Urteil des OLG Köln vom 13.12.2004

OLG Köln: vorübergehende beschäftigung, eigene mittel, aufenthalt, scheidung, leistungsfähigkeit, verwirkung, einkünfte, prozessstandschaft, rechtskraft, obhut

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Vorinstanz:
Oberlandesgericht Köln, 14 WF 175/04
13.12.2004
Oberlandesgericht Köln
14. Zivilsenat
Beschluss
14 WF 175/04
Amtsgericht Euskirchen, 18 F 93/03
Auf die Beschwerde des Beklagten wird der Prozesskostenhilfe
verweigernde Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Euskirchen
vom 22. Juni 2004 - 18 F 93/03 - teilweise abgeändert.
Dem Beklagten wird ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt, soweit er
Klageabweisung hinsichtlich des Unterhalts für die Monate November
und Dezember 2002, Januar 2003 sowie August 2004 erstrebt.
Die Entscheidung über die Beiordnung eines Rechtsanwalts im Umfang
der bewilligten Prozesskostenhilfe bleibt dem Amtsgericht vorbehalten.
Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Beschwerdegebühr wird um die Hälfte ermäßigt.
G r ü n d e :
I.
Die Parteien sind seit dem 2. Juli 2004 rechtskräftig geschiedene Eheleute und die Eltern
des am 26. Oktober 1988 geborenen Kindes T., das sich in der Obhut seiner Mutter - der
Klägerin - befindet und von dieser betreut wird. Unter dem 4.2.2003 hat die Klägerin eine
Klage gegen den in Thüringen lebenden Beklagten auf Zahlung von Kindesunterhalt für T.
für die Zeit ab November 2002 in Höhe von monatlich 287,00 EUR eingereicht. Die
Klageschrift ist dem Beklagten mit Verfügung vom 11. Februar 2003 zur Stellungnahme im
Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren übersandt worden, die förmliche Zustellung ist im
März 2004 erfolgt.
Der am 20. Januar 1957 geborene Beklagte bezieht eine Unfallrente aus der gesetzlichen
Unfallversicherung wegen einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 %, die auf einem
1994 erlittenen Arbeitsunfall beruht. Zu Beginn des hier streitigen Unterhaltszeitraumes war
der Beklagte bis zum 30. November 2002 in einem auf 4 Monate befristeten
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Arbeitsverhältnis im Rahmen einer Strukturanpassungsmaßnahme als Sanierungsarbeiter
bei einem Containerdienst beschäftigt, sein Bruttolohn belief sich auf 1.000,00 EUR
monatlich. Seitdem ist der Beklagte - wie auch schon längere Zeit vor dem befristeten
Arbeitsverhältnis - arbeitslos und bezieht Arbeitslosenhilfe.
Er hat sich damit verteidigt, ein in der Klageschrift erwähntes vorgerichtliches Schreiben
der Klägerin mit der Aufforderung zur Auskunftserteilung über seine Einkünfte nicht
erhalten zu haben, im Übrigen hat er mangelnde Leistungsfähigkeit eingewandt.
Durch den angefochtenen Beschluss hat das Amtsgericht das Prozesskostenhilfegesuch
des Beklagten wegen fehlender Erfolgsaussicht der Rechtsverteidigung zurückgewiesen.
Der hiergegen gerichteten Beschwerde hat das Amtsgericht nicht abgeholfen und die
Sache dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt. Der zuständige Einzelrichter
hat die Entscheidung dem Senat als Kollegialgericht übertragen. Im Beschwerdeverfahren
macht der Beklagte zusätzlich teilweise Verwirkung des Unterhaltsanspruchs geltend,
außerdem rügt er, dass die Klage nach Rechtskraft der Scheidung im Juli 2004 nicht länger
von der Mutter der Klägerin in Prozessstandschaft geführt werden könne. Darüber hinaus
sei der Unterhaltsanspruch für den Zeitraum vom 24. Juli bis zum 4. September 2004
jedenfalls deshalb entfallen, weil er - der Beklagte - in dieser Zeit das Kind betreut habe.
