Urteil des OLG Köln vom 17.12.2002

OLG Köln: arbeitsamt, freispruch, mitteilungspflicht, arbeitslosenhilfe, behörde, form, unverzüglich, unterlassen, aufklärungspflicht, mitwirkungspflicht

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
1
2
3
4
5
Aktenzeichen:
Oberlandesgericht Köln, Ss 470/02
17.12.2002
Oberlandesgericht Köln
1. Strafsenat
Urteil
Ss 470/02
Das angefochtene Urteil wird mit seinen Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über
die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts
Aachen zurückverwiesen.
G r ü n d e
I.
Die Staatsanwaltschaft hat den Angeklagten wegen Betruges (§ 263 StGB) angeklagt, weil
er es als Empfänger von Arbeitslosenhilfe entgegen seiner aus § 60 Abs. 1 Nr. 2 SGB I
resultierenden Mitteilungspflicht unterlassen habe, das Arbeitsamt unverzüglich darüber zu
informieren, dass er vom 01.04.2000 an eine Beschäftigung bei der A. u. M.
Lebensversicherung AG in A. angenommen habe und dadurch bewirkt habe, dass das
Arbeitsamt in der Zeit vom 01.04. bis zum 31.07.2000 ohne Rechtsgrund insgesamt
6.417,20 DM Arbeitslosenhilfe gezahlt habe.
Das Amtsgericht Aachen hat den Angeklagten - ausgehend von einer Überzahlung von
6.306,50 DM - mit Urteil vom 27. September 2001 wegen Betruges zu einer Freiheitsstrafe
von 6 Monaten verurteilt. Auf seine Berufung hat das Landgericht das Urteil aufgehoben
und den Angeklagten freigesprochen.
Nach den Urteilsgründen hat die Strafkammer zwar die Behauptung des Angeklagten, er
habe die von April bis Juli 2000 erfolgten Zahlungen als Überbrückungsgeld angesehen,
als bloße Schutzbehauptung angesehen. Gleichwohl komme eine Verurteilung nicht in
Betracht, weil dem Angeklagten kein strafrechtlich relevantes Täuschungsverhalten
gegenüber der Arbeitsverwaltung nachgewiesen werden könne. Er sei seiner Pflicht zur
Anzeige leistungsrelevanter Veränderungen in hinreichender Weise nachgekommen,
indem er am 02.04.2000 die Aufnahme einer Tätigkeit bei der AM-Versicherung angezeigt
habe. Seine diesbezügliche Einlassung, er habe die Nachricht in den Hausbriefkasten des
Arbeitsamtes eingeworfen, sei nicht zu widerlegen. Dass die Originale der
Veränderungsmitteilung nebst Anschreiben nicht zur amtsinternen Leistungsakte des
Angeklagten gelangt seien, begründe keine durchgreifenden Zweifel an seiner
Behauptung, weil die gerichtliche Erfahrung lehre, dass immer wieder Schriftstücke, die
nachweislich in den Herrschaftsbereich des Empfängers gelangt seien, den konkreten
hausinternen Bestimmungsort nicht erreichten. Zu einer weiteren Mitteilung an das
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
Arbeitsamt sei der Angeklagte nicht verpflichtet, obwohl die Arbeitslosengeldzahlungen ab
April 2000 weitergelaufen seien. Denn er habe die Mitteilung in den Hausbriefkasten des
Arbeitsamtes eingeworfen und damit sichergestellt, dass sie in den Empfangsbereich der
Arbeitsverwaltung gelangt sei. Das unterscheide den vorliegenden Fall von Fällen, in
denen der Leistungsempfänger die schriftliche Mitteilung lediglich abgesandt habe.
Deshalb habe er darauf vertrauen dürfen, dass er seinen gesetzlichen Mitteilungspflichten
nachgekommen sei.
Mit ihrer gegen diese Entscheidung zum Nachteil des Angeklagten eingelegten Revision
rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung materiellen Rechts und beantragt,
das angefochtene Urteil mit seinen Feststellungen aufzuheben und die Sache zur neuen
Verhandlung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Aachen zurückzuverweisen.
