Urteil des OLG Köln vom 01.03.2001

OLG Köln: erbvertrag, nachlass, eltern, absicht, familie, enterbung, erfüllung, erbeinsetzung, erlass, bindungswirkung

Oberlandesgericht Köln, 12 U 249/00
Datum:
01.03.2001
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
12. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
12 U 249/00
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 2 O 467/00
Tenor:
Die Berufung der Verfügungsklägerin gegen das Urteil der 2.
Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 02.11.2000 - 2 O 467/00 - wird
zurückgewiesen. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die
Verfügungsklägerin zu tragen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die zulässige Berufung der Verfügungsklägerin hat in der Sache selbst keinen Erfolg.
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Das Landgericht hat in der angefochtenen Entscheidung zu Recht den Antrag auf Erlass
einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen. Der Verfügungsklägerin (oder der
Erbengemeinschaft) steht ein Anspruch gegen die Verfügungsbeklagte auf
Unterlassung einer Verfügung über den im Antrag genannten Grundbesitz nicht zu. Ob
ein Verfügungsgrund gegeben ist, kann dahingestellt bleiben.
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Soweit in dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung eine generelle
Untersagung einer Verfügung über den dort bezeichneten Grundbesitz begehrt wird,
entspricht dies nicht dem ausweislich der Begründung des Antrags verfolgten Zweck der
nachgesuchten einstweiligen Verfügung, der Verfügungsbeklagten eine Übertragung
auf sich selbst in Erfüllung des Vorausvermächtnisses zu untersagen. Zu sonstigen
Verfügungen über den Grundbesitz ist die Verfügungsbeklagte aber als
Testamentsvollstreckerin unter den Voraussetzungen der §§ 2205, 2216 BGB im
Rahmen ordnungsgemäßer Verwaltung in jedem Fall befugt. Diese Befugnis wird auch
von der Verfügungsklägerin letztlich nicht in Zweifel gezogen, da sie von einer
wirksamen Bestellung der Verfügungsbeklagten zur Testamentsvollstreckerin ausgeht.
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Aber auch eine Übertragung des Grundbesitzes auf sich selbst in Erfüllung des
Vorausvermächtnisses kann der Verfügungsbeklagten nicht untersagt werden. Die
Verfügungsklägerin hat einen entsprechenden Verfügungsanspruch nicht schlüssig
dargetan.
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Entscheidende Frage ist, ob die Vermächtnisanordnung in § 2 des Testaments der
Mutter der Parteien (Erblasserin) vom 19.05.1999 wegen Verstoßes gegen die
Bindungswirkung des Erbvertrags vom 14.07.1981 gemäß § 2289 Abs. 1 S. 2 BGB
unwirksam ist und deshalb die Verfügungsbeklagte nicht zur Ausführung des zu ihren
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Gunsten angeordneten Vermächtnisses befugt ist (§ 2203 BGB; vgl. Palandt-Edenhofer,
BGB, 60. Aufl., § 2203 Rdn. 2). Dies hängt davon ab, ob die Anordnung des
Vermächtnisses den Rahmen des Änderungsvorbehalts in Ziffer VI. des Erbvertrages
einhält. Diese Frage ist aber zu bejahen.
Grundsätzlich ist es in einem Erbvertrag ungeachtet der Bindungswirkung zulässig, dem
überlebenden Ehegatten das Recht vorzubehalten, die für den zweiten Erbfall
getroffenen Bestimmungen in einem bestimmten Rahmen abzuändern (OLG Stuttgart
OLGZ 85, 434, 435 f.; Palandt-Edenhofer, a.a.O., § 2289 Rdn. 8 jeweils m.w.N.;
einschränkend Musielak in Münchener Kommentar zum BGB, 3. Aufl., § 2278 Rdn. 22).
Ein Änderungsvorbehalt ist jedenfalls dann als statthaft anzusehen, wenn der Erbvertrag
ungeachtet des Vorbehalts seinen wesentlichen Inhalt behält und zumindest eine
vertraglich bindende und vorbehaltlose Erbeinsetzung enthält (BGHZ 26, 204, 208;
Musielak in Münchener Kommentar, a.a.O., § 2278 Rdn. 15 f.; OLG Stuttgart a.a.O.).
Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Die den Erbvertrag prägende
gegenseitige Erbeinsetzung der Eltern der Parteien wird von dem Änderungsvorbehalt
nicht erfasst und der Erbvertrag durch den die Abkömmlinge betreffenden Vorbehalt
auch nicht in seinem Wesen verändert.
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Die Erblasserin war aufgrund des Änderungsvorbehalts zur Anordnung des
Vorausvermächtnisses (§ 2150 BGB) befugt.
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Die Anordnung wird allerdings nicht unmittelbar vom Wortlaut des Vorbehalts gedeckt.
