Urteil des OLG Köln vom 07.08.2002

OLG Köln: fluchtgefahr, vergabe von aufträgen, beschuldigter, firma, dringender tatverdacht, erlass, haftbefehl, entziehen, haftgrund, strafverfahren

Oberlandesgericht Köln, 2 Ws 358/02
Datum:
07.08.2002
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
2. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 Ws 358/02
Tenor:
Der angefochtene Beschluss wird unter Verwerfung der weitergehenden
Beschwerde teilweise abgeändert:
Der Haftbefehl des Amtsgerichts Bonn vom 27. März 2002 - 51 Gs
385/02 - wird unter folgenden Auflagen und Weisungen außer Vollzug
gesetzt:
1. Der Beschuldigte hat einen Zustellungsbevollmächtigten für das
vorliegende Ermittlungsverfahren in der Bundesrepublik Deutschland zu
benennen.
2. Der Beschuldigte hat den Ladungen der Staatsanwaltschaft und des
Gerichts in dieser Sache Folge zu leisten.
3. Der Beschuldigte hat jeden etwaigen Wechsel des Wohnsitzes
anzuzeigen.
4. Der Beschuldigte hat eine Sicherheit von 200.000,- € (in Worten:
zweihunderttausend Euro) durch Hinterlegung in barem Geld oder durch
eine selbstschuldnerische Bürgschaft einer deutschen Bank oder
Sparkasse zu leisten.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Beschwerdeführer,
jedoch wird die Beschwerdegebühr auf die Hälfte ermäßigt.
Die Staatskasse trägt die Hälfte der dem Beschwerdeführer im Be-
schwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen.
Gründe :
1
I.
2
Der Beschwerdeführer, Schweizer Staatsbürger und Vorstandsvorsitzender der Firma
3
W. AG in Zürich und Mitglied des Vorstandes der X. AG in H. (Schweiz), ist am 6. Juli
2002 nach seiner Einreise in die Niederlande aufgrund des Haftbefehls des
Amtsgerichts Bonn vom 27. März 2002 – 51 Gs 385/02 – und einer Ausschreibung im
Schengener Informationssystem vorläufig festgenommen und am 12. Juli 2002 mit
seinem Einverständnis im vereinfachten Verfahren an die Bundesrepublik Deutschland
ausgeliefert worden. Seitdem befindet er sich in dieser Sache in Untersuchungshaft.
Ihm wird zur Last gelegt, vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener
rechtswidriger Tat, nämlich einer Bestechung im besonders schweren Fall, Hilfe
geleistet zu haben, Vergehen gemäß § 334 (nicht: § 332 Abs.1 Satz 1), § 335 Abs.1 Nr.1
a, Abs.2 Nrn. 1 und 2, § 27 Abs.1 StGB.
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Der Beschuldigte soll Beihilfe dazu geleistet haben, dass dem früheren ersten und
kaufmännischen Werkleiter der Stadtwerke C., S. T., finanzielle Zuwendungen als
Gegenleistung dafür gewährt wurden, dass dieser die Vergabe von Aufträgen zur
Modernisierung der Heizkraftwerke C.-Nord und C.-Süd an die Firma B. (X.) unter
Missachtung von Vergabevorschriften vorbereitete und durchsetzte.
5
Herr M. soll der Vermittler von Zahlungen der Firma X. an HerrnT. in der Schweiz
gewesen sein. Er soll Informationen über den Verlauf der Vergabegespräche mit
Mitbietern und über deren Angebote von dem Beschuldigten T. erhalten und an den
Beschuldigten D., einen Mitarbeiter der Firma X. Umwelttechnik, weitergegeben haben.
Die so erworbene Kenntnis über die Preise der Mitbieter soll die Firma X. in die Lage
versetzt haben, ihr Angebot denjenigen der Mitbieter und den Vorstellungen der
Stadtwerke C. anzupassen und so die Auftragsvergabe für sich zu entscheiden.
