Urteil des OLG Saarbrücken vom 05.11.2010

OLG Saarbrücken: belgien, gewöhnlicher aufenthalt, bundesamt für justiz, verbringen, rückführung, anhörung, elterliche gewalt, herausgabe, genehmigung, rückgabe

OLG Saarbrücken Beschluß vom 5.11.2010, 9 UF 112/10
Leitsätze
Zur Frage des gewöhnlichen Aufenthaltes i. S. v. Art. 12 i. V. m. Art. 3 HKÜ.
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der am 20. August 2010 verkündete
Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – in Saarbrücken – 40 F 320/10 HK –
abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Der Antragsgegner ist verpflichtet, das Kind H. S., geboren am ... August 2009,
derzeitige Anschrift: , , bis zum 26. November 2010 nach
Belgien zurückzuführen.
2. Kommt der Antragsgegner der Verpflichtung zu Ziffer 1) nicht nach, so ist er und jede
andere Person, bei der sich das Kind aufhält, verpflichtet, das Kind und die in seinem Besitz
befindlichen Ausweispapiere des Kindes an die Antragstellerin oder eine von dieser
bestimmte Person zum Zwecke der Rückführung nach Belgien herauszugeben.
3. Der Antragsgegner wird darauf hingewiesen, dass das Gericht im Falle der
Zuwiderhandlung gegen die Verpflichtung zu Ziffer 2) gemäß § 44 Internationales
Familienrechtsverfahrensgesetz (IntFamRVG) i.V. mit § 89 FamFG ein Ordnungsgeld in
Höhe von bis zu 25.000 EUR sowie für den Fall, dass das Ordnungsgeld nicht beigetrieben
werden kann oder die Anordnung eines Ordnungsgeldes keinen Erfolg verspricht,
Ordnungshaft von bis zu 6 Monaten anordnen kann.
4. Zum Vollzug von Ziffer 2) wird angeordnet:
a) Der Gerichtsvollzieher wird beauftragt und ermächtigt, das unter
Ziffer 1) genannte Kind dem Antragsgegner oder jeder anderen
Person, bei der sich das Kind aufhält, wegzunehmen und es der
Antragstellerin oder einer von ihr bestimmten Person an Ort und
Stelle zu übergeben.
b) Der Gerichtsvollzieher wird beauftragt und ermächtigt, zur
Durchsetzung der Herausgabe unmittelbaren Zwang gegen jede zur
Herausgabe verpflichtete Person und erforderlichenfalls auch gegen
das Kind nach Maßgabe von § 90 Abs. 2 FamFG anzuwenden.
c) Der Gerichtsvollzieher wird zum Betreten und zur Durchsuchung
der Wohnung des Antragsgegners und der Wohnung jeder anderen
Person, bei der sich das Kind aufhält, ermächtigt.
d) Der Gerichtsvollzieher ist befugt, die vorgenannten
Vollstreckungsmaßnahmen auch zur Nachtzeit und an Sonn- und
Feiertagen vorzunehmen.
e) Der Gerichtsvollzieher wird zur Hinzuziehung polizeilicher
Vollzugsorgane ermächtigt.
5. Das Jugendamt des Landkreises N. wird gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 4 IntFamRVG ersucht,
a) Vorkehrungen zur Gewährleistung der sicheren Herausgabe des
unter Ziffer 1) genannten Kindes an die Antragstellerin zu treffen,
b) das Kind nach Vollstreckung der Herausgabe gegebenenfalls
vorläufig bis zur Rückführung in die Obhut einer für geeignet
befundenen Einrichtung oder Person zu geben.
6. Eine Vollstreckungsklausel ist nicht erforderlich.
7. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der
Vollstreckungskosten sowie die Rückführungskosten.
Gründe
I.
Die Antragstellerin (nachfolgend: Kindesmutter) und der Antragsgegner (nachfolgend:
Kindesvater) haben am ... Januar 2009 vor dem Standesamt in/Belgien die Ehe
geschlossen. Aus der Ehe ist die am ... August 2009 in L. geborene, heute ein Jahr alte
Tochter H. hervorgegangen. Die Kindeseltern sind im früheren Jugoslawien (Kosovo)
geboren. Die Kindesmutter spricht ausschließlich albanisch und besitzt die serbische bzw.
kosovarische Staatsangehörigkeit. Sie genießt in Belgien einen ausländerrechtlichen
Aufenthaltsstatus, bezieht Sozialhilfe und ist in Belgien krankenversichert. Der Kindesvater
lebt - seit über 20 Jahren - und arbeitet in Deutschland; er ist deutscher Staatsangehöriger.
Die Kindesmutter begehrt vom Kindesvater die Rückführung der gemeinsamen Tochter
nach Belgien auf der Grundlage des Haager Übereinkommens vom 25. Oktober 1980 über
die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (HKÜ).
Am Abend des 31. August 2009 suchte der Kindesvater in Begleitung seiner Mutter und
seiner Schwester die Kindesmutter in dem Haus ihrer Familie in L./Belgien auf, wo sie und
das Kind sich nach der Entlassung aus der Geburtsklinik aufhielten. Unter zwischen den
Beteiligten streitigen Umständen nahm der Kindesvater das Kind an sich und verbrachte es
in die Bundesrepublik Deutschland, wo beide seither in der Wohnung seiner Eltern in
N./Saar leben.
Die Kindesmutter erstattete am 31. August 2009 bei der Polizei in L. Strafanzeige gegen
den Kindesvater wegen Entführung. Gegen den Kindesvater erging ein europäischer
Haftbefehl des Amtsgerichts Dendermonde/Belgien vom 28. Januar 2010 – 2010/005/4 -,
auf Grund dessen seine Auslieferung betrieben wurde. Nachdem der Antragsgegner
gegenüber den Strafverfolgungsbehörden erklärte, sich dem Strafverfahren in Belgien
stellen zu wollen, wurde der deutsche Durchführungshaftbefehl mit Beschluss des
Saarländischen Oberlandesgerichts vom 19. Oktober 2010 – OLG Ausl. 23/2010 -
aufgehoben.
