Urteil des OLG Köln vom 20.10.1998

OLG Köln (treu und glauben, vorbehalt, versicherungsnehmer, lebensversicherung, höhe, zpo, zweifel, versicherer, vorsätzlich, behandlung)

Oberlandesgericht Köln, 9 U 71/98
Datum:
20.10.1998
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
9. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 U 71/98
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 24 O 338/96
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 05.03.1998 verkündete Urteil
der 24. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 24 0 338/96 - teilweise
geändert. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 22.602,06 DM
nebst 4% Zinsen seit dem 20.07.1996 zu zahlen. Die weitergehende
Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen. Die Kosten des
Rechtsstreits trägt die Beklagte. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die in formeller Hinsicht bedenkenfreie Berufung der Klägerin hat auch in der Sache
weitestgehend Erfolg. Das Landgericht hat die Klage zu Unrecht mit der Begründung
abgewiesen, der Klägerin stehe gegen die Beklagte ein Zahlungsanspruch nicht zu,
weil die Leistungen, die die Klägerin aufgrund des zwischen ihr und dem verstorbenen
Lebensgefährten der Beklagten abgeschlossenen Rechtsschutzversicherungsvertrages
erbracht hat, nicht rechtsgrundlos erfolgt seien bzw. dem Rückforderungsanspruch der
Einwand unzulässiger Rechtsausübung im Sinne des § 242 BGB entgegenstehe.
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Entgegen der Auffassung des Landgerichts liegen die tatbestandlichen
Voraussetzungen des § 812 Abs. 1 Satz 1 erste Alternative BGB im Streitfall vor. Die
Beklagte hat als "mitversicherte Person" des zwischen Herrn P. und der Klägerin
geschlossenen Rechtsschutzversicherungsvertrages im Zusammenhang mit dem von
ihr gegen die Q. Lebensversicherung-AG vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth (2 0
8990/93) und anschließend vor dem Oberlandesgericht Nürnberg (8 U 2298/94) und
dem Bundesgerichtshof (IV ZR 157/95) geführten Rechtsstreits (im folgenden:
"Vorprozeß") Versicherungsleistungen in Höhe von insgesamt 22.602,06 DM erhalten,
die ihr nicht zustanden, weil der Versicherungsnehmer P. den Versicherungsfall
vorsätzlich und rechtswidrig verursacht hatte. Die Klägerin war demgemäß aufgrund der
dem Versicherungsvertrag zugrunde liegenden Bestimmung des § 4 Abs. 2 a ARB nicht
zur Erbringung von Versicherungsleistungen verpflichtet. Sie kann die gleichwohl und
hiernach ohne rechtlichen Grund erbrachten Leistungen deshalb von der Beklagten
zurückverlangen.
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Die Klägerin hatte ihre jeweilige, für jede Instanz gesondert erteilte und jeweils an den
Prozeßbevollmächtigten der Beklagten gerichtete Deckungszusage unter dem
ausdrücklichen Vorbehalt erteilt, daß ihr Versicherungsnehmer P. den Versicherungsfall
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nicht vorsätzlich und rechtswidrig im Sinne des § 4 Abs. 2 a ARB verursacht haben
dürfe. Eine solche vorsätzliche und rechtswidrige Verursachung des
Versicherungsfalles durch Herrn P. ist, worauf zurückzukommen sein wird, im Streitfall
jedoch gegeben, weil er die Q. Lebensversicherung-AG bei Vertragsschluß über seine
Alkoholerkrankung arglistig getäuscht hat.
