Urteil des OLG Köln vom 09.06.1998

OLG Köln (fahrzeug, entwendung, 1995, höhe, wahrheit, wert, preis, betrag, haus, zpo)

Oberlandesgericht Köln, 9 U 13/97
Datum:
09.06.1998
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
9. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 U 13/97
Vorinstanz:
Landgericht Bonn, 7 0 242/96
Tenor:
Auf die Berufung des Beklagten wird das am 07.11.1996 verkündete
Urteil der 7. Zivilkammer des Landgerichts Bonn - 7 0 242/96 - teilweise
geändert. Das Versäumnisurteil des Landgerichts vom 11.07.1996 - 7 0
242/96 - wird aufgehoben und die Klage abgewiesen, soweit der
Beklagte zur Zahlung von mehr als 36.383,12 DM nebst 4% Zinsen seit
dem 26.06.1996 verurteilt worden ist. Im übrigen wird es
aufrechterhalten. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen. Die
Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte. Das Urteil ist vorläufig
vollstreckbar.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die in formeller Hinsicht unbedenkliche Berufung des Beklagten hat nur zu einem
geringen Teil Erfolg. Im übrigen ist sie unbegründet.
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Das Landgericht hat im Ergebnis zu Recht ausgeführt, daß der Klägerin gegen den
Beklagten aus § 812 Abs. 1 Satz 1 erste Alternative BGB ein Anspruch auf Rückzahlung
der erbrachten Versicherungsleistungen in Höhe von netto 111.564,89 DM zusteht. Auf
diesen Anspruch muß sich die Klägerin einen Betrag von 76.021,74 DM anrechnen
lassen, weil sie das angeblich am 04./05.09.1995 gestohlene Fahrzeug des Beklagten,
einen Mercedes 500 E mit dem amtlichen Kennzeichen ......., nicht nur zum Preis von
73.478,26 DM, sondern zu einem solchen von 76.021,74 DM hätte veräußern können
und müssen. Dieser anzurechnende Betrag mindert sich allerdings um die
Aufwendungen der Klägerin für die Überführung des Fahrzeugs (630,00 DM) und die für
eine Zeitungsannonce aufgewendeten Kosten in Höhe von 209,97 DM. Rechnerisch
verbleibt zugunsten der Klägerin demgemäß ein Betrag von 36.383,12 DM.
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Auf der Basis des unstreitigen Sachvortrags der Parteien und nach dem Ergebnis der in
der Berufungsinstanz durchgeführten Beweisaufnahme steht zur sicheren Überzeugung
des Senats fest (§ 286 Abs. 1 ZPO), daß eine Entwendung des Fahrzeugs des
Beklagten am 05./06.09.1995 in Wahrheit nicht stattgefunden hat. Die Klägerin hat die
Kaskoentschädigung deshalb ohne rechtlichen Grund geleistet und kann sie gemäß §
812 Abs. 1 Satz 1 erste Alternative BGB zurückfordern.
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Entgegen der Auffassung des Landgerichts kann allerdings nicht davon ausgegangen
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werden, der Beklagte sei für den zwischen den Parteien streitigen Diebstahl seines
Fahrzeugs darlegungs- und beweispflichtig. Denn nach ständiger Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs (vgl. hierzu nur BGH r+s 1993, 372 = VersR 1993, 1007) und auch
der des Senats (vgl. nur Senat r+s 1997, 104) muß der Versicherer als
Bereicherungsgläubiger im Fall der Rückforderung einer für die behauptete
Entwendung des versicherten Kraftfahrzeugs erbrachten Versicherungsleistung das
Fehlen des Rechtsgrundes für die von ihm erbrachte Entschädigungsleistung beweisen,
ohne dafür Beweis-erleichterungen in Anspruch nehmen zu können. Er muß deshalb
darlegen und im Streitfall den Nachweis führen, daß in Wahrheit der seiner Zahlung
zugrunde liegende Versicherungsfall "Entwendung" nicht stattgefunden hat. Auf der
anderen Seite erfordert der zu führende Vollbeweis nicht eine absolute Gewißheit, die in
aller Regel nicht zu erreichen ist. Es genügt vielmehr "ein für das praktische Leben
brauchbarer Grad von Gewißheit, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig
auszuschließen" (BGHZ 53, 245 ff., 256 = NJW 1970, 946).
