Urteil des OLG Köln vom 23.10.1997

OLG Köln (wiedereinsetzung in den vorigen stand, wiedereinsetzung, höhere gewalt, kläger, treu und glauben, frist, ablauf der frist, zuständigkeit, verhältnis zwischen, gesetzliche frist)

Oberlandesgericht Köln, 7 U 93/97
Datum:
23.10.1997
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
7. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 U 93/97
Vorinstanz:
Landgericht Bonn, 10 O 178/95
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das am 14.02.1997 verkündete Urteil
der 10. Zivilkammer des Landgerichts Bonn - 10 O 178/95 - wird
zurückgewiesen. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem
Kläger auferlegt. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
1
Die Berufung ist zulässig, hat aber in der Sache auch mit den in der Berufungsinstanz
gestellten Anträgen keinen Erfolg.
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I.
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Mit dem Berufungsantrag zu 1. verfolgt der Kläger sein in 1. Instanz noch als
Feststellungsklage formuliertes Begehren im Wege der Verpflichtungsklage weiter.
Insoweit bestehen gegen die Zulässigkeit der Klage keine Bedenken. Die Zuständigkeit
der ordentlichen Gerichte folgt aus § 20 Abs. 2 Satz 3 HbKG. Die einmonatige Klagefrist
gem. § 20 Abs. 2 Satz 1 HbKG ist gewahrt.
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Die Klage ist jedoch unbegründet, da der Kläger seine Ansprüche nicht innerhalb der
Frist des § 13 HbKG geltend gemacht hat. Für die beantragte Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand sind schon die förmlichen Voraussetzungen nicht gegeben.
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1. Für die Entscheidung über die Wiedereinsetzung ist der Senat zuständig.
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Nach § 32 Abs. 4 VwVfG entscheidet über die Wiedereinsetzung die Behörde, die über
die versäumte Handlung zu befinden hat. Behörde im Sinne dieser Vorschrift kann auch
das Gericht sein, das auf die Klage eines Beteiligten hin mit der Sachentscheidung
befaßt ist. Die Zuständigkeitsregelung des § 32 Abs. 4 VwVfG folgt - ebenso wie die
vergleichbaren Regelungen des § 110 Abs. 4 AO und des früheren § 153 Abs. 3 Satz 1
BBauG - dem Grundsatz der Konnexität, der besagt, daß über die Wiedereinsetzung
tunlichst die Instanz entscheiden soll, in der auch die Sachentscheidung getroffen wird.
Nach diesem Grundsatz ist auch die Zuständigkeit der Gerichte geregelt (§§ 60 Abs. 4
VwGO, 237 ZPO). Nicht ausdrücklich geregelt ist die Zuständigkeit im Verhältnis
zwischen den am Verwaltungsverfahren und Vorverfahren (§ 68 VwGO) beteiligten
Behörden einerseits und den Gerichten im Verwaltungsstreitverfahren andererseits. Hier
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stellt sich die Frage, ob die Zuständigkeit für die Entscheidung über die
Wiedereinsetzung stets bei der Behörde bzw. Widerspruchsbehörde verbleibt oder ob
sie mit dem Beginn des gerichtlichen Streitverfahrens auf die Gerichte übergeht mit der
Folge, daß eine im Verwaltungsverfahren bzw. Vorverfahren unterbliebene
Wiedereinsetzung erstmals auch bei dem mit der Sache befaßten Gericht beantragt
werden kann. Hierzu sind die Ansichten in Rechtsprechung und Literatur geteilt. Die
erstgenannte Auffassung, die für eine strikte Trennung zwischen behördlicher und
gerichtlicher Zuständigkeit eintritt, ist namentlich in der älteren Rechtsprechung der
Verwaltungsgerichte anzutreffen (vgl. OVG Lüneburg, DVBl 1963, 335, VGH Mannheim,
DVBl 1982, 206, 207; ebenso Redeker/von Oertzen, VwGO, 11. Auflage, § 70 Anm. 5).