Wegen aller weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Die formell unbedenkliche Beschwerde hat nur in dem aus der Beschlussformel
ersichtlichen Umfang Erfolg, im Übrigen ist sie unbegründet.
1. Entgegen der Auffassung des Beklagten ist die Klägerin trotz zwischenzeitlich erfolgter
rechtskräftiger Scheidung berechtigt, den zuvor begonnenen Unterhaltsprozess im eigenen
Namen weiterzuführen. Denn die gesetzliche Prozessstandschaft nach § 1629 III 1 BGB
dauert über die Rechtskraft der Scheidung hinaus bis zum Abschluss des
Unterhaltsprozesses fort (vgl. Palandt/Diederichsen, BGB, 63. Aufl. 2004, Rdn. 34 zu §
1629; Johannsen/Henrich/Jaeger, Eherecht, 4. Aufl. 2003, Rdn. 11 zu § 1629).
2. Soweit es um die Monate November 2002 bis Januar 2003 geht, hat die
Rechtsverteidigung des Beklagten Aussicht auf Erfolg. Denn insoweit fehlt es nach dem
bisherigen Sach- und Streitstand an den Voraussetzungen des § 1613 BGB für die
Geltendmachung rückständigen Unterhalts. Der Beklagte beruft sich darauf, das mit der
Klageschrift vorgelegte außergerichtliche Schreiben vom 26. November 2002, mit dem er
zur Erteilung von Auskunft über seine Einkünfte aufgefordert wurde (Bl. 3 d.A.), nicht
erhalten zu haben. Dazu hat die Klägerin nicht mehr Stellung genommen und
insbesondere auch keinen Beweis für den Zugang des Schreibens angetreten. Andere
verzugsbegründende Vorgänge sind ebenfalls nicht vorgetragen. Deshalb ist davon
auszugehen, dass der Beklagte erst mit der im Februar 2003 erfolgten formlosen
Übersendung der Klageschrift in Verzug geraten ist, so dass der Kindesunterhalt gemäß §
1613 I 2 BGB erstmals für den Monat Februar 2003 gefordert werden kann. Für eine
Verwirkung des Unterhaltsanspruchs ab diesem Zeitpunkt ist schon angesichts der dem
Beklagten übersandten Klageschrift kein Raum, so dass es keiner Auseinandersetzung mit
der Frage bedarf, inwieweit die vom 12. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs für den
Elternunterhalt (FamRZ 2002, 1698 ff.) und den Ehegattenunterhalt (FamRZ 2004, 531 f.)
entwickelten Verwirkungsgrundsätze auf Kindesunterhaltsansprüche übertragbar sind.
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3. Der Aufenthalt des Kindes T. bei dem Beklagten in den großen Ferien 2004 hat nicht zu
einem Obhutswechsel geführt, so dass die Klägerin nach § 1629 II 2 BGB weiterhin
berechtigt blieb, Unterhaltsansprüche des Kindes gegenüber dem Beklagten geltend zu
machen. Die Obhut im Sinne dieser Vorschrift hat derjenige Elternteil inne, bei dem der
Schwerpunkt der tatsächlichen Fürsorge und Erziehung liegt (vgl. OLG Frankfurt FamRZ
1992, 575; Palandt/Diederichsen, a.a.O., Rdn. 31 zu § 1629; Johannsen/Henrich/Jaeger,
a.a.O., Rdn. 6 zu § 1629), wobei der Aufenthalt des Kindes bei dem anderen Elternteil im
Rahmen des Umgangsrechts an dieser Zuordnung grundsätzlich nichts ändert. Das gilt
auch für die Ferienzeit, in welcher das Umgangsrecht in größerem zeitlichem Umfang
ausgeübt wird. Zwar hat im vorliegenden Fall der Aufenthalt des Kindes in den
Sommerferien bei dem Beklagten den sonst üblichen Rahmen von zwei bis drei Wochen
überschritten, gleichwohl war damit noch nicht ein Betreuungswechsel verbunden, weil von
vornherein klar war, dass T. ihren Lebensmittelpunkt bei der Klägerin behalten und sich nur
vorübergehend beim Beklagten aufhalten sollte.
Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob der Unterhaltsanspruch des Kindes dadurch -
ganz oder teilweise - entfallen ist, dass der Beklagte den Bedarf des Kindes während der
Sommerferien durch eigene Mittel gedeckt hat. Insoweit ist an eine von den übrigen
Zeiträumen abweichende Bestimmung über die Art der Unterhaltsgewährung gemäß §
1612 II 1 BGB zu denken (vgl. dazu und zum Nachfolgenden Wendl/Scholz, Das
Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 6. Auflage 2004, Rdn. 28, 168, 316b zu §
2). Wenn - wie im vorliegenden Fall - der Aufenthalt des Kindes bei dem
umgangsberechtigten Elternteil den üblichen zeitlichen Rahmen deutlich übersteigt, kann
eine abweichende Bestimmung über die Art der Unterhaltsgewährung angenommen
werden und ausnahmsweise auch eine Kürzung des Barunterhalts in Betracht kommen. Da
eine genaue Abgrenzung im Einzelfall schwierig ist, kann der Rechtsverteidigung des
Beklagten bei der kursorischen Prüfung im Rahmen des
Prozesskostenhilfeprüfungsverfahrens die Erfolgsaussicht insoweit nicht verweigert
werden, als er sich gegen die Unterhaltsforderung für den Monat August 2004 wendet.
Für die Monate Juli und September 2004 spielen die vorstehenden Erwägungen hingegen
keine Rolle. Im Juli 2004 ist die Betreuung des Kindes T. nach dem vom Beklagten
zugestandenen Vorbringen der Klägerin zum einem großen Teil durch den Stiefbruder des
Kindes, der auch während der gesamten Ferienzeit den Wohnbedarf gedeckt hat,
sichergestellt worden. Die wenigen in den September fallenden Ferientage rechtfertigen
ebenfalls keine Kürzung des Barunterhalts für diesen Monat.
4. Im Übrigen erscheint die Rechtsverteidigung des Beklagten nicht aussichtsreich. Was
den Einwand fehlender Leistungsfähigkeit angeht, folgt der Senat der rechtlichen
Bewertung des Amtsgerichts. Ergänzend ist nur anzuführen, dass auch im
Beschwerdeverfahren nachhaltige erfolglose Bemühungen um eine Arbeitsstelle nicht
konkret dargetan sind, sieht man davon ab, dass der Beklagte als arbeitssuchend beim
Arbeitsamt gemeldet ist. Letzteres reicht aber nicht aus, um den im Hinblick auf die
gesteigerte Unterhaltsverpflichtung gegenüber der minderjährigen Tochter bestehenden
hohen Anforderungen an die Erwerbsobliegenheit zu genügen, da erfahrungsgemäß ein
nicht unerheblicher Teil der offenen Stellen auf dem Arbeitsmarkt nicht über die
Arbeitsvermittlung angeboten wird. Dass der erst 47 Jahre alte Beklagte trotz seiner
unfallbedingten Einschränkung der Erwerbsfähigkeit grundsätzlich in der Lage ist, einer
vollschichtigen Berufstätigkeit nachzugehen, zeigt seine vorübergehende Beschäftigung
bei einem Containerdienst bis Ende 2002.
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5. Die Anwaltsbeiordnung im Rahmen der nunmehr bewilligten Prozesskostenhilfe ist der
Entscheidung des Amtsgerichts vorzubehalten. Dabei wird zu prüfen sein, ob dem in
Thüringen wohnhaften Beklagten neben einem Hauptbevollmächtigten am Ort des
Prozessgerichts ein Verkehrsanwalt beizuordnen ist. Sollte dies nicht der Fall sein, müsste
die Bereitschaft von Frau Rechtsanwältin A. aus B. geklärt werden, zu den Bedingungen
eines am Prozessgericht zugelassenen Anwalts beigeordnet zu werden.