Ausgehend von diesem Beweismaß kann im Streitfall kein vernünftiger Zweifel daran
bestehen, daß eine Entwendung des Fahrzeugs des Beklagten in Wahrheit nicht
stattgefunden hat. Zwar hat die Zeugin R., die Ehefrau des Beklagten, den Sachvortrag
ihres Mannes bestätigt, sie habe das Fahrzeug am 04.09.1995 gegen 18.15 Uhr auf
einem Parkplatz der Fa. B. am K. in B. abgestellt, um die Geschäftsräumlichkeiten der
Fa. B. aufzusuchen, als sie nach einem anschließenden Besuch eines nahegelegenen
Cafés gegen 19.00 Uhr zurückgekehrt sei, sei das Rollgitter des Parkplatzes bereits
herabgelassen gewesen, sie habe den Parkplatz nicht mehr betreten und das zuvor
abgestellte Fahrzeug auch nicht mehr sehen können, am nächsten Morgen sei es
verschwunden gewesen. Der Senat sieht sich jedoch außerstande, den Bekundungen
der Zeugin R. Glauben zu schenken. Gleiches gilt, soweit der Zeuge F., der ehemalige
Ehemann der Zeugin R., deren Aussage in den wesentlichen Punkten bestätigt hat. Die
Besonderheiten des Streitfalls (das Fahrzeug hat bereits einen Tag nach dem von der
Zeugin R. bekundeten Abstellen in unmittelbarer Nähe des angeblichen Tatortes
gestanden, es wurde mit unbeschädigter Lenkradsperre, mit unbeschädigtem
Zündschloß und ohne Anzeichen dafür, daß die Zündung kurzgeschlossen worden war,
aufgefunden, nach Lage der Dinge kann es nur mit einem passenden, nicht kopierten
Originalschlüssel gefahren worden sein) lassen bei realistischer Betrachtungsweise zur
Überzeugung des Senats vielmehr einzig den Schluß zu, daß das Fahrzeug nicht wie
von der Zeugin R. angegeben auf dem Parkplatz der Fa. B. abgestellt und dort später
nicht wieder aufgefunden wurde und daß der der Zahlung der Klägerin
zugrundeliegende Versicherungsfall "Entwendung" in Wahrheit nicht stattgefunden hat.
Diese Überzeugung des Senats beruht namentlich auf folgenden Umständen:
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Zwischen den Parteien ist unstreitig, daß das angeblich gestohlene Fahrzeug bereits
am 05.09.1995 spätestens um 16.40 Uhr dort abgestellt war, wo es später wieder
aufgefunden wurde, und zwar vor dem Haus M.straße Nr. 4. Dies folgt daraus, daß in
der Zeit zwischen dem 05.09. und dem 18.10.1995 gegen den Halter des Fahrzeugs
insgesamt 13 gebührenpflichtige Verwarnungen wegen falschen Parkens
ausgesprochen worden sind. Unstreitig erfolgte die erste gebührenpflichtige
Verwarnung am 05.09.1995 um 16.40 Uhr. Die M.straße verläuft parallel zum K.. Das
Haus Nr. 4 liegt unstreitig allenfalls nur wenige 100 Meter von der Fa. B. entfernt.
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Bei dieser Sachlage widerspricht es aber schon jedweder Lebenserfahrung, daß ein
(professioneller) Autodieb ein - worauf zurückzukommen sein wird - mit Wegfahrsperre
und Alarmanlage ausgerüstetes Fahrzeug der Luxusklasse (Neuwert ca. 150.000,00
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DM) gestohlen haben könnte, um es alsdann jedenfalls noch binnen Tagesfrist in
unmittelbarer Nähe des angeblichen Tatortes wieder abzustellen. Die theoretische
Möglichkeit, daß es gleichwohl so gewesen sein könnte, hält der Senat für so
unwahrscheinlich, daß er sie nicht ernstlich in Betracht ziehen möchte.