Im Rahmen des von der Kindesmutter beim Friedensgericht in L. anhängig gemachten
Sorgerechtsverfahrens wurde auf Anordnung des Gerichts das Kind im Oktober 2009 für
drei Tage der Kindesmutter zur Umgangsausübung übergeben und danach wieder vom
Kindesvater abgeholt. Durch Urteil des Friedensgerichts vom 10. Dezember 2009 -
Verzeichnisnummer ~7/2009, Rolnummer ~8 - wurde u.a. beiden Elternteilen die
Ausübung der elterlichen Gewalt gewährt sowie der Aufenthalt des Kindes für die Zeit vom
16. Dezember 2009 bis zum 15. März 2010 bei der Kindesmutter und danach
abwechselnd für je einen Monat bei dem Kindesvater und einen Monat bei der
Kindesmutter bestimmt. Diese Regelung zur Aufenthaltsbestimmung wurde jedoch nicht
umgesetzt. Durch Urteil des Friedensgerichts vom 23. April 2010 – Verzeichnisnummer
~1/2010, Rolnummer ~3 - wurde unter Abänderung der Entscheidung vom 10. Dezember
2009 der Kindesmutter die „exklusive elterliche Gewalt“ über das Kind zugesprochen,
bestimmt, dass das Kind ausschließlich bei ihr wohnen wird, und das Urteil für vorläufig
vollstreckbar erklärt. Es handelt sich um eine Säumnisentscheidung - der Kindesvater war
zu dem Termin vor dem Friedensgericht nicht erschienen –, gegen die der Kindesvater,
ebenso wie gegen die Entscheidung vom 10. Dezember 2009, durch seine belgischen
Verfahrensbevollmächtigten „Rechtsmittel“ eingelegt hat. Hierüber ist noch nicht
entschieden. In einem vom Kindesvater mit Eingang am 8. September 2009 vor dem
Amtsgericht - Familiengericht - in Neunkirchen anhängig gemachten Sorgerechtsverfahren -
6 F 373/09 EASO – ist keine Sachentscheidung ergangen.
Mit ihrem am 9. Juli 2010 beim Amtsgericht - Familiengericht - in Saarbrücken
eingereichten Antrag hat die Kindesmutter, vertreten durch das Bundesamt für Justiz als
Zentrale Behörde, die Rückführung des Kindes nach Belgien innerhalb einer angemessenen
Frist und für den Fall, dass der Kindesvater dieser Verpflichtung nicht nachkommt, die
Herausgabe des Kindes an sie zum Zwecke der sofortigen Rückführung nach Belgien
begehrt. Sie hat im Wesentlichen vorgetragen, dass der Kindesvater am Abend des 31.
begehrt. Sie hat im Wesentlichen vorgetragen, dass der Kindesvater am Abend des 31.
August 2009 in Begleitung seiner Mutter und seiner Schwester das Kind gegen ihren Willen
an sich und nach Deutschland gebracht habe. Zuvor habe sie es abgelehnt, ohne Visum
mit dem Kind zu ihm nach Deutschland zu kommen, da sie auf Grund ihres
Aufenthaltsstatus Belgien nicht verlassen könne. Sie habe bis dahin durchgehend in L.
gelebt.
Der Kindesvater ist erstinstanzlich diesem Antrag entgegengetreten. Er hat vorgetragen,
dass die Kindesmutter ihn am 31. August 2008 in L. überraschend mit der Tatsache
konfrontiert habe, dass sie nicht mit ihm nach Deutschland kommen wolle. Sie habe
ausdrücklich gesagt, er solle sein Kind nehmen und gehen. Als er am darauffolgenden Tag
auf dem Rückweg von der deutschen Botschaft in Brüssel, wo er erfolglos versucht habe,
die Einreiseformalitäten für das Kind nach Deutschland zu klären, erneut bei der
Kindesmutter vorgesprochen habe, habe deren Großmutter ihn an der Haustür
abgewiesen mit den Worten, er solle verschwinden, das Kind mitnehmen und ihre Enkelin
für immer in Ruhe lassen. Ihr gemeinsamer tatsächlicher gewöhnlicher Aufenthalt sei nach
der Heirat in Deutschland gewesen. Der Anordnung des belgischen Gerichts im Urteil vom
10. Dezember 2009 sei er wegen mehrerer stationärer Klinikaufenthalte des Kindes nicht
nachgekommen, außerdem habe er Bedenken gehabt, seine Tochter an einen Ort zu
geben, wo sie nicht erwünscht sei. Zum Gerichtstermin vor dem Friedensgericht in L. im
April 2010 sei er nicht geladen worden und habe keine Kenntnis davon gehabt. In
Telefonaten – u.a. am 12. Juni 2010 - habe ihm die Kindesmutter gesagt, er solle das Kind
behalten und sie in Ruhe lassen.
Die mit Beschluss des Familiengerichts vom 13. Juli 2010 – 40 F 320/10 HK - für das Kind
bestellte Verfahrensbeiständin hat erstinstanzlich um Zurückweisung des Antrages
gebeten.
Das Jugendamt hat keinen Antrag gestellt.
Durch den angefochtenen Beschluss, auf den ergänzend Bezug genommen wird, hat das
Familiengericht die Anträge der – zum Termin nicht persönlich erschienenen –
Kindesmutter nach Anhörung des Kindesvaters zurückgewiesen.
