Urteil des OLG Oldenburg vom 01.04.2003

OLG Oldenburg: öffentlich, kasachstan, aussetzung, form, erwerbstätigkeit, auskunft, unterhalt, trennung, meinung, erfüllung

Gericht:
OLG Oldenburg, 11. Zivilsenat
Typ, AZ:
Beschluß, 11 UF 8/03
Datum:
01.04.2003
Sachgebiet:
Normen:
BGB 1587a
Leitsatz:
1.Zum Verfahren bei ungeklärten ausländischen Anrechten auf Seiten des im Übrigen
ausgleichsberechtigten Ehegatten.
2. Für eine Verweisung in den schuldrechtlichen Ausgleich fehlt (u.a. im Hinblick auf den Vorrang des
öffentlich-rechtlichen Versorgungsausgleich) eine hinreichende gesetzliche Grundlage.
3. Für eine Aussetzung oder ein Ruhen des Verfahrens besteht kein Anlass, wenn in absehbarer Zeit
eine (ergänzende ) Aufklärung hinsichtlich der ausländischen Anrechte nicht zu erwarten ist (z.B.
mangels Aufklärungsmöglichkeiten und/oder Aufklärungsinteresses auf Seiten der Parteien ).
4. In diesen Fällen kann eine das Verfahren (vorläufig) abschließende feststellende Entscheidung mit
dem Inhalt getroffen werden, dass ein Versorgungsausgleich zur Zeit nicht stattfinde. Diese
Entscheidung unterliegt der späteren Abänderung gem. § 10a VAHRG.
Volltext:
Oberlandesgericht Oldenburg
11 UF 8/03
10 F 361/00 S Amtsgericht Osnabrück
B e s c h l u s s
In der Familiensache
...
hat der 11. Zivilsenat - 3. Senat für Familiensachen -
des Oberlandesgerichts Oldenburg
am 01. April 2003
beschlossen:
...
2)
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird das am 12. Dezember 2002 verkündete Scheidungsverbundurteil des
Amtsgerichts - Familiengericht - Osnabrück hinsichtlich des Ausspruchs zum Versorgungsausgleich aufgehoben.
Ein Versorgungsausgleich findet zur Zeit nicht statt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Parteien je zur Hälfte; eine Erstattung der außergerichtlichen
Kosten findet nicht statt.
...
Gründe:
I.
Der Antragsgegner ist kasachischer Staatsangehöriger; die Antragstellerin besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit.
Die Parteien haben am 15.03.1988 vor dem Standesamt in D... in Kasachstan geheiratet; sie sind im Jahre 1994
nach Deutschland übergesiedelt. Aus der Ehe der Parteien sind die Kinder S..., geboren am..., und J..., geboren
am..., hervorgegangen. Die Parteien leben seit Januar 2000 getrennt. Der Antragsgegner ist im März 2000 nach
Kasachstan zurückgegangen. Die Kinder halten sich bei der Antragstellerin in O... auf. Der Antragsgegner hat seit
der Trennung der Parteien bis heute weder für die Kinder noch für die Antragstellerin Unterhalt gezahlt. Die
Antragstellerin arbeitet als Raumpflegerin halbtags und verdient netto 600 € im Monat.
Ausweislich der Auskunft der L... vom 22.10.2002 (Blatt 23 ff der Unterakte Versorgungsausgleich) hat die
Antragstellerin während der Ehezeit Anwartschaften in Höhe von monatlich 184,24 € erworben. Hierin enthalten sind
Anwartschaften, die der Antragstellerin nach dem Fremdrentengesetz anerkannt worden sind. Der Antragsgegner hat
während der Ehezeit ausweislich der Auskunft der L... vom 15.08.2002 (Blatt 15 ff der Unterakte
Versorgungsausgleich) Anwartschaften in Höhe von monatlich 70,03 € erworben. Dabei konnte das
Versicherungskonto des Antragsgegners für die Zeit vom 28.03.2000 bis zum 21.01.2002 nicht geklärt werden;
ebenso wenig sind Anwartschaften, die der Antragsgegner durch seine Erwerbstätigkeit von 1987 bis 1993 in
Kasachstan erlangt hat und deren Höhe nicht feststellbar sind, berücksichtigt worden.
Die Antragstellerin hat ausgeführt, ihre Inanspruchnahme sei grob unbillig und beantragt,
den Versorgungsausgleich auszuschließen.