6
Als Gegenleistung für die Information und die Bevorzugung der Firma X. sollen
insgesamt 930.000,-- DM zuzüglich Mehrwertsteuer über die Firma W. an den
Beschuldigten Schreiber geflossen sein. Darüber hinaus soll die Firma W. am 28.
September 1998 einen zunächst auf drei Jahre befristeten Beratervertrag mit dem
Beschuldigten Schreiber abgeschlossen haben, aus dem Schreiber monatlich 4.000,00
Sfrs zuzüglich Umsatzsteuer erhalten haben soll.
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Mit dem angefochtenen Beschluss hat die Strafkammer die von dem Beschuldigten
unter dem 9. Juli 2002 eingelegte Haftbeschwerde verworfen. Hiergegen richtet sich die
weitere Beschwerde vom 22. Juli 2002.
8
II.
9
Die nach § 310 Abs.1 StPO statthafte und auch sonst zulässige weitere Beschwerde hat
nur in dem erkannten Umfang Erfolg.
10
Der Haftbefehl des Amtsgerichts Bonn vom 27. März 2002 ist insoweit zu bestätigen, als
ein dringender Tatverdacht besteht und der Haftgrund der Fluchtgefahr vorliegt. Jedoch
kann der Haftbefehl – und insoweit hat das Rechtsmittel Erfolg - gemäß § 116 Abs.1
StPO außer Vollzug gesetzt werden.
11
1.)
12
Der Beschuldigte ist der ihm zur Last gelegten Tat nach dem bisherigen
Ermittlungsergebnis, insbesondere aufgrund der inzwischen vorliegenden Einlassung
13
des Beschuldigten Schreiber, dringend verdächtig. Dieser hat in seiner Vernehmung
vom 7. Mai 2002 eingestanden, von dem Beschuldigten M. zwischen dem 16. Oktober
1996 und dem 25. März 1998 insgesamt 1.196.375,00 DM und am 27. Juli 1999 einen
weiteren Betrag von 249.375,00 DM erhalten zu haben.
Der Senat hat in der – den Beschuldigten Schreiber betreffenden – Entscheidung vom
18. Juni 2002 – 2 Ws 267/02 – zu dessen Strafbarkeit ausgeführt:
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"Der dringende Tatverdacht erstreckt sich über die eingeräumte Vorteilsannahme
hinaus in rechtlicher Hinsicht auch auf den Vorwurf der Bestechlichkeit, und zwar
nicht nur nach § 332 StGB, sondern auch nach § 335 StGB als besonders schwerer
Fall. Insoweit tritt der Senat der vorläufigen Beweiswürdigung in der
Vorlageverfügung der Generalstaatsanwaltschaft vom 31. Mai 2002 bei.
Zeugenvernehmungen und schriftliche Unterlagen der beteiligten Firmen wie auch
eine lebensnahe Sicht der Gesamtzusammenhänge lassen den Rückschluss auf
eine Vorteilsannahme für eine Dienstausübung und auf eine Unrechtsvereinbarung
zu. § 335 StGB, eingeführt durch das Korruptionsbekämpfungsgesetz vom 13.
August 1997, ist in zeitlicher Hinsicht auch unter Berücksichtigung des
Rückwirkungsverbots verwirklicht, soweit es um die Zahlung vom 15. März 1998
bzw. um die nunmehr eingeräumte Zahlung vom 27. Juli 1999 geht. Hieraus ergibt
sich allerdings zugleich, dass sich der besonders schwere Fall im Sinne des § 335
StGB nicht auf das gesamte dem Beschuldigten zur Last gelegte Tatgeschehen
erstreckt."
15
Auf Grund des bisherigen Ermittlungsergebnisses ist bezüglich des Beschuldigten M.
festzustellen, dass er gleichsam als Mittelsmann zwischen den Entscheidungsträgern
bei den Stadtwerken C. und der Fa.X. fungierte. Die "Vermittlung" betraf zum einen die
Weitergabe von Informationen über die Bietergespräche von den Stadtwerken an X. und
zum anderen die Zahlungen von X. "an C.". Er unterstützte damit beide Seiten
maßgeblich in ihrem Bestreben, gegen Zahlungen "nützlicher Aufwendungen" der Fa.
