Urteil des OLG Oldenburg vom 19.10.1998

OLG Oldenburg: allgemeine lebenserfahrung, stadt, auflage, verwertung, naturschutz, umwelt, strafrecht, verbotsirrtum, rechtswidrigkeit, berufserfahrung

Gericht:
OLG Oldenburg, unbekannt
Typ, AZ:
Beschluß, SS 343/98
Datum:
19.10.1998
Sachgebiet:
Normen:
GEFSTOFFV § 15 ABS 1, STGB § 17
Leitsatz:
Zur Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums bei der Verwendung teerölbehan- delter Bahnschwellen.
Volltext:
G r ü n d e
Die Staatsanwaltschaft hat dem Angeklagten zur Last gelegt, auf seinem Hausgrundstück 19 teerölbehandelte
Bahnschwellen eingebaut und dadurch vorsätzlich gegen §§ 27 Abs. 1, 17, 3 Nr. 10ChemG i.V.m. §§ 15 Abs. 1 Nr.
13, Anhang IV Nr. 13.1 Abs. 2 GefStoffV verstoßen zu haben.
Das Amtsgericht Brake/Utw. hat den Angeklagten auf Kosten der Staatskasse freigesprochen.
Nach den Urteilsfeststellungen hatte der Angeklagte 1995 auf seinem Baugrundstück in E..., ..., neunzehn
teerölgetränkte Bahnschwellen zur Beeteinfriedung eingebaut. Diese Bahnschwellen hatte er bereits 1987 gekauft
und zunächst für seine Nebenerwerbslandwirtschaft als Zaunpfähle benutzt. Dem Angeklagten war nicht bekannt,
daß die Verwendung von teerölgetränkten Bahnschwellen zu Zwecken des privaten Endverbrauchs nach dem 01.
April 1992 verboten und mit Strafe bedroht war.
Das Amtsgericht hat die Auffassung vertreten, der Angeklagte habe zwar objektiv tatbestandsmäßig gehandelt. Ihm
sei aber kein Schuldvorwurf zu machen, weil er sich in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum befunden habe.
Bahnschwellen seien ein seit Jahrzehnten beliebtes und in Fachzeitschriften beschriebenes Gartengestaltungsmittel
gewesen. Eine
Erkundigungspflicht des Angeklagten lasse sich nicht damit begründen, daß das Umweltstrafrecht allgemein in den
letzten Jahrzehnten verschärft worden sei. Gerade die hier in Betracht kommenden Strafvorschriften behandelten ein
entlegenes, gemeinhin nicht bekanntes Rechtsgebiet. Das 1992 in Kraft getretene Verwendungsverbot sei auch
Juristen vielfach unbekannt gewesen. So habe die Stadt E... z.B. zur Verkehrsberuhigung in einem Neubaugebiet
Blumentröge aus Bahnschwellen anbringen lassen und selbst Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft hätten
einräumen müssen, daß ihnen das Verbot bis zur Vorlage
der Handakten unbekannt gewesen sei. Unter diesen Umständen könne von einem Laien nicht erwartet werden, daß
er Zweifel an der Rechtmäßigkeit seines Tuns hätte haben müssen.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die fristgemäß eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft, mit der sie die
Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.
Das Rechtsmittel ist unbegründet.
Das Amtsgericht hat im Ergebnis zutreffend das Vorliegen eines unvermeidbaren Verbotsirrtums bejaht. Die
Verbotsunkenntnis gereicht dem Angeklagten zum Vorwurf, wenn er nicht alles zu seiner Orientierung getan hat, was
billigerweise von ihm zu verlangen ist. Eine entsprechende Anstrengung kann von ihm jedoch nur dann erwartet
werden, wenn er einen konkreten Anlaß hatte, sich über die Rechtmäßigkeit seines Verhaltens Gedanken zu
machen, er also entweder die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens für möglich hielt oder wenn er zwar keine Zweifel
hatte, es sich ihm aber hätte aufdrängen müssen, daß sein Verhalten rechtswidrig sein könnte. Hiervon ist
grundsätzlich im Bereich des sogenannten Kernstrafrechts auszugehen. Je weiter sich die Verbotsnorm vom
Kernbereich des Straf-rechts, d.h. der dem Sanktionsrecht vorgelagerten unabdingbaren sozialen Friedensordnung
einer Rechtsgemeinschaft, weg zur Peripherie des Sanktionsrechts auf das Gebiet des zum Teil sehr entlegenen
Nebenstrafrechts bewegt, desto weniger strenge Maßstäbe sind an die Vermeidbarkeit der Verbotsunkenntnis zu
stellen. Ein Anlaß zur Überprüfung der Rechts-
lage besteht in solchen Fällen nur dann, wenn der Angeklagte aufgrund seiner individuellen Lebens- oder
Berufserfahrung weiß, daß er sich in einem rechtlich durchnormierten Bereich bewegt oder sein Verhalten einzelnen
oder der Allgemeinheit Schaden zufügt ( OLG Oldenburg NJW 1992, 2438; Roxin, Strafrecht AT Bd. 1 § 21 Rn. 51 ff;
Schönke-Schröder/ Cramer, StGB, 25. Auflage, § 17 Rn. 16; SK/Rudolphi, StGB, 6. Auflage, § 17 Rn. 30 f).
Beide Alternativen hat das Amtsgericht nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe rechtsfehlerfrei
ausgeschlossen. Entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft drängte allein die allgemeine Lebenserfahrung in
Verbindung mit dem in den letzten Jahren gestiegenen Umweltbewußtsein nicht zu der Annahme, die seit
Jahrzehnten übliche Verwendung von alten Bahnschwellen als Beetumrandung könne Gefahren für Menschen
oder die Umwelt mitsichbringen. Ebensowenig mußte es sich für einen Bürger, der nicht beruflich mit der Verwertung
von solchen Bahnschwellen befaßt ist, aufdrängen, daß deren Verwendung überhaupt gesetzlich geregelt sein
könnte. Insoweit unterscheidet sich der hier
zu entscheidende Fall grundsätzlich von Fällen aus anderen Bereichen des Umweltrechts, z.B. des
Abfallbeseitigungs-, des Naturschutz- und des Immissionsschutzrechts, in denen das Problembewußtsein der
Bürger durch eine langjährige öffentliche Diskussion geschärft ist. Dies war nach den Urteilsfeststellungen
hinsichtlich der hier zur Beurteilung anstehen-
den Problematik zum Tatzeitpunkt im Bereich der Wesermarsch aber noch nicht der Fall. Daß sich das Amtsgericht
zur Begründung dieser Annahme auf das Verhalten der Stadt E... und die Unkenntnis selbst von Juristen bezogen
hat, ist nicht zu beanstanden.