Demgegenüber hat das Bundesverwaltungsgericht einen Übergang der Zuständigkeit
für die Wiedereinsetzung in die Widerspruchsfrist (§ 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO) bejaht und
damit eine in das Verwaltungsverfahren übergreifende Zuständigkeit der Gerichte
prinzipiell anerkannt (NJW 1983, 1923). Die gleiche Auffassung vertritt der
Bundesgerichtshof zum Vorverfahren in Baulandsachen gem. § 155 BBauG (DVBl
1981, 395, 396). Diese Rechtsprechung gilt zwar unmittelbar nur für die
Zuständigkeitsregelung gem. § 70 Abs. 2 in Verbindung mit § 60 Abs. 4 VwGO. Nach
Auffassung des Senats müssen aber die gleichen Erwägungen dazu führen, die
Zuständigkeit des Gerichts auch für die Entscheidung nach § 32 Abs. 4 VwfG zu
bejahen. Eine unterbliebene Wiedereinsetzung ist unter dem Blickwinkel der Konnexität
letztlich nicht anders zu beurteilen als der Fall, in dem die Behörde eine fristgerecht
vorgenommene Handlung irrig als verspätet ansieht (vgl. BVerwG, NJW 1983, 1923,
1924).
An einer Entscheidung über die Wiedereinsetzung ist der Senat auch nicht deshalb
gehindert, weil dem Kläger damit die Chance genommen wird, bei den Vorinstanzen
eine für ihn günstige Entscheidung zu erreichen, an die der Senat gebunden wäre. Für
eine solche Bindungswirkung fehlt es an einer den §§ 60 Abs. 5 VwGO, 238 Abs. 3 ZPO
entsprechenden Vorschrift (vgl. BGH NJW 1982, 887, 888; 1873, 1874). Auch eine
positive Entscheidung über die Wiedereinsetzung gem. § 32 VwVfG unterliegt in vollem
Umfang der Nachprüfung durch die Widerspruchsbehörde und das Gericht
(Knack/Möllgaard, VwVfG, 4. Auflage, § 32 Rn. 10; Kopp, VwVfG, 6. Auflage, § 32 Rn.
50).
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2. Die Wiedereinsetzung in die Frist des §§ 13 HbKG ist auch nicht grundsätzlich
ausgeschlossen.
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Nach § 32 Abs. 5 VwVfG ist die Wiedereinsetzung unzulässig, wenn sich aus einer
Rechtsvorschrift ergibt, daß sie ausgeschlossen ist. Hierzu bedarf es nicht notwendig
einer ausdrücklichen Bestimmung. Vielmehr ist anerkannt, daß eine Wiedereinsetzung
auch dann nicht in Betracht kommt, wenn sich aus Sinn und Zweck einer gesetzlichen
Regelung ergibt, daß sie ausgeschlossen sein soll (OVG Münster, NVwZ 1992, 183,
184 m. w. N.). Der Sinn einer Ausschlußfrist für die Inanspruchnahme staatlicher
Leistungen besteht im allgemeinen darin, daß sich die öffentliche Hand aus
Haushaltsgründen zu einem möglichst frühen Zeitpunkt eine Übersicht darüber soll
verschaffen können, welche Forderungen voraussichtlich zu erfüllen sein werden (sog.
Budget-Sicherheit; vgl. BVerwG, DÖV 1962, 868, 869). Ob schon eine solche
Zweckrichtung ausreicht, um die Wirkung des § 32 Abs. 5 VwVfG auszulösen (bejahend
OVG Münster a. a. O.; verneinend OVG Münster, NVwZ 1984, 387), kann dahinstehen.
Nach Auffassung des Senats ist der Gesichtspunkt der Budget-Sicherheit jedenfalls
nicht der einzige und auch nicht der maßgebende Grund für die Fristenregelung des §
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13 HbKG. Der Gesetzgeber konnte vielmehr davon ausgehen, daß es den Betroffenen
bis zum 31.12.1983 im allgemeinen möglich sein würde, ihre Ansprüche geltend zu
machen. Mit einer nennenswerten Anzahl von "Nachzüglern", die den Haushalt der
Stiftung in Gefahr bringen konnten, brauchte nicht gerechnet zu werden. Eine strikte, die
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausschließende Fristbestimmung war daher
nicht erforderlich und im Hinblick auf die schwerwiegenden Folgen für die Betroffenen
auch nicht sachgerecht.
