Urteil des OLG Köln vom 16.08.1994

OLG Köln (kläger, umkehr der beweislast, eintritt des versicherungsfalles, beweis des gegenteils, verletzung, versicherer, obliegenheit, eintritt, versicherungsnehmer, niederlassung)

Oberlandesgericht Köln, 9 U 128/94
Datum:
16.08.1994
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
9. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 U 128/94
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 24 O 514/92
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das am 09.06.1993 verkündete Urteil
der 24. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 24 O 514/92 - wird
zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
(Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO
abgesehen).
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
1
Die in formeller Hinsicht bedenkenfreie Berufung hat in der Sache selbst keinen Erfolg.
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Das Landgericht hat zu Recht der Klage stattgegeben.
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Die Beklagte ist weder wegen Verletzung der Anzeigeobliegenheit nach § 5 Nr. 2
Abs. 1 AHB noch wegen Verletzung der Aufklärungsobliegenheit nach § 5 Nr. 3 AHB
durch den Kläger gemäß §§ 6 AHB, 6 Abs. 3 VVG von der Verpflichtung zur Leistung
aus der Betriebshaftpflichtversicherung frei.
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1.
objektiver Hinsicht nicht bewiesen. Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen,
daß auch dann der Versicherer die objektive Verletzung einer Obliegenheit durch den
Versicherungsnehmer nachzuweisen hat, wenn die Obliegenheit, wie hier die
Anzeigeobliegenheit, ein bestimmtes positives Tun zum Gegenstand hat. Dies
entspricht der herrschenden Meinung, der der Senat folgt (vgl. die umfangreichen
Nachweise bei Prölss/Martin, VVG, 25. Aufl., Anm. 14 zu § 6 = Seite 130). Soweit von
einer Mindermeinung (insbesonders von Martin, Sachversicherungsrecht, 3. Aufl., M II
13 ff.) im Hinblick auf die für (echte) schuldrechtliche Verbindlichkeiten geltende
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Vorschrift des § 362 BGB die Ansicht vertreten wird, der Versicherungsnehmer müsse
die Erfüllung einer von ihm geforderten Handlung beweisen, nicht aber der Versicherer
die Nichterfüllung, kann dem nicht gefolgt werden. Zum einen herrscht im
Versicherungsvertragsrecht der Grundsatz vor, daß zunächst einmal die Redlichkeit und
Vertragstreue des Versicherungsnehmers bis zum Beweis des Gegenteils durch den
Versicherer vermutet wird; zum anderen verbietet es auch die dem allgemeinen
Schuldrecht fremde und äußerst einschneidende Sanktion der völligen Leistungsfreiheit
bei Verletzung einer Obliegenheit, dem Versicherungsnehmer die Beweislast für die
Nichtverletzung der Obliegenheit aufzubürden. Es wird dabei nicht verkannt, daß der
Versicherer Schwierigkeiten haben kann, Vorgänge, die sich in der Sphäre des
Versicherungsnehmers abspielen, wie etwa die Absendung einer Schadensanzeige
oder einer Stehlgutliste, einer Gegenbeweisführung zugänglich zu machen. Dies kann
jedoch nicht zur grundsätzlichen Umkehr der Beweislast hinsichtlich der Verwirklichung
des objektiven Tatbestandes der Obliegenheitsverletzung führen. Den Interessen der
Versicherer ist genüge getan, wenn in Fällen, in denen dem Versicherungsnehmer ein
bestimmtes positives Tun abverlangt wird, diesem auferlegt wird, zur Erfüllung der
Obliegenheit in Einzelheiten substantiiert und glaubhaft vorzutragen ( ).