Im Vorprozeß, in dem die Beklagte Auszahlung der vereinbarten
Lebensversicherungssumme in Höhe von 100.000,00 DM verlangt hatte, haben das
Landgericht Nürnberg-Fürth und auch das Oberlandesgericht Nürnberg in ihren Urteilen
vom 07.06.1994 und 23.03.1995 im einzelnen zutreffend ausgeführt, daß und warum
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der Versicherungsnehmer P. seine bestehende Alkoholerkrankung bzw. seinen Alkohol-
Abusus bei Vertragsschluß arglistig verschwiegen hat. Zwar zeitigen die im Vorprozeß
rechtskräftig getroffenen Feststellungen zu der von dem Lebensgefährten der Beklagten
verübten arglistigen Täuschung im Deckungsprozeß der vorliegenden Art keine
Bindungswirkung (vgl. BGHZ 117, 345 = VersR 1992, 568 ff.). Der Senat ist also an die
diesbezüglichen Feststellungen nicht gebunden, hat im Rahmen des subjektiven
Risikoausschlusses des § 4 Abs. 2 a ARB vielmehr selbständig die Umstände zu
prüfen, die ggf. den Rückschluß auf die Arglist des Versicherungsnehmers P. zulassen.
Auch der Senat hat hieran jedoch keinen vernünftigen Zweifel. Unabhängig davon, ob -
wie die Klägerin behauptet - Herr P. wegen seiner Alkoholerkrankung bei der Ärztin Dr.
B. in ärztlicher Behandlung war, ist zwischen den Parteien jedenfalls unstreitig, daß Dr.
B. Herrn P. geraten hatte, wegen seiner Alkoholprobleme eine Sucht- und
Drogenberatungsstelle aufzusuchen. Im staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren hat die
Beklagte selbst angegeben, ihr verstorbener Lebensgefährte habe es "bis zur Perfektion
verstanden, seine Alkoholsucht zu tarnen". Bei dieser Sachlage kann kein vernünftiger
Zweifel daran bestehen, daß Herr P. von dieser Alkoholerkrankung wußte und diese
gegenüber der Q. Lebensversichung-AG bei Vertragsschluß arglistig verschwiegen hat.
Letzteres folgt - das sieht der Senat nicht anders als die im Vorprozeß mit der Sache
befaßten Gerichte - jedenfalls daraus, daß Herr P. bei Vertragsschluß zwar den Bruch
eines Mittelhandknochens und seine Behandlung durch seinen Schwager, Herrn Dr.
med. R., angegeben, seine Alkoholprobleme und namentlich den Rat der Frau Dr. B.,
eine Suchtstelle aufzusuchen, aber verschwiegen hatte. Das belegt, daß sich Herr P.
sehr wohl bewußt war, daß er diesen Umstand "eigentlich", und zwar auch ungefragt,
hätte offenbaren müssen. Statt dessen hat er seinen Vertragspartner bewußt auf die
falsche Fährte gelockt, um in die richtige Richtung gehende Ermittlungen zu
unterbinden.
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Steht demnach auch zur Überzeugung des Senats fest, daß Herr P. seine
Alkoholabhängigkeit seinerzeit arglistig verschwiegen hat, bedeutet dies im Streitfall
zugleich die Leistungsfreiheit der Klägerin nach § 4 Abs. 2 a ARB. Dabei kommt es -
das folgt aus § 79 Abs. 1 VVG - nicht darauf an, ob die Beklagte selbst von der
Täuschungshandlung ihres Lebensgefährten wußte. Der Feststellung, daß Herr P. sich
bewußt gewesen ist, daß sein hiernach vorsätzlicher und rechtswidriger Rechtsverstoß
nach der Lebenserfahrung und dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu einer rechtlichen
Auseinandersetzung und dadurch zur Entstehung von Kosten und Lasten des
Rechtsschutzversicherers führen würde, bedarf es nicht. Insoweit schließt sich der
Senat der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (r+s 1997, 201) an, wonach zur
vorsätzlichen Verursachung des Versicherungsfalles ein solches Bewußtsein des
Versicherungsnehmers nicht gehört (anders noch OLG Köln, 5. Zivilsenat, r+s 1992, 238
und r+s 1993, 220).
