Urteil des OLG Saarbrücken vom 27.10.2004

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OLG Saarbrücken Urteil vom 27.10.2004, 5 U 158/04 - 33
Verkehrsunfall: Verjährungsunterbrechende Wirkung der Streitverkündung im
Schadensersatzprozess
Leitsätze
Die Streitverkündung des Geschädigten dem Schädiger gegenüber an einem von ihm
gegen seinen Kaskoversicherer geführten Rechtsstreit ist unwirksam und unterbricht die
Verjährung nicht.
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom
25.2.2004 – 12 O 94/03 - wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
5. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 6.749,05 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Kläger begehrt mit seiner am 20.3.2003 eingereichten Klage von der Beklagten
Schadensersatz aufgrund eines Verkehrsunfalls.
Die Beklagte verursachte am ....1999 gegen 15.50 Uhr mit dem Pkw Opel Corsa, amtl.
Kennzeichen …, dessen Halter der Kläger ist, auf der BAB … in Fahrtrichtung Dreieck …
einen Unfall, indem sie bei Regen und einer Geschwindigkeit von wenigstens 80 km/h ins
Schleudern geriet und sodann frontal auf die Leitplanke prallte, sich ein bis zweimal drehte
und dann zum Stehen kam. Das Fahrzeug erlitt einen Totalschaden.
Zum Zeitpunkt des Verkehrsunfalls waren die Hinterreifen des verunfallten Fahrzeugs
vollständig abgefahren, was unstreitig wenigstens mitunfallursächlich war.
Das Fahrzeug hatte der Kläger seinem Sohn, dem Zeugen S., vollständig überlassen und
sich nicht mehr um das Fahrzeug gekümmert. Ein bis zwei Monate vor dem Unfall hatte
der Zeuge S. sodann das Fahrzeug mit demjenigen der Beklagten, seiner damaligen
Lebensgefährtin getauscht.
Der Kläger, der behauptet hat, der Eigentümer des verunfallten Fahrzeugs zu sein, hatte
zunächst Klage gegen die eigene Kaskoversicherung auf Schadensersatz erhoben und in
diesem Verfahren der Beklagten mit Schriftsatz vom 16.8.2002 den Streit verkündet. Die
gegen die Kaskoversicherung erhobene Klage ist wegen Leistungsfreiheit der
Kaskoversicherung aufgrund einer eingetretenen Gefahrerhöhung abgewiesen worden (5 U
261/02-25), das Urteil ist rechtskräftig.
Der Kläger hat behauptet, dass die Beklagte von dem Zeugen S. beauftragt gewesen sei,
die Reifen an dem Fahrzeug zu wechseln. Dieser habe am 27.9.1999 davon Kenntnis
erlangt, dass die Reifen abgefahren seien. Am nächsten Tag habe er die Reifen bei dem
Reifenhändler, dem Zeugen S1, bestellt, dort hätten die Reifen am 9.1999 montiert
werden sollen, auf dem Weg zum Reifenhändler sei es zu dem Unfall gekommen. Da der
Beklagten mithin der schlechte Zustand der Reifen bekannt gewesen sei, hafte sie wegen
grober Fahrlässigkeit, da sie in Anbetracht der Witterungsverhältnisse viel zu schnell
gefahren sei.
Der Kläger hat weiter behauptet, dass an seinem Fahrzeug ein Sachschaden entstanden
sei, den er nach Abzug des Restwertes mit 13.200 DM, mithin 6.749,05 EUR beziffert.
Dem ist die Beklagte entgegengetreten.
Sie hat behauptet, dass ihr der schlechte Zustand der Reifen nicht bekannt gewesen sei.
Die Beklagte hat weiter behauptet, dass sie sich auf dem Heimweg befunden habe, als der
Unfall passiert sei, sie sei nicht beauftragt gewesen, das Fahrzeug zu einer Reifenmontage
zu verbringen. Vielmehr habe ihr der Zeuge S. nach dem Unfall erzählt, dass er den Unfall
habe kommen sehen, da er sich zwei Wochen vor dem Unfall selbst auf regennasser
Fahrbahn mit dem Fahrzeug gedreht habe. Hier habe er auch gesagt, dass er die glatten
Reifen von vorne nach hinten montiert habe. Da der Kläger dem Zeugen S. die Bewachung
des Fahrzeugstandes übertragen habe, hätte dieser ihr das Fahrzeug nicht überlassen
dürfen.