Hiergegen richtet sich die „sofortige“ Beschwerde der Kindesmutter, mit der sie unter
Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens ihr abgewiesenes
Rechtsschutzbegehren weiter verfolgt. Sie beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses den
Antragsgegner zu verpflichten, das Kind H. S., geboren am ... August
2009, derzeitige Anschrift , , innerhalb
einer angemessenen Frist nach Belgien zurückzuführen,
sofern der Antragsgegner dieser Verpflichtung nicht nachkommt, die
Herausgabe des Kindes H. S. an sie zum Zwecke der sofortigen
Rückführung nach Belgien anzuordnen.
Der Kindesvater und die Verfahrensbeiständin des Kindes verteidigen den angefochtenen
Beschluss und beantragen,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Das Jugendamt stellt keinen Antrag.
Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung die Kindeseltern persönlich angehört und
Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeuginnen H. S., A. S.- B. und C. v. G.. Wegen des
Ergebnisses der Anhörung und Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 27.
Oktober 2010 (Blatt 472 ff) Bezug genommen. Die beigezogenen Akten des
Sorgerechtsverfahrens vor dem Amtsgericht – Familiengericht – in Neunkirchen – 6 F
373/09 EASO – waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
II.
Auf das nach dem 31. August 2009 beim Familiengericht eingeleitete Verfahren kommt
gemäß Art. 111 des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den
Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 17. Dezember 2008 (FGG-
Reformgesetz - FGG-RG; BGBl. 2008 I, S. 2585) das am 1. September 2009 in Kraft
getretene Verfahrensrecht zur Anwendung.
Das als hiernach statthafte Beschwerde (§ 40 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes zur Aus- und
Durchführung bestimmter Rechtsinstrumente auf dem Gebiet des internationalen
Familienrechts , BGBl.
2009 I S. 2474) zu behandelnde Rechtsmittel der Antragstellerin gegen den Beschluss des
Familiengerichts vom 20. August 2010 ist form- und fristgerecht eingelegt und auch im
Übrigen zulässig (§ 40 Abs. 2 Satz 1 bis 3 IntFamRVG).
In der Sache hat das Rechtsmittel den angestrebten Erfolg und führt zu der aus der
Entscheidungsformel ersichtlichen Abänderung des angefochtenen Beschlusses. Der
zulässige Antrag ist begründet.
Die von der Kindesmutter erstrebte Rückführung bzw. Herausgabe des Kindes richtet sich
nach dem Haager Übereinkommen vom 25. Oktober 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte
internationaler Kindesentführung (HKÜ) - Belgien und Deutschland sind Vertragsstaaten des
HKÜ (Staudinger/Pirrung, BGB, Neubearbeitung 2009, Vorbem. D zu Art. 19 EGBGB, Rz. D
14) - i.V. mit Art. 11 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November
2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in
Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der
Verordnung (EG) Nr. ~7/2000 („Brüssel IIa–Verordnung“). Die zu treffende
Sachentscheidung ist keine Entscheidung zum Sorgerecht (Art. 19 HKÜ) und beruht auf
einer summarischen Tatsachenprüfung (Völker/Clausius, Sorge- und Umgangsrecht in der
Praxis, 3. Aufl., § 11, Rz. 135). Dabei sind die Ermittlungen nur soweit auszudehnen, wie
es mit dem Eilcharakter des Verfahrens (§ 38 IntFamRVG) in Einklang zu bringen ist.
Die Entscheidung des Familiengerichts, dass das HKÜ vorliegend nicht anwendbar ist und
die Voraussetzungen einer Rückführungsanordnung gemäß Art. 12 i. V. mit Art. 3 HKÜ
nicht vorliegen, kann nach dem Ergebnis der Beschwerdeverhandlung keinen Bestand
haben.
Nach Art. 12 Abs. 1 HKÜ ordnet das zuständige Gericht die sofortige Rückgabe des Kindes
an, wenn das Kind i.S. von Art. 3 HKÜ widerrechtlich verbracht oder zurückgehalten
worden ist und bei Eingang des Antrags bei dem Gericht oder der Verwaltungsbehörde des
Vertragsstaats, in dem sich das Kind befindet, eine Frist von weniger als einem Jahr seit
dem Verbringen oder Zurückhalten verstrichen ist. Voraussetzung für die Anwendung des
HKÜ ist – neben der hier nicht problematischen Altersgrenze des Kindes in Art. 4 Satz 2
HKÜ - nach Art. 4 Satz 1 HKÜ der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes in einem
Vertragsstaat unmittelbar vor dem ersten geltend gemachten rechtswidrigen Verhalten,
also dem Beginn der Entführung über eine Grenze (Staudinger/Pirrung, a.a.O., Rz. D 34).
Widerrechtlich in einen Vertragsstaat verbracht wird ein Kind, wenn es sich in einem
anderen Vertragsstaat gewöhnlich aufhält (Art. 4 Satz 1 HKÜ) und von dort unter
Verletzung eines Sorgerechts über die Grenze des erstgenannten Vertragsstaates
gebracht wird; eine Rückführungsanordnung nach dem HKÜ setzt mithin stets voraus, dass
ein Kind widerrechtlich in einen Vertragsstaat verbracht oder dort zurückgehalten wird, der
verschieden ist von demjenigen Vertragsstaat, in dem der gewöhnliche Aufenthalt des
Kindes begründet worden ist (6. Zivilsenat des Saarländischen Oberlandesgerichts,
Beschluss vom 17. April 2003 – 6 UF 21/03 -, m.w.N.).
Das Verbringen des Kindes durch den Kindesvater in die Bundesrepublik Deutschland mit
dem Ziel der dauerhaften Aufenthaltsnahme war widerrechtlich i.S. von Art. 3 HKÜ. Im
Streitfall hat das Familiengericht ein widerrechtliches Verbringen oder Zurückhalten des
Kindes im Sinne des HKÜ mit der Begründung verneint, dass das Kind in Belgien keinen
gewöhnlichen Aufenthalt gehabt habe. Da das Kind sich entsprechend der Planung der
Eltern nur wenige Tage aus Anlass der Geburt in L. befunden habe und es der Wille beider
sorgeberechtigten Elternteile gewesen sei, dass das Kind alsbald nach Deutschland
gebracht werde und dort aufwachsen solle, sei der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes
nicht in Belgien, sondern mit der Verbringung nach N. in Deutschland begründet worden.