Von entscheidender Bedeutung ist in diesem Zusammenhang jedoch die Tatsache, daß
das versicherte, schon am 05.09.1995 vor dem Haus M.straße Nr. 4 stehende Fahrzeug
unstreitig keinerlei Beschädigungen oder Spuren einer nicht ordnungsgemäßen
Inbetriebnahme aufgewiesen hat, obschon solche Spuren im Falle einer Entwendung
zwingend zu erwarten gewesen wären. In diesem Zusammenhang ist zwischen den
Parteien unstreitig, daß die Zeugin R. im Besitz eines Originalschlüssels mit Infrarot-
Fernbedienung war, während sich alle anderen Schlüssel einschließlich eines weiteren
Originalschlüssels mit Infrarot-Fernbedienung in der Wohnung des seinerzeit
ortsabwesenden Beklagten befunden haben. Unstreitig erfolgte das Verschließen des
Fahrzeugs durch die Zeugin R. mit einer Infrarot-Fernbedienung; damit wurden zugleich
die Wegfahrsperre und die Alarmanlage aktiviert. Beide Systeme bleiben so lange aktiv,
bis sie auf demselben Weg, nämlich wiederum durch Betätigung der Infrarot-
Fernbedienung, - daß ein Dieb über eine solche verfügt hätte, ist nicht ersichtlich -
deaktiviert werden. Ferner ist es nach dem unstreitigen Sachvortrag der Parteien
ausgeschlossen, daß einer der unstreitig sämtlich vorhandenen Originalschlüssel
kopiert worden sein könnte.
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Bei dieser Sachlage und in Anbetracht der Tatsache, daß eine Überwindung der
Fahrzeugsicherung jedenfalls ohne äußerlich sichtbare Zerstörung oder Beschädigung
unmöglich erscheint und deshalb für die Beurteilung des Streitfalls außer Betracht zu
bleiben hat, bleibt für die Annahme eines Diebstahls realistischerweise nur die
Möglichkeit, daß das Fahrzeug von einem unbefugten Dritten mit einem Original-Infrarot-
Schlüssel aufgeschlossen und gestartet worden ist. Nach dem unstreitigen Parteivortrag
ist aber gerade das auszuschließen. Deshalb spricht alles dafür, daß das Fahrzeug
nicht entwendet, sondern von der Zeugin R. vor dem Haus M.straße Nr. 4 abgestellt
worden ist. Dies gilt um so mehr, als die Zeugin R. - auch das ist zwischen den Parteien
nicht streitig - in dem Fahrzeug teure Kleidung, nämlich Kostüme und Anzüge sowie
eine Auswahlsendung der Boutique "Flair" im Gesamtwert von etwa 25.000,00 DM
aufbewahrt hatte, die nicht weggekommen sind. Der Senat hält es für wenig
naheliegend, daß ein Dieb die sich ihm bietende Gelegenheit nicht genutzt und die
Gegenstände im Fahrzeug zurückgelassen haben könnte.
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Als einzige, zugleich aber als theoretisch zu bezeichnende Möglichkeit, das Fahrzeug
zu entwenden, wäre ein Aufladen des Mercedes auf einen Transporter verblieben. Der
Senat hält diese Möglichkeit allerdings für völlig unwahrscheinlich und schließt sie im
Streitfall aus. Hiergegen spricht nicht nur das Zeitmoment. Ein Täter hätte am Abend des
04.09.1995 nämlich maximal 45 Minuten Zeit gehabt, um in aufwendiger Weise vor dem
Schließen des Rollgitters für den Abtransport des Fahrzeugs zu sorgen. Vor allem wäre
eine solche Vorgehensweise sehr auffällig und für den Täter mit einem enorm hohen
(Entdeckungs-) Risiko verbunden gewesen. Dies gilt namentlich deshalb, weil der Täter
dann mit einem Transporter in den Innenhof eines Privatgrundstücks hätte fahren
müssen, um dort bei der Gefahr jederzeitiger Entdeckung ein Kraftfahrzeug zu verladen.
Insgesamt erscheint dem Senat eine Entwendung des Fahrzeugs durch Aufladen auf
einen Transporter im Streitfall als lebensfremd; er schließt sie aus.
