Urteil des OLG Oldenburg vom 24.06.1998

OLG Oldenburg: berufliche tätigkeit, unbewegliche sache, versicherungsnehmer, erfüllung, einwirkung, ergänzung, anpassung, ausgabe, versicherungsvertrag, wand

Gericht:
OLG Oldenburg, 02. Zivilsenat
Typ, AZ:
Urteil, 2 U 80/98
Datum:
24.06.1998
Sachgebiet:
Normen:
Keine Normen eingetragen
Leitsatz:
Betriebshaftpflichtversicherung: Bearbeitungsschaden bei Verwendung von Sachen des Auftraggebers
als "Tisch" für die Arbeiten des Handwerkers.
Volltext:
Die Beklagte ist nicht verpflichtet, über die gezahlten 5.000,-- DM hinaus der Klägerin Dekkungsschutz für den
Schadenfall vom 09.09.1996 zu gewähren.
Der Klägerin steht ein weiterer Anspruch auf Gewährung von Deckungsschutz für Schäden am Positivmodell nicht
zu. Die Haftungsbegrenzung der Beklagten folgt aus § 4 I 6 b) der dem Versicherungsvertrag zugrundeliegenden
AHB in Verbindung mit 3.11 der weiter vereinbarten "Risikobeschreibung zur Betriebshaftpflichtversicherung: -
GLOBALPOLICE - Ausgabe APRIL 96". Danach besteht für sogenannte Bearbeitungsschäden zwar
Deckungsschutz, aber nur bis zur Höhe von 5.000,-- DM je Schadenereignis.
Das Positivmodell ist Ausschlußobjekt gemäß § 4 I 6 b) AHB. Nach dieser Bestimmung bezieht sich der
Versicherungsschutz nicht auf Haftpflichtansprüche wegen Schäden, die an fremden Sachen durch eine gewerbliche
oder berufliche Tätigkeit des Versicherungsnehmers an oder mit diesen Sachen (z.B. Bearbeitung, Reparatur,
Beförderung, Prüfung u. dgl.) entstanden sind. Unter einer Tätigkeit an oder mit fremden Sachen ist grundsätzlich
jedes bewußte und gewollte Handeln zu verstehen. Hierbei ist es unerheblich, ob die beschädigte Sache "im
Mittelpunkt des Auftrags" stand; es genügt, daß der Versicherungsnehmer bewußt und
gewollt auf diese eingewirkt hat, auch wenn dies nur als Mittel zu einem Zweck geschah, der eine andere Sache
zum Gegenstand hatte. Es kommt auch nicht darauf an, ob die Einwirkung auf die Sache zur Erfüllung des Auftrags
notwendig oder von den Vertragsschließenden übereinstimmend gewollt war oder von dem Versicherungsnehmer als
zur Erledigung des
Auftrags erforderlich angesehen wurde. Vielmehr können die Ausschlußvoraussetzungen auch dann gegeben sein,
wenn die Tätigkeit an oder mit der beschädigten Sache weder geboten noch zweckmäßig, sondern falsch,
unvernünftig oder verboten war oder aus einem sonstigen Grund offensichtlich dem Zweck des Auftrags oder dem
Willen des Auftraggebers widersprach (BGH VersR 1960, 109; BGH VersR 1961, 601; BGH r+s 1998, 58; KG VersR
1977, 1141; OLG Hamm VersR 1989, 468). Eine Tätigkeit mit einer Sache liegt insbesondere dann vor, wenn bei der
gebotenen natürlichen Betrachtungsweise eine instrumentale Verwendung einer anderen fremden Sache
anzunehmen ist (Späte, Haftpflichtversicherung, § 4 Rdnr. 133, 156). So sind z.B. auch Gegenstände
Ausschlußobjekt, die ein Maler besteigt oder beiseite schiebt, um an die zu bemalende Wand zu kommen (BGH
VersR 1960, 109); werden bei Anstricharbeiten Rohrleitungen bestimmungswidrig als Steighilfe oder Ergänzung eines
Gerüsts betreten, sind sie ebenfalls Ausschlußobjekt (BGH, VersR 1961, 601); nutzt ein Versicherungsnehmer bei
Reinigungstätigkeiten am Fensterrahmen einen Tisch, um die Reinigungsflüssigkeit abzustellen, wird allein dadurch
der Tisch zum Ausschlußobjekt (AG Köln ZfS 1980, 138; Späte a.a.O. § 4 Rdnr. 156).
