Urteil des OLG Köln vom 23.04.1999

OLG Köln (stimmrecht, zeitlich befristet, rechtskräftiges urteil, wohnung, grundbuch, eigentümer, eigentumswohnung, nichtigkeit, begründung, begehren)

Oberlandesgericht Köln, 16 Wx 54/99
Datum:
23.04.1999
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
16. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
16 Wx 54/99
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 29 T 380/98
Schlagworte:
Kein allgemeiner Ausschluss eines Wohnungseigentümers vom
Stimmrecht
Normen:
WEG § 20
Leitsätze:
Einem im Grundbuch eingetragenen Wohnungseigentümer kann auch
dann, wenn über seinen Eigentumserwerb noch ein bei Gericht
anhängiger Rechtstreit schwebt, nicht durch Mehrheitsbeschluß für die
Dauer dieses Rechtstreits das Stimmrecht in der
Wohnungseigentümerversammlung entzogen werden. Ein derartiger
Beschluß ist auch dann, wenn er nicht fristgerecht angefochten wurde,
nichtig.
Tenor:
Die weitere sofortige Beschwerde der Beteiligten zu 1) und 2) gegen den
Beschluss des Landgerichts Köln vom 17.3.99 - 29 T 380/98 - wird
zurückgewiesen. Die Gerichtskosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens
tragen die Beteiligten zu 1) und 2). Eine Erstattung außergerichtlicher
Kosten wird nicht angeordnet. Der Geschäftswert für das
Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 5.000,- DM festgesetzt.
GRÜNDE:
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Die von der Beteiligten zu 2) als der früheren Alleineigentümerin erklärte Teilung ihres
Grundstücks in Wohnungseigentum gemäß § 8 WEG ist am 3o.1o.87 grundbuchmäßig
vollzogen worden. Es wurde aufgeteilt in insgesamt 16 Miteigentumsanteile jeweils
verbunden mit einer Sonder- bzw. Teileigentumseinheit in einer Mehrhausanlage,
nämlich in den beiden Wohnhäusern E.str. 2 a ( 5 Anteile mit den Nrn. 1 - 5 =
Gemeinschaft A) und E.str. 2 ( 6 Anteile mit den Nrn. 6 - 11 = Gemeinschaft B) und dem
Mehrzweckgebäude E.str. 2 und 2 a ( 5 Anteile mit den Nrn. 12 - 16 = Gemeinschaft C).
Gemäß § 9 der Gemeinschaftsordnung sind für die Instandhaltung und -setzung des
gemeinschaftlichen Eigentums sowie für die Tragung der diesbezüglichen Kosten und
Lasten der drei Gebäude drei Eigentümerteilgemeinschaften (nämlich A, B und C) in der
Weise gebildet worden, dass Entscheidungen über Lasten- und Kostentragung jeweils
auf das Gebäude, soweit es ausschließlich betroffen ist, beschränkt sind, für das die
Eigentümerteilgemeinschaft gebildet ist. Die Beteiligten zu 3) und 4) kauften mit
notariellem Vertrag vom 3.9.1991 von der Beteiligte zu 2) - Veräußerer und Bauträger -
die noch zu errichtende und im Aufteilungsplan mit Nr.1o bezeichnete Wohnung im
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Wohngebäude E.str. 2. Zu deren Gunsten wurde am 11.9.91 auch eine
Auflassungsvormerkung im Grundbuch eingetragen. Mit Schreiben vom 31.1.92
kündigte die Beteiligte zu 2) gegenüber den Beteiligten zu 3) und 4) das
Vertragsverhältnis mit sofortiger Wirkung. Diese erhoben daraufhin vor dem Landgericht
Köln - 18 O 112/92 - gegen die Beteiligte zu 2) Klage auf Übertragung des Eigentums an
der Wohnung. Durch - unangefochten gebliebenen - Beschluss der
Eigentümergemeinschaft B (Wohngebäude E.str.2) vom 9.11.92 wurde den Beteiligten
zu 3) und 4) das Stimmrecht für die Eigentumswohnung Nr. 1o wegen des laufenden
Prozesses mit der Beteiligten zu 2) entzogen und bis zur rechtskräftigen Entscheidung
auf den jeweiligen Eigentümer der Wohnung Nr. 6 - die Beteiligte zu 2) - übertragen.
