Urteil des OLG Köln vom 15.03.2017

OLG Köln (kläger, grundstück, vernehmung von zeugen, lwg, benutzung, ausbau, veränderung, zpo, hauptsache, sicherheitsleistung)

Oberlandesgericht Köln, 7 U 73/77
Datum:
19.09.1977
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
7. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 U 73/77
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 5 O 26/75
Tenor:
Die Berufung der Kläger gegen das Urteil der 5. Zivilkammer des
Landgerichts Köln vom 14. Dezember 1976 - 5 O 26/75 - wird auf ihre
Kosten zurückgewiesen. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
T a t b e s t a n d
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Die Kläger sind Eigentümer des Hausgrundstücks E. 60 in O.. Oberhalb des an einem
Hang liegenden Grundstücks verläuft die Straße "E.", die zum Zeitpunkt der Errichtung
des Hauses im Jahre 1967 noch unbefestigter Weg war. Ende 1968 schüttete die
Beklagte den Weg auf und befestigte ihn mit einer Asphaltschicht ohne seitliches
Gefälle. Ende 1973 verlegte sie im Weg einen Kanal und gestaltete im September 1974
das Straßenprofil mit einem Quergefälle zum Hang hin neu.
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Am 6. Juli 1973 und am 27. Juni 1974 wurde der Keller des Hauses der Kläger nach
wolkenbruchartigen Regenfällen überschwemmt. Hierzu kam es insbesondere deshalb,
weil - dies haben die Kläger in erster Instanz zugestanden - vom gegenüberliegenden
Grundstück große Wassermengen, die Bau- und Schwemmstoffe mit sich führten, über
die Straße auf das Grundstück der Kläger flossen und dort die Entwässerungs- und
Verrieselungsanlage zusetzten. Die Kläger begehren von der Beklagten Ersatz der
dadurch entstandenen Schäden und Ersatz für Aufwendungen, die sie in den Jahren
1972 bis 1974 zur Abwehr von Überschwemmungen und zur Beseitigung von
Verschlammungen der Entwässerungs- und Verrieselungsanlage machten.
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Die Kläger haben die Auffassung vertreten, die Beklagte sei schadensersatzpflichtig,
weil sie durch Höherlegung des Weges einen vermehrten Zufluß von
Oberflächenwasser verursacht habe, aber auch, weil die Wegebaumaßnahmen -
zunächst ohne Gefälle zum Hang hin - sachwidrig gewesen und nicht in zumutbarer Zeit
abgeschlossen worden seien. Wegen eines Teilbetrages von DM 5.532,24 für die
Errichtung einer Stützmauer zur Abwehr des von der Straße auf das Grundstück
abfließende Oberflächenwasser haben die Parteien die Hauptsache für erledigt erklärt
und beantragt, die Kosten jeweils der anderen Partei aufzuerlegen.
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Im übrigen haben die Kläger beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger DM 10.814,02 abzüglich DM 5.532,24 nebst
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4 % Zinsen seit dem 12. Februar 1975 zu zahlen,
hilfsweise zu gestatten, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung
abzuwenden.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme durch Augenscheinseinnahme und
Vernehmung von Zeugen die Klage abgewiesen und die Kosten des Rechtsstreits, auch
soweit die Hauptsache für erledigt erklärt war, den Klägern auferlegt. Zur Begründung
hat es im wesentlichen ausgeführt, die Beklagte habe nicht rechtswidrig gehandelt, da
der vermehrte Wasserzufluß auf einer veränderten wirtschaftlichen Nutzung des
Straßengrundstückes beruhe und daher gem. § 78 Abs. 1 Satz 2 LWG nicht rechtswidrig
sei.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Entscheidung Bezug genommen.
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Gegen dieses am 13. Januar 1977 zugestellten Urteil haben die Kläger am 14. Februar
1977 (einem Montag) Berufung eingelegt, die sie nach entsprechender Verlängerung
der Berufungsbegründungsfrist mit einem am 4. April 1977 eingegangenen Schriftsatz
begründet haben.