Aufgrund des Ergebnisses der Anhörung sei das Gericht davon überzeugt, dass die
Sachdarstellung des Kindesvaters zutreffe, diejenige der Kindesmutter dagegen falsch sei
und lediglich der Dramatisierung habe dienen sollen.
Dieser im Tatsächlichen wesentlich auf das Ergebnis der erstinstanzlichen Anhörung des
Kindesvaters gestützten Sichtweise des Familiengerichts kann im Lichte des Ergebnisses
der Beschwerdeverhandlung nicht gefolgt werden. Die zum Termin vor dem Familiengericht
geladene Kindesmutter hatte ihre Teilnahme kurzfristig mit der Begründung abgesagt, dass
sie keinen Aufenthaltsstatus besitze, der es ihr erlaube, Belgien zu verlassen (bzw. danach
wieder einzureisen). Der Senat hat es für wichtig erachtet, der Kindesmutter durch
entsprechende Terminsanberaumung die Möglichkeit zu eröffnen, die Modalitäten ihrer Aus-
bzw. Wiedereinreise aus Anlass einer persönlichen Teilnahme an der
Beschwerdeverhandlung mit den zuständigen belgischen Entscheidungsträgern zu klären,
wovon sie rechtzeitig Gebrauch gemacht und am Senatstermin vom 27. Oktober 2010
persönlich teilgenommen hat. Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung hernach beide
Kindeseltern persönlich angehört und die vom Kindesvater benannten Zeuginnen H. S. und
A. S.- B. sowie die von der Kindesmutter zum Termin gestellte Zeugin C. v. G.
vernommen. Auf Grund des Ergebnisses der Beschwerdeverhandlung steht mit dem bei
summarischer Tatsachenprüfung notwendigen Grad an Gewissheit fest, dass der
gewöhnliche Aufenthalt des Kindes mit der Geburt in Belgien begründet und das Kind am
31. August 2009 vom Antragsgegner i.S. von Art. 3 HKÜ widerrechtlich in die
Bundesrepublik Deutschland verbracht wurde.
Das HKÜ enthält keine Bestimmung des Begriffs des gewöhnlichen Aufenthalts. Der Begriff
des gewöhnlichen Aufenthalts ist auf völkerrechtlicher Ebene autonom und einheitlich zu
bestimmen, so dass sich ein unmittelbarer Rückgriff auf nationale Wertungen verbietet
(eingehend OLG Frankfurt, FamRZ 2006, 883, m.w.N.). In Anlehnung an den Begriff des
gewöhnlichen Aufenthalts in Art. 8 Abs. 1 Brüssel IIa-VO kommt es – ähnlich demjenigen
des MSA - auf den tatsächlichen Mittelpunkt der Lebensführung, den Daseinsschwerpunkt
des Kindes an. Dabei handelt es sich um den Ort, der Ausdruck einer gewissen sozialen
und familiären Integration des Kindes ist, wobei es Sache des nationalen Gerichts ist, unter
Berücksichtigung aller tatsächlichen Umstände des Einzelfalles den gewöhnlichen Aufenthalt
des Kindes festzustellen (EuGH, FamRZ 2009, 843 m. Anm. Völker, FamRBInt 2009, 53 f;
Völker, FamRZ 2010, 157, 160). Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass entsprechend
dem Schutzzweck des HKÜ beim minderjährigen Kind sich der gewöhnliche Aufenthalt nicht
vom Aufenthalt oder Wohnsitz des Sorgeberechtigten ableitet, sondern selbständig zu
ermitteln ist (BGH, FamRZ 1997, 1070; OLG Frankfurt, a.a.O.; OLG Hamm, FamRZ
1999, 948). Der regelmäßig vorausgesetzte tatsächliche, mindestens zeitweise physische
Aufenthalt soll im Regelfall entweder zu durch eine gewisse Mindestdauer bekräftigten
Bindungen geführt haben oder entsprechend dem objektiv erkennbaren Willen des (allein)
Sorgeberechtigten bzw. der gemeinsamen Sorgerechtsinhaber auf eine solche
Mindestdauer angelegt sein; er kann dann auch sofort nach einem Aufenthaltswechsel zum
gewöhnlichen werden (Staudinger/Pirrung, a.a.O., Rz. D 35, m.w.N.).
Zwar bleiben nach der persönlichen Anhörung der Kindeseltern Fragen hinsichtlich der
Lebensumstände des Ehepaares zwischen der Eheschließung und der Geburt offen, da die
Kindeseltern an ihren diesbezüglich divergierenden Sachdarstellungen festgehalten haben.
Während die Kindesmutter angegeben hat, dass sie auch nach der Eheschließung in L.
gelebt habe und lediglich aus Anlass des Hochzeitsfestes am 26. Januar 2009 und weitere
zwei Mal für jeweils drei Tage in Deutschland gewesen sei, wohingegen der Kindesvater
weiter in Deutschland gelebt und gearbeitet und sie nach Möglichkeit in L. besucht habe,
hat der Kindesvater bekundet, ab 7. Juni 2008 ununterbrochen mit der Kindesmutter in N.