X. die Aufträge zur Modernisierung der Heizkraftwerke C.-Nord und C.-Süd zu
verschaffen. Dies begründet den dringenden Verdacht einer Beihilfe zur Bestechung im
besonders schweren Fall (§ 334 Abs.1, § 335 Abs.1 Nr.1, Abs.2 Nrn.1 und 2, § 27
StGB).
16
2.)
17
Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr, § 112 Abs.2 Nr.2 StPO.
18
Fluchtgefahr liegt vor, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen bei Würdigung der
Umstände des Einzelfalles eine höhere Wahrscheinlichkeit für die Annahme spricht, der
Beschuldigte werde sich dem weiteren Strafverfahren entziehen, als für die Erwartung,
er werde am Verfahren teilnehmen (vgl. Senat, Strafverteidiger 1991, 472; 1994, 582;
1996, 382 und 1997, 642; Kleinknecht / Meyer-Goßner, StPO, 45. Auflage, § 112
Rnr. 17; Boujong in: Karlsruher Kommentar, StPO, 4. Auflage, § 112 Rnr. 15).
19
Ein Beschuldigter "entzieht" sich dem Verfahren durch ein Verhalten, das den vom ihm
beabsichtigten, erkannten oder in Kauf genommenen Erfolg hat, den Fortgang eines
Strafverfahrens dauernd oder vorübergehend durch die Aufhebung seiner Bereitschaft
zu verhindern, für Ladungen oder Vollstreckungsmaßnahmen zur Verfügung zu stehen
(BGHSt 23, 380 [384]).
20
Zu dem objektiven Umstand der Erwartung, dass ein Beschuldigter für
Strafverfolgungsbehörde und Gericht unerreichbar sein wird, muss also als subjektives
Element das Bewusstsein des Beschuldigten hinzutreten, sich zu entziehen und dies zu
wollen oder mindestens billigend in Kauf zu nehmen.
21
Ein Entziehen in diesem Sinne liegt vor, weil der Beschuldigte durch sein bisheriges
Verhalten zum Ausdruck gebracht hat, dass er nicht bereit ist, sich dem Verfahren zu
stellen.
22
a)
23
Es kann dahingestellt bleiben, ob sich ein Beschuldigter dem Verfahren schon dadurch
im Sinne des Gesetzes "entzieht", dass er sich in seinem Heimatland zwar unter einer
bekannten Adresse aufhält, sich aber im übrigen insoweit passiv verhält, als er sich zum
Verfahren in der Gewissheit nicht äußert, dass er von seinem Staat nicht ausgeliefert
werden wird und er deshalb für die Strafverfolgungsbehörden des anderen Staates nicht
erreichbar ist.
24
In der Rechtsprechung herrscht – unter Berufung auf eine Entscheidung des
Bundesgerichtshofes vom 20. 11.1989 – 2 BGs 358/89 – (Strafverteidiger 1990,309) –
die Meinung vor, in diesen Fällen liege der Haftgrund der Fluchtgefahr nicht vor. Aus
dem bloß passiven Verhalten eines Beschuldigten ließe sich nicht die Folgerung
ableiten, er wolle sich dem Verfahren entziehen. Zum Begriff des Sichentziehens
gehöre mehr als ein bloß passives Verhalten, bloßer Ungehorsam gegenüber
behördlichen Anordnungen. Das ergebe schon die sprachliche Bedeutung des Wortes.
Der Begriff setzte eine gewisse zweckgerichtete Tätigkeit voraus (BGHSt 23, 380 [383]).
