Urteil des OLG Köln vom 16.03.2004

OLG Köln: polizei, abgabe, unverzüglich, verschulden, minderung, gefährdung, versicherungsnehmer, urlaub, entschädigung, straftat

Oberlandesgericht Köln, 9 U 67/03
Datum:
16.03.2004
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
9. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 U 67/03
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 24 O 251/02
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das am 6. März 2003 verkündete Urteil
der 24. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 24 O 251/02 - wird
zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
G r ü n d e
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I.
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Der Kläger nimmt die Beklagte als Hausratversicherer in Anspruch. Er behauptet einen
Einbruchsdiebstahl, der sich am 9.5.2001 in der Zeit zwischen 7.50 und 18.30 Uhr
ereignet haben soll. Da der Kläger sich in Urlaub befand, zeigte sein Sohn den Einbruch
der Polizei an. Hierbei erklärte er, es seien bestimmte Geräte (Fernseher etc.) entwendet
worden. Nachdem der Kläger am 17.5.2001 aus dem Urlaub zurückgekehrt war, wurde
er unter dem 22.5.2001 von der Polizei aufgefordert, eine Stehlgutliste einzureichen. Am
18.7.2001 ging bei der Polizei eine solche Liste ein, die weit umfangreicher ist und
andere Gerätetypen benennt als die Schadensanzeige des Sohns. Die Beklagte zahlte
vorprozessual 4.896 DM (2.503,92 €). Der Kläger hat zunächst (weitere) 10.793,37 €
nebst Zinsen eingeklagt und die Klage während des Rechtsstreits um 6.150 € erhöhen
wollen (Entschädigung für 400 CDs und 10 DVDs im Wert von je 15 €). Er hat danach
Zahlung von 16.963,37 € nebst Zinsen beantragt.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Beklagte sei leistungsfrei nach den §§
21 Nr. 3, 21 Nr. 1 c VHB 2000, weil die Stehlgutliste bei der Polizei zu spät eingereicht
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worden sei. Wegen aller Einzelheiten und der tatsächlichen Feststellungen wird auf das
Urteil Bezug genommen.
Mit der Berufung greift der Kläger das Urteil an und beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an ihn 16.963,37 € nebst 5 % Zinsen über dem
Basiszinssatz der EZB seit dem 1.3.2003 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten
Schriftsätze und die Sitzungsniederschrift vom 10. Februar 2004 Bezug genommen. Die
Akten der Staatsanwaltschaft Köln 890 UJs 2484/01 sind Gegenstand der mündlichen
Verhandlung gewesen.
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II.
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Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.
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Gemäß § 21 Abs. 3 Satz 2 VHB 2000 in Verbindung mit § 6 Abs. 3 VVG ist die Beklagte
leistungsfrei, weil der Kläger gegen § 21 Abs. 1 c VHB verstoßen hat.
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Nach § 21 Abs. 1 c VHB (in der Fassung der vertraglich vereinbarten "VHB 2000") hatte
der Kläger der zuständigen Polizeidienststelle unverzüglich ein Verzeichnis der
abhanden gekommenen Sachen einzureichen, und nach § 21 Abs. 2 Satz 2 VHB führt
eine Verletzung dieser Obliegenheit hinsichtlich der nicht unverzüglich angezeigten
Sachen zur Leistungsfreiheit. Die Beklagte hat dementsprechend nur für die bei der
Polizei in der Schadenanzeige genannten Gegenstände eine Entschädigung geleistet.
Zu weiteren Zahlungen ist sie nicht verpflichtet.
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Der Kläger hat noch nach Erhalt der Aufforderung, eine Stehlgutliste einzureichen,
nahezu zwei Monate verstreichen lassen, bevor er die Liste der Polizei überließ. Es
bedarf keiner weiteren Ausführungen, daß der Kläger hierbei nicht mehr "unverzüglich"
handelte.
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Nach der gesetzlichen Vorsatzvermutung des § 6 Abs. 3 VVG ist davon auszugehen,
daß die dargestellte Obliegenheitsverletzung vorsätzlich erfolgte. Soweit der Kläger sich
darauf beruft, wegen familiärer Verpflichtungen habe er keine Zeit gehabt, die Liste zu
erstellen, entlastet ihn dies nicht. Der Kläger war arbeitslos und hatte dementsprechend
Gelegenheit, seine Zeit einzuteilen.
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Für folgenlose, nach dem Versicherungsfall begangene Obliegenheitsverletzungen tritt
Leistungsfreiheit des Versicherers nach der Relevanzrechtsprechung des BGH (BGH
VersR 1998, 447; BGH VersR 1969, 651) nur ein, wenn der Obliegenheitsverstoß
objektiv - d. h. generell – geeignet war, die Interessen des Versicherers ernsthaft zu
gefährden und subjektiv von einigem Gewicht war, d. h. den Versicherungsnehmer muß
ein erhebliches Verschulden treffen.
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Die verspätete Abgabe der endgültigen Stehlgutliste war geeignet, die Interessen der
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Beklagten zu gefährden (OLG Hamm r+s 95, 145; Senat r+s 95, 147). Zweck der
Anzeigepflicht und der Pflicht zur Vorlage der Stehlgutliste ist zum einen die Minderung
des Schadens, weil eine gezielte und zeitnahe Fahndung geeignet ist, den Schaden zu
mindern. Allein die Kenntnis der Polizei von bestimmten Straftaten kann zur (zufälligen)
Aufklärung führen, so daß es nicht darauf ankommt, ob ein Fahndungserfolg nach der
Statistik zu erwarten ist. Außerdem dient die zeitnahe Einreichung einer Stehlgutliste
der Minderung der sogenannten Vertragsgefahr, also dem Schutz vor unberechtigter
Inanspruchnahme des Versicherers (vgl. z.B. Martin, Sachversicherungsrecht, 3. Aufl. X
II Rn. 64, 70 und 85). Die Hemmschwelle, einen überhöhten Schaden zu melden oder
gar eine nur vorgetäuschte Straftat anzuzeigen, soll erhöht werden. Der
Versicherungsnehmer soll gezwungen sein, sich zeitnah gegenüber der Polizei
"festzulegen", Martin a.a.O. m.Nachw. Die Interessen der Beklagten wurden durch das
Verhalten des Klägers ernsthaft gefährdet. Die generelle Gefährdung genügt. Eine
konkrete Gefährdung im Einzelfall ist nicht erforderlich.
Dem Kläger ist auch ein erhebliches Verschulden vorzuwerfen. Es liegt kein Verhalten
vor, das nach den Umständen auch einem ordentlichen VN leicht unterlaufen kann und
für das deshalb ein einsichtiger Versicherer Verständnis aufzubringen vermag (vgl. zu
dieser Definition z.B. BGH r+s 1989, 5f).
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Eine zusätzliche Belehrung war hinsichtlich der sich aus den
Versicherungsbedingungen ergebenden Pflichten nicht erforderlich. Die Pflicht zur
Abgabe einer Stehlgutliste bei der Polizei ist eine sogenannte Spontanpflicht. Im
übrigen hat der Kläger zusätzlich eine Aufforderung zur Abgabe erhalten.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713
ZPO.
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Ein Anlaß, gemäß § 543 Abs. 2 ZPO n. F. die Revision zuzulassen, besteht nicht. Die
Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung, und eine Ent-scheidung des
Revisionsgerichts ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.
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Streitwert für das Berufungsverfahren: 16.963,37 €
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