Gemäß Ziffer VI. des Erbvertrages sollte der Überlebende, wenn mehrere Abkömmlinge
zur Erbfolge gelangen, die Freiheit behalten, einen Abkömmling in guter Absicht zu
enterben, Erbteile ungleich zu bestimmen, an die Stelle eines Erbteils ein Vermächtnis
auszusetzen, Teilungsanordnungen zu treffen, die Auseinandersetzung unter den
Miterben auf Zeit auszuschließen, Bestimmungen über Ausgleichspflichten zu treffen
und Testamentsvollstreckung anzuordnen. Zwar kann der Verfügungsklägerin nicht
darin gefolgt werden, die Öffnungsklausel gelte angesichts der Formulierung "wenn
mehrere Abkömmlinge zur Erfolge gelangen" nur, wenn nicht alle Abkömmlinge zur
Erbfolge gelangen. Vielmehr ist diese Formulierung in dem Sinne zu verstehen, dass
wenn nur ein Abkömmling zur Erbfolge gelangt, abweichende Verfügungen nicht
getroffenen werden dürfen, weil dies nur zugunsten Dritter hätte erfolgen können und
dem Bestreben der Eltern zuwider gelaufen wäre, den Nachlass in der gemeinsamen
Familie zu halten.
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Eine Abweichung vom Wortlaut liegt jedoch insoweit vor, als die Anordnung des
Vorausvermächtnisses zugunsten der Verfügungsbeklagten weder eine Enterbung in
guter Absicht (vgl. §§ 2289 Abs. 2, 2338 BGB) noch eine ungleiche Erbteilsbestimmung
oder eine Teilungsanordnung (§ 2048 BGB) und auch keine Vermächtnisaussetzung
"an Stelle" eines Erbteils darstellt. Es ist jedoch nicht beim Wortlaut stehen zu bleiben,
sondern durch Auslegung der Wille der Parteien des Erbvertrages zu ermitteln (§§ 133,
157, 242 BGB; Palandt-Edenhofer, a.a.O., § 2084 Rdn. 1, Überbl. vor § 2274 Rdn. 8). Es
ist nichts dafür erkennbar, dass die Eltern der Parteien lediglich letztwillige Verfügungen
zulassen wollten, die juristisch genau dem Wortlaut der aufgezählten Verfügungen
entsprechen. Es spricht vielmehr alles dafür, dass sie zwar keine völlige Enterbung
eines der Kinder einschließlich des jeweiligen Stammes (sondern allenfalls "in guter
Absicht") wollten, dass sie aber eine Ungleichbehandlung der Töchter, wie sie etwa
durch eine ungleiche Erbteilsbestimmung, eine Teilungsanordnung und die Aussetzung
eines Vermächtnisses an Stelle eines Erbteils möglich ist, zulassen wollten. Da mit
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diesen im Erbvertrag genannten Verfügungsmöglichkeiten letztlich der gleiche Effekt
erzielt werden kann, wie mit dem von der Erblasserin verfügten Vorausvermächtnis, ist
dieses als von Sinn und Zweck des Änderungsvorbehalts im Erbvertrag umfasst
anzusehen. Ein Verstoß gegen den Erbvertrag könnte allenfalls dann angenommen
werden, wenn die anderen Töchter leer ausgehen würden oder eine durch nichts
gerechtfertigte grobe Benachteiligung vorliegen würde. Dies ist jedoch nicht der Fall.
Unabhängig von dem Grund für die Anordnung des Vorausvermächtnisses verbleibt es
jedenfalls bei dem gleichen Erbrecht der Töchter bezüglich des sonstigen Vermögens.
Dies gilt insbesondere für das Hausgrundstück A. in L., das ausweislich des
Nachlassverzeichnisses nach dem Tode des Vaters der Parteien (Bl. 42 GA) im
Vergleich mit dem sonstigen, der Verfügungsbeklagten vermachten Grundbesitz,
insbesondere dem hier in Streit stehenden Grundstück H. in K., den weitaus größeren
Wert ausmacht (vgl. die Anlage zum Nachlassverzeichnis unter lit. d), Bl. 42 GA:
Schätzwert 495.500,-- DM zu 39.500,-- + 5.500,-- DM).
