Urteil des OLG Köln vom 21.10.1997

OLG Köln (zeuge, amtliches kennzeichen, unerlaubtes entfernen, versicherte sache, unerlaubte entfernung, fahrzeug, gesetzliche vermutung, stgb, unfallflucht, versicherungsnehmer)

Oberlandesgericht Köln, 9 U 376/94
Datum:
21.10.1997
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
9. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 U 376/94
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 23 O 41/94
Schlagworte:
Versicherung Kaskoversicherung Obliegenheitsverletzung Repräsentant
Unfallflucht Dienstwagen
Normen:
VVG § 6 III; AKB §§ 7 V, I, StGB § 192
Leitsätze:
Unfallflucht stellt in der Regel eine Obliegenheitsverletzung in der
Kaskoversicherung dar. Der Fahrer eines PKW ist in diesem
Zusammenhang dann Repräsentant des Versicherungsnehmers, wenn
ihm die sogenannte Risikoverwaltung obliegt, das heißt, daß er
eigenverantwortlich für die Betriebs- und Verkehrssicherheit zu sorgen
hat. Die Wahrnehmung von Rechten und Pflichten aus dem
Versicherungsvertrag ist dazu nicht erforderlich.
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 06.07.1994 verkündete Urteil
der 23. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 23 O 41/94 - wird
zurückgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die in formeller Hinsicht bedenkenfreie Berufung der Klägerin ist in der Sache nicht
begründet.
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Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Klägerin steht wegen des
Schadensereignisses vom 19.03.1993 aus der für das Fahrzeug BMW 730 i, amtliches
Kennzeichen ......... abgeschlossenen Vollkaskoversicherung kein
Entschädigungsanspruch gemäß § 12 Nr. 1 II e AKB zu.
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Die Beklagte ist gemäß § 6 Abs. 3 VVG in Verbindung mit § 7 V Abs. 4 und I Abs. 2 Satz
3 AKB von ihrer Verpflichtung zur Leistung befreit, weil der Zeuge N. als Repräsentant
der Klägerin die aus § 7 I Abs. 2 Satz 3 AKB folgende Aufklärungsobliegenheit verletzt
hat, indem er sich nach dem Schadensereignis unerlaubt vom Unfallort entfernt hat.
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Es entspricht der ständigen Rechtsprechung, daß die Unfallflucht auch in der
Kaskoversicherung eine Obliegenheitsverletzung darstellen kann. Denn die Verletzung
der Strafvorschrift des § 142 StGB durch unerlaubtes Entfernen vom Unfallort beinhaltet
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zugleich einen Verstoß gegen die Verpflichtung des Versicherungsnehmers gegenüber
der Versicherung, nach einem Unfall im Straßenverkehr alles zu tun, um eine
Aufklärung des Schadensereignisses zu ermöglichen. Durch die Vorschrift des § 142
StGB wird nämlich auch das Aufklärungsinteresse des Kaskoversicherers durch eine Art
Reflexwirkung geschützt (BGH Versicherungsrecht 1987, 657, OLG Köln
Versicherungsrecht 1995, 1182). Der Versicherungsnehmer ist daher, wenn - wie
vorliegend - nicht nur geringfügige Bagatellschäden an fremden Rechtsgütern
eingetreten sind, verpflichtet, die Feststellungspflichten aus § 142 StGB zu erfüllen.
Das Landgericht ist in dem angefochtenen Urteil zutreffend davon ausgegangen, daß
der Zeuge N. als Fahrer des versicherten Fahrzeugs den Tatbestand des § 142 StGB
erfüllt hat. Ohne Erfolg beruft sich die Klägerin mit dem eingelegten Rechtsmittel darauf,
daß für den Zeugen N. eine Wartepflicht am Unfallort nicht bestanden habe, weil das
Grundstück unbewohnt gewesen sei und somit keine feststellungsbereiten Personen
vorhanden gewesen seien. Auch wenn sich der Unfallverursacher nach Ablauf einer
angemessenen Wartezeit erlaubterweise von der Unfallstelle entfernt hat, liegt gemäß §
142 Abs. 2 StGB eine Verletzung seiner Feststellungspflichten und somit eine
Obliegenheitsverletzung vor, wenn er die erforderlichen Feststellungen bezüglich seiner
Beteiligung an dem Unfall nicht unverzüglich nachträglich ermöglicht. Insbesondere hat
der Unfallbeteiligte, der sich zunächst entschuldigt von der Unfallstelle entfernt hat,
unverzüglich nachträglich Feststellungen zu einer im Unfallzeitpunkt eventuell
bestehenden Alkoholisierung zu ermöglichen. Dies erfordert eine unverzügliche
Kontaktaufnahme mit der Polizei. Selbst wenn der Zeuge N. sich zunächst
berechtigterweise von Unfallort entfernt haben sollte, so wäre er verpflichtet gewesen,
nach einer ersten Versorgung seiner Verletzungen bei seiner Freundin Kontakt zur
Polizei aufzunehmen, um seiner Aufklärungspflicht zu den Umständen des
Schadensereignisses nachzukommen. Da er dies unterlassen hat, ist der Tatbestand
des § 142 Abs. 2 StGB erfüllt und die versicherungsrechtliche Aufklärungspflicht verletzt
worden.