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Die Kläger sind der Ansicht, die Bestimmung des § 78 Abs. 1 Satz 2 LWG sei nicht
anwendbar, da sie eine Änderung der wirtschaftlichen Nutzung nur bei rein
privatwirtschaftlicher Benutzung rechtfertige: der Ausbau einer Gemeindestraße erfolge
in Erfüllung öffentlicher Aufgaben, sei hoheitlicher Natur und diene besonderen
öffentlichen, nicht aber privatwirtschaftlichen Interessen. Die Kläger halten die
Ersatzpflicht der Beklagten auch gem. Art. 34 GG, § 839 BGB und aus
enteignungsgleichem Eingriff für gegeben, weil der Ausbau der Straße schuldhaft
unsachgemäß vorgenommen worden sei; die Straße hätte nach der Höherlegung sofort
Gefälle zum Hang erhalten und zügig fertiggestellt werden müssen.
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Die Kläger beantragen,
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unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung nach den in erster Instanz zuletzt
gestellten Anträgen zu erkennen,
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hilfsweise ihnen nachzulassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung -
auch durch Bankbürgschaft - abzuwenden.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen,
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hilfsweise ihr zu gestatten, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung - auch
durch Bankbürgschaft - abzuwenden.
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Die Parteien wiederholen im übrigen das Vorbringen aus dem ersten Rechtszug und
ergänzen es nach Maßgabe der in dieser Instanz gewechselten Schriftsätze, auf deren
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vorgetragenen Inhalt Bezug genommen wird.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die formell nicht zu beanstandende Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
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Die Beklagte ist unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt verpflichtet, den Klägern
Schadensersatz dafür zu leisten, daß infolge des Ausbaues der Straße vermehrt
Oberflächenwasser auf das Grundstück der Kläger geflossen ist.
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Es ist schon zweifelhaft, ob die Überschwemmungen und Verschlammungen überhaupt
durch das von der Straße selbst abgeflossene Wasser verursacht wurden. Mit hoher
Wahrscheinlichkeit sind die Verschlammungen der Entwässerungs- und
Verrieselungsanlage darauf zurückzuführen, daß vom gegenüberliegenden Grundstück
und vom Grundstück der Kläger selbst - insbesondere von der Garagenauffahrt, deren
Plattenbelag in Sand ohne Bindemittel verlegt war - Schwemmstoffe in die Anlagen
geraten sind; von der Straße selbst, die im Bereich der Garagenausfahrt vollständig
asphaltiert ist, konnten Schwemmstoffe in größeren Mengen kaum abgeschwemmt
werden. Auch dürften die auf dem Grundstück der Kläger selbst anfallenden und die
vom gegenüberliegenden Grundstück zufließenden Wassermengen erheblich größer
gewesen sein, als die von der Straße selbst abgeflossenen Wassermengen. Diese
Fragen können jedoch dahinstehen, denn ein Schadensersatzanspruch der Kläger setzt
voraus, daß die schadenstiftende Handlung rechtswidrig ist.
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Das Handeln der Beklagten war nicht rechtswidrig.
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Grundsätzlich darf der Ablauf wildabfließenden Oberflächenwassers nicht künstlich so
verändert werden, daß tieferliegende Grundstücke belästigt werden, § 78 Abs. 1 Satz 1
LWG. Dieses Verbot gilt aber nicht für Veränderungen des Wasserablaufes, die auf
veränderter wirtschaftlicher Benutzung eines Grundstückes beruhen, § 78 Abs. 1 Satz 2
LWG. Positiv ausgedrückt bedeutet die Regelung dieser Bestimmung, daß durch die
Veränderung wirtschaftlicher Benutzung eines Grundstückes der Ablauf
wildabfließenden Oberflächenwasser künstlich geändert werden darf, auch wenn
dadurch ein tieferliegendes Grundstück belästigt wird. Damit ist für diesen Ausnahmefall
einem Grundstückseigentümer das Recht gegeben, den Ablauf wildabfließenden
Oberflächenwassers künstlich zu verändern, ohne Rücksicht auf schädigende Folgen
für tieferliegende Grundstücke.
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Wie der Senat in früheren Entscheidungen wiederholt ausgeführt hat (Urteil v.