Schließlich, so die Beklagte, sei die Forderung verjährt, da die Voraussetzungen der
Streitverkündung nicht vorlägen.
Das Landgericht hat die Klage nach durchgeführter Beweisaufnahme abgewiesen, da die
Klageforderung entweder verjährt sei, da ein Leihverhältnis vorliege und hier die kurze
Verjährungsfrist des § 606 BGB greife oder jedenfalls die Beklagte nicht grob fahrlässig den
Unfall verursacht habe und im Rahmen eines Gefälligkeitsverhältnisses ein stillschweigender
Haftungsverzicht wegen leichter Fahrlässigkeit vereinbart worden sei.
Der Kläger wendet sich sowohl gegen die rechtliche Einordnung des Streitfalles als
Leihverhältnis als auch gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts und rügt
insbesondere, dass das Gericht den Zeugen S. für nicht glaubwürdig erachtet hat. Darüber
hinaus habe das Landgericht nicht beachtet, dass die Beklagte als Fahrzeugführerin
verpflichtet gewesen sei, sich vor Antritt der Fahrt über den Zustand der Reifen zu
vergewissern.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Saarbrücken vom
25.2.2004 - 12 O 94/03 die Beklagte zu verurteilen, an ihn einen
Betrag von 6.749,05 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5% Punkten
über dem Basiszinssatz seit dem 29.4.2003 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers kostenpflichtig zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil.
II.
Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.
Im Ergebnis zu Recht hat das Landgericht ausgeführt, dass der Kläger keinen
Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte aufgrund des Unfalls vom ...1999 hat.
Es kann dahinstehen, ob der Kläger, vertreten durch seinen Sohn, einen Leihvertrag mit
der Beklagten über den verunfallten Pkw abgeschlossen hat oder ob es sich um ein bloßes
Gefälligkeitsverhältnis ohne Rechtsbindungswillen gehandelt hat.
Denn ein Anspruch des Klägers als Eigentümer – von der Eigentümerstellung des Klägers
ist aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme auszugehen – auf Schadensersatz
entweder aus positiver Verletzung eines Leihvertrages (§ 598 BGB) oder aus unerlaubter
Handlung (§ 823 Abs. 1 BGB) ist jedenfalls verjährt.
Bei Bestehen eines zwischen dem Kläger und der Beklagten - gegebenenfalls durch den
Sohn des Klägers vermittelten - Leihvertrages verjähren nach § 606 Satz 1 BGB die
Ersatzansprüche des Verleihers wegen Veränderungen oder Verschlechterungen der
verliehenen Sache in sechs Monaten. § 606 BGB ist hier grundsätzlich anwendbar, da trotz
des wirtschaftlichen Totalschadens nicht von einer vollständigen Zerstörung der Sache
auszugehen ist, das verunfallte Fahrzeug kann und wurde von der Beklagten
zurückgegeben und es ist ein Restwert erzielbar (allg. Meinung, vgl. nur OLG Oldenburg,
MDR 1982, 492; OLG Köln, NJW 1997, 1157 m.w.N.).
§ 606 Satz 1 BGB ist auf Ansprüche anwendbar, die auf einem Leihvertrag beruhen, mithin
auch für solche aus positiver Vertragsverletzung sowie für konkurrierende Deliktsansprüche
(BGHZ 47, 53; Palandt-Putzo, a.a.O., § 606, Rdn. 3). Da sich der Unfall am 9.1999
ereignete, die Streitverkündung jedoch erst zum 19.8.2002 erklärt wurde, sind etwaige
Ansprüche aus positiver Vertragsverletzung eines Leihvertrag unabhängig von der Frage,
ob hier eine wirksame Streitverkündung erklärt werden konnte, bereits verjährt.
Aber auch ein etwaiger Anspruch des Klägers gegen die Beklagte aus unerlaubter Handlung
(§ 823 Abs. 1 BGB) bei Fehlen einer vertraglichen Bindung der Parteien ist verjährt.
Insoweit kann dahinstehen, ob der Rechtsprechung zu folgen ist, dass bei Vorliegen eines
reinen Gefälligkeitsverhältnisses Ansprüche wegen Beschädigung einer überlassenen Sache
nicht in entsprechender Anwendung von § 606 BGB verjähren sollen (OLG Düsseldorf DAR
1974, 157; OLG Köln NJW 1997, 20; OLG Karlsruhe OLGR 2003, 270; a.A. LG Paderborn
zfs 1997, 447), obwohl die verjährungsrechtliche Interessenlage bei einer
Rechtsbindungswillen erfolgenden Nutzungsüberlassung kaum anders zu beurteilen ist als
bei einer solchen, die lediglich gefälligkeitshalber erfolgt.
