Urteil des OLG Oldenburg vom 15.02.2007

OLG Oldenburg: verleitung zum vertragsbruch, handelsvertreter, abwerbung, wein, lebensmittel, weiterverkauf, behinderung, wettbewerbsrecht, bestimmtheit, verkehr

Gericht:
OLG Oldenburg, 01. Zivilsenat
Typ, AZ:
Urteil, 1 U 97/06
Datum:
15.02.2007
Sachgebiet:
Normen:
UWG § 4 Nr 10, ZPO § 938
Leitsatz:
1. Auch die gezielt und planmäßig betriebene Abwerbung des bei einem Konkurrenten vertraglich
gebundenen Mitarbeiters erfüllt nicht ohne weiteres des Tatbestand der unzulässigen Behinderung
i.S.d. § 4 Nr. 10 UWG.
2. Das Verleiten zum Vertragsbruch kann nur dann als unzulässige Behinderung eines Konkurrenten
gewertet werden, wenn er eine spezifische und wettbewerbswidrige Eigenart aufweist, die im
Wertungszusammenhang der Regelbeispiele unlauteren Wettbewerbs der §§ 4 und 5 UWG einen
Gleichklang mit den gesetzlichen Tatbeständen aufweist.
3. Gegenüber einem Konkurrenten wird die Grenze zu einem nicht mehr lauteren Verhalten nach den
grundlegenden Wertungen der §§ 4 und 5 UWG erst überschritten, wenn nicht mehr der eigenen
Wettbewerbsvorteil, sondern die Schädigung des Konkurrenten im Vordergrund steht.
Volltext:
OBERLANDESGERICHT OLDENBURG
Im Namen des Volkes
Urteil
1 U 97/06
15 O 478/06 Landgericht Osnabrück Verkündet am 15. Februar 2007
…, JAe. als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In dem einstweiligen Verfügungsverfahren
E... GmbH & Co. KG, vertreten durch die Komplementärin, E... Verwaltungsgesellschaft mbH, diese vertreten durch
die Geschäftsführer Dr. H... und Z...,
Verfügungsklägerin, Berufungsklägerin und Berufungsbeklagte,
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte …
gegen
T... GmbH, vertreten durch den Geschäftsführer M...,
Verfügungsbeklagte, Berufungsbeklagte und Berufungsführerin,
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte …,
hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts …, den
Richter am Oberlandesgericht … und den Richter am Oberlandesgericht … auf die mündliche Verhandlung vom 25.
Januar 2007 für Recht erkannt:
Auf die Berufungen beider Parteien wird das Urteil der 15. Zivilkamme – 3. Kammer für Handelssachen – des
Landgerichts Osnabrück vom 06.10.2006 unter Zurückweisung der weitergehenden Rechtsmittel teilweise geändert.
Der Verfügungsbeschluss des Landgerichts vom 08.08.2006 wird nach Maßgabe nachstehender Fassung des
Tenors aufrechterhalten. im Übrigen wird der Verfügungsbeschluss aufgehoben und der Verfügungsantrag
zurückgewiesen.
Der Verfügungsbeklagten wird untersagt, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs Handelsvertretern
der Antragstellerin Lebensmittel wie z.B. Wein zum Weiterverkauf an Endverbraucher durch schriftliche und / oder
mündliche Ansprache, wie insbesondere durch das im Tenor des landgerichtlichen Urteils zitierte Schreiben vom
13.06.2006 in Verbindung mit weiteren nachfolgenden diesbezüglichen persönlichen Kontaktaufnahmen, bei denen
weiter, namentlich durch die Zusage ergänzender Unterstützung bei der Verheimlichung des Geschäfts, auf den
Handelvertreter eingewirkt wird, anzubieten und / oder ihnen die so angebotenen Lebensmittel zu verkaufen.
Die Kosten des Rechtsstreits haben zu ¾ die Verfügungsbeklagte und zu ¼ die Verfügungsklägerin zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe:
I.
