Urteil des OLG Saarbrücken vom 17.08.2006

OLG Saarbrücken: gebühr, ermessen, beiladung, gemeinschaftsrecht, mitbewerber, spezialisierung, hauptsache, erfüllung, anmerkung, vergütung

OLG Saarbrücken Beschluß vom 17.8.2006, 1 Verg 2/06
Rechtsanwaltsgebühr im Vergabeverfahren: 2,0-Geschäftsgebühr für Verfahren vor der
Vergabekammer
Leitsätze
Im Verfahren vor der Vergabekammer, kann der beauftragte Rechtsanwalt im Regelfall
nach § 14 Abs. 1 RVG i.V.m. VV Nr. 2400 die 2,0-fache Geschäftsgebühr ansetzen.
Tenor
I. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird – unter Zurückweisung des
weitergehenden Rechtsmittels – der Kostenfestsetzungsbeschluss der 1. Vergabekammer
des Saarlandes beim Ministerium für Wirtschaft und Arbeit vom 28. April 2006/11. Mai
2006 – Az.: 1 VK 06/2005 – dahin abgeändert, dass die der Antragstellerin von der
Antragsgegnerin zu erstattenden Kosten – über die bereits festgesetzten Kosten i.H.v.
755,80 EUR hinaus – auf weitere 396,20 EUR festgesetzt werden.
Im Übrigen wird der Kostenfestsetzungsantrag der Antragstellerin zurückgewiesen.
II. Von den Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Antragstellerin 12 % und die
Antragsgegnerin 88 %.
452,80 EUR
Gründe
I.
Die Antragstellerin, die im Nachprüfungsverfahren obsiegt hat, wendet sich mit ihrer
sofortigen Beschwerde gegen die Kostenfestsetzung der Vergabekammer, die die von der
Antragsgegnerin zu erstattenden Auslagen der Antragstellerin auf 755,80 EUR festgesetzt
hat. Sie erstrebt die Festsetzung weiterer 452,80 EUR an Anwaltskosten für das Verfahren
vor der Vergabekammer auf der Grundlage einer 2,1-fachen Geschäftsgebühr.
II.
1. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig. Der
Kostenfestsetzungsbeschluss der 1.Vergabekammer des Saarlandes vom 28. April 2006
stellt eine selbständig anfechtbare Entscheidung dar, gegen die das Rechtsmittel der
sofortigen Beschwerde gem. den §§ 116 ff. GWB zum Vergabesenat gegeben ist. Auch die
übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen der sofortigen Beschwerde liegen vor, insbesondere
ist das Rechtsmittel form- und fristgerecht eingelegt.
Der Senat entscheidet hierüber mit dem erklärten Einverständnis der Verfahrensbeteiligten
im schriftlichen Verfahren (§§ 120 Abs.1, 69 Abs. 1 GWB). Hiervon abgesehen kann über
Beschwerden gegen Nebenentscheidungen der Vergabekammern wie Entscheidungen über
die Kosten und die Auslagen, selbst wenn sie isoliert getroffen werden, generell ohne
mündliche Verhandlung entschieden werden (OLG Düss. NZBau 2001, 165,166; BayObLG
NZBau 2000/99; Senat Beschluss vom 26.9.2005, 1 Verg 2/05).
2. Das Rechtsmittel ist auch überwiegend begründet.
Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin über die von der Vergabekammer
festgesetzten Kosten von 755,80 EUR hinaus weitere 396,20 EUR , mithin insgesamt
1152 EUR zu erstatten.
Die Vergabekammer hat der Gebührenberechnung zutreffend einen Gegenstandswert des
Verfahrens vor der Vergabekammer in entsprechender Anwendung des § 50 Abs. 2 GKG in
Höhe von 5 % der Bruttoauftragssumme zugrundegelegt (OLG Düss. Beschluss vom
17.1.2006 Verg 29/05; Senat Beschluss vom 29.9.2005, Verg 2/05). Demnach
bemessen sich die festzusetzenden Kosten des beauftragten Rechtsanwaltes der
Antragstellerin vorliegend auf der Grundlage eines Gegenstandswerts von 13.572 EUR. Die
Vergütung des beauftragten Rechtsanwaltes bestimmt sich, da der Auftrag nach dem
30.6.2004 erteilt wurde, nach neuem Recht (vgl. § 61 Abs. 1 RVG) und wird hiernach als
außergerichtliche Vertretung mit maximal einer 2,5 Geschäftsgebühr abgegolten (RVG Nr.