gewohnt zu haben; am Anfang eines jeden Monats sei er mit ihr nach L. gefahren, um –
wie sie ihm erklärt habe – Angelegenheiten betreffend „ihre Papiere“ pp. zu klären,
während der Schwangerschaft zusätzlich zu den jeweiligen Vorsorgeuntersuchungen, da
ihre Krankenversicherungskarte nur Gültigkeit in Belgien besessen habe. Welche der
Versionen zutrifft, ist nicht abschließend zu klären, zumal auch die von beiden Kindeseltern
zur Stützung ihrer jeweiligen Darstellung vorgelegten schriftlichen Bestätigungen
unbeteiligter Zeugen schon mangels hinreichender inhaltlicher Aussagekraft keinen
letztgültigen Aufschluss hierüber zu geben vermögen. Das Nämliche gilt im Ergebnis auch
für diejenigen Umstände, unter denen das Kind am 31. August 2009 in die Obhut des
Kindesvaters gelangt und von diesem in die Bundesrepublik Deutschland verbracht worden
ist, wobei die Kindesmutter in ihrer Anhörung vor dem Senat eine gemeinsame Vorstellung
der Kindeseltern dahin, dass die Kindesmutter, wenn das Kind da sei, mit einem Visum
nach Deutschland kommen und man dann gemeinsam in Deutschland leben wolle,
durchaus eingeräumt hat. Streitentscheidend ist indes, dass diese – mehr allgemeine –
Lebensplanung unter den gegebenen Umständen nicht die rechtlich begründete Annahme
rechtfertigt, dass in Belgien, wo sich das Kind ersichtlich im Einvernehmen der Kindeseltern
nach der Geburt bis zur Verbringung in die Bundesrepublik Deutschland durch den
Kindesvater in der Obhut der Kindesmutter tatsächlich aufgehalten hat, kein gewöhnlicher
Aufenthalt des Kindes i.S. des HKÜ begründet wurde, zumal der gewöhnliche Aufenthalt bei
einem erst wenige Tage alten Neugeborenen kaum durch weitere integrative Elemente –
wie z.B. Sprachkompetenzen, soziale Kontakte im Aufenthaltsland pp. – untermauert sein
kann. Unumstritten bestand zwischen den Kindeseltern schon wegen des allein dort
bestehenden Krankenversicherungsschutzes der Kindesmutter ersichtlich Einigkeit darüber,
dass das Kind in Belgien zur Welt gebracht werden sollte. Nach dem Ergebnis der Anhörung
beider Kindeseltern geht der Senat weiter davon aus, dass - unbeschadet bestehender
gemeinsamer Vorstellungen über ein künftiges familiäres Zusammenleben in Deutschland -
nach dem gleichfalls übereinstimmenden Willen der Eltern die Kindesmutter und das in ihrer
Obhut befindliche Kind jedenfalls so lange ihren Aufenthalt in Belgien beibehalten sollten, bis
die rechtlichen Voraussetzungen für eine – legale - Übersiedlung von Mutter und Kind zum
Kindesvater nach N. geschaffen waren. Dies ergibt sich nämlich nicht nur aus der Anhörung
der Kindesmutter, sondern namentlich auch aus der Einlassung des Kindesvaters vor dem
Senat, der seine bereits während der Schwangerschaft der Kindesmutter begonnenen
diesbezüglichen Bemühungen gegenüber den zuständigen Behörden geschildert hat, nach
deren Ergebnis der Erhalt einer Aufenthaltsgestattung der Kindesmutter in Deutschland vor
der Niederkunft als ausgeschlossen und es vielmehr als sinnvoll erachtet worden sei, die
Geburt abzuwarten und das Kind zunächst auf dem Standesamt in Belgien anzumelden,
um sodann eine Familienzusammenführung ins Werk zu setzen. Der Kindesvater hat in der
Anhörung zu erkennen gegeben und nicht zuletzt mit diesen Aktivitäten auch deutlich
gemacht, eine gemeinsame Einreise von Mutter und Kind in die Bundesrepublik und dies
nur bei Vorliegen der Voraussetzungen für einen legalen Aufenthaltsstatus beider in
Deutschland angestrebt zu haben. Hiervon ausgehend waren sich die Kindeseltern
ersichtlich darüber im Klaren und stand jedwede Abrede über einen ins Auge gefassten
künftigen Nachzug der Restfamilie nach Deutschland unter dem Vorbehalt, dass und zu
welchem Zeitpunkt die rechtlichen Einreisemodalitäten geklärt werden konnten, was im
Übrigen weder bis zum 31. August 2009 noch danach gelungen war. Unter diesen
Umständen ist der Senat davon überzeugt, dass – entgegen dem Verständnis des
Familiengerichts – der Aufenthalt des Kindes in Belgien nach dem übereinstimmenden
Willen der Kindeseltern nicht von vornherein lediglich auf wenige Tage, sondern zunächst
auf ungewisse Dauer nur angelegt sein konnte und auch war, was nach Lage der Dinge
den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes i.S. des HKÜ in Belgien begründet. Entscheidend
gegen die Sichtweise des Kindesvaters sprechen weitere, im Wesentlichen unstrittige
Gegebenheiten des Falles. Zum Einen hat der Kindesvater bei der standesamtlichen
Geburtsanmeldung am 24. August 2009 im Rathaus in L. – wie urkundlich belegt ist und
von ihm auch nicht in Abrede gestellt wird – für die Kindesmutter deren Wohnanschrift in
Belgien angegeben. Weiterhin hat die Kindesmutter noch am Abend des 31. August 2009
Strafanzeige wegen Entführung des Kindes gegen den Kindesvater erstattet und
unverzüglich familiengerichtliche Schritte zur Wahrung ihrer sorgerechtlichen Position in
Belgien eingeleitet. Schließlich hat der Kindesvater – wie von der Kindesmutter
zweitinstanzlich vorgetragen und von der im Senatstermin vernommenen Zeugin v.G. im
Übrigen auch bestätigt wurde – insbesondere in dem durch Urteil des Friedensgerichts vom
10. Dezember 2009 - Verzeichnisnummer ~7/2009, Rolnummer ~8 – beschiedenen
ersten familiengerichtlichen Verfahren, in dem er anwaltlich vertreten und zu den Terminen
auch erschienen war, zu keinem Zeitpunkt die Zuständigkeit der belgischen Gerichte unter
dem Aspekt des fehlenden gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes in Belgien gerügt.