Das Amtsgericht hat in seinem Scheidungsverbundurteil den öffentlich-rechtlichen Versorgungsausgleich
durchgeführt und vom Versicherungskonto der Antragstellerin bei der L... Rentenanwartschaften in Höhe von
monatlich 57,11 €, bezogen auf den 31.12.2001 als Ende der Ehezeit, auf das Versicherungskonto des
Antragsgegners übertragen.
Gegen diese Entscheidung wendet sich die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde und führt aus: Zum einen habe der
Antragsgegner seit der Trennung keinen Unterhalt für die Familie gezahlt. Sie selbst könne wegen der zu
betreuenden gemeinsamen Kinder nur halbtags arbeiten, während der Antragsgegner in Kasachstan vollzeitig
erwerbstätig sei und dementsprechende weitere Rentenanwartschaften dort erwerbe. Überdies ergebe sich ihre
Ausgleichsverpflichtung lediglich daraus, dass ihr Rentenanwartschaften nach dem Fremdrentengesetz zuerkannt
worden seien, während der Antragsgegner seine in Kasachstan erworbenen Anwartschaften uneingeschränkt für sich
behalten könne.
Die Antragstellerin beantragt,
das Urteil des Amtsgerichts zu ändern und den Versorgungsausgleich auszuschließen.
Der Antragsgegner und der Rentenversicherungsträger hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
II.
Die nach §§ 629 a Abs. 2, 621 e Abs. 1 ZPO, 20 FGG zulässige Beschwerde der Antragstellerin führt zu einer
Änderung der Entscheidung. Auf das Rechtsmittel hin war im Wege der vorläufig abschließenden Entscheidung
festzustellen, dass zur Zeit der Versorgungsausgleich nicht stattfindet.
Soweit die Antragstellerin allerdings einen Ausschluss des Versorgungsausgleichs wegen grober Unbilligkeit nach §
1587 c BGB anstrebt, liegen die Voraussetzungen hierfür nicht vor.
...
Es war demgegenüber aber festzustellen, dass der öffentlich-rechtliche Versorgungsausgleich zur Zeit nicht
stattfindet.
Die Höhe der ausländischen Versorgungsanrechte, die der Antragsgegner unzweifelhaft durch seine Erwerbstätigkeit
in Kasachstan bis 1993 und ab März 2000 erwarb, ist nicht zu ermitteln, weil es an allen Grundlagen für eine
Bewertung nach § 1587 a Abs. 5 BGB fehlt. Es ist nicht aufklärbar, welche Versorgungsanwartschaften ihm dadurch
erwachsen sind. Mit der ehemaligen Sowjetunion und ihren Nachfolgestaaten bestehen keine
Sozialversicherungsabkommen.
Wie der Versorgungsausgleich in derartigen Fällen vorzunehmen ist, ist abgesehen von der Regelungsmöglichkeit
nach § 1587 b Abs. 4 BGB, die hier, ... , daran scheitert, dass sie von keiner Partei beantragt wurde, gesetzlich
nicht bestimmt.
Gegenstand der Entscheidung im vorliegenden Fall ist ausschließlich die Frage, wie ungeklärte Versorgungsanrechte
zu berücksichtigen sind, wenn sie auf Seiten des im übrigen (d.h. bei alleiniger Saldierung der „geklärten“
Versorgungsanrechte) Ausgleichsberechtigten vorhanden sind:
Einigkeit besteht darin, dass eine Sachentscheidung im öffentlich-rechtlichen Versorgungsausgleich mit bezifferten
Ausgleichsbeträgen nur möglich ist, wenn die Anrechte auch bei Anwendung strenger Maßstäbe aller Voraussicht
nach nicht realisierbar und deshalb wertlos sind (vgl. OLG Nürnberg FamRZ 1999, 1203; OLG Karlsruhe FamRZ
2000, 677, 678; insoweit zustimmend Kemnade FamRZ 2002, 1495, 1496). Sie können dann bei der Saldierung
unberücksichtigt bleiben (krit. OLG Celle FamRZ 2001, 1462, 1463). Sofern die Anrechte sich wider Erwarten
nachträglich doch als werthaltig erweisen, kann die Erstentscheidung gem. § 10a VAHRG abgeändert werden (OLG
Karlsruhe a.a.O.).
Wenn die genannte Voraussetzung fehlt, kann ein öffentlich-rechtlicher Versorgungsausgleich in Form einer
konkreten Ausgleichsentscheidung nicht erfolgen, weil weder die Höhe noch die Ausgleichsrichtung sicher
bestimmbar sind. Auch eine Teilentscheidung – wie im Falle des Bestehens ungeklärter Anrechte auf Seiten des im
übrigen Ausgleichspflichtigen (vgl. dazu OLG Hamm FamRZ 2000, 674; Friederici FamRZ 1986, 476, 477) kommt
nicht in Betracht.