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Die Klägerin handelt entgegen der Auffassung des Landgerichts auch nicht treuwidrig
im Sinne des § 242 BGB, wenn sie sich darauf beruft, sie habe ihre Leistungen aus dem
Rechtsschutzversicherungsvertrag unter den Vorbehalt vorsätzlicher und rechtswidriger
Verursachung des Versicherungsfalles gestellt. Zwar handelt der
Rechtsschutzversicherer in bestimmten Fällen den Grundsätzen von Treu und Glauben
zuwider, wenn er nach Abschluß eines Prozesses aus einem
Rechtsschutzversicherungsvertrag erbrachte Leistungen nach § 812 Abs. 1 Satz 1 erste
Alternative BGB zurückfordert. Das kann z.B. dann der Fall sein, wenn sich der
Versicherer entgegen einem von ihm zuvor geschaffenen Vertrauenstatbestand erstmals
im Rückforderungsprozeß auf eine Obliegenheitsverletzung beruft, obwohl die
Deckungszusage nur einen Vorbehalt hinsichtlich der vorsätzlichen Herbeiführung des
Versicherungsfalles, nicht aber der Obliegenheitsverletzung enthielt (vgl. hierzu Senat,
r+s 1997, 201). Der Streitfall liegt jedoch anders. Soweit die Beklagte meint, der Hinweis
auf den Vorbehalt vorsätzlicher und rechtswidriger Her-
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beiführung des (Lebens-) Versicherungsfalles könne von einem Nicht-Juristen auch
dahin verstanden werden, der Versicherer sei leistungsfrei, wenn sich der
Versicherungsnehmer suizidiert habe, kann dahinstehen, ob dem in tatsächlicher
Hinsicht gefolgt werden könnte. Denn im Streitfall kann das für die Klägerin nachteilige
Wirkungen schon deshalb nicht haben, weil die Beklagte anwaltlich vertreten war und
die Klägerin den Vorbehalt jeweils gegenüber dem Prozeßbevollmächtigten der
Beklagten erklärt hatte.
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Der Auffassung des Landgerichts, die Klägerin habe alle Fakten gekannt, gleichwohl
aber Deckungsschutz gewährt, deshalb könne sie sich bei anderweitigem Verstoß
gegen § 242 BGB nunmehr nicht mehr auf das arglistige Verhalten des
Versicherungsnehmers P. berufen, vermag sich der Senat ebenfalls nicht
anzuschließen, und zwar schon deshalb nicht, weil die Klägerin an dem Vorprozeß
nicht beteiligt war und deshalb nicht ersichtlich und erst recht nicht vorgetragen ist, daß
und in welchem Umfang sie über den dortigen Sach- und Streitstand informiert gewesen
sein soll.
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Soweit sich die Beklagte in ihrer Berufungserwiderung auf den Wegfall der
Bereicherung (§ 818 Abs. 3 BGB) berufen und hierzu vorgetragen hat, ohne die
Deckungszusage der Klägerin hätte sie sich erst gar nicht auf einen Prozeß mit der Q.
Lebensversicherung-AG eingelassen, deshalb sei sie nicht bereichert, hilft ihr dies nicht.
Denn die Anwendung der Vorschrift des § 818 Abs. 3 BGB ist analog § 820 Abs. 1 Satz
1 BGB ausgeschlossen, wenn - wie hier - unter Vorbehalt gezahlt und dem Vorbehalt
nicht widersprochen wird (BGH WM 1988, 1494, 1496 m.w.N.).
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Das mit der Berufung angefochtene Urteil des Landgerichts konnte mithin keinen
Bestand haben. Vielmehr war die Beklagte zur Rückzahlung der der Höhe nach
unstreitigen, gemäß §§ 286 Abs. 1, 284 Abs. 1 Satz 1, 288 Abs. 1 Satz 1 BGB ab dem
20.07.1996 mit 4% Jahreszinsen zu verzinsenden Forderung zu verurteilen.
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Unbegründet ist die Berufung lediglich insoweit, als die Klägerin Erstattung von 20,00
DM vorgerichtlichen Mahnkosten verlangt. Denn hier hat die Klägerin schon das
Entstehen dieser Kosten nach Verzugseintritt (§ 286 Abs. 1 BGB) nicht schlüssig
vorgetragen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO. Die Entscheidung über
die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
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Streitwert: 22.602,06 DM
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Wert der Beschwer der Beklagten: 22.602,06 DM
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Wert der Beschwer der Klägerin: 20,00 DM
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