Die deutschlandweit tätige Verfügungsklägerin ist nach der B... GmbH & Co KG größte Direktvermarkterin von
Tiefkühlkost und sog. „ConvenienceProdukten“. Die Verfügungsbeklagte ist auf demselben Markt tätig und möchte
mehr Marktanteile erlangen. Die Verfügungsklägerin geht davon aus, dass die Verfügungsbeklagte seit einiger Zeit
damit befasst ist, einen wettbewerbswidrigen „Großangriff“ gegen die Verfügungsklägerin zu unternehmen. Denn die
Verfügungsbeklagte versuche, die von der Verfügungsklägerin sorgfältig und aufwändig ausgebildeten Mitarbeiter,
insbesondere die mit ihr als selbständige Handelvertreter verbundenen und einem vertraglich vereinbarten
Konkurrenz bzw. Wettbewerbsverbot unterliegenden „Vertriebskräfte“ mit unlauteren Mitteln abzuwerben und sich
dadurch kostengünstig deren MarketingKnowHow zu verschaffen. Dieser Vorwurf einer umfassend angelegten,
unzulässigen Marktverdrängungsstrategie ist Gegenstand des seit März 2005 anhängigen und derzeit noch nicht
abgeschlossenen Hauptsacheverfahrens 15 O 154/05 LG Osnabrück.
Der hier zu entscheidende Streitfall betrifft gegenständlich beschränkte Einzelaktionen der Verfügungsbeklagten
gegenüber dem im Direktvertrieb der Verfügungsklägerin tätigen Handelsvertreter S... im Juni/Juli 2006. Auslöser
und Grundlage für den Verfügungsantrag war das im Tenor des angefochtenen Urteils zitierte Schreiben der
Verfügungsbeklagten vom 13.06.2006 an Herrn S.... Zu den damaligen Vorgängen hat die Verfügungsklägerin
folgenden Sachverhalt glaubhaft gemacht:
Dem vorgenannten Schreiben ging ein Anruf auf dem Mobiltelefon S...s durch die früher bei der Verfügungsklägerin
tätig gewesene Kundenbetreuerin Bettina L... der Verfügungsbeklagten voraus. Diese berichtete von einer
Werbaktion und kündigte die Übersendung eines „kleinen Überraschungspakets“ an. Das Paket kam einige Tage
später an und enthielt neben dem Schreiben eine Flasche Wein, einen Produktkatalog und zwei aktuelle
Monatsprospekte der Verfügungsbeklagten. Danach rief Frau L... noch einmal bei Herrn S... an und vereinbarte ein
persönliches Treffen in dessen Wohnung. Dieses Treffen fand am Abend des 05.07.2006 statt. Frau L... pries die
Produkte der Verfügungsbeklagten und bot die Übersendung eines Musterpakets an. Als Herr S... Interesse an einer
Bestellung von 50 Kisten des angebotenen Weins zeigte, wies Frau L... darauf hin, dass er aufpassen müsse, weil
es sich um nicht im Sortiment der Verfügungsklägerin befindliche Ware handele. Wie versprochen rief Frau L... am
Folgetag bei Herrn Snjairic an und sagte die Übersendung von 50 Kisten Wein zu. Der Wein wurde
vereinbarungsgemäß neutral verpackt geliefert.
Die Verfügungsklägerin hat in diesen Vorgängen einen wettbewerbswidrigen Versuch der Abwerbung und
Beeinflussung des Herrn S... gesehen. Auf ihren Antrag hat das Landgericht der Verfügungsbeklagten mit
Beschlussverfügung vom 08.08.2006 untersagt,
„im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs Handelsvertretern der Antragstellerin Lebensmittel wie
z.B. Wein zum Weiterverkauf an Endverbraucher anzubieten und / oder zu verkaufen, insbesondere wenn dies
geschieht mit dem folgenden (nachstehend dargestellten) Schreiben“
Auf den Widerspruch der Verfügungsbeklagten hat das Landgericht den vorstehenden Beschluss mit dem hiermit
wegen weiterer Einzelheiten in Bezug genommenen Urteil teilweise geändert.
Das Landgericht hat das Verbot in Bezug auf das Anbieten der Lebensmittel zum Weiterverkauf unter dem
Gesichtspunkt unlauterer Verleitung zum Vertragsbruch, nämlich einem handelsvertretervertraglich untersagten
Wettbewerb zu der Verfügungsklägerin aufrecht erhalten. Im Übrigen, nämlich in Bezug auf den Verkauf an
Handelvertreter zum Zweck des Weiterverkaufs an Endverbraucher, hat das Landgericht den Antrag
zurückgewiesen, weil es insoweit nicht um eine Verleitung zum Vertragsbruch gehe, sondern um eine an sich
unbedenkliche Ausnutzung fremden Vertragsbruchs. Die Kosten des Verfahrens hat das Landgericht gegeneinander
aufgehoben.