Im vorliegenden Fall kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass die vom Antragsgegner durch seine
Erwerbstätigkeit in Kasachstan (vermutlich) erworbenen Versorgungsanrechte wertlos sind. Denn die bei einem
Inlandsaufenthalt bestehenden spezifischen Durchsetzungshindernisse in Bezug auf ausländische Anrechte (vgl.
dazu u.a. OLG Karlsruhe a.a.O.) sind mit der Rückkehr des Antragsgegners nach Kasachstan entfallen. Eine
Sachentscheidung ohne Einbeziehung der ausländischen Anrechte des Antragsgegners kommt deshalb nicht in
Betracht.
Wie bei fehlender Möglichkeit einer konkreten Ausgleichsentscheidung zu verfahren ist, wird in Rechtsprechung und
Literatur unterschiedlich beantwortet:
Eine verbreitete Ansicht verneint die Möglichkeit einer Sachentscheidung zum öffentlich-rechtlichen
Versorgungsausgleich, weil die Voraussetzungen dafür (insbesondere die Feststellung der Höhe der
Ausgleichspflicht) nicht gegeben seien (vgl. etwa OLG Köln FamRZ 1986, 689, 690; OLG Karlsruhe FamRZ 2000,
677, 678):
Zum Teil wird daraus gefolgert, dass der Ausgleich insgesamt dem schuldrechtlichen Ausgleich vorzubehalten sei
(OLG Köln FamRZ 1986, 689, 690; OLG Düsseldorf FamRZ 1994, 903; OLG Celle FamRZ 2001, 1462, 1463).
Eine andere Auffassung befürwortet eine Lösung, die direkt oder mittelbar auf eine Aussetzung des Verfahrens (ggf.
verbunden mit einer Abtrennung) hinausläuft (Friederici FamRZ 1986, 476, 477; im Ergebnis ebenso, aber nicht
immer mit klaren prozessualen Aussagen: OLG Brandenburg FamRZ 2002, 1122, 1123 Abschluss des Verfahrens
dadurch, dass eine Entscheidung zur Zeit nicht stattfindet, aber mit der Möglichkeit der Parteien, das Verfahren,
wobei wohl das Erstverfahren gemeint ist, weiter voranzutreiben ; ähnlich Kemnade FamRZ 2002, 1495, 1496 mit
dem Hinweis, dass die Parteien unabhängig von § 10a VAHRG das Verfahren wieder aufnehmen könnten; vgl. auch
Kemnade FamRZ 1994, 904; ferner FamRZ 1986, 690, 691 Verfahren für lange Zeit auf Frist legen und damit
praktisch zum Ruhen bringen ). Mit dieser Lösung wird erreicht, dass den Parteien die Möglichkeit eines öffentlich-
rechtlichen Ausgleichs unabhängig von den Schranken des § 10a VAHRG offen gehalten wird, wobei ihnen
gleichzeitig – nach Erfüllung der Amtsermittlungspflicht (§ 12 FGG) die Verantwortung für die Fortsetzung des
Verfahrens überbürdet wird.
Abweichend von den vorstehend wiedergegebenen Auffassungen wird auch die Meinung vertreten, dass eine
Sachentscheidung zum öffentlich-rechtlichen Versorgungsausgleich erfolgen könne. Inhalt dieser Entscheidung kann
aus den oben dargestellten Gründen keine bezifferte Ausgleichsentscheidung sein; gleichwohl schließt sie das
Verfahren vorläufig ab, und zwar in der Form einer feststellenden Entscheidung, dass ein Versorgungsausgleich zur
Zeit nicht stattfinde (OLG Hamm FamRZ 2000, 673, 674; ferner OLG Schleswig FamRZ 1990, 527; im Ergebnis
ebenso, allerdings mit anfechtbarer Begründung, OLG Karlsruhe FamRZ 2002, 1494, 1495; ähnlich wohl auch
Rahm/Künkel, Handbuch des Familiengerichtsverfahrens, V Rn. 574). Diese Lösung lässt wie der Vorschlag einer
Aussetzung pp. die (spätere) Durchführung des öffentlich-rechtlichen Versorgungsausgleichs offen, jedoch nur im
Rahmen einer Abänderungsentscheidung gem. § 10a VAHRG.
