Urteil des OLG Oldenburg vom 29.10.2008

OLG Oldenburg: öffentliches interesse, einfache körperverletzung, strafantrag, vertreter, form, anklageschrift, entschuldigungsgrund, erheblichkeit, behandlung, datum

Gericht:
OLG Oldenburg, 01. Strafsenat
Typ, AZ:
Beschluss, Ss 408/08
Datum:
29.10.2008
Sachgebiet:
Normen:
StGB § 230 Abs 1 S 1, STGB § 223
Leitsatz:
Wird Anklage wegen gefährlicher Körperverletzung erhoben, so liegt darin noch keine Bejahung eines
besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung wegen einer einfacher Körperverletzung.
Diese ist aber in einer Berufungsbegründung der Staatsanwaltschaft zu sehen, in der auch für die
erstinstanzlich nur erfolgte Verurteilung wegen einfacher Körperverletzung eine höhere Strafe gefordert
wird. Dies gilt auch, wenn die Staatsanwaltschaft ihre Berufung später zurücknimmt, nachdem der
Angeklagte zu der auch auf seine Berufung hin anberaumten Hauptverhandlung nicht erschienen ist.
Volltext:
Oberlandesgericht Oldenburg
1. Strafsenat
Ss 408/08
12 Ns 85/08 Landgericht Aurich
440 Js 24231/07 Staatsanwaltschaft Aurich
Beschluss
In der Strafsache
gegen Herrn S... aus J...,
geboren am … 1982 in W…,
wegen Körperverletzung,
Verteidigerin: Rechtsanwältin …
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg
am 29. Oktober 2008
durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht … und die Richter am Oberlandesgericht … und … nach §
349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der 1. kleinen Strafkammer des Landgerichts Aurich vom 17. März
2008 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts
Aurich zurückverwiesen. Diese hat auch über die Kosten der Revision zu entscheiden.
Gründe
Dem Angeklagten war mit Anklageschrift vom 26. Oktober 2007 zur Last gelegt worden, eine Körperverletzung -
teilweise als gefährliche Körperverletzung in Form einer das Leben gefährdenden Behandlung - begangen zu haben,
in dem er am 8. Juli 2007 seine Lebensgefährtin am Hals gewürgt und in Oberarm und Oberschenkel gekniffen habe.
Die Geschädigte hatte keinen Strafantrag gestellt.
Das Amtsgericht Emden hat die Anklage zugelassen. In der Hauptverhandlung vom 17. März 2008 hat es den
Angeklagten auf eine mögliche Ahndung der Tat als einfache Körperverletzung nach § 223 StGB hingewiesen und
ihn sodann wegen einer solchen, durch die Kniffe begangenen Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 6
Monaten verurteilt.
Hiergegen haben die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte Berufung eingelegt. Die Staatsanwaltschaft hat mit
ihrem Rechtsmittel eine höhere Strafe erstrebt, und zwar auch für den Fall, dass es bei einer Verurteilung nur wegen
einfacher Körperverletzung bleiben sollte. Zur Berufungshauptverhandlung ist der Angeklagte nicht erschienen, hat
aber durch seine Verteidigerin sein Fernbleiben mit einer Erkrankung entschuldigt und ein ärztliches Attest vorlegen
lassen. Die Staatsanwaltschaft hat ihre Berufung in der Berufungshauptverhandlung zurückgenommen. Die Berufung
des Angeklagten ist sodann vom Landgericht nach § 329 Abs. 1 StPO verworfen worden.
Mit seiner hiergegen gerichteten Revision rügt der Angeklagte eine fehlerhafte Anwendung von § 329 StPO. Wegen
des vorgelegten ärztlichen Attestes hätte das Landgericht den damit geltend gemachten Entschuldigungsgrund nicht
ohne eine vorherige nähere Aufklärung - insbesondere eine Rückfrage bei dem Arzt - als ungenügend beurteilen
dürfen.
Die Revision ist zulässig und mit der geltend gemachten Verfahrensrüge begründet.
Ein Verfahrenshindernis besteht nicht. Anlass zu einer näheren Prüfung durch den Senat besteht insoweit in Hinblick
auf §§ 223, 230 Abs. 1 Satz 1 StGB, weil die Geschädigte keinen Strafantrag gestellt und die Staatsanwaltschaft
nicht ausdrücklich erklärt hat, an der Strafverfolgung bestehe ein besonders öffentliches Interesse.