Diese Anforderungen hat der Kläger aber nach Auffassung des Senats im vorliegenden
Fall genügt. Er hat vorgetragen, er habe nach Eintritt des Versicherungsfalles am
05.03.1990 die Agentur bzw. den Angestellten der Beklagten in Köln, wo auch der
Versicherungsvertrag vermittelt worden war, am 06.03.1990 telefonisch von dem
Schadensereignis unterrichtet, woraufhin ihm ein Frageformular übersandt worden sei,
daß er am 10.03.1990 zurückgeschickt habe (vgl. Bl. 2/3 der Klageschrift und Schriftsatz
des Klägers vom 25.02.1993). Dieses Vorbringen des Klägers erscheint glaubhaft. Als
die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 26.06.1990 (Anlage K 3 zur Klageschrift
= Bl. 9) einen (weiteren) Fragebogen übersandt, hat der Kläger bereits auf diesem
vermerkt: "Alle Fragen habe ich am 06.03. mündlich und 10.03.90 schriftlich schonmal
beantwortet. Gelbes Formular." (Bl. 11 unten). Zu diesem Zeitpunkt konnte der
versicherungsrechtlich nicht vorgebildete Kläger, der von Beruf Garten- und
Landschaftsbauer ist, schlechterdings noch nicht ahnen, welche Bedeutung diese
Angaben im Rahmen der erst viel später in Gang gekommenen Kontroverse über die
Verletzung der Anzeigeobliegenheit für die Frage der Leistungspflicht der Beklagten
haben würde. Davon, daß der Kläger sie lediglich erfunden hat, kann daher nicht
ausgegangen werden. Es ist zudem auch keineswegs ausgeschlossen, daß es bei der
Beklagten aufgrund einer bei ihr gleichfalls bestehenden Privathaftpflichtversicherung
des Klägers zu einer Verwechslung und zu daraus resultierenden
innerorganisatorischen Problemen gekommen ist. Dafür spricht, daß die Beklagte
einerseits auch den mit Schreiben vom 26.06.1990 zugeschickten Fragebogen nach
dem Ausfüllen durch den Kläger nicht erhalten haben will, andererseits aber irgendein
Vorgang dazu geführt haben muß, daß die Angelegenheit gerade zu dieser Zeit von der
Kölner Niederlassung an die Direktion der Beklagten in Wiesbaden abgegeben worden
ist, die sich erstmals mit Schreiben vom 10.07.1990 an den Kläger gewandt hat (Bl. 41).
Nach Lage der Dinge kann eigentlich nur der vom Kläger zurückgesandte Fragebogen
die Kölner Verwaltungsstelle veranlaßt haben, die Sache zur weiteren Bearbeitung und
Prüfung der Eintrittspflicht der Wiesbadener Direktion zuzuleiten. Hätte nämlich der
Kläger auf das Schreiben vom 26.06.1990 nicht reagiert, wäre erfahrungsgemäß
zunächst einmal seitens der Kölner Bezirksdirektion an die Erledigung erinnert worden.
Bezeichnenderweise ist auch im ersten Anschreiben der Wiesbadener Direktion vom
10.07.1990 mit keinem Wort davon die Rede, daß der Kläger den von der Kölner
Niederlassung am 26.06.1990 übersandten Fragebogen nicht zurückgeschickt habe.
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Liegt somit die Annahme nicht fern, daß der (zweite) Fragebogen tatsächlich vom Kläger
zurückgeschickt worden war, aber auf irgendeine Weise bei der Kölner Niederlassung
der Beklagten abhandengekommen oder an eine falsche Abteilung gelangt ist, die ihm
keinen bestimmten Vorgang zuordnen konnte, so kann es auch durchaus möglich sein,
daß der vom Kläger nach seinen Angaben am 10.03.1990 übersandte erste Fragebogen
ein ähnliches Schicksal erlitten hat wie der zweite.
Sind demnach die Darlegungen des Klägers zur Erfüllung der Anzeigeobliegenheit
nach § 5 Nr. 2 Abs. 1 AHB durchaus plausibel, wäre es Aufgabe der Beklagten
gewesen, dieses Vorbringen zu widerlegen, und zwar zu beweisen, daß der Kläger
weder am 06.03.1990 vom Schadensereignis mündlich Mitteilung gemacht hatte, noch
am 10.03.1990 einen Fragebogen ausgefüllt zurückgeschickt hatte. Da die Obliegenheit
bereits dann erfüllt ist, wenn die Anzeige auf dem Weg zum Versicherer gebracht ist
(vgl. Prölss/Martin, a.a.O., Anm. 3 zu § 33 = Seite 261), reicht der Beweis, daß ein
entsprechendes Schriftstück nicht eingegangen ist, allein nicht aus. Die Beklagte hat
aber vorliegend keinen Beweis dafür angetreten, daß der Kläger am 06. und 10.03.1990
nicht in der von ihm geschilderten Weise tätig geworden ist. Soweit sie in der
Berufungsbegründung (dort Seite 4 = Bl. 92) Zeugen dafür benannt hat, daß eine
Rücksendung des mit Schreiben der Kölner Niederlassung vom 26.06.1990
übersandten Fragebogens nicht erfolgt sei, bezieht sich dieser Beweisantritt schon nicht
auf den ersten, am 10.03.1990 zurückgesandten Fragebogen, reicht aber auch nicht zur
Widerlegung der Absendung des Fragebogens aus.