Ein Anspruch aus einer unerlaubter Handlung verjährt nach § 852 Abs. 1 BGB a.F. –
welcher hier nach Art. 229 § 6 Abs. 1 EGBGB anzuwenden ist - in drei Jahren von dem
Zeitpunkt an, in welchem der Verletzte von dem Schaden und der Person des
Ersatzpflichtigen Kenntnis erlangt.
Kenntnis von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen, der Beklagten, hatte der
Kläger unmittelbar nach dem Unfall am ...1999 oder jedenfalls nicht unerheblich später,
wie sich aus dem Gutachten über das verunfallte Fahrzeug vom 1.10.1999 ergibt, so dass
der Anspruch um den 29.9.2002 verjährte. Die Klageerhebung gegen die Beklagte mit der
Klageschrift vom 20.3.2003 konnte daher bei einer bereits eingetretenen Verjährung die
Verjährung des Anspruchs nicht mehr unterbrechen.
Eine vorherige Unterbrechung der Verjährung ist nicht durch die mit Schriftsatz vom
14.8.2002 erklärte Streitverkündung im Prozess des Klägers gegen die Kaskoversicherung
(12 O 34/00 = 5 U 261/02-25) eingetreten.
Zwar unterbricht nach § 209 Nr. 4 BGB a.F. die Streitverkündung in dem Prozess, von
dessen Ausgang der Anspruch abhängt, die Verjährung. Die mit Schriftsatz vom 16.8.2002
erklärte Streitverkündung ist jedoch nicht wirksam.
Denn nur eine zulässige Streitverkündung löst materiell- und prozessrechtliche Wirkungen
aus, wobei die Frage nach der Zulässigkeit der Streitverkündung erst im "Folgeprozess" zu
prüfen ist.
Nach § 72 Abs. 2 ZPO ist eine Streitverkündung zulässig, wenn eine Partei, hier der Kläger,
für den Fall des ihr ungünstigen Ausganges des Rechtsstreits einen Anspruch auf
Gewährleistung oder Schadloshaltung gegen einen Dritten zu haben glaubt. Der Kläger
glaubte aber nicht, für den Fall eines ihm ungünstigen Ausgangs des gegen seinen
Fahrzeugversicherer geführten Rechtsstreits einen Anspruch gegen die Beklagte zu haben;
vielmehr berühmte er sich von Anfang an, sowohl einen - im Vorprozess erhobenen -
Anspruch auf Zahlung einer Kaskoentschädigung als auch einen Anspruch aus unerlaubter
Handlung gegen die Beklagte zu haben, der für den Fall eines Erfolges im Vorprozess
möglicherweise nach § 67 VVG auf seinen Fahrzeugversicherer übergegangen wäre. Dem
Wortlaut des § 72 ZPO nach war die von dem Kläger vorgenommene Streitverkündung
also nicht wirksam.
Bei Anwendung des § 72 VVG ist allerdings eine weite Auslegung zulässig und geboten
(BGHZ 116, 100). Sinn und Zweck des Instituts der Streitverkündung ist es zu verhindern,
dass eine Partei - und sei es auch nur in Bezug auf Teile des von ihr geltend gemachten
Anspruchs - sowohl einen von ihr gegen einen ersten vermeintlichen Schuldner geführten
Rechtsstreit und die in ihm gesicherten Verhandlungs- und Beweisergebnisse verliert, weil
sich nach Auffassung des erkennenden Gerichts erweist, dass nicht er sondern ein anderer
ihr verpflichtet ist, und sie sodann auch in einem gegen diesen anderen, zweiten Schuldner
geführten Rechtsstreit unterliegt, weil das dort erkennende Gericht zu einer insoweit
gegenteiligen Überzeugung gelangt (vgl. u.a. Wieczorek/Schütze/Mansel, ZPO, 3. Aufl., §
72 Rdn. 53). Daher ist der typische Anwendungsbereich einer zulässigen Streitverkündung
die „alternative“ Schuldnerschaft.