Die Anklageschrift enthält keine solche Erklärung. dazu bestand auch kein Anlass, weil die Tat als gefährliche
Körperverletzung angeklagt worden war. In der Anklage als solcher liegt auch kein Bejahen eines besonderen
öffentlichen Interesses im Sinne von § 230 Abs. 1 Satz 1 StGB, vgl. BGH NJW 1964, 1969. Ausdrücklich erklärt hat
die Staatsanwaltschaft ein solches Interesse auch später nicht, und zwar auch nicht als durch den rechtlichen
Hinweis des Amtsgerichts deutlich wurde, dass der Angeklagte möglicherweise nur wegen einfacher
Körperverletzung verurteilt werden würde. Dieses Schweigen der Staatsanwaltschaft gilt vielmehr als Verneinen
eines öffentlichen Interesses, vgl. BGHSt 19, 377 (378). Dass der Vertreter der Staatsanwaltschaft - anders als in
dem vom BGH entschiedenen Fall - hier nicht ausdrücklich erklärt hat, er gebe keine Stellungnahme ab, sondern
sich schlicht nicht erklärte, macht nach Auffassung des Senats keinen Unterschied. In der gegebenen
Prozesssituation lag für die Staatsanwaltschaft klar zu Tage, dass einer Verurteilung wegen einfacher
Körperverletzung der fehlende Strafantrag entgegenstand. Wenn der Vertreter der Staatsanwaltschaft dann nicht
erklärt, er bejahe das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung, kann dem keine andere Bedeutung beigemessen
werden, als dass dies gerade nicht geschehen sollte, weil weiterhin nur eine Verurteilung wegen der angeklagten
gefährlichen Körperverletzung erstrebt werde.
Allerdings liegt hier in der Berufungsbegründung der Staatsanwaltschaft die Bejahung eines besonderen öffentlichen
Interesses, weil darin auch für den Fall einer Verurteilung wegen einfacher Körperverletzung eine höhere Strafe
gefordert worden ist. Formellen Bedenken begegnet das nicht, denn die Bejahung eines besonderen öffentlichen
Interesses bedarf keiner besonderen Form, vgl. BGHSt 16, 225. Es muss allerdings der Verfolgungswille der
Staatsanwaltschaft klar erkennbar geworden sein. Dies ist hier der Fall. Dass die Staatsanwaltschaft später ihre
Berufung zurückgenommen hat, macht die - erfolgte - Bejahung des öffentlichen Interesses nicht rückgängig, zumal
die Staatsanwaltschaft bei der Berufungsrücknahme ersichtlich von einer Verwerfung der Berufung des Angeklagten
nach § 329 StPO und einer deshalb bestehen bleibenden Verurteilung wegen einfacher Körperverletzung ausging.
Da mithin kein Verfahrenshindernis vorlag, hat die Strafkammer das Verfahren zu Recht nicht eingestellt.
Sie hat aber § 329 StPO rechtsfehlerhaft angewandt. Das ihr vorgelegte Attest war, auch wenn die Krankheit darin
nicht ausdrücklich benannt wurde, grundsätzlich als Entschuldigungsgrund geeignet. Denn der Arzt hatte 3 Tage vor
der Verhandlung bescheinigt, der Angeklagte sei akut erkrankt. voraussichtlich sei es ihm nicht möglich, innerhalb
der nächsten 8 Tage das Gericht aufzusuchen. Der Eignung dieses Attestes als Entschuldigung für das Ausbleiben
des Angeklagten steht auch nicht die Angabe der Verteidigerin in der Hauptverhandlung entgegen, der Angeklagte
habe ihr erklärt, sich bei der Arbeit am Handgelenk verletzt zu haben. Allerdings wird eine solche Verletzung in der
Regel nicht zu einer Verhandlungsunfähigkeit führen. Vollends ausgeschlossen ist dies - etwa schon wegen einer bei
einer Verletzung immer möglichen Entzündung - aber nicht. Wegen der mithin verbliebenen Zweifel an der
Erheblichkeit der Erkrankung des Angeklagten hätte die Strafkammer dem von Amts wegen nachgehen müssen,
vgl. MeyerGoßner, 51. Aufl., Rdn. 26 zu § 329 StPO mit weiteren Nachweisen.
Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Verwerfungsurteil auf dem gerügten Verfahrensfehler beruht. Das
angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Sache an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts
zurückzuverweisen.
Im Übrigen weist der Senat daraufhin, dass die Gründe eines nach § 329 StPO ergangenen Verwerfungsurteils sich
mit einer vorgebrachten Entschuldigung für das Ausbleiben des Angeklagten stets konkret auseinandersetzen
müssen. Eine inhaltsleere pauschale Formulierung, wie die hier nur gebrauchte (der Angeklagte sei) „ohne
genügende Entschuldigung ausgeblieben“, reicht keinesfalls aus.
… … …