2400 VV). Da es sich um eine Rahmengebühr handelt, gilt § 14 Abs. 1 RVG, wonach der
Rechtsanwalt die Gebühr nach billigem Ermessen bestimmt. Dabei ist ungeachtet der in
Nr. 2400 VV enthaltenen Kappungsgrenze die dem billigen Ermessen entsprechende
Gebühr zunächst gem. § 14 Abs. 1 RVG nach allen Umständen des Einzelfalls aus dem
vollen Gebührensatzrahmen zu ermitteln. Liegt die so bestimmte Gebühr über dem 1,3-
fachen Gebührensatz, kann der Anwalt die höhere Gebühr fordern, wenn die Tätigkeit im
Sinne der Anmerkung zu Nr. 2400 VV „umfangreich oder schwierig“ war (vgl. Otto NJW
2004, 1420; Rojahn, Vergabe R 2004, 454, 456; Schneider, IBR 2004, 725; abw.:
Diemer/Maier NZ Bau 2004, 526; Braun, Gebührenberechnung nach dem neuen RVG,
2004 S. 62). Dabei genügt die Erfüllung einer der beiden Kriterien. War die Tätigkeit weder
umfangreich noch schwierig, so kann der Rechtsanwalt keine Gebühr von mehr als 1,3
fordern, das heißt die Höhe der Gebühr ist auf die Höhe der Schwellengebühr begrenzt.
Im Allgemeinen sind Vergabenachprüfungsverfahren allerdings „umfangreich oder
schwierig“, so dass die Kappungsgrenze gem. Nr. 2400 nur eher selten eine Rolle spielt
(OlG Düss Beschluss vom 22.07.2005 VII-Verg 83/04; BayObLG, Beschluss vom
16.02.2005,Verg 028/04; Rojahn, VergabeR 2004,454). Das nationale Vergaberecht stellt
eine komplexe, von Gemeinschaftsrecht überlagerte Rechtsmaterie dar, die zudem zur
Zeit einer sehr dynamischen Entwicklung unterliegt. Ungeachtet einer Beiladung anderer
Bieter oder Bewerber durch die Vergabekammer sind in einem Nachprüfungsverfahren von
Beginn an die Interessen der Mitbewerber und deren Angebote betroffen und ist deren
tatsächliche und rechtliche Argumentation von den Verfahrensbeteiligten zu
berücksichtigen. Besondere Schwierigkeiten treten bei der Klärung des Sachverhaltes auf,
weil ein Geheimwettbewerb stattfindet und fremde Geschäftsgeheimnisse gewahrt
werden müssen Dennoch ist in der Regel umfangreich und umfassend (vgl. § 113 Abs. 2
GWB) sowie stets unter einem erheblichen Zeitdruck vorzutragen. Im Regelfall erscheint es
daher im Sinne von § 14 Abs. 1 RVG nicht unbillig, wenn der Rechtsanwalt für seine
Tätigkeit im Verfahren vor der Vergabekammer mit mündlicher Verhandlung eine 2,0-fache
Geschäftsgebühr ansetzt. Andererseits bedarf die volle Ausschöpfung des nach Nr. 2400
VV eröffneten Gebührenrahmens der näheren Begründung, die im Streitfall weder durch
das Vorbringen der Antragstellerin noch durch den Akteninhalt nahe gelegt ist. Die volle
Ausschöpfung des Gebührensatzrahmens oder – wie vorliegend – eine über den Satz von
2,0 hinausgehende Festlegung setzt besondere Anforderungen an die anwaltliche Tätigkeit
voraus, die allein mit der Mehrbeanspruchung durch eine mündliche Verhandlung noch nicht
gegeben ist. Als Gründe reichen auch nicht eine anwaltliche Spezialisierung auf das
Vergaberecht oder das Prestige des Beschaffungsvorhabens aus. Die hier vertretene
Auffassung erkennt an, dass im Vergabenachprüfungsverfahren mit mündlicher
Verhandlung regelmäßig eine Gebühr angemessen ist, die erheblich über der
Kappungsgrenze von 1,3 liegt, berücksichtigt aber dennoch eine Differenzierung im
Einzelfall zwischen mehr oder minder schwierigen Nachprüfungsverfahren. Ein über den 2-
fachen Gebührensatz hinausgehender Satz setzt allerdings besondere Anforderungen an
die anwaltliche Tätigkeit voraus, die allein mit der Mehrbeanspruchung durch eine
mündliche Verhandlung noch nicht gegeben sind.
Die von der Antragstellerin zu beanspruchenden Gebühren berechnen sich daher insgesamt
wie folgt:
Gegenstandswert: 13.572 EUR
Geschäftsgebühr 2,0-fach =
1132 EUR
Auslagenpauschale, § 2 RVG i.V.m. Nr. 7002 VV RVG 20 EUR
1152 EUR
Die zu erstattenden Kosten waren daher i.H. eines weiteren Betrages von 396,2 EUR
(1152 EUR - 755,80 EUR) festzusetzen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 92 Abs. 1 ZPO
(zur analogen Anwendung der §§ 91 ff.ZPO vgl. BGHZ 146,202,217). Der Geschäftswert
des Beschwerdeverfahrens bestimmt sich nicht nach § 50 Abs. 2 GKG, da Gegenstand der
Beschwerde keine Entscheidung der Vergabekammer in der Hauptsache ist. Entsprechend
den Grundsätzen des § 3 ZPO ist auf das Kosteninteresse der Beschwerdeführerin
abzustellen, mithin auf die Höhe der begehrten Mehrfestsetzung.