Eine Streitverkündung ist dagegen hinsichtlich solcher Ansprüche unzulässig, die von
vornherein sowohl gegenüber der Beklagten des Vorprozesses als auch gegenüber dem
Dritten geltend gemacht werden können, für die also aus der Sicht des Streitverkünders zu
dem Zeitpunkt der Streitverkündung eine gesamtschuldnerische (BGH NJW 1987, 1894;
OLG Hamm, NJW-RR 1986, 1505; OLG Saarbrücken, VersR 2000, 989) oder von
vornherein eine gemeinsame Haftung besteht (BGHZ 65, 131).
Wenn dem Streitverkündungsgegner gerade vorgeworfen wird, für den Schaden
gemeinsam – vor allem im Fall der gesamtschuldnerischen Haftung – verantwortlich zu sein
oder – wie hier – praktisch zwangsläufig im Anschluss von der Kaskoversicherung in
Anspruch genommen zu werden, könnte er dem Vortrag des Streitverkünders nur
entgegentreten und den ihm gemachten Vorwurf der Sache nach abstreiten. Das dürfte er
als Streithelfer aber nicht (BGH, Urt. v. 6.5.1982 – VII ZR 172/81, BauR 1982, 514); dem
Streitverkündeten bliebe in einem solchen Fall also für eine Unterstützung des
Streitverkünders, zu der er mit der Streitverkündung aufgerufen wird (§§ 67, 74 Abs. 1
ZPO), kein Raum.
Das gilt auch hier, da von Anfang an und auch im Zeitpunkt der Streitverkündung der
Kläger seinen Schaden sowohl gegenüber der Kaskoversicherung als auch der Beklagten
hätte geltend machen können.
Auch eine ausnahmsweise zulässige Streitverkündung im Fall grundsätzlich kumulativer
Haftung liegt nicht vor. Nach der Rechtsprechung des BGH (BGHZ 70, 187) ist eine
Streitverkündung zulässig, wenn im Zeitpunkt der Streitverkündung die Möglichkeit
besteht, dass eine kumulative Haftung vorliegt, jedoch die Haftung eines von mehreren
Gesamtschuldnern begrenzt ist, weil dieser dem Berechtigten ein Mitverschulden nach §
254 BGB entgegenhalten kann, wo aber in Höhe des Ausfalls die unbeschränkte Haftung
des anderen Gesamtschuldners zum Zuge kommt. Insoweit jedenfalls, als eine
Haftungsbegrenzung eines Gesamtschuldners in Betracht kommt, handelt es sich um eine
alternative Haftung.
Auch bei dieser Fallgestaltung ist aber entscheidend, dass derjenige, dessen Haftung
möglicherweise unbegrenzt gegenüber demjenigen, welcher nur begrenzt haftet, ein
Interesse an einer – ebenfalls - unbegrenzten Haftung des anderen Teils hat, so dass er
auch als Streithelfer auftreten könnte, da er ein rechtliches Interesse daran hat, dass der
Geschädigte voll obsiegt. Ein solches Interesse ist jedoch auf den zu entscheidenden Fall
nicht übertragbar, da ein rechtliches Interesse der Beklagten, im Vorprozess dem Kläger
als Streithelferin beizutreten, nicht ersichtlich ist. Denn ihre Inanspruchnahme ist
vollkommen unabhängig vom Ausgang des Vorprozesses; verliert der Kläger diesen, geht
er spätestens dann gegen die Beklagte – wie hier – vor, gewinnt er diesen, wird in der
Regel der Kaskoversicherer gegen die Beklagte als Schädigerin vorgehen, da die Ansprüche
des Klägers gegen sie auf den Kaskoversicherer nach § 67 VVG übergehen. Mithin handelt
es sich nicht um einen der Streitverkündung zugänglichen Fall einer grundsätzlich
alternativen Haftung.
Dies gilt auch, wenn der Versicherungsnehmer eine Versicherung mit Selbstbeteiligung
abgeschlossen hat. In diesem Fall erhielte er auch im Falle einer vollumfänglichen
Einstandspflicht des Versicherers lediglich einen Teilbetrag seines Schadens erstattet, die
von ihm zu tragende Selbstbeteiligung müsste der Kläger in einem weiteren Prozess gegen
den Schädiger einklagen. Auch hier handelt es sich nicht um eine alternative Haftung, da
dem Versicherungsnehmer und Geschädigten von vornherein in Höhe der Selbstbeteiligung
nur der Schädiger haftet.
Da die Streitverkündung somit unzulässig war, lag eine Unterbrechung der Verjährung nach
§ 209 Nr. 4 BGB nicht vor.
Der Anspruch des Klägers gegen die Beklagte ist somit verjährt.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 97 ZPO, diejenige über die vorläufige
Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat.