Rede stehenden Reisekosten des
Prozessbevollmächtigten richtet sich nach § 91 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 ZPO. Hiernach
hat die obsiegende Partei Anspruch auf Erstattung ihrer Kosten, soweit sie zur
zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren; dazu
zählen auch die Reisekosten für die Wahrnehmung auswärtiger Termine. Bei der
Beurteilung der Frage, ob aufgewendete Prozesskosten in diesem Sinne "notwendig"
waren, kommt es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes darauf an, ob eine
verständige und wirtschaftlich vernünftige Partei die die Kosten auslösende Maßnahme im
Zeitpunkt ihrer Veranlassung als sachdienlich ansehen durfte. Dabei darf die Partei ihr
berechtigtes Interesse verfolgen und die zur vollen Wahrnehmung ihrer Belange
erforderlichen Schritte ergreifen. Sie ist lediglich gehalten, unter mehreren gleichartigen
Maßnahmen die kostengünstigste auszuwählen. Anerkannt ist, dass ein Unternehmen
grundsätzlich einen an seinem Geschäftssitz ansässigen Prozessbevollmächtigten, aber
auch einen Prozessbevollmächtigten an dem Ort beauftragen kann, an dem die dem
Rechtsstreit vorangegangene unternehmensinterne Bearbeitung der Sache erfolgt ist, und
zwar selbst dann, wenn das Unternehmen an diesem Ort weder seinen Hauptsitz noch
eine Zweigniederlassung unterhält. Bei Vorliegen dieser Voraussetzungen sind die bis zur
Höhe der fiktiven Reisekosten eines solchen Rechtsanwalts auch die Reisekosten eines
andernorts (hier: in) ansässigen Rechtsanwalts erstattungsfähig bzw. sind Reisekosten, die
dem Unternehmen durch die Beauftragung eines am Ort der Bearbeitung ansässigen
Rechtsanwalts entstanden sind, nach denselben Grundsätzen zu erstatten wie sonst im
Falle der Beauftragung eines am Sitz des Unternehmens ansässigen Rechtsanwalts.Denn
im Rahmen der Kostenerstattung kommt es auf die tatsächliche Organisation eines an
einem Rechtsstreit beteiligten Unternehmens und nicht darauf an, welche
Unternehmensorganisation unter Erstattungsgesichtspunkten zweckmäßiger oder
günstiger gewesen wäre. Unstreitig verfügt die Beklagte über eine eigene Rechtsabteilung
an ihrem Sitz in, welche sämtliche Gerichtsverfahren „betreut“. Nach dem
unwidersprochenen Vorbringen der Beklagten ist eine Vielzahl gleich gelagerter Fälle wie
der vorliegende bundesweit an verschiedenen Gerichtsorten anhängig, sind die in
beauftragten Prozessbevollmächtigten in die komplexe und schwierige Materie
eingearbeitet und vertreten diese die Beklagte in sämtlichen Verfahren. Hieraus erschließt
sich, dass die gerichtlichen Verfahren von der Rechtsabteilung nicht mehr weitergeführt
werden, sondern durch die auch hier mandatierten Prozessbevollmächtigten (ggf. nach
Instruktion durch die Rechtsabteilung der Beklagten) eigenverantwortlich bearbeitet und
geführt werden. Diese interne betriebliche Organisation der Abwicklung derartiger
Prozessfälle hat die Klägerin hinzunehmen. Denn bei der Prüfung der Notwendigkeit einer
bestimmten Rechtsverfolgungs- oder Rechtsverteidigungsmaßnahme ist ohnehin eine
typisierende Betrachtungsweise geboten, weil der Gerechtigkeitsgewinn, der bei einer
übermäßig differenzierenden Betrachtung im Einzelfall zu erzielen ist, in keinem Verhältnis
zu den sich einstellenden Nachteilen steht, wenn in nahezu jedem Einzelfall darüber
gestritten werden könnte, ob die Kosten einer bestimmten Rechtsverfolgungs- oder
Rechtsverteidigungsmaßnahme zu erstatten sind oder nicht. Die von der Beklagten, die
eine Vielzahl von Rechtsstreitigkeiten zu führen hat, gewählte Organisationsform wird
zudem von ihrem berechtigten Interesse getragen, sich durch den Rechtsanwalt ihres
Vertrauens auch vor auswärtigen Gerichten vertreten zu lassen (BGH, Beschl.v. 28. Juni
2006, IV ZB 44/05, NJW 2006, 3008; BGH, Beschl.v. 20. Mai 2008, VIII ZB 92/07, JurBüro
2008, 481; BGH, Beschl.v. 13.September, 2005, X ZB 30/04, JurBüro 2006, 203) . Von
daher kann die Beklagte die Erstattung der Reisekosten, die für die Anreise ihres
Prozessbevollmächtigten aus nach (und zurück) entstanden sind und die nach ihrem
unwidersprochenen Vorbringen die Kosten eines an ihrem Sitz in ansässigen
Prozessbevollmächtigten nicht übersteigen, was die Klägerin insoweit kostenmäßig nicht
beschwert, beanspruchen. Nach Maßgabe ihres Festsetzungsantrages vom 30. Juni 2010
belaufen sich diese Kosten einschließlich der Mehrwertsteuer auf 476,10 EUR, so dass der
angefochtene Kostenfestsetzungsbeschluss entsprechend abzuändern war.
angefochtene Kostenfestsetzungsbeschluss entsprechend abzuändern war.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
Die Rechtsbeschwerde wird mangels Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen nicht
zugelassen.