Durch Urteil vom 5.8.93 ist dann die Beteiligte zu 2) verurteilt worden, Zug um Zug
gegen Zahlung von 24.816,95 DM die Notarin anzuweisen, beim Amtsgericht die
Eigentumsumschreibung zugunsten der Beteiligten zu 3) und 4) zu beantragen, und
diesen den Besitz an der Wohnung einzuräumen. Auf die hiergegen eingelegte
Berufung ordnete das OLG Köln - 11 U 216/93 - unter dem 9.2.94 das Ruhen des
Rechtsstreits an, das noch andauert. Am 31.5.94 sind die Beteiligten zu 3) und 4)
aufgrund des entsprechenden Antrags des Notars im Wohnungsgrundbuch als
Eigentümer eingetragen worden. Im nunmehr von der Beteiligten zu 2) angestrengten
Verfahren vor dem AG Köln - 143 C 445/97 - ist im wesentlichen beantragt, die
Eigentumsumschreibung vom 31.5.94 wegen Verstoßes gegen § 313 Abs.1 S. 1 BGB
für nichtig zu erklären. Eine Entscheidung steht aus.
Im vorliegenden mit Schriftsatz vom 7.1o.96 eingeleiteten Verfahren beantragten die
Beteiligten zu 1) und 2), den Beteiligten zu 3) und 4) im Hinblick auf den nicht für
"nichtig" erklärten Eigentümerbeschluss vom 9.11.92 bis zum rechtskräftigen Abschluss
des Verfahrens vor dem AG Köln - 143 C 445/97 - zu untersagen, ihr Stimmrecht in der
Eigentümergemeinschaft B auszuüben. Das Amtsgericht hat den Antrag
zurückgewiesen mit der Begründung, der genannte Eigentümerbeschluss sei nichtig,
weil die Beteiligte zu 2) unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt berechtigt gewesen sei,
den Beteiligten zu 3) und 4) das Stimmrecht zu entziehen; ferner fehle dem Antrag das
Rechtsschutzbedürfnis. Die erhobene sofortige Beschwerde, mit der die Beteiligten zu
1) und 2) nunmehr beantragen, den Beteiligten zu 3) und 4) die Ausübung des
Stimmrechts zu untersagen "wegen Untergangs des Kaufvertrages vom 3.9.91 .....
und/bzw. wegen des Eintritts der Nichtigkeit nach § 125 BGB wegen fehlender
Beurkundung wesentlicher Vertragsänderungen nach § 313 BGB", hat das Landgericht
zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht erhobene sofortige
weitere Beschwerde, mit der die Beteiligten zu 1) und 2) ihr Begehren weiterverfolgen.
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Das zulässige Rechtsmittel (§§ 43 Abs.1 Nr.1, 45 Abs.1 WEG, 2o, 22 Abs.1, 27, 29
FGG) hat in der Sache keinen Erfolg.
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Die Entscheidungen der Vorinstanzen sind aus Rechtsgründen - was allein Gegenstand
der Nachprüfung im Rechtsbeschwerdeverfahren sein kann (§ 27 FGG) - nicht zu
beanstanden. Auch die Verfahrensrüge unterlassener Sachaufklärung und
Beweiserhebung bleibt ohne Erfolg.
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Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im wesentlichen ausgeführt:
Unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt könne den Beteiligten zu 3) und 4) die
Ausübung ihres Stimmrechts untersagt werden. Denn sie seien als Eigentümer der
Wohnung im Grundbuch eingetragen und der Eigentümerbeschluss vom 9.11.92 sei
dagegen nichtig, weil eine - wie hier anzunehmende - dauernde Abspaltung des
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Stimmrechts auf einen anderen Wohnungseigentümer oder einen Dritten die sich aus
dem Wohnungseigentum ergebende Rechtsstellung aushöhlen würde und deshalb
einen unzulässigen Eingriff in den Kernbereich des Wohnungseigentums darstelle.
Die Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung stand.
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1) Rechtlich nicht zu beanstanden ist die Annahme des Landgerichts, dass dem
Begehren der Beteiligten zu 1) und 2) zunächst einmal die Grundbucheintragung der
Beteiligten zu 3) und 4) entgegensteht.