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Die nach § 6 Abs. 3 VVG geltende gesetzliche Vermutung der vorsätzlichen Verletzung
der Aufklärungsobliegenheit hat die Klägerin nicht ausräumen können. Es kann auch
nicht festgestellt werden, daß der Zeuge N. wegen der behaupteten Verletzungen,
nämlich Prellungen und einer Platzwunde am Kopf sowie eines unfallbedingten
Schockzustandes nicht in der Lage gewesen sei, die nachträglichen Feststellungen zu
ermöglichen. Dagegen spricht, daß der Zeuge N. nach dem Unfall zielgerichtet die
Wohnung einer Bekannten aufgesucht hat und daß weder er noch seine Bekannte
wegen der Verletzungen die Konsultation eines Arztes für erforderlich gehalten haben.
Erhebliche Verletzungen, die das Verhalten des Zeugen N. entschuldigen könnten, sind
somit schon nicht schlüssig dargelegt, ergeben sich aber auch nicht aus den
beigezogenen Strafakten 492 Js 93451/93, in denen auch die Stellungnahme eines
Sachverständigen vorliegt. Durch sein Verhalten hat der Zeuge N. Feststellungen des
Versicherers zu einer Leistungsfreiheit wegen etwaiger alkoholbedingter schuldhafter
Herbeiführung des Verkehrsunfalles vereitelt, so daß die Voraussetzungen der
Obliegenheitsverletzungen nach § 6 Abs. 3 VVG sowohl in objektiver als auch in
subjektiver Hinsicht erfüllt sind.
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Die Klägerin muß sich das schuldhafte Verhalten des Zeugen N. zurechnen lassen, weil
dieser als ihr Repräsentant im versicherungsrechtlichen Sinne anzusehen ist.
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Nach der neueren Rechtsprechung ist Repräsentant, wer in dem Geschäftsbereich, zu
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dem das versicherte Risiko gehört, aufgrund eines Vertretungs- oder ähnlichen
Verhältnisses an die Stelle des Versicherungsnehmers getreten ist. Die bloße
Überlassung der Obhut über die versicherte Sache reicht hierbei nicht aus.
Repräsentant kann nur sein, wer befugt ist, selbständig in einem gewissen, nicht ganz
unbedeutenden Umfang für den Versicherungsnehmer zu handeln (Risikoverwaltung).
Entgegen der früheren von der Rechtsprechung vertretenen Auffassung muß nicht noch
hinzutreten, daß der Dritte auch Rechte und Pflichten aus dem Versicherungsvertrag
wahrzunehmen hat (BGH r+s 1993, 321, OLG Köln, r+s 1995, 402). Im Rahmen der
Risikoverwaltung kommt es für die Repräsentanteneigenschaft nicht darauf an, wer die
finanziellen Lasten des Fahrzeugs für Steuer, Versicherung, Betriebskosten und
Reparaturen trägt. Maßgebend ist vielmehr, wer für die Betriebs- und Verkehrssicherheit
des Fahrzeugs eigenverantwortlich zu sorgen hat.
Vorliegend steht aufgrund der glaubhaften Aussage des Zeugen K. zur Überzeugung
des Senats fest, daß die Klägerin dem Zeugen N. die laufende Betreuung des
Fahrzeugs zur selbständigen Erledigung im Sinne einer Risikoverwaltung übertragen
hatte. Der Zeuge K. hat in seiner Vernehmung vor dem Senat glaubhaft bekundet, daß
er im Rahmen der Abwicklung des streitbefangenen Verkehrsunfalles für die Beklagte
im Jahre 1993 in D. ein Gespräch mit dem Verkaufsleiter der Klägerin, E. Sch. geführt
habe, in welchem dieser ihm nach Einsichtnahme in die Personal- und Autoakten der
Klägerin mitgeteilt habe, daß das Fahrzeug dem Zeugen N. sowohl dienstlich als auch
privat uneingeschränkt zur Verfügung gestanden habe und daß diesem auch die
Entscheidungen über die Durchführung von Inspektionen und Reparaturen überlassen
worden seien. Nach der Aussage des Zeugen K. hatte der Zeuge N. eigenverantwortlich
für die Betriebs- und Verkehrssicherheit des Fahrzeugs zu sorgen.