Sie macht hierzu geltend, die Strafkammer habe auf der Basis der von ihr getroffenen
Feststellungen den Vorwurf des Betruges nicht verneinen dürfen. Bei der Beurteilung der
Garantenpflichten sei eine Differenzierung danach, ob die Mitteilung per Post versandt oder
in den Hausbriefkasten des Arbeitsamtes eingeworfen worden sei, nicht angebracht.
II.
Die statthafte und auch ansonsten in formeller Hinsicht unbedenkliche Revision der
Staatsanwaltschaft hat (vorläufigen) Erfolg und führt zur Aufhebung der angefochtenen
Entscheidung (§ 353 StPO).
1.
Der Freispruch des Angeklagten vom Vorwurf des Betruges nach § 263 StGB hält
rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das angefochtene Urteil begegnet jedenfalls insoweit
durchgreifenden rechtlichen Bedenken, als es darauf gründet, der Angeklagte habe allein
schon dadurch, dass er die Mitteilung von seiner Arbeitsaufnahme in den Briefkasten des
Arbeitsamtes eingeworfen habe, seiner Mitteilungspflicht aus § 60 Abs. 1 Nr. 2 SGB I
genügt und sei trotz Eingangs weiterer Zahlungen zu einer Wiederholung nicht verpflichtet
gewesen. Der Freispruch beruht auf einer Verkennung des Umfangs der sich aus dieser
Vorschrift ergebenden gesetzlichen Verpflichtung und damit auf einer Verletzung des
Gesetzes (§§ 337 Abs. 1, 353, 354 Abs. 2 StPO).
a.
Den Angeklagten traf als Empfänger von Arbeitslosenhilfe nach § 60 Abs. 1 Nr. 2 SGB I die
Pflicht,
"Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind oder über die im
Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen abgegeben worden sind, unverzüglich
mitzuteilen."
Macht der Leistungsempfänger von der ihm übergebenen Mitteilungskarte Gebrauch oder
teilt er der Arbeitsverwaltung die Arbeitsaufnahme auf andere Weise (vgl. § 60 II SGB I)
schriftlich mit, so reicht es nicht aus, dass er sich darauf beschränkt, die schriftliche
Mitteilung abzusenden. Vielmehr wird er seiner Verpflichtung zur Mitteilung veränderter
Umstände nur dann gerecht, wenn er dafür Sorge trägt, dass die schriftliche Mitteilung den
zuständigen Bediensteten des Arbeitsamtes auch tatsächlich zugeht (vgl. Senat NJW 1984,
1979). Die Mitteilungspflicht des § 60 Abs. 1 Nr. 2 SGB I ist Teil einer effektiven
17
18
19
20
21
Mitwirkungspflicht des Leistungsempfängers, auf die das Arbeitsamt im Rahmen seiner
umfassenden Aufklärungspflicht angewiesen ist. Allerdings ist es nicht Aufgabe des
Leistungsempfängers, dem die innerbetriebliche Organisation der Behörde nicht
zugänglich ist, den jeweils "zuständigen Bediensteten" ausfindig zu machen und dafür
"Sorge zu tragen", dass diesen die Mitteilung tatsächlich erreicht. Adressat der Mitteilung ist
das Arbeitsamt, und ihr Zweck besteht darin, bei der Behörde irrige Vorstellungen der
Personen zu beseitigen, die zugunsten des Leistungsempfängers eine Verfügung im Sinne
von § 263 Abs. 1 StGB treffen, um wen es sich dabei im einzelnen auch handelt (vgl. OLG
Stuttgart Justiz 1992, 185 f. mit weiteren Nachweisen). Dieser Zweck ist aber nicht erreicht,
wenn weiterhin Zahlungen durch die Behörde erfolgen. Gehen daher in einem solchen Fall
nach Absendung der schriftlichen Mitteilung noch weiter Zahlungen der Arbeitsverwaltung
bei dem Leistungsempfänger ein, so liegt es nahe, dass die Mitteilung den zuständigen
Bediensteten nicht erreicht hat. Das gilt unabhängig davon, ob der Leistungsempfänger die
Mitteilung auf dem Postweg übersandt oder in den Hausbriefkasten des Arbeitsamtes
eingeworfen hat. Der Leistungsempfänger ist dann nicht von der gesetzlichen Verpflichtung
zu weiterer Tätigkeit frei geworden. Er hat vielmehr die Mitteilung in geeigneter Form zu
wiederholen und auf diese Weise zu gewährleisten, dass der zuständige Bedienstete von
den veränderten Umständen unverzüglich Kenntnis erhält. Erst wenn der
Leistungsempfänger davon ausgehen kann, dass die Mitteilung den zuständigen
Bediensteten auch tatsächlich erreicht hat, ist er der ihm obliegenden Mitteilungspflicht aus
§ 60 I Nr. 2 SGB I nachgekommen (so schon Senat NJW 1984, 1979; ebenso OLG Stuttgart
a.a.O.; KG Berlin, Beschluss v. 17.09.1997 - 2 Ss 183/97 -).