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Die Stimmberechtigung knüpft im Hinblick auf die Notwendigkeit, das Stimmrecht an
klare Voraussetzungen zu binden (BayObLG NZM 98, 816), an ein formales Kriterium
an, d.h. stimmberechtigt ist regelmäßig derjenige Wohnungseigentümer, der als
Eigentümer im Grundbuch eingetragen ist (vgl. BGHZ 1o6, 113 = NJW 89, 1o87). Im
Streitfall ist mithin für die Frage, wem das Stimmrecht für die streitige
Eigentumswohnung Nr. 1o zusteht, die zugunsten der Beteiligten zu 3) und 4)
sprechende Grundbuchlage entscheidend. Diese gelten sonach rechtlich als Mitglieder
der Wohnungseigentümergemeinschaft, woraus zwangsläufig das Stimmrecht als
Mitverwaltungsrecht i.S. des § 2o Abs. 1 WEG folgt (vgl. BGH aaO und zuvor BGHZ 99,
9o = NJW 87, 65o). Daran kann sich nichts dadurch ändern, dass die Beteiligten zu 1)
und 2) geltendmachen, die Eigentumsumschreibung sei unwirksam im Hinblick darauf,
dass der Kaufvertrag wegen arglistiger Täuschung bzw. mangelnder Beurkundung
wesentlicher Vertragsänderungen nichtig sei. Dabei sind die Vorinstanzen mit Recht
nicht in die Prüfung der Frage eingetreten, ob der Kaufvertrag aus den von den
Rechtsbeschwerdeführern angegebenen Gründen tatsächlich nichtig und mithin die am
31.5.94 erfolgte Eigentumsumschreibung zu berichtigen ist. Zuständig für die
Entscheidung ist nicht das Wohnungseigentumsgericht sondern das Prozessgericht.
Solange mithin die Beteiligten zu 1) und 2) insoweit nicht zumindest ein rechtskräftiges
Urteil vorlegen können, wonach die Beteiligte zu 2) die Berichtigung des Grundbuchs
aus § 894 dahin verlangen kann, dass die Beteiligten zu 3) und 4) im Grundbuch als
Eigentümer zu löschen sind, bleibt es für die Entscheidung bei der Vermutung gemäß §
891 BGB, dass die eingetragenen Beteiligten zu 3) und 4) die wirklichen Eigentümer
sind, selbst wenn das Grundbuch etwa wegen Nichtigkeit des Erwerbsvertrages
tatsächlich unrichtig sein sollte ( vgl. Lüke in Weitnauer WEG § 25 Rdnr. 7 mwN). Die
getroffene Entscheidung besagt entgegen der Ansicht der Beschwerdeführer daher
nicht, dass für alle Zeit, also selbst bei einem für die Beschwerdeführer positivem
Ausgang der angestrengten Zivilprozesse das Stimmrecht der Beteiligten zu 3) und 4)
festgeschrieben sei, sondern nur, dass derzeit für das Wohnungseigentumsgericht keine
Handhabe besteht, den Beteiligten zu 3) und 4) die Ausübung des Stimmrechts
untersagen.
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2) Mit Recht sind die Vorinstanzen ferner davon ausgegangen, dass sich das Begehren
der Beteiligten zu 1) und 2) ebensowenig mit Erfolg auf den Eigentümerbeschluss vom
9.11.92 stützen läßt.
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a) Der Beschluss geht, solange den Beteiligten zu 3) und 4) nicht auch der Besitz an der
Wohnung übertragen war, ins Leere, weil ihnen bis zu diesem Zeitpunkt ein Stimmrecht
in der Versammlung noch nicht zugestanden hatte. Nach der ständigen Rechtsprechung
des Senats ist im Fall der Begründung von Wohnungseigentum durch
Grundstücksteilung nach § 8 WEG das Vorliegen einer werdenden bzw. faktischen
Wohnungseigentümergemeinschaft und damit die Anwendbarkeit der Vorschriften des
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WEG für und gegen den Erwerber einer Eigentumswohnung anzuerkennen, wenn
dessen Übereignungsanspruch durch Eintragung einer Auflassungsvormerkung
gesichert und diesem der Besitz an der Wohnung übertragen ist ( vgl. z.B. NZM 98, 199
= NJW-RR 98, 518; BayObLG WE 98, 157 = FGPrax 98, 98,17; NJW-RR 97, 1443;
Merle WE 98, 16o; zweifelnd SaarlOLG WE 98, 314). An der zweiten Voraussetzung
fehlte es ersichtlich im Zeitpunkt der Beschlussfassung.
b) Soweit den Beteiligten zu 3) und 4) mit der Übertragung des Besitzes (vgl. BayObLG
WE 98, 157 = FGPrax 98, 17), spätestens aber mit der Eigentumsumschreibung das
Stimmrecht in der Folgezeit erwachsen ist, sind die Vorinstanzen mit Recht davon
ausgegangen, dass der Eigentümerbeschluss nichtig ist, denn der Entzug des
Stimmrechts und die Übertragung der Ausübung auf einen anderen
Wohnungseigentümer verstößt gegen den Kernbereich des Wohnungseigentumsrechts.