12.10.1967 - 7 U 96/76 - und Urteil v. 30.6.1969 - 7 U 2/69 -) kann sich eine Gemeinde
für den Wegeausbau auf dieses Recht stützen. Das Gesetz spricht ganz allgemein von
der "Veränderung wirtschaftlicher Benutzung". Es umfaßt damit jede denkbare
Benutzungsart, auch die Benutzung als öffentlicher Weg. (Vgl. Burghartz, Komm. z.
Wasserhaushaltsgesetz und Wassergesetz für das Land NW, 1974, Anm. 4 zu § 78
LWG). Dies galt bereits unter der Herrschaft des früheren Preußischen Wassergesetzes,
dessen § 197 vollständig dem § 78 Abs. 1 des heutigen Landeswassergesetz entsprach
/vgl. Holtz-Kreutz-Schlegelberger, Komm. z. Preuß. Wassergesetz, 4. Aufl., 2. Bd., Anm.
7 zu § 197). Es kann dahinstehen, ob von der Bestimmung auch Änderungen durch
Anlagen erfaßt werden, die ausschließlich besonderen öffentlichen Interessen dienen
und in ihrer Art im Rahmen privatwirtschaftlicher Grundstücksnutzung nicht erstellt
werden dürfen (vgl. BGH in MDR 1972, 305 (306).), denn um etwas Derartiges geht es
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hier nicht.
Im vorliegenden Fall ist die behauptete Veränderung des Wasserablaufs dadurch
bewirkt worden, daß der bestehende, bislang unbefestigte Weg asphaltiert und dabei
die bis dahin in Längsrichtung bestehenden Aushöhlung des Weges aufgefüllt wurde.
Dieses Maßnahme stellt eine Veränderung der wirtschaftlichen Benutzung dar. Gerade
der Ausbau einer Straße, die Befestigung von Wegen, sowie die Einebnung
bestehender Erhöhungen oder Vertiefungen ist eine wirtschaftliche Änderung der
Nutzung (vgl. Burghartz, a.a.O., Holtz-Kreutz-Schlegelberger a.a.O. und RGZ 24, 212,
213). Staat und Wirtschaft sind so eng verflochten, daß nicht nur die private, sondern
auch die öffentliche Betätigung zur Erhaltung und Hebung des Lebensstandards als
"wirtschaftlich" bezeichnet werden muß. Dabei obliegt der öffentlichen Hand gerade der
Ausbau der Verkehrswege, die mit nicht besondere öffentliche Interessen verfolgt,
sondern das Straßengrundstück "verkehrs-wirtschaftlich" nutzt (vgl. Burghartz, a.a.O.).
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Aufgrund der Regelung des § 78 Abs. 1 LWG hatten die Kläger auch keinen Anspruch
darauf, daß die Beklagte etwas unternahm, um sie vor dem vermehrten Wasserzufluß zu
schützen. Sinn und Zweck des § 78 Abs. 1 LWG ist es, dem Grundstückseigentümer
ohne Rücksicht auf die Wasserablaufverhältnisse die volle Entscheidungsfreiheit über
die wirtschaftliche Benutzung des Grundeigentums zu erhalten.
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Das Handeln der Beklagten war auch nicht deshalb rechtswidrig, weil sie den Weg
unsachgemäß oder verzögerlich ausgebaut hätte. Selbst wenn eine Asphaltdecke ohne
Gefälle zum Hang nicht sachgemäß gewesen sein sollte - dies erscheint zweifelhaft, da
ohne Kanalisation dann wohl das Oberflächenwasser tiefergelegenen Grundstücken
hätte gezielt zugeführt werden müssen -, ist das Handeln der Beklagten gem. § 78 Abs.
1 LWG gerechtfertigt. Da der Grundstückseigentümer ohne Rücksicht auf die
Wasserabflußverhältnisse die volle Entscheidungsfreiheit über die wirtschaftliche
Benutzung des Grundstückes hat, ist er nicht eingeengt auf die wirtschaftlich sinnvolle
und technisch richtige Veränderung der wirtschaftlichen Benutzung. Daher kann
offenbleiben, ob die gewählte Ausbauart technische Fehler hatte oder nicht. Die Kläger
hatten keinen Anspruch darauf, daß die Beklagte bei den Veränderungen dafür sorgte,
daß der Wasserablauf - verglichen mit dem bisherigen natürlichen Zustand - nicht
verändert oder gar verbessert wurde. Unzulässig wäre lediglich die Zuleitung des
Wassers durch eine besondere Anlage.
