Urteil des OLG Köln vom 18.12.1997

OLG Köln (grobe fahrlässigkeit, eintritt des schadens, schulterverletzung, fahrlässigkeit, vorsätzlich, bezug, unfallversicherung, tag, unfall, eintritt)

Oberlandesgericht Köln, 12 U 133/97
Datum:
18.12.1997
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
12. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
12 U 133/97
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 17 O 215/96
Normen:
RVO § 640
Leitsätze:
Ein Rückgriffsanspruch des Trägers der gesetzlichen Unfallversicherung
gem. § 640 RVO ist dann nicht gegeben, wenn der Schädiger mit der
Möglichkeit eines größeren Schadens nicht gerechnet hat und ihm
insofern auch nicht das vorausgesetzte schwere Verschulden
anzulasten ist. Eine Haftung kann deshalb ausscheiden, wenn der
Schädiger im Laufe einer verbalen Auseinandersetzung, die mit der
betrieblichen Tätigkeit in unmittelbarem Zusammenhang steht, einen
Arbeitnehmer mit einfacher körperlicher Gewalt an den Schultern packt
und von sich weg stößt und dieser sodann mit der Schulter unglücklich
gegen einen Türpfosten gerät und eine Schulterverletzung mit
langwieriger Beeinträchtigung erleidet.
Rechtskraft:
nicht anfechtbar
Tenor:
Auf die Berufung des Beklagten wird das am 18. April 1997 verkündete
Urteil der 17. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 17 O 215/96 -
abgeändert und wie folgt neu gefaßt: Die Klage wird abgewiesen. Die
Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen werden der Klägerin
auferlegt. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die zulässige Berufung des Beklagten hat auch in der Sache selbst Erfolg. Der Klägerin
steht gegen den Beklagten ein Anspruch auf Zahlung von 14.953,72 DM nicht zu.
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Ein solcher Anspruch ergibt sich insbesondere nicht aus § 640 Abs. 1 RVO. Zwar ist in
Übereinstimmung mit dem Landgericht davon auszugehen, daß vorliegend ein
Arbeitsunfall im Sinne von §§ 548 Abs. 1 S. 1, 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO gegeben ist, den
der Beklagte schuldhaft verursacht hat. Ein Anspruch der Klägerin nach § 640 Abs. 1
RVO besteht gleichwohl nicht, da sich nicht feststellen läßt, daß der Beklagte den Eintritt
des Schadens, für den Ersatz begehrt wird, vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht
hat.
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Der Rückgriffsanspruch des Sozialversicherungsträgers setzt voraus, daß Vorsatz oder
grobe Fahrlässigkeit des Schädigers auch Eintritt und Umfang des Schadens umfaßt
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haben. Das folgt aus dem Sinn und Zweck der §§ 636, 637 und § 640 RVO, die dem
Schädiger das Haftungsrisiko nur dann aufbürden wollen, wenn er den Unfall selbst,
also das die Versichertengemeinschaft finanziell belastende Ereignis, vorsätzlich (oder
beim Regreß aus § 640 RVO auch nur grob fahrlässig) herbeigeführt hat. Anderenfalls
würde die Haftungsprivilegierung ersichtlich in wichtigen Fällen leerlaufen (BGHZ 75,
328, 330). Der innere Grund dafür, den Schädiger den Schutz der gesetzlichen
Unfallversicherung zu versagen und ihn Ersatzansprüchen des Unternehmers oder von
Betriebsangehörigen sowie Rückgriffsansprüchen des Trägers der gesetzlichen
Unfallversicherung auszusetzen, liegt nicht schon darin, daß er überhaupt eine
Verletzungshandlung begangen hat, sondern darin, daß er mit der Herbeiführung des
Unfalls den Schaden angerichtet hat, und zwar in besonders vorwerfbarer Weise. Hat er
indes mit der Möglichkeit des Eintrittes eines größeren Schadens nicht gerechnet und ist
ihm insofern auch nicht das in den §§ 636, 640 RVO vorausgesetzte schwere
Verschulden anzulasten, fehlt es an einer wesentlichen Voraussetzung für die
endgültige Schadenszuweisung an ihn (BGHZ a.a.O., 332, 333).
Der streitgegenständliche Unfall ereignete sich am letzten Tag der I.-Messe. An diesem
Tag herrschte in der Firma R., bei der der Beklagte und der Zeuge G. zum damaligen
Zeitpunkt tätig waren, besonders große Hektik. Die Beschäftigten mußten Hand in Hand
zusammenarbeiten, damit alles klappte. Vor diesem Hintergrund kam es wegen einer
Unstimmigkeit über die Belieferung eines Imbißstandes zu einem Wortwechsel
zwischen dem Beklagten und dem Zeugen G., der schließlich darin endete, daß der
Beklagte den Zeugen G. von sich weg und dieser sodann mit der linken Schulter gegen
den Türpfosten stieß. Daß er dem Zeugen hierdurch eine schwerwiegende
Schulterverletzung beibringen wollte bzw. eine solche grobfahrlässig herbeigeführt hat,
läßt sich nicht feststellen. Anhaltspunkte dafür, daß der Beklagte vorsätzlich Schaden
zufügen wollte, bestehen nicht und werden auch von der Klägerin nicht geltend
gemacht. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn die verkehrserforderliche Sorgfalt in
besonders schwerem Maße verletzt wird, schon einfachste, ganz naheliegende
Überlegungen nicht angestellt werden und das nicht beachtet wird, was im gegebenen
Fall jedem einleuchten mußte (Palandt-Heinrichs, BGB, 56. Aufl. 1997, § 277
Randnotierung 2 m.w.N.). Davon, daß diese Voraussetzungen vorliegend bei dem
Beklagten in Bezug auf den Schadenseintritt bestanden haben, kann nicht
ausgegangen werden. Zwar ist der Klägerin zuzugeben, daß es in diesem
Zusammenhang nicht erforderlich ist, daß der Beklagte sämtliche konkreten
medizinischen Auswirkungen bei der Auseinandersetzung am 04.10.1992 vor Augen
hatte bzw. hätte haben müssen. Gleichwohl muß dem Beklagten ein besonders
nachlässiges und besonders zu mißbilligendes Verhalten in Bezug auf den
Schadenseintritt zur Last gelegt werden können, um eine Haftung aus § 640 Abs. 1 RVO
annehmen zu können. Gerade daran fehlt es vorliegend jedoch. Bereits die
Verletzunghandlung spricht gegen die Annahme einer groben Fahrlässigkeit in Bezug
auf die Schadenszufügung. Besondere Brutalität war nicht im Spiel. Vielmehr hat der
Beklagte den Zeugen, der mit einem solchen Angriff nicht gerechnet hatte, mittels
einfacher körperlicher Kraft an beiden Schultern gepackt und von sich weggestoßen. In
der konkreten Situation war der Beklagte ärgerlich und aufgebracht. Daß ihm hätte
einleuchten müssen, daß dieser Stoß zu einer schweren Schulterverletzung führen
könnte, die 2 stationäre Krankenhausaufenthalte nach sich zieht, ergibt sich unter
diesen Umständen nicht. Es liegt keineswegs auf der Hand, daß ein erwachsener Mann,
der gegen ein Türpfosten gestoßen wird, hierdurch so schwer verletzt wird, daß mit
einem mehrfachen Krankenhausaufenthalt und einer langfristigeren gesundheitlichen
Beeinträchtigung gerechnet werden muß.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
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Wert des Berufungsverfahrens: 14.953,72 DM.
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Wert der Beschwer für die Klägerin: unter 60.000,00 DM.
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