Der Senat folgt jedenfalls für den vorliegenden Fall der zuletzt dargelegten Auffassung:
Für die Verweisung in den schuldrechtlichen Ausgleich fehlt eine hinreichende gesetzliche Grundlage (insoweit
zutreffend OLG Karlsruhe FamRZ 2002, 1494, 1495; zu Recht krit. auch Kemnade FamRZ 1986, 690; 1994, 904).
Der schuldrechtliche Ausgleich ist in § 1587f BGB und § 2 VAHRG enumerativ geregelt (BGH FamRZ 1987, 149,
159). Eine entsprechende Anwendung auf weitere Fälle ist schon wegen des grundsätzlichen Vorrangs des
öffentlich-rechtlichen Versorgungsausgleichs abzulehnen.
Die Lösung muss deshalb im Verfahrensrecht, nicht in einer Änderung der Ausgleichsformen gesucht werden (oder
mit Hilfe von letztlich willkürlichen Fiktionen ohne tatsächliche Grundlagen; so aber OLG Karlsruhe FamRZ 2002,
1494, 1495 m. abl. Anm. Kemnade):
Die Aussetzung (oder eine vergleichbare Lösung) ist zu erwägen, wenn in einem vernünftigen zeitlichen Rahmen
eine abschließende Sachentscheidung mit bezifferten Ausgleichsbeträgen zu erwarten ist. Das kann der Fall sein,
wenn die Aussetzung für den durch diese Maßnahme voraussichtlich benachteiligten Ehegatten Anreiz zu einer ihm
zumutbaren und auch erfolgversprechenden Aufklärung ist. Wenn hingegen anzunehmen ist, dass die Aussetzung
(etwa mangels objektiv vorhandener und mit angemessenem Aufwand nutzbarer Aufklärungsmöglichkeiten) auf ein
dauerndes Ruhen des Verfahrens hinausläuft, dann entbehrt sie eines sinnvollen verfahrensrechtlichen Zwecks im
Rahmen einer grundsätzlich von Amts wegen zu treffenden Entscheidung (ebenso OLG Celle FamRZ 2001, 1462,
1463; OLG Hamm FamRZ 2000, 673, 674).
Im vorliegenden Fall besteht für eine Aussetzung des Verfahrens kein plausibler Grund. Von der bisher
ausgleichspflichtigen Antragstellerin sind weitere Aufklärungsbemühungen in Bezug auf etwaige in Kasachstan
erworbene Anrechte des Antragsgegners nicht zu erwarten, weil dafür ein wirtschaftlicher Anreiz und auch
realistische Möglichkeiten fehlen. Der (potentiell ausgleichsberechtigte) Antragsgegner hat sich trotz entsprechender
Hinweise auf die Rechtsfolgen am gesamten Verbundverfahren nicht beteiligt, so dass die weiteren Zustellungen zur
Vermeidung von Verzögerungen gem. § 184 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 ZPO n.F. erfolgten. Es ist nicht anzunehmen,
dass der Antragsgegner in absehbarer Zeit von sich aus zur Aufklärung beitragen wird.
Jedenfalls in derartigen Fallgestaltungen erscheint eine Aussetzung nicht sachgerecht (nach Auffassung des OLG
Köln FamRZ 1986, 689, 690 fehlt insoweit bereits die gesetzliche Grundlage). Es bleibt dann nur eine
Negativentscheidung in der oben geschilderten Form. Sie bringt das Verfahren förmlich zum Abschluss und
entbindet dadurch das Familiengericht von weiteren, im Zweifel nur formalen, sachlich nutzlosen
„verfahrensfördernden“ Handlungen.
Schützenswerte Interessen der Ehegatten werden durch eine solche vorläufig abschließende Entscheidung nicht
oder allenfalls marginal berührt. Die Entscheidung kann im üblichen Verfahren gem. § 10a VAHRG abgeändert
werden (vgl. zur Abänderung von Negativentscheidungen BGH FamRZ 1996, 282, 283). Die maßgebliche materielle
Einschränkung des Abänderungsbegehrens durch die Wesentlichkeitsgrenze des § 10a Abs. 2 VAHRG (10 %-ige
Wertveränderung) greift schon rechnerisch nicht, weil bei einem Ausgleichsbetrag von (bisher) 0 jede Änderung
„wesentlich“ ist (vorbehaltlich des Erreichens des Mindestbetrages von 0,5 % der Bezugsgröße). Die formale
Begrenzung gem. § 10a Abs. 5 VAHRG (Erreichen des 55. Lebensjahres oder Versorgungsrelevanz) ist ebenfalls
ohne praktische Bedeutung.
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