Gegen dieses ihr am 09.10.2006 zugestellte Urteil hat die Verfügungsklägerin am 27.10.2006 Berufung eingelegt und
diese am 08.12.2006 begründet.
Die Verfügungsbeklagte hat gegen das ihr am 09.10.2006 zugestellte Urteil am 06.11.2006 Berufung eingelegt und
diese am (Montag, den) 08.12.2006 begründet.
Die Verfügungsbeklagte strebt eine vollständige Zurückweisung des Antrags an, weil ihr Verhalten
wettbewerbsrechtlich nicht zu beanstanden sei. Die Verfügungsklägerin begehrt eine Verurteilung der
Verfügungsbeklagten auch im Hinblick auf den Verkauf der wettbewerbswidrig angebotenen Waren. Beide Parteien
wiederholen und ergänzen ihren erstinstanzlichen Vortrag.
Die Verfügungsklägerin beantragt,
das angefochtene Urteil zu ändern und der Verfügungsbeklagten zu untersagen, im geschäftlichen Verkehr zu
Zwecken des Wettbewerbs Handelsvertretern der Antragstellerin Lebensmittel wie z.B. Wein zum Weiterverkauf an
Endverbraucher durch schriftliche und / oder mündliche Ansprache, wie insbesondere durch das in der Anlage BK 2
beigefügte Schreiben in Verbindung mit weiteren nachfolgenden diesbezüglichen Kontaktaufnahmen anzubieten und
/ oder ihnen die so angebotenen Lebensmittel zu verkaufen.
Die Verfügungsbeklagte beantragt,
das angefochtene Urteil zu ändern und unter Aufhebung der Verfügung vom 08.08.2006 den Antrag auf Erlass einer
einstweiligen Verfügung vollständig zurückzuweisen.
Beide Parteien beantragen wechselseitig die Zurückweisung des gegnerischen Rechtsmittels.
II.
Die Berufungen der Parteien haben den aus dem Tenor ersichtlichen Erfolg und sind im Übrigen unbegründet. Auf
diesen Teilerfolgen und auf den durch § 938 ZPO für das Gericht eröffneten Klarstellungs und
Gestaltungsmöglichkeiten beruht die konkrete Formulierung der Urteilsformel.
1. Berufung der Verfügungsbeklagten
a) Maßgebliches Ergebnis der Überprüfung der Sache im Berufungsverfahren war, dass das Landgericht die von der
Verfügungsklägerin beanstandeten Aktivitäten der Verfügungsbeklagten gegenüber dem Handelsvertreter S... im
Juni / Juli 2006 zutreffend als wettbewerbswidrig qualifiziert hat. Die dagegen erhobenen Einwendungen der
Verfügungsbeklagten sind nicht geeignet, die Unterlassungsverurteilung der Beklagten grundsätzlich in Frage zu
stellen, führen aber zu einer gegenständlichen Begrenzung des Unterlassungsgebots. Diese Begrenzung ist im
Wesentlichen bereits durch den neu in der Berufungsverhandlung formulierten Berufungsantrag der
Verfügungsklägerin berücksichtigt worden, bedarf allerdings zur Verdeutlichung des Verbotskerns noch gewisser
Erläuterungen.