Der letzte Absatz in Ziffer VI. des Erbvertrages schränkt den Änderungsvorbehalt im
ersten Absatz auch nicht in dem von der Verfügungsklägerin geltend gemachten Sinne
ein. Wortlaut, Grammatik und systematische Stellung des letzten Absatzes sprechen
vielmehr für die Interpretation des Landgerichts. In Ziffer VI. des Erbvertrags wird
zunächst ein Änderungsvorbehalt für den Überlebenden in der Weise bestimmt, dass er
bezüglich der Abkömmlinge Abweichendes bestimmen können soll. Im nächsten Absatz
wird sodann der Vorbehalt dahin eingeschränkt, dass Familienfremde nicht zu Erben
berufen werden dürfen. Anschließend wird definiert, was Familienfremde sind, nämlich
auch ein neuer Ehegatte des Überlebenden und Kinder aus einer neuen Ehe. Im
folgenden Absatz wird die Einschränkung des Vorbehalts wiederum dahin begrenzt,
dass der Überlebende berechtigt sein soll, nach Erfüllung der unter Ziffer II.
ausgesetzten Vermächtnisse über seinen Nachlass bis zur Höhe der Hälfte des reinen
Wertes durch Vermächtnisse letztwillig zu verfügen, jedoch ausschließlich zugunsten
des neuen Ehegatten und weiterer Abkömmlinge. Gemäß dem folgenden, letzten
Absatz in Ziffer VI. bleibt "hiervon" der zum Nachlass gehörende Grundbesitz, der in
jedem Fall an die gemeinsamen Kinder fallen soll, ausgenommen. Durch das
Pronominaladverb "hiervon" wird grammatikalisch und angesichts des Wortlauts und
Aufbaus der Ziffer VI. ein Bezug hergestellt ausschließlich zu dem vorangegangenen
Satz. Gemeint ist ersichtlich, dass die Verfügungsmacht des Überlebenden zugunsten
eines neuen Ehegatten und von Kindern aus der neuen Ehe den zum Nachlass
gehörenden Grundbesitz nicht umfassen soll, dieser sollte vielmehr in der
"Ursprungsfamilie" verbleiben. Entscheidend war für die Eltern der Parteien
offensichtlich, dass der Grundbesitz nicht an (für den Erstversterbenden) familienfremde
Dritte, sondern überhaupt an die oder eines der gemeinsamen Kinder ging, nicht
dagegen, zu welchen internen Anteilen die Kinder den Grundbesitz erhalten. Dass in
dem letzten Absatz eine Einschränkung des Änderungsvorbehalts im ersten Absatz
gewollt war, liegt fern. Hätte die Absicht bestanden, den letzten Satz auf den ganzen
vorausgegangen Text zu beziehen, hätte es nahegelegen, dies durch eine andere
Wortwahl und einen größeren Absatz kenntlich zu machen.
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Gegen die von der Verfügungsklägerin geltend gemachte Interpretation des letzten
Absatzes spricht auch, dass der Grundbesitz den wesentlichen Nachlass ausgemacht
haben dürfte (siehe auch hierzu das Verzeichnis des Nachlasses des Vaters der
Parteien, Bl. 40 - 43 GA; es ist kaum anzunehmen, dass die Erblasserin als Hausfrau
nennenswertes eigenes Geldvermögen hatte). Nähme man den Grundbesitz aus, bliebe
für den Änderungsvorbehalt im ersten Absatz der Ziffer VI. keine nennenswerte
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Bedeutung mehr.
Schließlich widerspricht eine Auslegung des letzten Absatzes in dem Sinne, dass die im
ersten Absatz bestimmte Befugnis des Überlebenden zu abweichenden Verfügungen
nicht den zum Nachlass gehörenden Grundbesitz umfassen soll, sondern dass dieser in
jedem Fall den drei Töchtern zu gleichen Anteilen zufallen soll, den im ersten Absatz
eingeräumten Verfügungsmöglichkeiten. Insbesondere umfasst eine Enterbung immer
den ganzen Nachlass. Gerade wenn sie "in guter Absicht" erfolgt, würde sonst ihr
Zweck (vgl. § 2338 BGB) nicht erreicht werden können, wenn dem Erben wesentliche
Werte verblieben.
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Die Ziffern VIII. - XI. des Erbvertrages sprechen nicht gegen die hier vertretene
Auslegung des Änderungsvorbehalts. Sie lassen lediglich die Bedeutung des
Grundbesitzes für die Eltern der Parteien erkennen und dass der Grundbesitz möglichst
lange in der gemeinsamen Familie gehalten werden sollte. Dieser Bedeutung entspricht
die Regelung in Ziffer VI., dass außerhalb der gemeinsamen Familie stehende
Personen nicht in den Genuss des Grundbesitzes kommen sollten. Gegen eine
unterschiedliche Aufteilung des Grundbesitzes innerhalb der Familie, d.h. auf die
Töchter, lässt sich den Bestimmungen dagegen nichts entnehmen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1 ZPO.
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Gegenstandswert für das Berufungsverfahren entsprechend dem für die erste Instanz
festgesetzten und von den Parteien nicht angegriffenen Wert, bei dem auch die über
eine einstweilige Regelung hinausgehende Bedeutung der Entscheidung für die
Parteien zu berücksichtigen ist:
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60.000,-- DM
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