3. Der Wiedereinsetzungsantrag ist aber verspätet gestellt.
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Nach § 32 Abs. 3 VwVfG ist die Wiedereinsetzung und die Nachholung der versäumten
Handlung regelmäßig nur innerhalb einer Frist von einem Jahr nach dem Ablauf der
versäumten Frist möglich. Hiernach hätte der Kläger die Wiedereinsetzung spätestens
bis zum 31. Dezember 1984 beantragen müssen. Eine Ausnahme gilt nur für den Fall
der Verhinderung durch höhere Gewalt. Ob hier höhere Gewalt vorlag, erscheint
zumindest zweifelhaft. Die politischen Verhältnisse vor dem Fall des Eisernen Vorhangs
schlossen die Aufnahme von Schriftverkehr mit einer bundesdeutschen Behörde nicht
zwangsläufig aus. Letztlich ist der Kläger an der Geltendmachung von Ansprüchen nur
dadurch gehindert worden, daß er die Ursache seiner Behinderung nicht kannte. Ein
anderer Grund bestand jedenfalls seit der politischen Wende im Jahre 1990 nicht mehr.
Die bloße Unkenntnis, sei sie auch unverschuldet, ist aber nach der Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs (zum Fall der Verjährung gem. § 203 Abs. 2 BGB) kein Fall
höherer Gewalt (NJW 1968, 1381, 1382; VersR 1984, 136, 137). Im Ergebnis bedarf es
dazu aber keiner Entscheidung, weil der Antrag auch dann verspätet ist, wenn dem
Kläger höhere Gewalt zuzubilligen ist.
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Nach § 32 Abs. 2 Satz 1 VwVfG ist der Wiedereinsetzungsantrag innerhalb von 2
Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Das Hindernis, das heißt die der
Geltendmachung von Ansprüchen entgegenstehenden Hinderungsgründe waren, wie
der Kläger selbst vorträgt, spätestens im November 1994 beseitigt. Der
Wiedereinsetzungsantrag ist dagegen erst mit der Berufungsbegründung im Mai 1997
gestellt worden. Damit ist die gesetzliche Frist von 2 Wochen nicht gewahrt.
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4. Die Versäumung der Frist des § 32 Abs. 2 Satz 1 VwVfG ist auch nicht deshalb
unschädlich, weil dem Kläger die verspätet beantragte Wiedereinsetzung schon zu
einem früheren Zeitpunkt von Amts wegen hätte gewährt werden müssen.
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Die Wiedereinsetzung von Amts wegen unterscheidet sich von der beantragten
Wiedereinsetzung allein dadurch, daß sie keinen Antrag voraussetzt (§ 32 Abs. 2 Satz 4
VwVfG). Alle anderen Voraussetzungen einschließlich der Fristwahrung müssen erfüllt
sein, denn der Betroffene darf durch die Wiedereinsetzung von Amts wegen nicht
bessergestellt werden, als er stünde, wenn er die Wiedereinsetzung fristgerecht
beantragt hätte.
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Der Kläger hat es nicht nur versäumt, die Wiedereinsetzung fristgerecht zu beantragen,
er hat es auch unterlassen, Wiedereinsetzungsgründe vorzutragen. Auch dies hätte
innerhalb der zweiwöchigen Frist des § 32 Abs. 2 Satz 1 VwVfG geschehen müssen.