Der Haftgrund der Fluchtgefahr könne nicht daraus hergeleitet werden, dass ein
Beschuldigter keine Anstalten mache, nach Deutschland zurückzukehren, weil er nicht
verpflichtet sei, seine Strafverfolgung zu erleichtern. Die Absicht, im Ausland zu bleiben,
also einen Zustand aufrechtzuerhalten, der seine Strafverfolgung zumindest erschwere,
könne einem positiven Sichentziehen im Sinne des § 112 Abs.2 Nr.2 StPO nicht
gleichgestellt werden (OLG Karlsruhe, Strafverteidiger 1999, 36 f. u. NJW 1972, 2098 f.;
im selben Sinne: OLG Bremen, Strafverteidiger 1997, 533 f.; Brandenburgisches OLG,
Strafverteidiger 1996, 381; OLG Naumburg, Wistra 1997, 80; OLG Stuttgart,
Strafverteidiger 1995, 258 f.; OLG Frankfurt/Main, Strafverteidiger 1994, 581; OLG
Saarbrücken, Strafverteidiger 1991, 266 = wistra 1991, 358 m.Anm. Weyand; LG
Hamburg, Strafverteidiger 2002, 205; StrK bei dem AG Bremerhaven, Strafverteidiger
1993, 426; LG Verden, Strafverteidiger 1986, 256). Diese Auffassung wird im Schrifttum
überwiegend geteilt ( vgl. Wendisch in Löwe/Rosenberg, StPO, 24. Aufl., § 112 Rdn.35
f.; Schlothauer/Weider, Untersuchungshaft, 3.Aufl., Rdn.489). Dabei wird das – die
Fluchtgefahr nicht auslösende - Verhalten in Einzelfällen bedenklich weit gefasst: So
hat das OLG Saarbrücken Fluchtgefahr selbst im Fall eines Schweizer Staatsbürgers
verneint, der, in Deutschland beschäftigt, seine Wochenenden regelmäßig in der
Schweiz verbracht hat, unter dem Eindruck eines gegen ihn gerichteten Strafverfahrens
aber nicht mehr in die Bundesrepublik Deutschland zurückgekehrt ist (OLG
Saarbrücken, a.a.O.). Denn aus dem lediglich passiven Verbleiben in dem Heimatstaat
könne nicht abgeleitet werden, dass der Beschuldigte sich dem Verfahren entziehen
wolle.
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Der Senat gibt – ohne seine Entscheidung schon hierauf zu stützen - demgegenüber zu
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bedenken, dass eine solch enge Auslegung des § 112 Abs.2 Nr.2 StGB nicht nur zu
unbefriedigenden, sondern auch zu sachlich nicht gerechtfertigten Ergebnissen führt:
Befindet sich ein ausländischer Beschuldigter mit Beziehungen in sein Heimatland im
Bundesgebiet, so wird hieraus – bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen - in der
Regel auf eine Fluchtgefahr geschlossen. Die Privilegierung eines bereits im Ausland
befindlichen Beschuldigten unter Heranziehung allgemeiner rechtsstaatlicher
Grundsätze erscheint nicht ohne weiteres gerechtfertigt.
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Zunächst erscheint es zumindest diskussionswürdig, ob nicht schon nach dem Wortlaut
der Vorschrift und der geltenden Definition des Begriffs des Sichentziehens Fluchtgefahr
vorliegt, wenn sich der im Ausland befindliche Beschuldige den Umstand zunutze
macht, dass er von seinem Heimatstaat nicht ausgeliefert wird. Denn ein solcher, durch
seinen Status am Ort des Aufenthaltes geschützter Beschuldigter nimmt damit billigend
in Kauf, dass der Fortgang des Verfahrens gehindert wird. Dafür reicht ein völlig
passives Verhalten aus. Ein solcher Beschuldigter hat keinen Anlass, weitere
Entziehungshandlungen vorzunehmen. Denn anders als bei einem im Inland
aufhältigen und unter seiner Wohnanschrift "greifbaren" Beschuldigten lässt sich bei ihm
die Verpflichtung, etwa auf eine Ladung der Staatsanwaltschaft zu erscheinen (§ 163 a
Abs.3 StPO), nicht durchsetzen.