Anknüpfungspunkt für die wettbewerbsrechtliche Prüfung der von der Verfügungsklägerin beanstandeten Vorgänge
ist das Verbot unlauterer Beeinträchtigung von Mitbewerbern (§ 3 UWG) in der Konkretisierung durch den
Untersagungsgrund der gezielten Behinderung eines Mitbewerbers i.S.d. § 4 Nr. 10 UWG. Es geht hier speziell um
das Verbot der Behinderung durch Mitarbeiterabwerbung, also die Abgrenzung zwischen erlaubter und unlauterer
Mittel bei der Abwerbung. Bei der Beurteilung von Abwerbungsmaßnahmen ist von folgenden Grundsätzen
auszugehen:
Das Abwerben von Beschäftigten eines Mitbewerbers ist für sich gesehen nicht wettbewerbswidrig. Es ist vielmehr
grundsätzlich erlaubt und als Mittel der Marktbelebung, der Gewährleistung von Freizügigkeit und der Entfaltung des
Arbeitskraftpotenzials sogar erwünscht. Es liegt gerade im Wesen des auch durch die Rechtsanwendung zu
fördernden Leistungswettbewerbs, dass die Wettbewerber um Mitarbeiter konkurrieren und sich durch das Angebot
vorteilhafter Arbeits oder Vertragsbedingungen gute und im Verhältnis zur Konkurrenz bessere Mitarbeiter zu
verschaffen. Auch der Vorwurf einer gezielt gegen die Verfügungsklägerin gerichteten Abwerbungskampagne ist für
sich gesehen nicht zwingend erheblich. Die Abwerbungsversuche dürfen durchaus auch planmäßig erfolgen (Köhler
in Hefermehl/ Köhler/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, § 4 UWG Rn. 10.105. HarteBaven
damm/HenningBoedewig – Omsels, UWG, § 4 Rn. 18). Die Grenze zu einem nicht mehr lauteren Verhalten wird erst
dann überschritten, wenn nicht mehr der eigene Wettbewerbsvorteil, sondern die Schädigung des Konkurrenten im
Vordergrund der Abwerbungsaktivitäten steht.
Es gilt generell für die Beurteilung von Abwerbungsmaßnahmen der Grundsatz, dass eine Abwerbung erst dann
unlauter und mithin wettbewerbswidrig wird, wenn damit wettbewerbswidrige, weil rechtlich zu missbilligende Zwecke
und Ziele verfolgt oder bei der Abwerbung unlautere Methoden bzw. Mittel eingesetzt werden, die aufgrund des
Ergebnisses der wertenden Gesamtschau aller Umstände dem Vorgang ein sittenwidriges Gepräge verleihen (Köhler
in Hefermehl/Köhler/Born
kamm, Wettbewerbsrecht, § 4 UWG Rn. 10.104 ff.).
Gemessen an diesen Vorgaben hat die Verfügungsklägerin Tatsachen glaubhaft gemacht, auf deren Grundlage sich
das Verhalten der Verfügungsbeklagten als wettbewerbswidrig erweist.
Soweit die Verfügungsbeklagte mit ihren Abwerbungsaktivitäten das Ziel verfolgt hat, die bei der Tätigkeit für die
Verfügungsklägerin gewonnenen vertriebsrelevanten Kenntnisse des Herrn S... für sich fruchtbar zu machen und /
oder die Kunden der Verfügungsklägerin zu „übernehmen“ und zu beliefern, kann dieses Motiv allein den Vorwurf der
Unlauterkeit nicht begründen. Entsprechendes gilt für das mögliche Fernziel, den Handelsvertreter S... nach
Beendigung seines Vertrags mit der Verfügungsklägerin im eigenen Vertriebsnetz zu beschäftigen. Schließlich waren
für sich gesehen auch weder die Anrufe bei dem Handelsvertreter noch Form oder Inhalt des Anschreibens mit dem
Warenangebot an Herrn S... als Abwerbungsmittel anstößig. Alle diese Motive und Einzelakte waren aus den oben
genannten Gründen weder wettbewerbswidrig noch aus anderen Rechtsgründen (§§ 823 Abs. 1, 826 BGB) verboten.
Dass die Verfügungsbeklagte mit ihrer Abwerbung keine legitimen Wettbewerbsvorteile anstrebte, sondern allein oder
hauptsächlich eine Schädigung der Verfügungsklägerin beabsichtigte, hat die Verfügungsklägerin zwar ansatzweise
vorgetragen, aber jedenfalls nicht glaubhaft gemacht,
Das Landgericht hat den für die wettbewerbsrechtliche Beurteilung maßgeblichen Aspekt in dem Versuch der
Verfügungsbeklagten gesehen, den Handelsvertreter S... zum Vertragsbruch zu verleiten. Dass Herr S... sich
während der Laufzeit seines Vertrags mit der Verfügungsklägerin bei einer Tätigkeit für bzw. im Interesse der
Verfügungsbeklagten vertragswidrig verhalten würde, ergab sich aufgrund des für den Handelsvertreter
vertragszeitlich schon kraft Gesetzes (§ 86 Abs. 1 Hbs. 2 HGB) bestehenden Wettbewerbsverbots und zudem
wegen der vertraglichen Wettbewerbsverbote, die die Verfügungsklägerin mit ihren Handelsvertretern – wie der
Verfügungsbeklagten bekannt war – üblicherweise vereinbart.