Für die gleichlautende Fristenregelung des § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist seit langem
anerkannt, daß die zweiwöchige Antragsfrist nicht nur für die Antragstellung als solche,
sondern auch für die Geltendmachung der Wiedereinsetzungsgründe gilt (BVerwG,
NJW 1976, 74 m. w. N.). Zu einer hiervon abweichenden Auslegung des § 32 Abs. 2
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Satz 1 VwVfG besteht kein Anlaß (vgl. Kopp, a. a. O. § 32 Rn. 35; Stelkens in:
Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 4. Auflage, § 32 Rn. 28). Nach Ablauf der Frist gestattet §
32 Abs. 2 Satz 2 VwVfG nur noch die Glaubhaftmachung, nicht aber die - erstmalige -
Darlegung der Wiedereinsetzungsgründe. Eine Ausnahme gilt nur für solche Gründe,
die für die Behörde offensichtlich sind und daher keiner Darlegung bedürfen (BVerwG,
NJW 1996, 74; Kopp, a. a. O., § 32 Rn. 35). Ein derartiger Ausnahmefall liegt hier nicht
vor. Offensichtlich war nur, daß der Kläger in einem früheren Ostblockstaat lebte und
aufgewachsen war. Die erst jetzt im einzelnen mitgeteilte Vorgeschichte, aus der sich
ergibt, daß der Kläger erst im November 1994 über alle für die Geltendmachung seiner
Ansprüche erforderlichen Informationen verfügte, war der Beklagten nicht bekannt.
Jedenfalls ist dafür nichts vorgetragen.
5. Es stellt auch keinen Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben dar, daß
die Beklagte sich auf die Ausschlußfrist des § 13 HbKG beruft.
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Ein treuwidriges Verhalten fiele der Beklagten allenfalls dann zur Last, wenn sie selbst
für die Fristversäumung eine wie auch immer geartete Verantwortung träfe. Das ist nicht
der Fall und wird vom Kläger auch nicht geltend gemacht.
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6. Die mit Gesetz vom 22.12.1982 in § 13 HbKG eingefügte Stichtagsregelung ist auch
nicht verfassungswidrig.
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Fristen- und Stichtagsregelungen sind aus praktischen Gründen unumgänglich und
verfassungsrechtlich unbedenklich. Artikel 3 Abs. 1 GG ist nur dann verletzt, wenn die
vom Gesetzgeber getroffene Regelung sich nicht durch sachliche Gründe rechtfertigten
läßt oder willkürlich erscheint (BVerfG 49, 260, 275; 71, 364, 397; 80, 297, 311). Davon
kann hier jedenfalls deshalb keine Rede sein, weil die Stichtagsregelung des § 13
HbKG, wie oben ausgeführt, eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 32
VwVfG nicht ausschließt. Unter der Voraussetzung, daß eine Wiedereinsetzung
prinzipiell möglich ist, wird ein Verfassungsverstoß auch vom Kläger selbst nicht geltend
gemacht.
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Ob es mit dem Gleichheitsgebot vereinbar ist, daß der Gesetzgeber die Frist für
Geschädigte mit Wohnsitz in der ehemaligen DDR durch eine Bestimmung des
Einigungsvertrages bis Ende 1993 verlängert hat, kann dahinstehen. Falls die
Bestimmung im Einigungsvertrag verfassungswidrig sein sollte, wäre nach wie vor der
Stichtag 31.12.1983 für alle Geschädigten, also auch für den Kläger, maßgebend. Im
übrigen wäre dem Kläger auch mit einer Erstreckung der für das Beitrittsgebiet
geschaffenen Regelung auf alle Geschädigten im Bereich des früheren Ostblocks nicht
geholfen, da er mit seinem erst im Dezember 1994 gestellten Antrag auch die
verlängerte Frist nicht gewahrt hat.
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II.
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Auch die hilfsweise gestellten Berufungsanträge sind unbegründet.
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Alle Hilfsanträge setzen voraus, daß der ablehnende Bescheid vom 19.01.1995 und der
Widerspruchsbescheid vom 30.03.1995 entweder wirkungslos oder aufzuheben sind.
Beides ist nicht der Fall. Die Bescheide sind vielmehr, wie sich aus den unter Ziff. I
dargelegten Gründen ergibt, rechtmäßig. Eine Änderung der Rechtslage kann nur durch
den Gesetzgeber erfolgen.
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Der Schriftsatz des Klägers vom 21.10.1997 gibt keinen Anlaß, die mündliche
Verhandlung wiederzueröffnen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10 ZPO.
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Berufungsstreitwert und Wert der Beschwer: 15.120,00 DM.
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