Urteil des OLG Oldenburg vom 19.06.2003

OLG Oldenburg: rechtliches gehör, entschuldigung, sozialhilfe, entzug, sanktion, rechtsgrundlage, beschwerdeinstanz, mitwirkungspflicht, einzelrichter, verfügung

Gericht:
OLG Oldenburg, 02. Zivilsenat
Typ, AZ:
Beschluß, 2 WF 97/03
Datum:
19.06.2003
Sachgebiet:
Normen:
ZPO 120 Abs 4 S 2, ZPO 124 Nr 2, ZPO 571 Nr 2
Leitsatz:
Im Verfahren über die Aufhebung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 124 Nr. 2 2.Alt. ZPO
kann die in erster Instanz vergeblich angeforderte Erklärung darüber, ob eine Änderung der
Verhältnisse eingetreten ist, im Beschwerdeverfahren nachgereicht werden. Einer Entschuldigung
dafür, dass die Erklärung nicht bereits in erster Instanz vorgelegt worden ist, bedarf es nicht.
Volltext:
Oberlandesgericht Oldenburg
2 WF 97/03
5a F 406/01 (WH) Amtsgericht Leer
B e s c h l u s s
In der Familiensache
C... E... , ... , ... M... ,
Antragstellerin und Beschwerdeführerin,
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte ... ,
gegen
R... E... ,... , ... , ... M... ,
Antragsgegner ,
hat der 2. Zivilsenat - 6. Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Oldenburg durch den unterzeichneten
Richter als Einzelrichter
am 19. Juni 2003
beschlossen:
Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der Rechtspflegerin des Amtsgerichts Leer vom
05.05.2003 aufgehoben.
Gründe:
I.
Im Rahmen eines Wohnungszuweisungsverfahrens wurde der Antragstellerin durch Beschluss des Amtsgerichtes
vom 15.11.2001 Prozesskostenhilfe bewilligt. Das Verfahren endete durch Beschluss des Amtsgerichtes vom 26.
November 2001, mit dem der Antragstellerin die Ehewohnung zugewiesen wurde.
Mit Schreiben vom 10.02.2003 forderte die Rechtspflegerin des Amtsgerichts die Antragstellerin unter Hinweis auf §
120 Abs. 4 Satz 2 ZPO auf, die dem Schreiben beigefügte Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen
Verhältnisse binnen drei Wochen ausgefüllt zurückzusenden. Das Schreiben enthielt einen Hinweis auf die
Möglichkeit der Aufhebung der bewilligten Prozesskostenhilfe. Mit Verfügung vom 11.02.2003 wurde die
Antragstellerin an die Erledigung erinnert. Mit Schreiben vom 03.04.2003 wurde die Antragstellerin letztmalig
aufgefordert, die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bis zum 30.04.2003 abzugeben,
andernfalls werde die Prozesskostenhilfebewilligung aufgehoben.
Nachdem die Antragstellerin auf keines der Schreiben reagiert hatte, hob die Rechtspflegerin mit Beschluss vom
05.05.2003 die bewilligte Prozesskostenhilfe auf.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin.
Sie macht geltend, sie beziehe nach wie vor Sozialhilfe und hat hierzu einen Nachweis über den Bezug von
Sozialhilfe der zuständigen Gemeinde vorgelegt. Eine Erklärung, weshalb sie auf die Anschreiben der
Rechtspflegerin nicht reagiert hat, enthält die Beschwerde nicht.
Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Senat vorgelegt.
II.
Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 127 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3 ZPO zulässig.
Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses.
Ob der Beschluss bereits deshalb aufzuheben war, weil das Amtsgericht die Ausfüllung des Vordruckes JV 205
verlangt hat, obwohl gem. § 120 Abs. 4 Satz 2 ZPO lediglich die Erklärung, ob eine Änderung der Verhältnisse
eingetreten ist, und somit nicht eine erneute Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse
verlangt werden kann ( Zöller/Philippi ZPO § 120 Rn. 28 m. N.), kann dahinstehen.
Der Beschluss vom 05.05.2003 war nämlich deshalb aufzuheben, weil die Antragstellerin mit der Beschwerde durch
Vorlage des Sozialhilfebescheides nachgewiesen hat, dass sich an den wirtschaftlichen Voraussetzungen für die
Bewilligung von Prozesskostenhilfe nichts geändert hat.
Allerdings wird von Teilen der Rechtsprechung verlangt, dass bei Nachholung der Erklärung im Beschwerdeverfahren
Entschuldigungsgründe dafür vorgebracht werden müssten, die die Verletzung der Mitwirkungspflicht entschuldigen
könnten (OLG Brandenburg, FamRZ 1998, 837 f.; OLG Koblenz FamRZ 1996, 616 f.). Das OLG Bamberg (FamRZ
1999, 1354 f.) nimmt zwar ebenfalls einen Sanktionscharakter des § 124 Nr. 2 ZPO an und lässt ersichtlich allein die
Nachholung der geforderten Erklärungen im Beschwerdeverfahren nicht ausreichen, betont aber den für das Gericht
bestehenden Ermessensspielraum, in dessen Rahmen „vor allem das Gewicht des vorwerfbaren Fehlverhaltens im
Hinblick auf die aktuelle inhaltliche Richtigkeit der zu überprüfenden PKH-Bewilligung...“ zu berücksichtigen sei.
Der Senat vermag dem Erfordernis ergänzenden Vorbringens im Sinne einer Entschuldigung nicht zu folgen.
Gemäß § 571 Abs. 2 ZPO kann die Beschwerde auf neue Angriffs- und Verteidigungsmittel gestützt werden. Würde
man demgegenüber verlangen, dass Entschuldigungsgründe dafür vorgebracht werden, weshalb Vorbringen erst in
der Beschwerdeinstanz erfolgt, liefe dies auf eine vom Gesetzgeber nicht beabsichtigte Einschränkung des
Anspruches auf rechtliches Gehör vor Gericht hinaus (vgl. OLG Koblenz, FamRZ 1999, 1354). Hätte der
Gesetzgeber nämlich für die nicht erfolgte Mitwirkung im Verfahren über den Entzug von Prozesskostenhilfe eine
abweichende Regelung gewollt, hätte er dies zum Ausdruck bringen müssen (OLG Hamm, FamRZ 2000, 1225). §§
120 und 124 ZPO enthalten eine derartige Einschränkung jedoch nicht (OLG Karlsruhe, FamRZ 1997, 756). Letztlich
verfängt auch der Hinweis auf den Sanktionscharakter des § 124 Nr. 2 ZPO nicht. Die Sanktion –endgültige
Aufhebung der bewilligten Prozesskostenhilfe- tritt nämlich ein, wenn der Berechtigte die geforderte Erklärung auch
im Beschwerdeverfahren nicht abgibt ( OLG Düsseldorf, FamRZ 1999, 1357 f.; OLG Stuttgart, FamRZ 1997, 1089).
Da es somit an einer Rechtsgrundlage für die Nichtberücksichtigung des im Beschwerdeverfahren vorgelegten
Sozialhilfebescheides fehlt, war der angefochtene Beschluss des Amtsgerichts aufzuheben.
Trotz der oben zitierten entgegenstehenden Entscheidungen kommt eine Zulassung der Rechtsbeschwerde nicht in
Betracht, da die Staatskasse am Aufhebungsverfahren nicht beteiligt ist und die Voraussetzungen des § 127 Abs. 3
ZPO nicht erfüllt sind, unter denen sie trotz mangelnder Beteiligung Beschwerde einlegen kann (vgl. Zöller/Philippi §
127 ZPO Rn. 27).
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