Das Landgericht hat aus diesen Umständen den Schluss gezogen, dass die Verfügungsbeklagte Herrn S... zum
Bruch des Wettbewerbsverbots veranlassen wollte oder dessen zwangsläufig unerlaubtes und die
Verfügungsklägerin schädigendes Verhalten mindestens billigend in Kauf genommen hat.
Diese Begründung für die Unterlassungsverurteilung der Verfügungsbeklagten entspricht im Ansatz auch der
Rechtsansicht des Senats, der jedoch die im Tenor zum Ausdruck gebrachten Einschränkungen für geboten
erachtet.
Die Abwerbung kann wettbewerbsrechtlich verboten sein, wenn sie mit dem Mittel der Verleitung zum Vertragsbruch
betrieben wird (BGH GRUR 2004, 696, 697 – Direktansprache am Arbeitsplatz. Köhler in
Hefermehl/Köhler/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, § 4 UWG Rn. 10.107 ff.). Dem ist grundsätzlich zu folgen.
Insbesondere derjenige, der heimlich hinter dem Rücken eines Konkurrenten dessen Mitarbeiter zur
Vertragsverletzungen anstiftet, bedient sich nicht der Mittel des Marktes, zu dessen Regeln gerade auch die
Vertragstreue gehört.
Andererseits kann nicht jedes Ansprechen eines vertraglich an einen Konkurrenten gebundenen Mitarbeiters unlauter
sein. Der erwünschte Leistungswettbewerb bedarf eines möglichst ungebunden Spiels der Kräfte gerade auch auf
dem Arbeitsmarkt. Es besteht allgemein ein erheblicher Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften und es kann
insbesondere nach der Liberalisierung des Wettbewerbsrechts nicht Aufgabe des Lauterkeitsrechts sein, für die
Einhaltung von Mitarbeiterverträgen zu sorgen. Der beworbene Mitarbeiter des Konkurrenten ist nicht
schutzbedürftig. Denn im Normalfall ist es seine freie Entscheidung, ob er das fremde Angebot unter Verletzung
seiner anderweitigen vertraglichen Bindungen annehmen will oder nicht (in diesem Sinne auch Köhler in
Hefermehl/Köhler
/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, § 4 UWG Rn. 10.108 a).
Das wettbewerbsrechtlich relevante Verleiten zum Vertragsbruch muss deshalb eine spezifische und
wettbewerbswidrige Eigenart aufweisen, die im Wertungszusammenhang der Regelbeispiele unlauteren Wettbewerbs
der §§ 4 und 5 UWG einen Gleichklang mit den gesetzlichen Tatbeständen aufweist. Der Senat folgt daher der
Auffassung Köhlers (Hefermehl/Köhler/Bornkamm, Wettbewerbsrecht,
§ 4 UWG Rn. 10.108 a), der die Rechtfertigung für eine Abwerbungsverbot in den Fällen sieht, in denen unlauter auf
die Entschließungsfreiheit des Beschäftigten eingewirkt wird, und insoweit auf die Regelungen in § 4 Nr. 1 und 2
sowie § 5 UWG hinweist.
Daraus folgt nach Ansicht des Senats zunächst, dass die Handelsvertreter der Verfügungsklägerin zwar
grundsätzlich angesprochen und auch aufgefordert werden dürfen, künftig für die Verfügungsbeklagte tätig zu
werden. Dies gilt nicht nur mit Blick auf das Ziel eines vollständigen Wechsels des Vertragspartners, sondern auch
für den Verkauf des Warenangebots der Verfügungsbeklagten während der vertraglichen Bindung an die
Verfügungsklägerin.