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Steht demnach zur Überzeugung des Senats fest, daß es den Versicherungsfall
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"Entwendung" in Wahrheit nicht gegeben hat, und folgt daraus zugleich die
Verpflichtung des Beklagten zur Rückgewähr der empfangenen Versicherungsleistung
in Höhe von 111.564,89 DM, muß sich die Klägerin auf ihren Bereicherungsanspruch
nicht nur den erzielten Veräußerungswert in Höhe von netto 73.478,26 DM, sondern den
tatsächlichen Wert des wiederaufgefundenen Kraftfahrzeugs in Höhe von netto
76.021,74 DM anrechnen lassen. Anders wäre dies nur dann, wenn mit dem
Sachvortrag der Klägerin davon ausgegangen werden müßte, die Parteien hätten sich
über die Veräußerung des Fahrzeugs zu einem bestimmten Preis geeinigt. Dies wird
von der Klägerin jedoch nicht schlüssig behauptet. Denn hierzu müßte sie vortragen, der
Beklagte habe seine Bereitschaft erklärt, im Falle der Rückforderung der
Versicherungssumme einen bestimmten Veräußerungserlös gegen sich gelten zu
lassen. Hieran fehlt es. Die Bereicherung des Beklagten bzw. Entreicherung der
Klägerin mindert sich daher um den objektiven Wert des von der Klägerin an sich
genommenen Kraftfahrzeugs (§§ 812, 818 BGB).
Zum Veräußerungswert hat der vom Senat beauftragte Sachverständige T. im einzelnen
und überzeugend dargelegt, daß und warum das Fahrzeug zum Zeitpunkt seiner
Veräußerung einen Veräußerungswert von 85.662,00 DM inklusive Mehrwertsteuer
hatte. Namentlich leuchtet es dem Senat ein, daß - wie der Sachverständige im Termin
zur mündlichen Verhandlung vom 28.04.1998 im Rahmen der Erläuterung seines
Gutachtens zu Protokoll gegeben hat - bezüglich eines Fahrzeugs der hier in Rede
stehenden Art nur ein außerordentlich enger, kleiner Markt bestehe und daß es von den
jeweiligen situativen Gegebenheiten abhänge, ob man für ein solches Fahrzeug einen
guten Preis erzielen könne oder nicht. Namentlich komme es darauf an, ob man gerade
einen Käufer finde, der an dem Fahrzeug besonders interessiert sei, ob die Farbe
gerade nachgefragt werde, zu welcher Jahreszeit man verkaufe und an welchem Ort. Er
- der Sachverständige - habe keine Anhaltspunkte dafür finden können, daß ein
wesentlich höherer Preis als der von ihm geschätzte für den Fall hätte erzielt werden
können, daß das Fahrzeug in überregionalen Zeitungen inseriert worden wäre.
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Bei dieser Sachlage bezweifelt der Senat nicht die Richtigkeit des vom
Sachverständigen T. ermittelten Brutto-Veräußerungswertes von 85.662,00 DM. Diesem
Wert ist allerdings ein Betrag von brutto 1.763,00 DM hinzuzurechnen, weil der
Sachverständige in tatsächlicher Hinsicht zu Unrecht davon ausgegangen ist, das
Fahrzeug befinde sich beim Beklagten in zweiter Hand, deshalb sei eine negative
Wertkorrektur in Höhe dieses Betrages vorzunehmen. Denn insoweit war dem Umstand
Rechnung zu tragen, daß der Beklagte in der mündlichen Verhandlung vom 28.04.1998
und bereits zuvor unbestritten vorgetragen hat, das Fahrzeug sei ein Ersthandfahrzeug,
es sei von Anfang an auf ihn zugelassen gewesen.
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Muß sich die Klägerin demgemäß auf ihren Bereicherungsanspruch einen
Veräußerungswert von netto 76.021,74 DM anrechnen lassen, haben in den
Bereicherungsausgleich andererseits auch diejenigen Kosten einzufließen, die die
Klägerin aufgewandt hat, um das Fahrzeug zu verwerten. Dies sind nach dem
unstreitigen Sachvortrag der Parteien 630,00 DM Überführungskosten und weitere
209,97 DM Anzeigekosten.
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Die Forderung der Klägerin beläuft sich demgemäß auf 36.383,12 DM (111.564,89 -
76.021,74 + 630,-- + 209,97 DM). Diese ist gemäß §§ 286 Abs. 1, 284 Abs. 1 S. 2, 288
Abs. 1 S. 1 BGB ab dem Zeitpunkt der Rechtshängigkeit der Klage mit 4% Jahreszinsen
zu verzinsen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 2 ZPO. Soweit sich die Klage
als unbegründet erwiesen hat, war die Zuvielforderung der Klägerin verhältnismäßig
geringfügig und hat keine besonderen Kosten veranlaßt. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
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Streitwert für das Berufungsverfahren: 38.926,60 DM
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Wert der Beschwer des Beklagten: 36.383,12 DM
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Wert der Beschwer der Klägerin: 2.543,48 DM
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