Unbeschadet verbleibender Unklarheiten im Übrigen – wie oben aufgezeigt - steht für den
Senat unter Gesamtwürdigung dieser Gegebenheiten ohne begründete Zweifel fest, dass
der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes vor seiner Verbringung nach Deutschland in Belgien
begründet war.
Das Verbringen des Kindes nach Deutschland war widerrechtlich. Gemäß Art. 3 Abs. 1 HKÜ
gilt das Verbringen oder Zurückhalten eines Kindes als widerrechtlich, wenn a) dadurch das
Sorgerecht verletzt wird, das einer Person, Behörde oder sonstigen Stelle allein oder
gemeinsam nach dem Recht des Staates zusteht, in dem das Kind unmittelbar vor dem
Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, und b) dieses Recht
im Zeitpunkt des Verbringens oder Zurückhaltens allein oder gemeinsam tatsächlich
ausgeübt wurde oder ausgeübt worden wäre, falls das Verbringen oder Zurückhalten nicht
stattgefunden hätte. Nach Absatz 2 der Vorschrift kann das Sorgerecht dabei
insbesondere kraft Gesetzes, aufgrund einer gerichtlichen oder behördlichen Entscheidung
oder aufgrund einer nach dem Recht des betreffenden Staates wirksamen Vereinbarung
bestehen. Eine Verletzung des Sorgerechts liegt in jedem Verbringen oder Zurückhalten
durch den Antragsgegner oder einen Dritten zu seinen Gunsten, das die Ausübung des
Sorgerechts oder auch nur des gemeinsamen Aufenthaltsbestimmungsrechts (vgl. dazu
BGH, FamRZ 2010, 1060, mit Anm. Völker) durch den Mitsorgeberechtigten
beeinträchtigt, d.h. es ihm tatsächlich unmöglich macht, alle oder einzelne Befugnisse oder
Verpflichtungen des Sorgerechtsinhabers wahrzunehmen, und kann nach weitgehend
unbestrittener Auffassung auch in der Entziehung durch einen Mitsorgeberechtigten
gegenüber dem anderen liegen (Staudinger/Pirrung, a.a.O., Rz. D 33). An die
Voraussetzungen der tatsächlichen Ausübung des Sorgerechts sind keine allzu hohen
Anforderungen zu stellen. Durch dieses Erfordernis sollen nur Sorgerechtsverhältnisse
ausgeschlossen werden, bei denen die gesetzlichen oder vereinbarten Rechte und Pflichten
überhaupt nicht, auch nicht hin und wieder oder in Ansätzen auch im Umfang eines
Umgangsrechtes wahrgenommen werden (Staudinger-Pirrung, a.a.O., Vorbem. zu Art. 19
EGBGB, Rz. D 32). Ob das (Mit-)Sorgerecht eines Elternteils verletzt worden ist, ist –
verfassungsrechtlich unbedenklich (BVerfG, FamRZ 1997, 1269) - nach dem Recht des
Staates zu beurteilen, in dem das Kind unmittelbar vor dem Verbringen oder Zurückhalten
seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Anwendbar ist im Streitfall folglich das belgische
Recht, nach dessen Artt. 373, 374 des bürgerlichen Gesetzbuches den Kindeseltern das
Sorgerecht für ihre gemeinsame Tochter zum Zeitpunkt der Verbringung nach Deutschland
unzweifelhaft gemeinsam zustand und von der Kindesmutter insoweit auch ausgeübt
wurde.
Die Jahresfrist in Art. 12 Abs. 1 HKÜ, für die auf den Eingang des Rückführungsantrages bei
dem zuständigen Gericht abzustellen ist (Völker/Clausius, a.a.O., Rz. 106, m.w.N.), ist
gewahrt.
Versagungsgründe nach Art. 13 Satz 1 HKÜ liegen nicht vor.
Nach Art. 13 Abs. 1 a) HKÜ ist das Gericht des ersuchten Staates nicht verpflichtet, die
Rückgabe des Kindes anzuordnen, wenn die Person, die sich der Rückgabe – wie hier der
Kindesvater - widersetzt, nachweist, dass die Person, der die Sorge für das Kind zustand,
dem Verbringen oder Zurückhalten zugestimmt oder dieses nachträglich genehmigt hat.
Eine solche Zustimmung kann nicht nur ausdrücklich, sondern unter Umständen auch
konkludent erteilt werden (OLG Stuttgart, FamRZ 2009, 2017; OLG Nürnberg, FamRZ,
2009, 240; Völker/Clausius, a.a.O., § 11, Rz. 110 ff). Bei der Beurteilung dessen kommt
es darauf an, wie der Kindesvater das Verhalten der Kindesmutter bei objektiver
Betrachtung auffassen musste; entscheidend für die Auslegung dieses Verhaltens ist also
der „objektive Empfängerhorizont“ (OLG Stuttgart, FamRZ 2009, 2017; OLG Nürnberg,
FamRZ 2009, 240; OLG Karlsruhe, FamRZ 2006, 1699, 1700, mit Anm. Völker in jurisPR-
FamR 4/2007, Anm. 3). Sowohl an die Zustimmung als auch an eine etwaige
nachträgliche Genehmigung sind strenge Anforderungen – auch an die Beweiswürdigung -
zu stellen (BVerfG, Beschluss vom 11. Oktober 2006 – 1 BvR 1796/06 -, zitiert nach juris;
OLG Nürnberg, FF 2010, 333; vgl. auch Völker/Clausius, a.a.O.). Erforderlich ist
insbesondere, dass sich die Zustimmung oder Genehmigung auf einen dauerhaften
Aufenthaltswechsel beziehen, wohingegen eine Zustimmung oder Genehmigung eines auf
eine bestimmte Zeit beschränkten Aufenthaltswechsels nicht genügen. Eine Zustimmung
der Kindesmutter zur dauerhaften Verbringung des Kindes nach Deutschland, mit deren
Vorliegen das Familiengericht sich - von seinem tatsächlichen und rechtlichen Standpunkt
ausgehend konsequent - nicht befasst hat, kann nach dem Ergebnis der
Beschwerdeverhandlung bei dem hier anzulegenden strengen Maßstab nicht festgestellt
werden. Zwar haben der Kindesvater selbst und die seine diesbezüglichen Angaben im
Wesentlichen bestätigenden Zeuginnen H. S. und A. S.- B. – die Mutter und die Schwester
des Kindesvaters, die ihn unstreitig am 31. August 2009 nach L. begleitet hatten –
übereinstimmend geschildert, dass der zunächst durchaus harmonisch verlaufene Besuch
bei Mutter und Kind mit Erscheinen des Onkels und weiterer Verwandter der Kindesmutter
eine Wendung genommen habe, weil der Onkel in dem sich entwickelnden Gespräch
wiederholt vom Kindesvater verlangt habe, dass er mit seiner Familie in Belgien leben solle
und einen Wegzug der Kindesmutter nach Deutschland kategorisch abgelehnt habe.