Die Berechtigung des Vorwurfs eines wettbewerbswidrigen Verhaltens der Verfügungsbeklagten ergibt sich jedoch im
Streitfall aus folgenden auch schon in der Berufungsverhandlung angesprochenen Gründen:
Dass im Streitfall der Grundtatbestand einer Verleitung zum Vertragsbruch vorliegt, ergibt sich aus den auch im
Berufungsrechtszug nicht erheblich in Frage gestellten Ausführungen des Landgerichts auf den Seiten 8 bis 12 des
angefochtenen Urteils. Insbesondere hatte die Verfügungsbeklagte keine (zulässige) schlichte Absatzwerbung in
Form eines Angebots betrieben. Das Bemühen der Verfügungsbeklagten erschöpfte sich gerade nicht in der
schriftlichen Lieferanfrage. Denn diese war begleitet von zusätzlichen telefonischen Kontakten und auch
besuchsweisen Einwirkungsbemühungen durch die Verfügungsbeklagte, deren Mitarbeiterin L... genaue Kenntnisse
von der Vertragsgestaltung der Handelsvertreterverträge der Verfügungsklägerin hatte.
Die Grenze zu einer unzulässigen Behinderung i.S.d. § 4 Nr. 10 UWG hatte die Verfügungsbeklagte im Streitfall
überschritten. Denn die Aktivitäten der Kundenbetreuerin L... der Verfügungsbeklagten gingen noch weit über einen
Anruf, eine Anfrage und die schlichte Übersendung eines Angebotsschreibens hinaus. Schon der Besuch und die
werbenden Gespräche in der Privatwohnung des Herrn S... hatten eine besonders intensive Beeinflussungsqualität.
Dass Frau L... mit dem Angebot neutraler Verpackung sogar eine Hilfestellung bei der Verdeckung der Umgehung
des Wettbewerbsverbots angeboten hatte, macht deutlich, dass es der Verfügungsbeklagten auch gerade um eine
Verheimlichung des offenbar selbst als unredlich empfundenen Verhaltens ging. Infolge der geplanten
Inanspruchnahme der Arbeitskraft und Arbeitszeit des Herrn S... hatte die Verfügungsbeklagte zudem rechtswidrig in
Rechtspositionen der Verfügungsklägerin eingegriffen und einen dadurch bewirkten Vermögensnachteil der
Verfügungsklägerin mindestens billigend in Kauf genommen.
b) Die Verfügungsbeklagt hat ferner eine unzureichende Bestimmtheit des vom Landgericht geschaffenen Titels
gerügt. Denn danach sei nicht erkennbar, wann die wettbewerbsrechtliche „Erheblichkeitsschwelle“ erreicht und wann
ein „Weiterverkauf an Endverbraucher“ anzunehmen sei.
Der Senat hat – wie bereits unter Einbeziehung der Parteien in der Berufungsverhandlung – versucht,
Formulierungen zu finden, die eine in mehrfacher Hinsicht gebotene hinreichende Bestimmtheit eines
Verurteilungstenors gewährleisten kann.
Der nunmehr gewählte Text der Entscheidungsformel lässt aus der Sicht des Senats die wesentlichen tatsächlichen
Gesichtspunkte erkennen, auf die von Seiten des Gerichts der Vorwurf der Wettbewerbswidrigkeit gestützt werden
sollte. Es wird insbesondere hinreichend deutlich, dass das Verhalten der Verfügungsbeklagten nicht generell,
sondern nur in dem hier gegebenen Fall des Überschreitens einer dem Gesetz immanenten Wertungsgrenze
unzulässig war. Weiterer Erläuterungen dazu bedurfte es im Tenor nicht. Die Anforderungen an eine hinreichende
Bestimmtheit des Unterlassungstitels sind aus der Sicht des Senats danach gewahrt.
c) Die Verfügungsbeklagte hat schließlich die Ansicht vertreten, ein Verfügungsgrund sei nicht gegeben. Der
Verfügungsklägerin sei nämlich bereits seit September 2005 das beanstandete Verhalten der Verfügungsbeklagten
bekannt gewesen. Dies gelte sowohl für den Vorwurf des Verkaufs als auch für den des Anbietens von Waren.
Der Senat teilt diese Bedenken nicht.
Die Verfügungsbeklagte meint, das zu lange Abwarten der Verfügungsklägerin ergebe sich schon aus deren eigener
Darstellung zum Verhalten der Verfügungsbeklagten in dem (Hauptsache) Verfahren 15 O 154/05 LG Osnabrück.