Die Anwendung der dargelegten Grundsätze führt zu der Feststellung, daß die Ausschlußvoraussetzungen des § 4 I
6 b) AHB im vorliegenden Fall erfüllt sind. Nach dem eigenen Vortrag der Klägerin haben ihre Mitarbeiter das
Untergestell auf die Negativform gehoben, die ihrerseits auf der Positivform lagerte, um das Untergestell an die
Negativform anzupassen bzw. daran auszurichten; das Positivmodell hat "quasi" als "Tisch" gedient; man hätte "die
Negativform auch auf das sich am Boden befindende Untergestell auflegen" können; "lediglich um sich das Bücken
zu ersparen, entschieden die Arbeitnehmer der ... (Klägerin) sich dazu, die Negativform auf dem Urmodell zu
belassen, um dann dort das Stahlgestell anpassen zu können."
a) Eine gezielte und bewußte Einwirkung auf das Positivmodell liegt zunächst darin, daß die Mitarbeiter der Klägerin
das Untergestell mit vier Schraubzwingen an dem Positivmodell befestigt haben. Zwar behauptet die Klägerin in der
Berufungserwiderung, es sei versehentlich nur eine Schraubzwinge statt mit dem Negativmodell mit dem
Positivmodell verbunden worden. Sollte dieser Vortrag richtig sein, könnte die Befestigung der Schraubzwingen
möglicherweise als zufälliges und nicht bewußtes Einwirken auf das Positivmodell bewertet werden. Der Vortrag in
der Berufungsinstanz steht jedoch nicht nur in Widerspruch zu dem aus-
weislich des Tatbestands des angefochtenen Urteils unstreitigen Vorbringen der Klägerin im ersten Rechtszug;
aufgrund der Aussage des im ersten Rechtszug vernommenen Zeugen W steht vielmehr auch fest, daß "die
Schraubzwingen", also nicht nur eine, am Tisch, d. h. am Positivmodell, fixiert worden sind. Die Klägerin bringt
gegen die Richtigkeit der Aussage des von ihr benannten Zeugen nichts vor und stellt ihren Vortrag insoweit in der
Berufungsinstanz auch nicht weiter unter Beweis. Ist mithin davon auszugehen, daß vier Schraubzwingen am
Positivmodell befestigt worden sind, besteht kein Zweifel daran, daß diese Handlung bewußt und nicht versehentlich
vorgenommen worden ist.
b) Selbst wenn man jedoch den neuen Vortrag der Klägerin im Berufungsverfahren zugrundelegen wollte, wäre das
Positivmodell Ausschlußobjekt. Allein die Nutzung des Positivmodells als Tisch stellte eine bewußte und gewollte
Tätigkeit mit der fremden Sache dar. Denn das
Positivmodell wurde als Hilfsmittel genutzt, um die eigentliche Tätigkeit, das Anpassen des Untergestells an die
Negativform, leichter durchführen zu können.
Die - angeblich nach dem Vortrag der Berufungserwiderung - versehentliche Befestigung der ersten Schraubzwinge
am Positivmodell wäre - sollte der neue Vortrag der Klägerin richtig sein - bereits die schadenstiftende, nämlich die
planwidrige und versehentliche Handlung. Daß diese bewußt und gewollt vorgenommen wird, ist nicht notwendig. Es
reicht, wenn sie nur in den Rahmen der bewußten und gewollten Tätigkeit - hier also der Nutzung des Positivmodells
als Tisch - fällt (BGH VersR 1955, 706; BGH r+s 1998, 58).
c) Entgegen der Auffassung der Klägerin kommt es nicht darauf an, ob die Anpassung des Untergestells an das
Negativmodell bzw. das Hinaufheben des Untergestells auf das auf dem Positivmodell befindliche Negativmodell
objektiv für die Erfüllung der geschuldeten Werkleistung der Klägerin erforderlich war. Wie bereits dargelegt ist, ist es
unerheblich, ob die Handlung des Versicherungsnehmers notwendig oder auch nur sinnvoll ist. Entscheidend ist
allein, daß es im Rahmen der Tätigkeit zum Schadenseintritt kommt. Dies ist auch dann der Fall, wenn das den
Schaden verursachende Verhalten des Unternehmers - auch - darin
besteht, daß er den Umfang der geschuldeten Leistung verkennt. Denn auch ein derartiger Sachverhalt wird vom
Schutzzweck des § 4 I 6 b) AHB erfaßt. Der Sinn der Bestimmung liegt nämlich darin, dem Versicherungsnehmer
das unternehmerische Risiko aufzubürden, welches
er bei seiner gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit bewußt in Bezug auf fremde Sachen eingeht (BGH VersR 1960,
109; Späte a.a.O. § 4 Rdnr. 128).
d) Die Voraussetzungen des Ausschlußtatbestands sind auch nicht aufgrund von § 4 I 6 b) 2. Hs AHB zu verneinen.
Das Landgericht hat zutreffend festgestellt, daß es sich bei dem Positivmodell um eine bewegliche Sache handelte.
Dagegen bringen die Parteien nichts vor.
Im übrigen kommt es für die Entscheidung des Falls nicht einmal darauf an, ob es sich bei dem Positivmodell um
eine bewegliche oder unbewegliche Sache handelte. Denn sowohl nach dem ersten als auch nach dem zweiten
Halbsatz des § 4 I 6 b) AHB sind die Sache oder die Sachteile, die selbst den Gegenstand der unternehmerischen
Tätigkeit des Versicherungsnehmers bilden, als Ausschlußobjekt anzusehen, und vorliegend steht fest, daß das
Positivmodell selbst Objekt der unternehmerischen Tätigkeit der Klägerin war.