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Ein Eigentümerbeschluss ist auch ohne Ungültigerklärung ( § 43 Abs. 1 Nr.4 WEG)
nichtig, wenn er gegen Rechtsvorschriften verstößt, auf deren Einhaltung rechtswirksam
nicht verzichtet werden kann (§ 23 Abs. 4 S. 2 WEG). Schranken für den Inhalt von
Eigentümerbeschlüssen ergeben sich sonach aus den Grenzen der Vertragsfreiheit
nach §§ 134, 138 BGB sowie den zwingenden Vorschriften des WEG (vgl. BayObLG
ZMR 98, 5o9). Letzteres ist anerkanntermaßen auch der Fall, wenn eine beschlossene
Regelung Rechte eines Wohnungseigentümers beschneidet, die zum wesentlichen
Inhalt der Nutzung von Wohnungseigentum gehören (vgl. BGH NJW 95, 2o36). Im
übrigen ist die Nichtigkeit eines Beschlusses in jedem Verfahren zu berücksichtigen,
auch wenn sie zuvor noch nicht festgestellt wurde ( vgl. Lüke in Weitnauer WEG § 23
Rdnr. 24 mwN).
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Die Stimmrechtsausübung gehört zum wesentlichen Inhalt der Nutzung von
Wohnungseigentum, so dass die beschlossene Regelung einen Verstoß gegen
zwingende Rechtsvorschriften begründet. Die Regelungsbefugnis der
Wohnungseigentümer endet dort, wo die personenrechtliche Gemeinschaftsstellung der
Wohnungseigentümer ausgehöhlt wird. Deshalb ist anerkannt, dass das Stimmrecht
unübertragbar ist und mithin nicht vom Wohnungseigentum abgespaltet werden kann (
vgl. BGHZ 99, 9o = NJW 87, 65o; Lüke in Weitnauer WEG § 25 Rdnr. 7;
Bärmann/Pick/Merle WEG § 25 Rdnr. 1o mwN). Das mitgliedschaftliche Element des
Wohnungseigentums verbietet einen allgemeinen Ausschluss des
Wohnungseigentümers vom Stimmrecht als einem Mitverwaltungsrecht im Sinne des §
2o Abs.1 WEG. Möglich ist nur, dass der stimmberechtigte Wohnungseigentümer einen
anderen Wohnungseigentümer oder Dritten zur Ausübung des Stimmrechts in seinem
Namen bevollmächtigt (§§ 164 ff BGB) oder zur Stimmabgabe in eigenem Namen
ermächtigt (vgl. Palandt/Bassenge, § 25 WEG Rdnr. 2a). An der Bewertung ändert
schließlich nichts der Umstand, dass der Stimmrechtsentzug zeitlich befristet ist,
nämlich bis zum rechtskräftigen Abschluss des beim LG Köln angestrengten Prozesses,
zumal da der dem zugrundeliegende Streit der Beteiligten um das Eigentum für eine
solche Regelung jedenfalls über den Zeitpunkt der Eigentumsumschreibung hinaus
auch kein begründeter Gesichtspunkt sein konnte.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 47 WEG. Es entspricht billigem Ermessen, den
unterlegenen Beteiligten zu 1) und 2) die Gerichtskosten des Verfahrens dritter Instanz
aufzuerlegen (§ 47 S. 1 WEG). Im übrigen war es geboten, an dem in § 47 WEG
bestimmten Kostengrundsatz festzuhalten, wonach die Verfahrensbeteiligten die ihnen
entstandenen außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen haben. Für eine davon
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abweichende Billigkeitsentscheidung (§ 47 S.2 WEG) bestand kein Anlass, zumal da
der Senat wegen der mangelnden Erfolgsaussicht des Rechtsmittels die übrigen
Beteiligten von vorneherein nicht am Verfahren beteiligt hat.
Die Wertfestsetzung beruht auf § 48 Abs. 3 WEG und entspricht der von den Beteiligten
nicht beanstandeten Wertfestsetzung durch die Vorinstanzen.
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