Urteil des OLG Saarbrücken vom 02.10.2003

OLG Saarbrücken: treu und glauben, ausschluss, anpassung, nettoeinkommen, vaterschaft, unterhalt, nichtigkeit, sittenwidrigkeit, scheidungsverfahren, abfindung

OLG Saarbrücken Urteil vom 2.10.2003, 6 UF 22/03
Unterhaltsvereinbarung: Berufung auf den vertraglichen Ausschluss der Abänderbarkeit als
unzulässige Rechtsausübung
Leitsätze
Zu den Voraussetzungen, unter denen sich die Berufung auf den vertraglichen Ausschluss
der Abänderbarkeit einer Unterhaltsvereinbarung als unzulässige Rechtsausübung darstellt.
Tenor
Die Berufung gegen das am 4. Februar 2003 verkündete Urteil des Amtsgerichts -
Familiengericht - in Saarbrücken - 39 F 291/02 UE - wird auf Kosten des Klägers
zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.
Der am 1946 geborene, 57 Jahre alte Kläger und die am 1948 geborene, 55 Jahre alte
Beklagte haben am 27. April 1978 die - kinderlos gebliebene - Ehe geschlossen. Der Kläger
hat am 29. September 1985 einen auf Dauer angelegten beruflich bedingten
Auslandsaufenthalt in Peking angetreten. Seit diesem Zeitpunkt haben die Parteien
getrennt gelebt.
Die Beklagte hat mit Eingang im Februar 1988 beim Amtsgericht - Familiengericht - in
München - 871 F 568/88 - auf Ehescheidung angetragen. In der mündlichen Verhandlung
vor dem Familiengericht vom 28. April 1988 - der Kläger war für eine Woche aus Peking
angereist - haben die im Termin anwesenden und anwaltlich vertretenen Parteien auf der
Grundlage einer privatschriftlichen Scheidungsvereinbarung vom gleichen Tage einen
gerichtlichen Unterhaltsvergleich geschlossen, worin der Kläger sich (Ziffer 1) zur Zahlung
monatlichen "Ehegattenunterhalts" in Höhe von 1.200 DM - gekoppelt an den vom
Statistischen Bundesamt ermittelten Lebenshaltungsindex einer 4-Personen-
Arbeitnehmerfamilie mit mittlerem Einkommen (Ziffer 2) - an die Beklagte verpflichtet hat.
Das durchschnittliche monatliche Nettoeinkommen des Klägers hat zum damaligen
Zeitpunkt rund 7.000 DM betragen. Die Beklagte hat bei einem Verlag monatlich 2.200 DM
verdient. In Ziffer 3) haben die Parteien weiter folgendes vereinbart:
"Herr verzichtet auf jegliche Möglichkeit des Ausschlusses oder der Abänderung des
Unterhaltsanspruches von Frau nach § 323 ZPO. Eine Ausnahme hiervon bildet lediglich die
unter Ziff. 2 festgelegte Änderung nach dem Lebenshaltungskostenindex."
Das Familiengericht hat den Versorgungsausgleich abgetrennt und die Ehe durch Urteil vom
gleichen Tage - 871 F 568/88 - rechtskräftig geschieden.
Der Kläger ist seit 1992 wieder verheiratet. Aus der Ehe ist eine derzeit etwa zehn Jahre
alte Tochter hervorgegangen. Im Oktober 2001 ist er - nach rund 16 Jahren
Auslandsaufenthalt in Peking - dauerhaft nach zurückgekehrt. Sein derzeitiges monatliches
Nettoeinkommen gibt er mit 3.973 EUR an. Die Beklagte ist seit August 2002 nur noch
halbtags berufstätig. Die monatliche Unterhaltszahlung des Klägers hat zuletzt (1.450 DM
=) 741,37 EUR betragen.
Mit seiner am 14. Juni 2002 beim Amtsgericht - Familiengericht - in München
eingegangenen, der Beklagten am 1. August 2002 zugestellten Klage hat der Kläger die
Abänderung des Vergleiches dahin begehrt, dass er nicht mehr verpflichtet ist, der
Beklagten Unterhalt zu bezahlen. Die Beklagte hat erstinstanzlich auf Klageabweisung
angetragen.