Nachdem der Onkel mehrfach erklärt habe, wenn der Kindesvater damit nicht
einverstanden sei, solle er seine Tochter nehmen und gehen, habe man dem Folge
geleistet und mit dem Kind die Wohnung verlassen bzw. sei – so die Zeugin A. S.- B. –
praktisch „hinausgeworfen“ worden. Auch bei unterstellter Richtigkeit dieser
Sachdarstellung, die von der Kindesmutter allerdings nachhaltig bestritten wurde und wird,
ist nach dem oben aufgezeigten Maßstab eine rechtserhebliche Zustimmung i.S. von Art.
13 Abs. 1 a) HKÜ – sei es ausdrücklich oder konkludent – hieraus nicht zu entnehmen. Es
liegt auf der Hand, dass der Onkel der Kindesmutter – der sich nach übereinstimmenden
Aussagen des Kindesvaters und der Zeuginnen als Wortführer der Familie der
Kindesmutter gerierte - nicht berufen war, für die Kindesmutter rechtsverbindliche
Erklärungen in Sorgerechtsfragen abzugeben, wohingegen die Kindesmutter als (Mit-)
Sorgerechtsinhaberin – nach den auch insoweit übereinstimmenden Bekundungen – nur
dabeigesessen und nichts gesagt habe. Dass der Kindesvater dem Schweigen der
Kindesmutter nach Lage der Dinge nicht den Erklärungswert einer jedenfalls konkludenten
Zustimmung durch die Kindesmutter in Folge Billigung der Erklärungen des Onkels
entnehmen konnte und tatsächlich auch nicht entnommen hat, erhellt nach Überzeugung
des Senats nachdrücklich aus seiner weiteren Aussage, dass sie auch „nichts habe sagen
dürfen“, weil der Onkel das Familienoberhaupt sei. Hatte der Kindesvater mithin selbst
erkannt, dass der Kindesmutter eine eigene Willensbekundung auf Grund ihrer Position im
Familienverband zu diesem Zeitpunkt praktisch verschlossen war, ist für die Annahme
einer verbindlichen Zustimmung der Kindesmutter zur Verbringung des Kindes nach
Deutschland auf dieser Grundlage auch aus der maßgeblichen objektivierten Sicht kein
Raum. Nichts Anderes gilt im Ergebnis auch dann, wenn man dem Kindesvater darin folgt,
dass er – was von der Kindesmutter ebenfalls bekämpft wird - am darauf folgenden 1.
September 2009 unverrichteter Dinge von der deutschen Botschaft in Brüssel kommend
von der Großmutter der Kindesmutter durch die verschlossene Haustür mit den Worten
abgewiesen worden sei, er solle mit dem Kind verschwinden und die Kindesmutter in Ruhe
lassen. Auch insoweit fehlt es zunächst an einer verbindlichen Erklärung der hierzu
berufenen Kindesmutter selbst, die bei der geschilderten Situation nicht einmal feststellbar
selbst zugegen war. Aber auch wenn man dem Kindesvater abnimmt, in dieser
„notstandsähnlichen“ Situation keine andere Wahl gesehen zu haben, als das Kind mit zu
sich nach N. zu nehmen, rechtfertigt dies jedenfalls nicht dessen dauerhafte Verbringung
nach Deutschland, sondern war der Kindesvater gehalten, selbst umgehend eine
gerichtliche Klärung der Sorgerechts- bzw. Aufenthaltsfrage durch die zuständigen Gerichte
in Belgien herbeizuführen, was er jedoch nicht getan hat.
Eine nachträgliche Genehmigung der Verbringung des Kindes durch die Kindesmutter liegt
ebenfalls nicht vor. Bei dem hier anzulegenden strengen Prüfungsmaßstab hat der Senat
nicht ausgeräumte Zweifel, den vom Kindesvater dargelegten wiederholten Erklärungen
der Kindesmutter anlässlich verschiedener Telefonate zwischen den Kindeseltern – u.a. am
12. Juni 2010, zu welchem der Kindesvater eine Abschrift zu den Gerichtsakten gereicht
hat -, dass er - sinngemäß - das „Kind behalten und sie in Ruhe lassen“ solle, unter den
hier gegebenen Umständen einen dahingehenden ernstlich gemeinten und den Augenblick
überdauernden verbindlichen Erklärungswert beizulegen, insbesondere wenn aus der
gebotenen objektiven Empfängersicht weiter berücksichtigt wird, dass derartige
Äußerungen in einer emotional und durch einen Partnerschaftskonflikt geprägten
Gesprächssituation am Telefon gefallen sind und in evident unauflösbarem Gegensatz zum
objektiv feststellbaren Verhalten der Erklärenden – wie hier der Kindesmutter, welche die
ihr zu Gebote stehenden rechtlichen Schritte zur Wahrung ihrer sorgerechtlichen Position
unternommen hatte – im Übrigen stehen. Soweit mit der Beschwerde einer Verwertung in
diesem Zusammenhang heimlich gefertigter Aufnahmen von Telefonaten im Verfahren
widersprochen wird, bedarf dies – da nicht entscheidungserheblich – hiernach keiner
abschließenden Beurteilung, wobei der Senat sich an einer Verwertung desjenigen, was der
Kindesvater auf Grund eigener Wahrnehmung über den Inhalt telefonischer Äußerungen der
Kindesmutter bekundet hat, allerdings nicht gehindert sieht. Die Nichterweislichkeit einer
Einwilligung oder Genehmigung geht hier zu Lasten des Kindesvaters.