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Die in dem zwischen der Klägerin und dem Zeugen N. abgeschlossenen schriftlichen
Arbeitsvertrag vom 23.03.1984 enthaltene Vereinbarung, daß der Zeuge N. das
Fahrzeug nur für Dienstfahrten benutzen dürfe, war nach den vom Zeugen K.
bekundeten Angaben des Verkaufsleiters der Klägerin, Herrn Sch., durch mündliche
Abreden überholt. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, daß der Zeuge K. das
Gespräch mit dem Verkaufsleiter der Klägerin unrichtig wiedergegeben hat oder daß der
Verkaufsleiter Sch. dem Zeugen K. unrichtige Angaben gemacht hat. Daß die Klägerin
die Kosten für Pflege, Wartung und Reparaturen des Fahrzeugs zu tragen hatte, steht
der Annahme einer Repräsentantenstellung des Zeugen N. nicht entgegen, da es wie
bereits ausgeführt entscheidend darauf ankommt, wer unabhängig von der Kostenlast
tatsächlich für die Wartung des Fahrzeugs verantwortlich war.
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Der Zeuge N. hat in seiner Vernehmung vor dem Senat hinsichtlich der Frage, ob er die
Verantwortung und Sorge für den Pkw getragen habe, nach Belehrung durch den Senat
von seinem Zeugnisverweigerungsrecht aus § 384 ZPO Gebrauch gemacht und hat
lediglich bekundet, daß er das Fahrzeug nicht privat habe nutzen dürfen. Diese
Bekundung des Zeugen N. ist aber nicht geeignet, die Glaubhaftigkeit der Aussage des
Zeugen K. in Frage zu stellen. Dessen Aussage, daß das Fahrzeug dem Zeugen N.
auch privat zur Verfügung stand und daß diesem die laufende Betreuung des Fahrzeugs
zur selbständigen Erledigung übertragen worden war, wird nämlich durch den Umstand
bestätigt, daß von den drei Fahrzeugen, welche die damals in Düsseldorf ansässige
Klägerin in München unterhielt, zwei Fahrzeuge als Dienstfahrzeuge für ihre Mitarbeiter
in D. zugelassen waren und lediglich das dem Zeugen N. überlassene Fahrzeug ein
Münchner Kennzeichen hatte. Letzteres kann entgegen der Behauptung der Klägerin
nicht nur eine Frage der Praktikabilität gewesen sein, da dies auch für die beiden
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anderen in der M.er Filiale der Klägerin benutzten Firmenfahrzeuge gegolten hätte.
Dennoch hatte die Klägerin nur das dem Zeugen N. überlassene Fahrzeug in M.
zugelassen, was die Behauptung der Beklagten zur Stellung des Zeugen N. bestätigt.
Auch der Umstand, daß sich der streitbefangene Unfall an einem Samstag zur Nachtzeit
ereignet hat, spricht gegen die Bekundung des Zeugen N., daß er das Fahrzeug nicht
privat habe nutzen dürfen und Privatfahrten auch nur unternommen habe, wenn er
spätabends vom Dienst nach Hause gefahren sei.
Die von der Klägerin benannten Zeugen N. Sch., E. S. und A. K. konnten nicht geladen
werden, weil die Klägerin auch nach Hinweis des Senats auf § 356 ZPO weder den
Auslagenvorschuß bezahlt noch Gebührenverzichtserklärungen dieser Zeugen
vorgelegt hat. Der Zeuge E. Sch. konnte nicht geladen werden, weil diesem die Ladung
nicht wie beantragt unter der Anschrift der Klägerin zugestellt werden konnte. Nach dem
Vermerk des Zustellungsbeamten ist der Zeuge Erhard Sch. nicht mehr in der Firma der
Klägerin tätig. Eine ladungsfähige Anschrift ist auch auf Hinweis des Senats nicht
mitgeteilt worden.
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Da somit aufgrund der Aussage des Zeugen K. feststeht, daß der Zeuge N.
Repräsentant der Klägerin im versicherungsrechlichen Sinne war, ist der Klägerin die
von diesem durch unerlaubte Entfernung vom Unfallort schuldhaft begangene
Aufklärungsobliegenheitsverletzung mit der Folge der Leistungsfreiheit der Beklagten
zuzurechnen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat der
Versicherungsnehmer für die von einem Repräsentanten begangene Unfallflucht
einzustehen. Es fehlt insoweit nicht an einer zurechenbaren "Repräsentation". Denn der
Versicherungsnehmer darf nicht dadurch bessergestellt sein, daß er einen Dritten
hinsichtlich der Gefahrverwaltung an seine Stelle hat treten lassen (BGH r+s 1996, 385).
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Die Berufung der Klägerin ist somit mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO
zurückzuweisen.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713
ZPO.
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Streitwert für das Berufungsverfahren: 29.182,77 DM
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