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Zwar ändert auch der Erlass eines Haftbefehls an diesem Zustand solange nichts, wie
sich der Beschuldigte im geschützten Bereich seines Heimatstaates aufhält.
Andererseits besteht kein Grund, auf die Möglichkeit zu verzichten, eines Beschuldigten
in dem Fall habhaft zu werden, dass er sich ins Ausland begibt. Auf der Grundlage der
vorstehenden Argumentation läge hierin kein Fall einer "bedingten Fluchtgefahr", wie
sie – u.a in der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 20. November 1989
(Strafverteidiger 1990,309) als Haftgrund abgelehnt wird. Überlegungen, ob es sich bei
der "bedingten Fluchtgefahr" um ein "Scheinproblem oder eine Regelungslücke im
Bereich der Haftgründe des § 112 Abs.2 Nr. 1 und 2 StPO" handelt (vgl. Helmken, MDR
1984,532 ff.), würden sich erübrigen. Dem Erlass eines Haftbefehls stünde nichts
entgegen, vollstreckt werden könnte er allerdings erst, wenn der Beschuldigte den ihn
schützenden Bereich verlässt.
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Erscheint die Gültigkeit des Satzes, dass bloß passives Verhalten einen Haftbefehl nicht
begründen kann, weil niemand verpflichtet ist, das gegen ihn geführte Strafverfahren zu
fördern, für den im Ausland befindlichen Beschuldigten aus den vorstehenden Gründen
diskussionswürdig, so sind rechtsstaatlichen Bedenken gegen den Erlass eines
Haftbefehls in diesen Fällen bei einer alle Umstände berücksichtigenden
Güterabwägung auch folgende Erwägungen entgegen zu setzen:
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Für den Erlass eines Haftbefehls sprechen nicht zuletzt Umstände, die ihren Grund in
dem in besonderer Weise rechtsstaatlich geprägten Strafverfahrensrecht der
Bundesrepublik Deutschland haben, das zum Schutze des Angeklagten ein
erstinstanzliches Strafverfahren gegen Abwesende außerhalb des Bereichs der
Bagatellkriminalität nicht kennt (vgl. § 230 Abs.1 StPO). Die Strafverfahrensregeln einer
Reihe anderer europäischer Staaten – darunter der Schweiz bzw. ihrer Kantone – sehen
dagegen die Möglichkeit vor, unter bestimmten Bedingungen Strafverfahren auch gegen
Abwesende durchzuführen und Urteile gegen sie zu erlassen. In diesen Staaten bedarf
es des Erlasses eines Haftbefehls zur Strafverfolgung nicht. Regelmäßig wird nach der
Erfahrung des auch mit Auslieferungsverfahren befassten Senats jedoch die
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Auslieferung der Verfolgten zum Zwecke der anschließenden Strafvollstreckung auf der
Grundlage eines Vollstreckungshaftbefehls begehrt. In diesen Fällen stellt sich nicht
selten die Frage, ob die der Auslieferung zugrunde liegenden Akte mit dem nach Art. 25
GG in der Bundesrepublik Deutschland verbindlichen völkerrechtlichen
Mindeststandard und mit den unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätzen ihrer
öffentlichen Ordnung vereinbar sind (vgl. etwa SenE v.6. März 2001, 2 Ausl 186/00 – 10
- ; vgl. ferner BVerfG NJW 1991, 1411 = NStZ 1991,294 – beide Entscheidungen
betreffen ein Auslieferungsersuchen der Schweiz nach Abwesenheitsurteilen) .