Nach Art. 13 Abs. 1 b) HKÜ unterbleibt die Anordnung der Rückführung bei dem Nachweis,
dass die Rückgabe mit der schwerwiegenden Gefahr eines körperlichen oder seelischen
Schadens für das Kind verbunden ist oder das Kind auf andere Weise in eine unzumutbare
Lage bringt. Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass das HKÜ grundsätzlich dem Ziel
dient, die Beteiligten von einem widerrechtlichen Verbringen des Kindes ins Ausland
abzuhalten und die Sorgerechtsentscheidung am Ort des früheren gewöhnlichen
Aufenthaltes des Kindes sicherzustellen. Die Berücksichtigung von zwangsläufig mit jeder
Rücküberstellung verbundenen Belastungen für das Kind im Rahmen der Folgenabwägung
würde diesem Schutz des Kindes widersprechen. Deshalb ist eine enge Auslegung von Art.
13 Satz 1 b) HKÜ geboten und können nur ungewöhnlich schwerwiegende
Beeinträchtigungen des Kindeswohls einer Rückgabe entgegenstehen (BVerfG, FamRZ
1999, 85, 87; Völker/Clausius, a.a.O., Rz. 114 f; Hoppenz/Hohloch, Familiensachen, 9.
Aufl., C.IV, Art. 13, Rz. 7). Solche liegen hier nicht vor. Soweit die Verfahrensbeiständin
geltend macht, dass im Streitfall die Voraussetzungen des Art. 13 Abs. 1 b) HKÜ erfüllt
seien, sieht der Senat durchaus die mit einer Rückführung zum jetzigen Zeitpunkt für das
Kind unabweisbar verbundenen Schwierigkeiten, vermag aber unter Abwägung aller
Umstände eine derart ungewöhnlich schwerwiegende Beeinträchtigung in dem bisherigen
Vorbringen, dass das – jetzt - 14 Monate alte Kind fast sein gesamtes bisheriges Leben im
Haushalt des Kindesvaters verbracht habe, demzufolge „auf ihn und die in die Betreuung
eingebundenen Familienangehörigen geprägt sei“, deswegen zu befürchten stehe, dass ein
abrupter Wechsel in der Betreuungsperson bei dem Kind psychische Schäden hervorrufen
könnte, da gerade im ersten Lebensjahr die Prägung eines Kindes stattfinde, die auch
wichtig für die Entwicklung des sog. Urvertrauens sei, und letztlich auch zu bedenken sei,
dass die Kindesmutter bisher überhaupt keine Erfahrungen im Umgang mit dem Kind und
seiner Pflege habe, nicht zu erkennen, zumal das für das Sorgerechtsverfahren in Belgien
zuständige Gericht nach Maßgabe der vorliegenden Entscheidungen ersichtlich keine
diesbezüglichen Bedenken hatte und davon auszugehen ist, dass dieser Frage unter
Ausschöpfung der im dort zu beachtenden rechtlichen Rahmen zu Gebote stehenden
Erkenntnismöglichkeiten nachgegangen wurde. Hinreichende Anhaltspunkte hierfür sind
auch im Übrigen nicht gehaltvoll dargetan oder ersichtlich, so dass der Senat – auch in
Anbetracht des Eilcharakters des vorliegenden Verfahrens (§ 38 IntFamRVG) - von
weiteren Ermittlungen in dieser Richtung Abstand genommen hat. Einen über die Zentrale
Behörde erbetenen Bericht zur sozialen Lage der Kindesmutter in Belgien hat der Senat
nicht mehr rechtzeitig zum Termin erhalten, was aus den nämlichen Erwägungen eine
Vertagung zwecks weiterer Aufklärung indes nicht gerechtfertigt erscheinen ließ.
Eine Versagung nach Art. 13 Abs. 2 HKÜ (dazu BVerfG, FamRZ 2006, 1261) kommt unter
den gegebenen Umständen nicht in Betracht.
Eine Kindesanhörung im Verfahren erschien im Hinblick auf das Alter und den Reifegrad des
zum Zeitpunkt der Beschwerdeverhandlung erst 14 Monate alten Kindes unangebracht
(Art 11 Abs. 2 Brüssel IIa-VO) und ließ keine zusätzlichen Erkenntnisse erwarten, so dass
der Senat hiervon abgesehen hat.
Der Hinweis auf die Möglichkeit der Anordnung von Ordnungsmitteln für den Fall der
Zuwiderhandlung gegen Ziffer 2) beruht auf §§ 14 Nr. 2 IntFamRVG i.V. mit § 89 Abs. 2
FamFG.
Die Anordnungen in Ziffer 4) der Entscheidungsformel folgen aus §§ 90 Abs. 1 Nr. 3, 92
Abs. 1 Satz 2 und auf § 91 FamFG.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 14 Nr. 2 IntFamRVG i.V. mit §§ 81 Abs. 1, 92 Abs. 2
FamFG, Art. 26 Abs. 4 HKÜ.
Gegen den Beschluss des Senats findet die Rechtsbeschwerde nicht statt (§ 40 Abs. 2
Satz 4 IntFamRVG).