Durch das angefochtene Urteil, auf das ergänzend Bezug genommen wird, hat das
Amtsgericht - Familiengericht - in Saarbrücken, an das die Sache auf Antrag des Klägers
mit Verfügung vom 16. Juli 2002 zuständigkeitshalber abgegeben worden ist, die Klage
abgewiesen.
Mit seiner hiergegen gerichteten Berufung verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches
Begehren - mit der Maßgabe, dass die Abänderung ab Rechtshängigkeit begehrt wird -
weiter. Die Beklagte bittet um Zurückweisung der Berufung. Sie verteidigt das
angefochtene Urteil.
II.
Die Berufung des Klägers ist zulässig, insbesondere fristgerecht (§ 517 ZPO) eingelegt, weil
die Berufungsschrift am 12. März 2003 fristwahrend - das angefochtene Urteil ist dem
Prozessbevollmächtigten des Klägers nach dem bei den Akten befindlichen
Empfangsbekenntnis am 12. Februar 2003 zugestellt worden - per Telefax beim
Saarländischen Oberlandesgericht eingegangen ist. Die Postulationsfähigkeit des
Prozessbevollmächtigten des Klägers nach § 78 Abs. 1 Satz 2 ZPO liegt ebenfalls vor.
In der Sache bleibt das Rechtsmittel ohne Erfolg. Denn die - zulässige - Abänderungsklage
ist nicht begründet.
Die Abänderung eines Prozessvergleiches erfolgt nicht nach Maßgabe des § 323 Abs. 1
ZPO, sondern nach § 313 BGB bzw. den aus § 242 BGB a.F. abgeleiteten Grundsätzen
über die Veränderung oder den Wegfall der Geschäftsgrundlage (BGH, FamRZ 2001,
1140, m.w.N.). Danach kann eine Anpassung verlangt werden, wenn sich die für den
Vergleichsabschluss maßgeblichen Verhältnisse so wesentlich geändert haben, dass es der
betreffenden Partei nach Treu und Glauben nicht länger zugemutet werden kann, an dem
Vergleich festgehalten zu werden. Ob eine solche Änderung eingetreten ist, richtet sich
nach dem Parteiwillen als dem Geltungsgrund des Vergleichs; ist in den danach
maßgebenden Verhältnissen seit Abschluss des Vergleichs eine Änderung eingetreten, so
muss die gebotene Anpassung der getroffenen Regelung an die veränderten Verhältnisse
nach Möglichkeit unter Wahrung des Parteiwillens und der ihm entsprechenden Grundlagen
erfolgen (BGH, a.a.O.). Im vorliegenden Fall ist dem Kläger aber die Berufung auf den
Wegfall oder die Änderung der Geschäftsgrundlage verwehrt, weil er - wie das
Familiengericht in dem angefochtenen Urteil ausgehend vom eindeutigen Wortlaut der
Vereinbarung zu Recht und insoweit unangegriffen angenommen hat - auf sein
Abänderungsrecht wegen geänderter Verhältnisse verzichtet hat.
Die gegen die Wirksamkeit dieser Vereinbarung gerichteten Berufungsangriffe können dem
Rechtsmittel nicht zum Erfolg verhelfen. Die vertragliche Modifikation der Abänderbarkeit
von Unterhaltsvereinbarungen - insbesondere wie hier zu Lasten des unterhaltspflichtigen
Klägers - unterliegt in den vom allgemeinen Vertragsrecht und den besonderen
familienrechtlichen Regelungen gezogenen Grenzen keinen grundsätzlichen rechtlichen
Bedenken (BGH, FamRZ 1983, 22, 24; FamRZ 1985, 161, 164), zumal ein etwa
unzulässiger Unterhaltsverzicht (dazu BGH, FamRZ 1984, 997, 999; FamRZ 1985, 788)
hiermit im vorliegenden Fall schon wegen § 1585 c BGB nicht verbunden war. Eine etwaige
Nichtigkeit dieser Vereinbarung wegen Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 1 und 2 BGB oder
eine Unwirksamkeit aus sonstigen Gründen hat das Familiengericht in dem angefochtenen
Urteil zu Recht und mit zutreffender Begründung, die nicht durch erhebliches
Berufungsvorbringen in Frage gestellt wird, verneint. Dem Familiengericht kann unter den
gegebenen Umständen insbesondere darin beigetreten werden, dass auf Seiten des
Klägers weder die Umstände der Mandatserteilung im Scheidungsverfahren noch die
behaupteten Beratungsdefizite seitens seines anwaltlichen Vertreters im Vorfeld des
Vergleichsabschlusses unter irgendeinem rechtlichen Gesichtspunkt geeignet sind, die
Nichtigkeit des Prozessvergleichs zu begründen, zumal die Beklagte in der Berufungsinstanz
unwidersprochen darauf verwiesen hat, dass man bereits vor Abschluss und
Protokollierung der Vereinbarung bei einem auf Wunsch des Klägers zustande
gekommenen Treffen in Berlin die gesamte Scheidungsangelegenheit besprochen habe,
der Kläger sich hierbei "bestens informiert" gezeigt habe und man sich nur nicht auf eine
von ihm angestrebte Abfindung ihrer Unterhaltsansprüche habe einigen können.