Im Zusammenhang mit dem Auslieferungsrecht ist schließlich auf den Widerspruch
hinzuweisen, dass bei einer sehr restriktiven Auslegung des § 112 Abs.2 Nr.2 StPO
zwar der Erlass eines Haftbefehls mangels eines Haftgrundes nicht möglich sein soll,
ein Haftbefehl aber andererseits formelle Voraussetzung für ein Auslieferungsbegehren
ist (vgl. etwa § 10 Abs.1 IRG, Art. 12 Abs.2 lit.a EuAlÜbk) – eine Problematik, die in der
Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 20. November 1989, der im übrigen eine
besondere Fallkonstellation im innerdeutschen Rechtsverkehr zugrunde lag,
ausdrücklich offen gelassen worden ist (BGH, Strafverteidiger 1999, 309: "Die hier nicht
einschlägige Möglichkeit einer von den Strafverfolgungsbehörden zu betreibenden
Auslieferung des im Ausland befindliche Straftäters kann offen bleiben").
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Soweit in einzelnen Entscheidungen auf die Möglichkeit hingewiesen wird, gegen den
nicht erschienenen Angeklagten gegebenenfalls einen Vorführungshaftbefehl (§ 230
Abs.2 StPO) zu erlassen, erscheint dies schon aus praktischen Gründen ungeeignet, die
Verfolgungslücke zu schließen: Der Beschuldigte müsste dann zunächst über seinen
Heimatstaat im Wege der internationalen Rechtshilfe förmlich geladen werden, bei
seinem Nichterscheinen im Hauptverhandlungstermin müsste ein neuer – die Dauer des
folgenden Verfahrens berücksichtigender und damit fernliegender - Termin zur
Hauptverhandlung bestimmt, Terminhaftbefehl erlassen und auf dessen Grundlage die
Auslieferung des Beschuldigten bis zum zweiten Hauptverhandlungstermin erfolgreich
betrieben werden. Abgesehen von den damit verbundenen praktischen Schwierigkeiten
und Unwägbarkeiten könnte ein solcher Terminhaftbefehl nicht einmal die
Strafvollstreckung sichern, da er nicht über das Ende der Hauptverhandlung hinaus
wirken würde (so zutreffend: OLG Stuttgart, NStZ 1998, 428 f.).
33
b)
34
Unabhängig von den vorstehend angeführten allgemeinen Bedenken gegen eine zu
weitgehende Beschränkung des Haftgrundes der Flucht bzw der Fluchtgefahr sieht der
Senat jedenfalls im bisherigen Verhalten des Beschuldigten M. ein "Sichentziehen"
auch auf dem Boden der bisherigen obergerichtlichen Rechtsprechung.
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Die Staatsanwaltschaft hat dem Beschuldigten Gelegenheit gegeben, sich in der
Schweiz anhören zu lassen. Ihm wurde mehrfach – über Bezirksanwalt I. – bekannt
gegeben, zu welchen Terminen – zuletzt am 26. und 27. Juni 2002 sich die ermittelnde
Staatsanwältin in Zürich aufhielt. Während der Mitbeschuldigte D. auf die Angebote der
Staatsanwaltschaft einging, Gespräche zu führen, lehnte der Beschuldigte M. jede
Kontaktaufnahme ab. Er hat damit deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er nicht bereit
sei, sich dem Verfahren zu stellen und Ladungen nach Deutschland Folge zu leisten.
Für die Erklärung, sich einem Verfahren zu stellen oder nicht, ist nicht die Kenntnis der
Einzelheiten des Ermittlungsverfahrens erforderlich, worauf die Verteidigung sich beruft.
Diese Grundentscheidung kann der im Ausland aufhältige Beschuldigte jedenfalls dann
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treffen, wenn er den Gegenstand des Verfahrens kennt. Dies war der Fall. Aktenkenntnis
erfordert erst die sodann zu treffende Entscheidung, ob und ggf. in welcher Weise sich
ein Beschuldigter im Verfahren einlässt. Die Ablehnung jeglicher Kontaktaufnahme mit
der ermittelnden Staatsanwaltschaft auch im Heimatland kann jedenfalls nicht anders
gedeutet werden, als als Erklärung des Beschuldigten, er werde sich – unter dem
Schutz, den der Aufenthalt im Heimatstaat bietet – dem Verfahren nicht stellen.