b.
Nach den Feststellungen der Kammer hat der Angeklagte zwar - unwiderlegt - die
Arbeitsaufnahme am 02. April 2000 durch Einwurf in den Hausbriefkasten des
Arbeitsamtes mitgeteilt. Er hat dann jedoch noch von April bis einschließlich Juli 2000
weitere Zahlungen erhalten. Die Kammer hat weiterhin mit nicht zu beanstandenden
Erwägungen festgestellt, dass dem Angeklagten bewusst war, dass es sich bei diesen
Zahlungen um die Fortzahlung der Arbeitslosenhilfe gehandelt hat und nicht, wie er
annehmen zu dürfen behauptet hat, um Überbrückungsgeld. Dann konnte er aber trotz des
Einwurfs in den Hausbriefkasten nicht davon ausgehen, dass seine Mitteilung vom 02. April
2000 den zuständigen Bediensteten beim Arbeitsamt erreicht hatte. Er blieb vielmehr nach
den oben dargelegten Grundsätzen verpflichtet, die Mitteilung in geeigneter Form zu
wiederholen, und zwar jeweils, sobald er den Eingang weiterer Zahlungen trotz seiner
Mitteilung feststellte, sei es telefonisch, sei es brieflich oder in anderer Form. Dieser
Verpflichtung ist er nach den Feststellungen des Landgerichts nicht nachgekommen.
Deshalb kann der Freispruch vom Vorwurf des Betruges durch Unterlassen (§§ 263, 13
StGB) keinen Bestand haben.
2.
Die Rechtsfehlerhaftigkeit des angefochtenen Urteils führt zu seiner Aufhebung und zur
Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Eine Entscheidung in der Sache
selbst - hier also zum Schuldspruch - ist dem Senat verwehrt.
Feststellungen, deren rechtsfehlerfreies Zustandekommen der betroffene Angeklagte - wie
hier - mangels Beschwer nicht nachprüfen lassen konnte, dürfen grundsätzlich nicht zur
Grundlage einer möglichen Verurteilung bestehen bleiben, sondern sind aufzuheben (BGH
NStZ 1999, 206 = StV 1999, 415). Daran ist für den vorliegenden Fall festzuhalten. Soweit
in Ausnahmefällen - bei Freispruch erst im Berufungsurteil, geständigem Angeklagten und
aufgeklärtem Sachverhalt (vgl. Rechtsprechungsnachweise bei Kleinknecht/Meyer-Goßner,
StPO, 45. Aufl. § 354 Rn 23)- eine Sachentscheidung des Revisionsgerichts in analoger
Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO für zulässig erachtet wird (vgl. dazu Kuckein, in:
Karlsruher Kommentar, StPO, 4. Aufl., § 354 Rn 13; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44.
Aufl., § 354 Rn 23), erscheint dies bedenklich, weil der Angeklagte mangels Beschwer die
Richtigkeit der Sachverhaltsfeststellungen des Tatrichters nicht bekämpfen konnte und
diese von Verfahrensfehlern betroffen sein können (BGH NStZ-RR 1998, 204 m. w.
Nachw.; BGHR § 354 StPO Schuldspruch 1; SenE v. 10.08.1999 - Ss 293/99 - = NJW
2000, 1053 [1054]; OLG Koblenz NStZ-RR 1998, 364, 365).