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Nach alledem ist schon der objektive Tatbestand der Verletzung der
Anzeigeobliegenheit nicht bewiesen, so daß es auf die weiteren Vorsetzungen für den
Eintritt von Leistungsfreiheit, insbesondere auf die Frage der sogenannten Relevanz im
Sinne der höchstrichterlichen Relevanzrechtsprechung (vgl. dazu Prölss/Martin, a.a.O.,
Anm. 9 C a zu § 6 = Seite 120/121) nicht ankommt.
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2.
Aufklärungsobliegenheit.
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Allerdings könnte hier insoweit eine Verletzung gegeben sein, als der Kläger, nachdem
die Angelegenheit an die Direktion in Wiesbaden abgegeben worden war und die
Bearbeitung nunmehr in geordneten Bahnen verlief, mehrmaligen Aufforderungen zur
Unterrichtung über die Einzelheiten des Versicherungsfalles nicht nachgekommen ist,
stattdessen sich, unter nunmehriger Einschaltung eines Rechtsbeistandes, darauf
verlegt hat, über die Frage von Obliegenheitsverletzungen zu diskutieren. Grundsätzlich
dürfte es einem Versicherungsnehmer auch zuzumuten sein, nochmals die erbetene
Aufklärung zu erteilen, wenn der Versicherer mitteilt, daß vorangegangene Schreiben
des Versicherungsnehmers nicht zugegangen oder im Bereich der Verwaltung
abhanden gekommen sind.
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Letztlich kann dies jedoch dahinstehen. Selbst wenn in objektiver und subjektiver
Hinsicht eine Verletzung der Aufklärungsobliegenheit vorläge und auch die für eine
"Relevanz" erforderlichen Merkmale des erheblichen Verschuldens und der generellen
Eignung der Obliegenheitsverletzung, die Interessen des Versicherers ernsthaft zu
gefährden, bejahen würde, fehlte es, wie in der mündlichen Verhandlung angesprochen
worden ist, für den Eintritt der Leistungsfreiheit an dem weiteren Erfordernis einer
ordnungsgemäßen Belehrung des Klägers über die Rechtsfolge der Leistungsfreiheit.
Diese Belehrung muß bei Aufklärungsobliegenheiten ausdrücklich den Hinweis
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enthalten, daß der Versicherer bei einer vorsätzlichen Obliegenheitsverletzung auch
dann leistungsfrei wird, wenn diese folgenlos geblieben ist, das heißt keinerlei
Nachteile für den Versicherer gebracht hat (vgl. im einzelnen zur höchstrichterlichen
Rechtsprechung die Nachweise bei Prölss/Martin, a.a.O., Anm. 3 C zu § 34 = Seite 273).
Eine Belehrung über den Eintritt der Leistungsfreiheit ist nach der vorliegenden
Korrespondenz lediglich im Schreiben der Beklagten vom 17.10.1990 erteilt worden.
Dort heißt es: "Ein solcher Verstoß gegen die Obliegenheiten des
Versicherungsnehmers berechtigt den Versicherer dazu, seine Eintrittspflicht zu
verneinen." Ein Hinweis, daß dies auch dann gilt, wenn der Verstoß folgenlos geblieben
ist, fehlt. Auf Leistungsfreiheit wegen Verletzung der Aufklärungsobliegenheit kann sich
die Beklagte daher schon aus diesem Grunde nicht mit Erfolg berufen.
3.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen über die Kosten und die vorläufige
Vollstreckbarkeit beruhen auf den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
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Dem Antrag des Klägers, das angefochtene Urteil des Landgerichts für rechtskräftig zu
erklären, war nicht stattzugeben. Bis zum Eintritt der sogenannten formellen Rechtskraft
des die Berufung zurückweisenden Urteils im Sinne des § 705 ZPO ist auch das
angefochtene Urteil des Landgerichts noch nicht rechtskräftig (vgl. Zöller/Stöber, ZPO,
18. Aufl., Rdnr. 7 zu § 705 mit Bezug auf die Entscheidung des gemeinsamen Senats
der Obersten Gerichtshöfe vom 24.10.1983, unter anderem in NJW 1984, 1027).
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Streitwert für das Berufungsverfahren (80 % der Urteilssumme im Haftpflichtprozeß
zuzüglich der vom Kläger dort zu tragenden Kosten) und Wert der Beschwer für die
Beklagte: bis 14.000,00 DM.
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