c)
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Der Bestand des Haftbefehls findet dadurch seine Bestätigung, dass der Beschuldigte
auch nach seiner Festnahme in den Niederlanden und seiner Überstellung in die
Bundesrepublik Deutschland keine Erklärung abgegeben hat, er werde sich dem
Verfahren nunmehr stellen. Jedenfalls derzeit besteht Fluchtgefahr schon deshalb, weil
zu erwarten ist, dass der Beschuldigte sich nach einer Entlassung aus der
Untersuchungshaft unverzüglich in die Schweiz zurück begeben wird.
38
3.
39
Erweist sich demnach zwar der Erlass des Haftbefehls im März 2002 als gerechtfertigt
und die weitere Beschwerde insoweit als unbegründet, bedarf es jedoch des weiteren
Vollzugs des Haftbefehls nicht, da weniger einschneidende Maßnahmen im Sinne des
§ 116 Abs.1 StPO die Erwartung hinreichend begründen, dass der Zweck der
Untersuchungshaft auch durch sie erreicht werden kann:
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Für das weitere Verfahren ist von Bedeutung, dass der Beschuldigte für die
Staatsanwaltschaft erreichbar ist, d.h. Ladungen befolgt, sich einer gegebenenfalls
durchzuführenden gerichtlichen Hauptverhandlung und einer etwa zu vollstreckenden
Strafe stellt. Dies erscheint durch die Stellung einer Sicherheit in Höhe von 200.000,- €
gewährleistet. Denn es kann erwartet werden, dass der drohende Verfall einer solch
erheblichen Summe, die für den Beschuldigten als international tätigen Geschäftsmann
mit einer Wiederinvollzugsetzung des Haftbefehls verbundene einschneidende
Beschränkung seiner beruflichen Bewegungsfreiheit sowie der Umstand, dass die für
ihn als Teilnehmer geltenden Strafmilderungsgründe - § 27 Abs.2 Satz 2, § 28 Abs.1
(vgl. dazu Tröndle/Fischer, StGB, 50. Aufl., vor § 331 Rdn.6) - die Straferwartung
begrenzen, den Beschuldigten veranlassen wird, sich – im übrigen entsprechend seiner
nunmehr erklärten Bereitschaft – dem Verfahren zu stellen.
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Der (nach Einschätzung des Senats in der Sache so nicht mehr zutreffende) Einwand
der Staatsanwaltschaft, es sei nicht zu erwarten, dass der Beschuldigte nunmehr zu den
Vorwürfen Stellung nehmen werde, greift nicht. Der Beschuldigte ist zur Einlassung in
der Sache nicht verpflichtet. Macht er von seinem Recht zu Schweigen Gebrauch,
berührt dies die Haftfrage nicht. Was die Höhe der Sicherheitsleistung betrifft, sieht der
Senat den von der Staatsanwaltschaft in der Stellungnahme vom 6. August 2002
hergestellten Zusammenhang zwischen Zahlungen, die Beschuldigte M. an den
Beschuldigten Schreiber vermittelt haben soll, und der Höhe der von ihm selbst zu
leistenden Sicherheit nicht.
42
Dass der Beschuldigte, der die Aussetzung des Vollzugs des Haftbefehls gegen
Sicherheitsleistung beantragt und nicht im Geltungsbereich der Strafprozessordnung
wohnt, verpflichtet ist, eine im Bezirk des zuständigen Gerichts wohnende Person zum
Empfang von Zustellungen zu bevollmächtigen, ergibt sich bereits aus dem Gesetz
43
(§ 116 a Abs.3 StPO).
III.
44
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 4 StPO. Sie berücksichtigt, dass der
Beschwerdeführer sein Ziel, dass der Haftbefehl aufgehoben werde, nicht erreicht, er
andererseits aber die Möglichkeit einer Haftverschonung nach Erfüllung der Auflagen
erhält.
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