Tatsächlich ist die Darlegung der Verfügungsklägerin im Hauptverfahren in Bezug auf die für beide beanstandeten
Verletzungsformen relevante Frage der Kenntnis von Verkaufsangeboten, die aktiv von der Verfügungsbeklagten
ausgingen, unergiebig. Denn darin ist allein von Auslieferungen und Bestellungen die Rede. Die Schlussfolgerung,
dass es dann auch Angebote gegeben haben müsse, ist nicht hinreichend sicher. Denn Bestellungen können auch
auf eigene Anfragen oder – wie im Jahr 2003 durch den Handelsvertreter S... – als Folge von Teilnahmen an
Verkaufs oder Informationsveranstaltungen erfolgt sein.
Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Verfügungsklägerin vor dem streitgegenständlichen Vorgang bereits Kenntnis
von unzulässigen Abwerbungen hatte. Der rechtlich relevante Vorgang „begann“ mit einem Anruf bei dem
Handelsvertreter S... und der anschließenden Übersendung des Schreibens vom 13.06.2006. Es folgten ein
werbendes Gespräch am 06.07.2006 in der Wohnung des Handelsvertreters und die Lieferung des Weins am
13.07.2006. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wurde am 07.08.2006 gestellt. Berücksichtigt man,
dass die Verfügungsklägerin vorab noch Informationen einholen und diese prüfen musste, hat die Verfügungsklägerin
mit der gebotenen Schnelligkeit gehandelt und es kann von einer durch Zeitablauf selbst widerlegten Dringlichkeit
nicht die Rede sein.
2. Die Berufung der Verfügungsklägerin ist zum Teil begründet
Die Verfügungsklägerin hat das Urteil des Landgerichts angefochten, weil sie meint, dass die Verfügungsbeklagte
auch zur Unterlassung des „Verkaufs“ von Waren hätte verurteilt werden müssen.
Nach dem Verfügungsantrag sollte das Angebot von Waren zum Weiterverkauf „und/oder“ der Verkauf verboten
werden. Das Landgericht hat den maßgeblichen Vorwurf in dem Angebot gesehen, mit dem der Handelsvertreter zum
Vertragsbruch verleitet werden sollte, den Verkauf ohne Angebot der Verfügungsbeklagten beschaffter Waren
dagegen (zutreffend) als wettbewerbsrechtlich irrelevant eingestuft.
Die Verfügungsklägerin hält die Differenzierung zwischen dem (verbotenen) Angebot und dem (zulässigen) Verkauf
für künstlich. Sie sei auch rechtlich fehlerhaft, weil es nach der UWGReform die Unterscheidung zwischen den zu §
1 UWG a.F. entwickelten Fallgruppen des „Verleitens zum Vertragsbruch“ und dem „Ausnutzen eines
Vertragsbruchs“ nicht mehr gebe.
Die nur eingeschränkte Verurteilung beanstandet die Verfügungsklägerin zudem mit dem Hinweis darauf, dass es ihr
selbstverständlich allein auf den Verkauf gerade der unzulässig angebotenen Waren angekommen sei.
Dass es der Verfügungsklägerin allein auf ein Verbot in Bezug auf die vorbeschriebene Sachverhaltskonstellation
ankam, war in erster Instanz nicht hinreichend deutlich vorgetragen, so dass die Entscheidung des Landgerichts
insoweit auch nicht zu beanstanden ist.
Andererseits ist der letztgenannte Einwand der Verfügungsklägerin gleichwohl von entscheidungserheblicher
Bedeutung. Der Verkauf zuvor wettbewerbswidrig angebotener Waren ist in das Unterlassungsgebot mit
aufzunehmen und hat zu einer entsprechenden Änderung des Tenors geführt. Der Angriff gegen das angefochtene
Urteil ist deshalb überzeugend, weil anderenfalls ein wesentlicher Erfolg der unzulässigen Abwerbung erlaubt bliebe.
Die Verfügungsklägerin trägt mit Recht vor, dass ein Schwerpunkt des wettbewerbswidrigen Verhaltens der
Verfügungsbeklagten auch darin liege, ihre Waren durch die (von der Verfügungsklägerin ausgebildeten, erfahrenen)
Verkaufsfahrer im Rahmen der von der Verfügungsklägerin geschaffenen Vertriebsstruktur absetzen zu lassen und
sich dadurch Vorteile zu verschaffen, die die mit der Abwerbung begonnene Behinderung der Verfügungsklägerin im
Sinne einer Schädigung vervollständigen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO. Eine vorläufige Vollstreckbarkeit war nicht auszusprechen,
weil dieses Urteil mit seiner Verkündung rechtskräftig wird (§ 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO).
… … …