Auch stellt sich die Berufung auf den vertraglichen Ausschluss der Anpassung des
Unterhaltsanspruches an wesentlich geänderte Verhältnisse unter den gegebenen
Umständen nicht als unzulässige Rechtsausübung (§ 242 BGB) der Beklagten dar. Hierbei
gilt nämlich ein strenger Maßstab. Die Geltendmachung der Unabänderlichkeit verstößt
daher im Regelfall nur dann gegen Treu und Glauben, wenn die unveränderte
Weitererfüllung des Vertrages die eigene wirtschaftliche Existenz des Schuldners gefährden
würde und ihm auch unter Einsatz seines Vermögens und gegebenenfalls Anrechnung
eines eigenen Anspruches auf Familienunterhalt nicht mehr die Mittel verblieben, deren er
für den eigenen notdürftigen Unterhalt und den der nächsten auf ihn angewiesenen
Angehörigen bedarf (OLG Karlsruhe, FamRZ 1998, 1436, 1437; OLG Köln, FamRZ 1989,
637; Göppinger/Hoffmann, Unterhaltsrecht, 8. Aufl., Rz. 1355, m.w.N.). So liegt der Fall
hier aber nicht. Dass durch die unveränderte Weitererfüllung des titulierten
Unterhaltsanspruches der Beklagten die wirtschaftliche Existenz und Lebensmöglichkeit
des Klägers und seiner Familie gefährdet würde, ist bei seinen aktuellen
Einkommensverhältnissen - schon nach seinem eigenen Vorbringen - nicht ersichtlich und
wird mit der Berufung auch nicht schlüssig und substantiiert aufgezeigt. Unterhalb dieser
Schwelle bleibt ihm die Berufung auf eine etwaige Änderung der Verhältnisse unter den hier
gegebenen Umständen versagt (Göppinger/Hoffmann, a.a.O., m.w.N.).
Ohne Erfolg beruft der Kläger sich auch darauf, dass das Familiengericht bei seiner
Annahme, die Parteien hätten bei Abschluss der Vereinbarung an eine Wiederheirat oder
Vaterschaft des Klägers nicht gedacht, eine unzutreffende Tatsachenfeststellung getroffen
habe. Denn dies entspricht - worauf bereits die Beklagte zu Recht hingewiesen hat - dem
eigenen erstinstanzlichen Vorbringen des Klägers (Schriftsatz vom 2. September 2002).
Dass die Abänderbarkeit bei Wiederheirat oder Vaterschaft des Klägers nach dem
übereinstimmenden oder jedenfalls dem für die Beklagte erkennbaren einseitigen
Geschäftswillen des Klägers von dem vereinbarten Abänderungsausschluss ausgenommen
sein sollte, wird im Übrigen mit der Berufung nicht aufgezeigt und ist auch sonst nicht
ersichtlich, zumal derartige Veränderungen im Regelfall allein seinem Risikobereich
zugehörig sind.
Nach alldem hat das angefochtene Urteil Bestand.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1 sowie 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung
hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung
eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erfordern (§ 543 Abs. 2 Satz 1 i.V. mit Abs.
1 ZPO).