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Die Kläger hatten auch keinen Anspruch auf einen schnelleren Ausbau der Straße. Die
Beklagte handelte nicht deshalb rechtswidrig, weil sie den Weg zunächst nur
asphaltierte und die Kanalisation einschließlich der Ableitung des Oberflächenwassers
zu einem wesentlich späteren Zeitpunkt vornahm. Insoweit ist die Beklagte in ihrer
Entscheidung frei, die Kläger hatten keinen Anspruch auf Ausbau der Straße
einschließlich Kanalisation bereits im Jahre 1968.
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Die Kläger können auch nicht gem. § 78 Abs. 2 LWG Entschädigung verlangen. Diese
Bestimmung steht in keinem inneren Zusammenhang mit der des § 78 Abs. 1 LWG,
sondern regelt einen anderen Sachverhalt; sie liegt fest, unter welchen
Voraussetzungen und Bedingungen die Eigentümer tieferliegender Grundstücke auf
Verlangen des Oberliegers darauf verzichten müssen, das ihrem Grundstück
natürlicherweise zufließende Oberflächenwasser durch geeignete Maßnahmen von
ihrem Grundstück fernzuhalten (vgl. Burghartz, a.a.O., Anm. 5 zu § 78). Hier hat aber die
Beklagte von den Klägern nicht verlangt, daß sie es unterlassen, das ihrem Grundstück
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von der Straße her zufließende Oberflächenwasser abzuhalten, ein Fall des § 78 Abs. 2
LWG ist damit nicht gegeben.
Auch eine Entschädigung nach allgemeinen entschädigungsrechtlichen
Gesichtspunkten können die Kläger nicht fordern. Ihnen ist kein besonderes Opfer
auferlegt worden, sondern nur die Möglichkeit abgeschnitten, die Beklagte für die
Folgen der Wasserablaufänderung haftbar zu machen, die auf Veränderung der
wirtschaftlichen Benutzung des höher liegenden Grundstückes beruhen. Diese
Möglichkeit ist nicht nur den Klägern oder einem kleinen Kreis betroffener Personen
genommen, sondern durch § 78 Abs. 1 Satz 2 LWG schlechthin jedem
Grundstückseigentümer auferlegt. Von einem "Sonderopfer" im Sinne des
Entschädigungsrechtes kann deshalb keine Rede sein.
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Es war die eigene Sache der Kläger und es war ihnen unbenommen, das dem
Grundstück vom Wege her zufließende Wasser durch geeignete Maßnahmen
abzufangen und von ihrem Grundstück fernzuhalten. Die Beklagte war zu solchen
Maßnahmen nach den Bestimmungen des Wassergesetzes nicht verpflichtet.
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Die Frage, ob den Klägern Schadensersatzansprüche aus der Höherlegung der Straße
und den damit möglicherweise verbundenen Erschwernissen des Zugangs der Zufahrt
zum Grundstück zustehen, steht nicht zur Entscheidung. Die Kläger haben für solche
Ansprüche nicht substantiiert vorgetragen, insbesondere nicht dargelegt, daß die
Opfergrenze überschritten wäre (vgl. BGH in NJW 1971, 750; BGHZ 30, 241 ff., 244).
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 97, 91a ZPO. Da die Klage, auch soweit die
Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt worden ist, von Anfang an unbegründet
war, waren die Kosten auch insoweit gem. § 91 a ZPO den Kläger aufzuerlegen.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Zf. 7 ZPO.
Die Vollstreckungsschutzanträge waren wegen § 713 a ZPO gegenstandslos.
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Streitwert für das Berufungsverfahren und
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Beschwer für die Kläger: 5.281,78 DM
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zuzüglich der anteiligen Kosten des in der Hauptsache erledigten Teils des
Rechtsstreits (vgl. Baumbach-Lauterbach Anhang § 3 Anm. Stichwort:
"Erledigungserklärung" m.w.N.) 1.350,-- DM
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ingesamt 6.631,78 DM
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